Re: Schuld bindet - Verzeihen löst das Band
Vera schrieb am 8. März 2005 um 17:05 Uhr (530x gelesen):
> Hi Vera
> Ich weiss, was Du meinst. Es gibt bei allem eine Grenze und Dein Vater hat sie eindeutig überschritten. (Christlicher) Missionseifer ist allerdings ein guter Grund, ihm zu verzeihen, denn dahinter steckt eine Gruppendynamik, welcher sich Dein Vater nicht entziehen konnte.
Hallo Yvette,
vielen Dank, dass du dich so intensiv mit diesem Thema beschäftigst! Ich hoffe, ich schaffe es endlich, dieses Band zu lösen! Ich will das unbedingt.
Christlicher Missionseifer stimmt, aber er war nur (normaler) Katholik, eigentlich hatte er keine fundamentalistische Gruppe. Es war sogar so, dass er mich zuerst noch vor meiner Mutter in Schutz genommen hat, sie jedoch machte mich immer vor ihm schlecht. (das habe ich ein paar Mal belauscht). Sie "redete" solange auf ihn ein, bis er seine Meinung über mich änderte. (Das fällt mir auch jetzt erst wieder ein, hatte ich schon vergessen.)
Der Grund für ihr Reden: sie befürchtete, dass ich meine jüngere Schwester "verderbe". (Sie war damals 16/17 - ich bin ein paar Jahre älter - und trank sehr viel - was dann meine Schuld war... und dann befürchteten meine Eltern, dass ich sie mit Männern zusammenbringen würde, was absolut lächerlich war, da meine Schwester ihren eigenen Freundeskreis hatte.)
Das Ganze eskalierte dann, als meine Schwester angeblich ein paar Tage weg war - sie hat wohl erzählt, sie sei bei mir - ich habe keine Ahnung. Sie sagte mir darüber wohl auch nie die Wahrheit. Jedenfalls wurde ich dann plötzlich mit diesem schriftlichen "Rat" meines Vaters überrascht.
Soviel zum "Tathergang" ;-)
> Ich bin selbst in einer solchen fundamentalistischen Gemeinde mehr oder weniger aufgewachsen und weiss, auf welche Weise diese Gehirnwäsche sich festsetzt. Es braucht lange, diese Welt abzuschütteln und frei zu werden. Noch lange hat man das Gefühl, verloren zu sein, wenn man sich nicht an die fundamentalistisch-christlichen Gepflogenheiten hält. GSD hat mich meine Hellsicht das alles früh durchschauen lassen. Ich kenne mich in der Bibel aus. Dieser Dogmatismus (auch der Zeugen Jehovas) hat m.M.n. nichts mit der Liebesbotschaft der Bibel zu tun.
Ich bin auch gegen Dogmatismus, und mein Vater hat sich sicher in einen solchen hineingesteigert - mit "Hilfe" meiner Mutter - und letzten Endes wohl auch meiner Schwester.
> Was die anderen im Hauptforum über das Verzeihen geschrieben haben, kann ich nur unterstreichen. Sieh in Deinem Vater ganz einfach nicht mehr den Vater, sondern eher einen Bruder, der in die Irre gegangen ist aus diesen und jenen biographischen und psychologischen Gründen.
Das ist ein guter Tipp! Oder noch besser als Nachbar.
> Abstand ist auf alle Fälle gut, äusserlich hast du ihn schon, jetzt muss Du diesen Abstand noch innerlich finden, indem Du (auch unbewusst) realisierst, dass dieser Mann, der Dein Vater ist, auch ein Nachbar sein könnte.
> So konnte ich Abstand zu einem meiner Brüder gewinnen, abgesehen davon, dass er wirklich mein Nachbar ist ;-)
> Man sagt doch: Vergeben, aber nicht vergessen.
Das Verrückte ist, dass ich schon sehr Vieles vergessen hatte und mich mein Mann oft an (negative) Dinge erinnert, die ich längst vergeben und vergessen hatte - oder vielleicht nur verdrängt?
> Ich werde nie vergessen, was mein Vater oder auch mein besagter Bruder mir alles vermiest haben, aber ich vergebe ihnen, weil sie es nicht besser wussten und um meine Seelenruh zu haben, denn es schadet nur mir selbst, wenn ich mich ihretwillen ärgere. Ich wende mich ab und konzentriere mich auf das Gute in meinem Leben: Aus den Augen, aus dem Sinn.
Das tu ich ja auch schon seit Jahren, aber manchmal kommt halt etwas hoch, was ich noch nicht richtig verarbeitet habe. Es hilft mir übrigens sehr, wie du das mit dem Nachbar schreibst und überhaupt die Bilder, die ich dabei 'sehe', die von dir rüberkommen!
> Verzeihen heisst nicht, dass der andere nun keine Schuld mehr trägt, sondern dass Du Dich von dem Thema gelöst hast, Du nicht einmal durch eine Schuld (des anderen) an ihn gebunden bist. Du bist der Schuldner. Erlasse die Schuld, dann kannst Du das Thema endlich schliessen (auch im Traum).
Ja, das möchte ich gerne. Aber durch das Schreiben und Reflektieren jetzt wird mir gerade klar, dass ich gar nicht so genau weiß - oder bewusst wusste - wer da eigentlich Schuld ist. Ich 'sehe' jetzt nämlich, dass da die ganze Familie mit dran hängt. Mein Vater war nur das letzte Glied. Meine Mutter war mindestens genauso daran beteiligt - im Hintergrund - und meine Schwester hat auch all die Jahre nichts daran getan, meine Position in der Familie zu verbessern, sie hat es in Kauf genommen, dass ich derartig verleumdet und verunglimpft wurde.
Sorry, dass ich soviel Privates schreibe. Aber da mich hier ja niemand wirklich kennt, bin ich mal so frei, damit ich es auch selbst verstehe, was da vorging. Jetzt sind es schon 3 Menschen, denen ich verzeihen muss... :-) Das wird ja immer umfangreicher, die ganze Geschichte. Da wird ja einiges aufgewühlt...
Mir kommt es schon vor wie ein Krimi. Das Problem ist ja, dass meine Familie gerne nach außen die heile Familie darstellen möchte und mich deswegen auch hin und wieder dabei haben möchte. Ich hatte eine Zeit lang wieder mitgespielt, nun aber nicht mehr.
Danke für deine Aufmerksamkeit!
Liebe Grüße
Vera

Beitrag ist archiviert
Diskussionsverlauf: