(BETA) Links zu Beiträgen, Artikeln, Ressorts und Webseiten, die zu diesem Beitrag passen könnten (Alle bisher vermerkten Stichwörter und URLs):
Bewusstsein:
Geheimnis des Bewußtseins
Bewusstsein:
Bewusstsein&Materie (wiki)
Handlesen:
Die Kunst des Handlesens (*)
Was heisst es die Natur zu verehren...
Curupira schrieb am 13. Januar 2004 um 0:17 Uhr (660x gelesen):
...oder sind das nur Worte?
Ich fand folgenden Text, obwohl das alles nichts Neues ist und jeder es inzwischen wissen sollte, hat es mich sehr berührt und vielleicht erreicht er auch den einen oder anderen hier auf diese Weise. Bitte seht nicht weg, weil ihr glaubt es habe nichts mit dem Heidentum oder Mutter Natur zu tun. Das hat es.
----------------
Christiane M. Haupt [ 1996 ]
Um eines kleinen Bissens Fleisches willen...
"Es werden nur Tiere angenommen, die tierschutzgerecht transportiert werden und ordnungsgemäss gekennzeichnet sind", steht auf dem Schild über der Betonrampe. Am Ende der Rampe liegt, steif und bleich, ein totes Schwein. "Ja, manche sterben schon während des Transportes. Kreislaufkollaps."
Erlebt und geschrieben von Christiane M. Haupt
Was für ein Glück, dass ich die alte Jacke mitgenommen habe. Obwohl erst Anfang Oktober, ist es schneidend kalt, aber ich friere nicht nur deswegen. Ich vergrabe die Hände in den Taschen, zwinge mich zu einem freundlichen Gesicht und dazu, dem Direktor des Schlachthofes zuzuhören, der mir eben erklärt, dass man längst keine Lebenduntersuchung mehr vornimmt, nur eine Lebendbeschau. 700 Schweine pro Tag, wie sollte das auch gehen.
"Es sind eh keine kranken Tiere dabei. Die würden wir sofort zurückschicken, und das kostet den Anlieferer eine empfindliche Strafe. Das macht der einmal und dann nicht wieder." Ich nicke pflichtschuldig - durch, nur durchhalten, du musst diese sechs Wochen hinter dich bringen - , was passiert mit kranken Schweinen?
"Da gibt es einen ganz speziellen Schlachthof." Ich erfahre einiges über die Transportverordnungen, und wieviel genauer man es heutzutage mit dem Tierschutz nimmt. Das Wort, an diesem Ort gesprochen, klingt makaber. Inzwischen hat sich der vielstimmig grunzende und quiekende Doppeldecktransporter unter uns bis an die Rampe heranrangiert. Einzelheiten sind in der morgendlichen Dunkelheit kaum auszumachen; die Szenerie hat etwas Unwirkliches und gemahnt an jene gespenstischen Wochenschauen aus dem Krieg, an graue Waggonreihen voller ängstlicher bleicher Gesichter an Laderampen, über die geduckte Menschenmengen von gewehrtragenden Männern getrieben werden. Plötzlich bin ich mittendrin. So etwas träumt man in bösen Träumen, aus denen man schweissgebadet aufschreckt: Inmitten wabernden Nebels, in Eiseskälte und schmutzigem Zwielicht dieses unnennbar böse Bauwerk, dieser flache, anonyme Klotz aus Beton und Stahl und weissen Kacheln, ganz hinten am frosterstarrten Waldesrand; hier geschieht das Unaussprechliche, wovon niemand wissen will.
Die Schreie sind das erste, was ich höre an jenem Morgen, als ich eintreffe, um ein Pflichtpraktikum anzutreten, dessen Verweigerung für mich fünf verlorene Studienjahre und das Scheitern aller Zukunftspläne bedeutet hätte. Aber alles in mir – jede Faser, jeder Gedanke – ist Verweigerung, ist Abscheu und Entsetzen und das Bewusstsein nicht steigerbarer Ohnmacht: Zusehen müssen, nichts tun können, und sie werden dich zwingen mitzumachen, dich ebenfalls mit Blut zu besudeln. Schon aus der Ferne, als ich aus dem Bus steige, treffen die Schreie der Schweine mich wie ein Messerstich. Sechs Wochen lang werden sie mir in den Ohren gellen, Stunde für Stunde, ohne Unterlass. Durchhalten. Für dich ist es irgendwann zu Ende. Für die Tiere nie.
Ein kahler Hof, einige Kühltransporter, Schweinehälften am Haken in einer grell erleuchteten Türe. Alles peinlich sauber. Das ist die Vorderfront. Ich suche nach dem Eingang, er ist seitlich gelegen. Zwei Viehtransporter fahren an mir vorbei, gelbe Scheinwerfer im Morgendunst. Mir weist ein fahles Licht den Weg, erleuchtete Fenster. Ein paar Stufen, dann bin ich drinnen, und jetzt ist alles nur weissgekachelt. Keine Menschenseele zu sehen. Ein weisser Gang, – da, der Umkleideraum für Damen. Fast sieben Uhr, ich ziehe mich um: weiss, weiss, weiss. Der geliehene Helm schaukelt grotesk auf den glatten Haaren. Die Stiefel sind zu gross. Ich schlurfe wieder in den Gang, stosse beinahe mit dem zuständigen Veterinär zusammen. Artige Begrüssung. "Ich bin die neue Praktikantin." Bevor es losgeht, die Formalitäten. "Ziehen Sie sich mal was Warmes an, gehen Sie zum Direktor und geben Sie Ihr Gesundheitszeugnis ab. Dr. XX sagt Ihnen dann, wo Sie anfangen."
Der Direktor ist ein jovialer Herr, der mir erst einmal von
Schon aus der Ferne treffen die Schreie der Schweine mich wie ein Messerstich.
den guten alten Zeiten erzählt, als der Schlachthof noch nicht privatisiert war. Dann hört er leider damit auf und beschliesst, mich persönlich herumzuführen. Und so komme ich also auf die Rampe. Rechter Hand kahle Betongevierte, von eisigen Stahlstangen umgeben. Einige sind bereits mit Schweinen gefüllt. "Wir beginnen hier um fünf Uhr morgens." Geschubse, hier und da Krabbeleien, ein paar neugierige Rüssel schieben sich durch die Gitter, pfiffige Augen, andere unstet und verwirrt. Eine grosse Sau geht beharrlich auf eine andere los; der Direktor angelt nach einem Stock und schlägt sie mehrfach auf den Kopf. "Die beissen sich sonst ganz böse." Unten hat der Transporter die Holzklappe heruntergelassen, die vordersten Schweine schrecken vor dem wackeligen und abschüssigen Übergang zurück, doch von hinten wird gedrängelt, da ein Treiber dazwischen geklettert ist und kräftige Hiebe mit einem Gummischlauch austeilt. Ich werde mich später nicht mehr wundern über die vielen roten Striemen auf den Schweinehälften.
"Der Elektrostab ist für Schweine inzwischen verboten", doziert der Direktor. Einige Tiere wagen strauchelnd und unsicher die ersten Schritte, dann wogt der Rest hinterher, eins rutscht mit dem Bein zwischen Klappe und Rampe, kommt wieder hoch, hinkt weiter. Sie finden sich zwischen Stahlverstrebungen wieder, die sie unentrinnbar in einen noch leeren Pferch führen. Wenn es um eine Ecke geht, verkeilen sich die vorderen Schweine, alle stecken fest, und der Treiber flucht wütend und drischt auf die hintersten ein, die panisch versuchen, auf ihre Leidesgenossen zu springen. Der Direktor schüttelt den Kopf. "Hirnlos. Einfach hirnlos. Wie oft habe ich schon gesagt, dass es doch nichts bringt, die hintersten zu prügeln!"

Beitrag ist archiviert
Diskussionsverlauf:
- Was heisst es die Natur zu verehren... ~ Curupira - 13.01.2004 00:17 (26)