Christentum
Jassu schrieb am 19. Dezember 2002 um 23:54 Uhr (551x gelesen):
Liebe Gabi,
eigentlich bin ich ja der Ansicht, daß jeder Mensch seinen Glauben haben soll. Wenn Dich Christus auf Deinem persönlichen Weg zur nächsten Ebene weiterbringt, bin ich sicherlich der letzte, der Dir da hineinreden möchte. Aber mal ehrlich: Glaubst Du allen Ernstes, die Bibel sei die Offenbarung Gottes Wortes auf Erden? Und womöglich gar die einzige? In erster Linie ist die Bibel doch ein Sittengemälde einer nahöstlichen Kultur der Antike, nicht mehr und nicht weniger. Und das neue Testament ist eine Auswahl jener christlichen Schriften, die den Machthabern der aufstrebenden Kirche in den Kram paßten, streng gefiltert auf Kompatibilität mit ihren eigenen Vorstellungen.
Was mir an den alten Israeliten gefällt, war ihre Vorstellung, daß die Sorge um Bedürftige wünschenswert ist - aber darauf sind auch andere gekommen. Was hingegen dem jüdischen Glauben (und natürlich seinen beiden Ablegern, dem Christentum und dem Islam) *exclusiv* zu eigen ist, ist das Konzept des "Heidentums" oder "Götzendienstes". Keine andere antike Kultur war so sehr darauf bedacht, Leute anderen Glaubens als fehlgeleitete Dämonenanbeter darzustellen und sich selbst auf den Thron der einzigen Wahrheit zu erheben. Die Vorstellung, daß ein allmächtiges Wesen sich möglicherweise selbst mit allen verschiedenen Religionen zusammengenommen nicht ausreichend begreifen ließe, kam ihnen dabei gar nicht. Wichtig war nur, daß alle anderen "Götzendienst" versahen und man selbst das Privileg der Wahren Religion hatte.
Und dann wäre da dieses leidliche Konzept der Sünde: Im alten Testament werden manche Leute sogar für das Sammeln von Brennholz gesteinigt. Und das Christentum entwickelte irgendwann einen solchen Hang zur Lebensfeindlichkeit, daß die bürgerliche Moral heute noch von unerträglich starren Konventionen erfüllt ist.
Nein, die Bibel als Leitfaden zum täglichen Leben halte ich für eine äußerst schlechte Wahl. Jesus war sicherlich ein beeindruckender Mensch, der eine ganze Reihe revolutionärer Ideen auf den Weg brachte. Aber das, was im Laufe der Jahrtausende daraus wurde, war im Endeffekt doch genau das, was er zu verändern gedachte.
Und die ganze Geschichte um den rituellen Opfertod am Kreuz ist letzten Endes aus mehr als einem halben Dutzend anderer Mythologien zusammengeklaut. Von Astartes dreitägigem Aufenthalt im Totenreich (nachzulesen im Gilgamesh-Epos) über die orphischen Mysterien und den Isis-Kult bis hin zum persischen Ahura Mazda und Mithra: Überall finden sich Vorlagen für diese nette kleine Geschichte. Aber wieso sollte der Mensch überhaupt erst sündenbefleckt sein? Gott hat alles erschaffen, weshalb sollte ihm seine Schöpfung dann so sehr mißfallen? Weil der Mensch es gewagt hat, nach Erkenntnis zu streben und Gott ähnlich zu werden? Nee nee nee, da wird einfach kein Schuh draus...
Liebe Grüße,
Jassu
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