Friedhöfe und Grabesstille
Amsel schrieb am 26. Dezember 2003 um 8:25 Uhr (751x gelesen):
Der Tod ist eine Sache, die aus dem Kontext unserer Gesellschaft immer mehr ausgeklammert wird, da der Tod der Inbegriff des Inmateriellen ist. Nichts erinnert uns so sehr an die Vergänglichkeit von Reichtum und Wohlstand als die Gewißheit, irgendwann in einer kleinen Kiste zu liegen und zu Erde zu werden (wahlweise zu Asche verbrannt in einer Urne zu ruhen).
Ich war nie Gruftie, aber ich habe sie immer sehr gemocht, allein wegen ihrer eigenen Ästhetik. Grufties spüren, daß da irgendwas mit dem Tod und der Gesellschaft ist, so wie alle jungen Leute spüren, wenn irgendwo ein Fehler im System ist. Das zieht sie an, und sie zeigen ihre selbstgewählte Thematik "Tod" u.a. mit ihrem Äußeren, da ja sonst kaum jemand die Belange der Jugend wahrnimmt. So ähnlich wie die Punks, die ja (meistens) auch so ne Art Statement durch ihr Auftreten abgeben.
Früher war ich mal Punk, naja, kind of. Da war dieses süße Gruftie-Mädchen, die mir immer wieder mal bei der einen oder anderen Party über den Weg gelaufen ist. Ich habe sie immer gefragt, warum sie nur in schwarz rumläuft, das Leben sei doch so bunt (klar, so bunt wie meine Klamotten und Haare damals...). Letztendlich hatten wir aber den gleichen gedanklichen Ursprung, nämlich den, hinter die Fassade der Gesellschaft zu blicken, rauszufinden, was es mit dem Leben und dem Tod so auf sich hat, wenn man mal nicht den vorgefertigten Brei des Schule-Ausbildung-Arbeit-Rente-Programms runterschluckt.
Friedhöfe sind wohl abgesehen von ihrem eigentlichen Zweck als Totenaufbewahrungsort (natürlich) auch ein Symbol für die Vergänglichkeit unserer Lebensträume/-schäume. Nirgends sonst kommt dieser Gedanke so sehr auf den Punkt wie dort, deshalb gehen die Grufties hin, auch wenn es vielen nicht so sehr bewußt ist. Vielleicht ist es einfach nur der Tabubruch, den Jugendliche brauchen (so wie Drogen oder Sex oder eben alles, was man als Jugendlicher so tut), aber dann frage ich mich, wieso Grufties eben genau dieses Tabu brechen. Sie war zwar in schwarz gekleidet, aber sie hat immer gelächelt und was irgendwie über das Leben gelacht.
Dann bin ich weggezogen und wir haben uns nie wieder gesehen, aber ich habe sie nie vergessen.
Gruß,
Amsel

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