Selbstbewußtsein und vermeintliche genetische Differenzen
Jassu schrieb am 16. Januar 2003 um 8:57 Uhr (477x gelesen):
Ich finde es schon sehr bezeichnend, daß Bücher wie "Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken" auf den ersten Plätzen der Bestsellerlisten landen - das zeigt, wie stark doch das Rollendenken noch in den Köpfen der Menschen verankert ist, auch ca. ein Vierteljahrhundert nach dem Einsetzen der Emanzipation. Ich persönlich halte gar nichts von jenen pseudowissenschaftlichen Thesen, die geschlechtsspezifisches Verhalten gewissermaßen schon im genetischen Erbe suchen und z.B. die mangelnde Kommunikationstalente vieler Männer als Bestandteil des Y-Chromosoms zu etablieren suchen. Das erinnert mich dann doch zu stark an die Thesen vom "geborenen Verbrecher", die vor knapp hundert Jahren en vogue waren.
Die meisten unserer Verhaltensweisen sind eindeutig anerzogen, ebenso wie rollenspezifische Handlungsmuster. Und die Prägung fängt dabei schon sehr früh an: In meinem Kindergarten hatten z.B. Mädchen und Jungen jeweils eigene Haken für die Jacken: Bei den Jungen war eine Wiese im Hintergrund zu sehen, ebenso ein Fußball und ein Holzschwert. Die Mädchen hingegen bekamen eine saubere Teeparty vorexerziert, alles schön ruhig und geordnet. Ein "echter Junge" hingegen hat aktiv zu sein, wild und ungezähmt!
Einfach schrecklich! (Und da wundern die Leute sich, daß ich bis heute eine Abneigung gegen Fußball habe...)
Ebenso wird den meisten Jungen ziemlich früh eingetrichtert, daß es sich für einen Mann nicht zieme, Schwäche (sprich: Emotionen) zu zeigen. Indianer kennen keinen Schmerz, Jungen weinen nicht und "Helden" zeichnen sich meist dadurch aus, daß sie völlig unberührt durch jedwede Schwierigkeit hindurchnavigieren. Den weiblichen Charakteren hingegen ist es meist vergönnt, sich retten zu lassen und in Gefühlswallungen dahinzuschmelzen, wenn der tapfere Recke auftaucht.
So mag es nicht verwundern, daß viele männliche Wesen bereits im Teenageralter nicht mehr in der Lage sind, ihre Gefühle im selben Maße zum Ausdruck zu bringen, in dem Mädchen dies tun. Ich glaube, in meiner Klasse war ich so ziemlich der einzige, der mit seinem besten Freund über Beziehungen u.ä. geredet hat. Die meisten Männer sprechen selbst als Erwachsene in ihrem "inner circle" nur über solch persönliche Dinge wie Sport, Politik oder Filme.
(Dementsprechend kann ich auch ziemlich wenig mit ihnen anfangen - nach einer Weile wird es mir einfach zu unpersönlich.)
Nun jedoch noch zum Thema Selbstbewußtsein, das in meiner Überschrift ja sogar noch vor den "Differenzen" angeführt wurde: Ich denke nicht, daß Stärke sich dadurch definiert, daß man zum "einsamen Wolf" wird und sich ganz auf sich selbst stützt. Das ist ein sehr männliches Verhaltensmuster (vgl. Hesses "Steppenwolf", oder auch Hemingways Bücher), das viele Feministinnen aber offenbar für sich übernommen haben.
Natürlich sollte man sich nicht in eine totale Abhängigkeit begeben, in der die ganze Existenz sich am Besten noch nach den Wünschen des Partners/der Partnerin ausrichtet. Aber der Stärke-Gedanke erscheint mir sehr kalt und funktional.
Meine Vorstellung von einer perfekten Beziehung basiert eher auf dem Gedanken, daß man einander ergänzt. Ich persönlich möchte nicht so kalt und unabhängig sein, daß ich auf eine Partnerschaft verzichten könnte. Vielmehr empfinde ich es immer wieder als wunderbar festzustellen, daß beide Seiten in einer Partnerschaft so gut miteinander korrespondieren, daß daraus eine positive Entwicklung der Einzelpersönlichkeiten hervorgeht. Kein Mensch ist eine Insel.
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