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Die Schönheit der Rationalität
Füchsin * schrieb am 6. Juli 2006 um 17:26 Uhr (602x gelesen):

Gleich vorne weg: ich habe keinen IQ von 240, habe auch nicht Philosophie studiert oder scientologisch gecleart und daher werde ich weniger gestelzt parlieren wie die Disputanten einige Dekameter weiter unten.

Ich spreche von der "Schönheit der Rationalität", denn Kopfmenschen bewundern nichts so sehr wie eine geschliffene Sprache, man kann sich und seine Gefühle sowie seine wahren Absichten so schön dahinter verstecken. Denn wer, außer einem Masochisten, tut sich das an und hört so lange konzentriert zu bzw. liest sich durch so einen Wust von Text mit Abstrakta jeder Art? Nein, man blendet sich gelangweilt aus, wird verwirrt weil man nicht mehr folgt, und gefragt, sagt man dann normalerweise (weil man sich über die Konfusion schämt) zu allem "ja, sicher (ist es so)..." Kurz zusammengefasst: um so länger der Text, umso mehr Abstracta, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass dem alle zustimmen, selbst wenn die meisten kein Wort davon verstanden haben... von den ganzen stilvoll zusammengereimten Quark.

Ich habe den dringenden Verdacht, dass das in Rhetorikschulen so unterrichtet wird unter dem Motto: "Wie verwirre ich meinen Zuhörer?" Der sitzt dann wie ein hypnosiertes Kaninchen da, in halbbewusster Trance, und stimmt dann kopfnickend rasch zu, wenn dann plötzlich jemand bellt: "UND IST ES NICHT SO?!" Und reckt brav und zustimmend sein Pfötchen nach Aufforderung nach oben. Und dann kommen rechtzeitig am Ende noch ein paar scheinemotionale Streicheleinheiten *lächlewarm* für das Hypno-Vieh.

Man kann somit Menschen einfach niederreden und gleichzeitig sich mit dem Nimbus von allumfassendem Wissen und Weisheit umgeben. Es sei denn, man trifft auf ebenbürtige Gegner, was aber selten ist. (Danke Gitta, sensus, flamm und Sabine für die tollen rhetorischen Beispiele von pro und contra.)

Das Problem nun ist, dass die Kopfmenschen mit ihrer verbalen Gewandtheit langsam sich unter dem ganzen hypnotisiertem Viehzeug selbst für allwissend halten und ihre intelligente Rationalität womöglich mit tatsächlicher Weisheit und Erleuchtung verwechseln. Upps!

Ein echter Weiser ist imstande, sein Wissen auf ein paar Worte zu schrumpfen, die aber so aussagekräftig sind, dass sie aufgeschlüsselt ganze Buchbände ergäben. Seine bedächtig gewählten Worte ergeben einen Sinn, egal von welcher Seite man sie betrachtet, sie sind niemals nur leere Worthülsen und niemals nur Phrasen. Er spricht nicht aus der Theorie des Erlesenen heraus, sondern aus der Praxis des eigenen Verstehens. Zudem spricht er so, dass ihn möglichst viele Menschen verstehen und nicht so, dass ihn möglichst viele Menschen nicht verstehen. Vielleicht ist es so, weil er aus dem Herzen spricht, also nicht aus dem Kopf heraus, sondern aus seiner Seele, und von Seele zu Seele kommuniziert. Und Seelen bedürfen keiner vielen Worte.

Denn wäre eine geschliffene fehlerlose und abstrakte Sprache und eine hohe Rationalität das Kritierium von Erleuchtung, wäre jeder bessere Computer erleuchtet. Aber beim PC strahlt nur der Schirm und zieht man den Stecker, ist nichts mehr da.

Aber so ist wohl der Zeitgeist - im Barock wollte er durch Wuchtigkeit, Größe, Prunk und Verschnörkelungen brillieren, die Texte nahmen schon allein in der Anrede kein Ende - heute muss alles rational, geschliffen, hoch aufragend, scheinbar gerade ins Graue verlaufend sein wie die Bauten aus Beton und Glas. Alles kalt, farblos, hohl und leer hinter der Fassade der äußeren Mauern, und nach einer Generation reißt man die Gebäude ab wie sterbende Personen und ersetzt sie durch eine neue rationale "Maschine".

Und diese Rationalität, die den Barock ersetzt hat, wird als schön empfunden, obwohl die vom Tau schillernde stille Spinnwebe in der Ecke dieses Monstrum jederzeit an Schönheit übertrifft. Würde sie nur einer sehen und hören.

Mit lieben Grüßen -
Füchsin

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