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Re: "Der Tod, des muaß a Weaner sei"
myrrhe schrieb am 23. November 2003 um 21:32 Uhr (516x gelesen):

Ja, dieses Lied von Kreisler ist sicher symbolhaft für die
Beziehung des Wieners zum Tod. Tatsächlich ist das Phänomen
der Gegensätzlichkeit – hier die biedermeierselige Musikstadt mit
Schönbrunn und den Lipizzanern, dort die Katakomben und die
"Totenstadt" Zentralfriedhof mit ihren marmornen Mausoleen –
kaum irgendwo anders so ausgeprägt wie in dieser Stadt. Die
Persönlichkeit des Wieners ist seit jeher aufgespalten in
Lebensfreude und Todessehnsucht, in Geselligkeit und
Einsamkeit, in Selbstzufriedenheit und Raunzerei … Nicht zufällig
entspricht dieses Pendeln zwischen Fröhlichkeit und Melancholie
einem slawischen Charakterzug, genannt "Zal": Es verdeutlicht
einmal mehr die enge Verbindung Ostösterreichs zum slawischen
Raum, die sich auch nach dem Ende der k.k. Monarchie nie
wirklich gelöst hat.

Das Nahverhältnis des Wieners zum Tod hat Tradition: Als
"Urfigur" dient der liebe Augustin, der den Tod überlebt hat, weil er
aus einer Pestgrube lebend herausgekommen ist und sich daher
quasi als unsterblich gesehen hat. Zahlreiche Wirtshaus-
Legenden und natürlich das immer wieder gern zitierte Lied "O du
lieber Augustin" ranken sich um diese Person, die vielleicht nie
gelebt hat.

Es ist nicht etwa die Angst vor dem Tod selbst, dem Zustand des
Totseins, die den Wiener bedrängt, sondern vor dem Sterben,
davor, dem Tod ins Auge blicken zu müssen. Das Verdrängen
unangenehmer Realitäten ist die Folge: So werden die
Verstorbenen auf den riesigen Zentralfriedhof an der Peripherie
Wiens abgeschoben – er bietet zwei Millionen Toten Platz, eine
veritable "Totenstadt" also. Nach wie vor wird das Seelenheil von
denen, die es sich leisten können, "erkauft": Pompöse
Begräbniszeremonien und überdimensionierte Grabmäler mit
trauernden Engeln demonstrieren den Reichtum des
Verstorbenen über den Tod hinaus, aber auch das "ewige"
Gedenken der Hinterbliebenen. "Es ist heutzutage nahezu ein
Sport der Reichen geworden, am Allerseelentage sich gegenseitig
im prächtigen Gräberschmuck zu überbieten, und der größte Teil
des Publikums geht nicht mehr aus Pietät auf den Friedhofe,
sondern um möglichst viel zu sehen", so schrieb das "Wiener
Extrablatt" schon im Jahr 1886. Aber steckt hinter Gräberpomp und
"Friedhof-Schau’n" nicht auch die Hoffnung auf ein das hiesige
Leben fortsetzende Jenseits?

Die Überwindung der Todesfurcht hat natürlich in die Kunst
Einzug gehalten. So hat sich der Wiener seine eigene Art von
Volksmusik geschaffen, die seiner inneren Einstellung am ehesten
entspricht: das gefühlvolle, süß-traurige Wienerlied. Traditionell
erklingt es an seinem Lieblingsort – beim Heurigen. Diese
Umgebung schafft, alkoholbedingt, die typische Atmosphäre
zwischen Frohsinn und Melancholie. Und die Themen? Tod und
Vergänglichkeit und die schönen Dinge des Lebens: Wein,
Weiblichkeit, Musik. So hofft der Wiener, die Freuden des Lebens
in das Jenseits mitnehmen zu können und dergestalt seine Angst
vor dem Sterben zu überwinden. Dabei greift er nicht nur auf
Traditionelles zurück: Auch in heutiger Zeit entstehen neue
Wienerlieder – «Der Tod, des muaß a Weaner sein» von Georg
Kreisler ist nur eines davon.

(Auszug aus einem eigenen Artikel)

Liebe Grüße,
myrrhe


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