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re[3]: Was die einen Meinen...
Chord * schrieb am
21. April 2007 um 0:56 Uhr (1044x gelesen):
Hallo Sebastian,
ich kenne mehrere Betroffene mit ADS persönlich, und bin seit etwa 2000 mit einigen in Kontakt - dadurch habe ich z.B. miterlebt, dass ADS ganz sicher nicht von zuviel Fernsehen kommt (wie oft behauptet wurde) und dgl. mehr. Ich selbst habe möglicherweise ADS (was Tests anbelangt, sogar sehr wahrscheinlich, allerdings sind die ja nur eines von mehreren Diagnosekriterien, nehme aber keine Medikamente dagegen - das hauptsächlich aus dem Grund, weil es hier zu dem Zeitpunkt als es bei mir "akut" wurde, so gut wie keine Möglichkeit gab, an eine Diagnose oder Ausschluss-Diagnose zu kommen, gleichzeitig wurde die ganze Problematik von schweren Krankheiten überlagert, wodurch es mir ohnehin unmöglich gemacht war, mich um eine Diagnose oder Ausschluss-Diagnose zu kümmern (das wäre ohne das schon schwer genug gewesen, z.B. lange Bahnfahrten). Mittlerweile ist die Situation hier etwas besser, wenn auch nur minimal, allerdings habe ich auch weniger "belastende" (in dieser Hinsicht) Lebensumstände zur Zeit und schaffe es derzeit auch ohne. Ich halte es aber durchaus für sehr wahrscheinlich, dass meine anderen Erkrankungen ursächliche Folge der nichtbehandelten ADS waren, insbesondere der permanenten Erschöpfungs- und Frustrations- und Depressionszustände (und diese Erkrankungen hatten weit massivere Auswirkungen als es eine medikamentöse Behandlung von ADS gehabt hätte).
Wenn du über oder gegen ADS postest, solltest du dir wenigstens ein Minimum an Wissen über das, was man in der Medizin tatsächlich darunter versteht heutzutage, zulegen, sonst wirkt dein "ich lache" grundlos überheblich. So wird z.B. Ritalin n i c h t gegen "Hyperaktivität" an sich gegeben, Ritalin wird gegeben, wenn jemand ADS hat (das gibt es sehr wohl auch ohne Hyperaktivität!), und der Leidensdruck so stark ist, dass es sinnvoll erscheint, dieses zu nehmen.
Meine Kritik daran, dass du deine Infos von einer Fernsehsendung beziehst bezog sich auf diese Stelle "Es gab mal eine Reportage über ein Hochbegabteninternat auf RTL... übrigens der Grund für meine Aufregung. In ihr wurde gesagt das jeder Hochbegabte gleichzeitig ADS oder ADHS hätte."
Die Info Hochbegabung wäre gleich AD(H)S stammt aus dieser Reportage und nicht aus deinem eigenen Erleben im Internat, diese Info ist auch nachweislich falsch (wobei du ja darauf hingewiesen hattest, dass dich dein Gedächtnis vielleicht getäuscht hat).
Natürlich tut sich bei jedem im Gehirn "etwas" - es wurden aber die Gehirne von ADS-Betroffenen (mit starkem ADS-Grad, also sicher vorhandenem ADS) und Menschen ohne ADS verglichen, während sie dasselbe machten - und es zeigte sich ein signifikanter und messbarer Unterschied (es ging um den Zuckerstoffwechsel des Gehirns), auch wenn dir das nicht in den Kram passt - aber du neigst dazu, alles, was dir nicht in den Kram passt, sofort als lächerlich abzutun, ohne dich auch nur ein bisschen intensiver damit zu beschäftigen. Ich war gegen ADS anfangs auch sehr skeptisch eingestellt, umso mehr, als andere meinten "mich" in einer Sendung über ADS-Betroffene wiederzuerkennen - nach mehreren Jahren, in denen ich Menschen mit ADS persönlich kennengelernt habe, und einige Bücher zum Thema gelesen (übrigens die wenigsten davon stellen ADSler als bemitleidenswerte Geschöpfe dar, fast alle weisen neben den Problemen auch auf die positiven Charakteristika der Menschen mit ADS hin), mich auch ein bisschen mit den Studien beschäftigt (vor einigen Jahren war ich noch viel mehr "drin" in dem Thema, da hätte ich dir das mit dem Versuch mit Zuckerstoffwechsel-Versuch genauer schildern können, aber jetzt bin ich grad zu faul zum Recherchieren)
Wer gibt dir das Recht jemanden als "alt" zu betiteln? Der- oder diejenige fühlt sich vielleicht gar nicht alt? Genauso läuft es mit dem Wort "behindert" - dass Menschen mit einer Behinderung manches nicht können, was Menschen ohne diese Behinderung können, ist Fakt. Insofern ist jemand, der in einer Umgebung aufwächst, in der es üblich ist, sich mündlich zu verständigen, sehr wohl behindert, wenn er keine Laute hervorbringen kann. Und das, obwohl z.B. Gebärdensprachen vollständige und vielerorts zum Glück inzwischen auch anerkannte Sprachen sind. Würden wir beide in einer Umgebung von lauter Menschen aufwachsen, die sich ausschließlich per Gebärdensprache verständigen, dann wären eben wir die behinderten Menschen dort.
Die Masse bestimmt auch, wie du dich kleidest - ich gehe z.B. jede Wette ein, dass du nicht herumläufst wie jemand im 10. Jahrhundert oder im 18. Jahrhundert, sondern dich so kleidest, wie es heute üblich ist.
Wenn du erzählst, du warst auf einem Internat für Hochbegabte, erzeugt das vermutlich Distanz - einerseits vergleichen sich Menschen mit dir, möglicherweise sind sie es dir neidig, möglicherweise meinen sie nur, sie sind nicht begabt genug, um sich auf deinem Niveau mit dir unterhalten zu können, möglicherweise haben sie deshalb Angst, sich zu "blamieren", möglicherweise setzen sie Hochbegabung mit "merkt sich alles und weiß alles" gleich - daraus resultieren Unsicherheiten, wohl nicht immer mit Absicht. Wenn dir am Kontakt mit diesen Menschen etwas liegt, könntest du ja versuchen, ihnen zu erklären, was Hochbegabung eigentlich wirklich bedeutet.
"Also wenn sowas das alleinige Resultat einer 'Behinderung' sein soll ist so ziemlich die ganze Menschheit irgendwo behindert oder ? (zumindest angeblich)"
Natürlich können solche Dinge a u c h zum Teil Folge einer Behinderung sein. Es ist z.B. erwiesen, dass es bei manchen Schwerverbrechern bestimmte Hirnanomalien gibt und dgl., die z.B. zu Enthemmung oder spontaner Aggression führen. Und es gibt von der Veranlagung her z.B. ruhige und lebhafte Menschen - was du schon im Säuglingsalter beobachten kannst, z.B. in der Geburtenstation eines Krankenhauses, wo die Umgebungsbedingungen ja für die Säuglinge, die dort sind, die selben sind.
Das heißt ja nicht, dass Kreativität etc. i m m e r nur als "zufälliges Produkt einer Behinderung" entsteht.
Je feiner du die Messlatte anlegst, desto richtiger wird die Aussage "alle Menschen sind behindert", das ist so wie mit "gesund" - es gibt so gut wie keinen Menschen, der zu 100 Prozent gesund ist, auch wenn er oder sie sich gesund und fit fühlt.
"Ist es nicht vielmehr so das gerade DIE als 'behindert' eingestuft werden sollten denen das fehlt?
Wie unglaublich schwachsinnig..."
Und das würde dir dann passen? Da machst du ja auch nichts anderes, als dich zum Maßstab zu nehmen - du bist kreativ, also haben es alle anderen gefälligst auch zu sein ;-) (Also im Prinzip eben das, was du der "Masse" vorwirfst, dass sie "ihr Bild" des Normmenschen durchdrücken will, du hättest dann halt eine andere Norm, die du durchdrücken willst.)
Ich wehre mich übrigens sehr gegen dieses Durchdrücken einer Norm, aber wenn man sich gegen den Begriff "behindert" (der an sich wertneutral ist) so wehrt, setzt man sich damit implizit genau für die Norm des "Nichtbehinderten" ein, weil so suggeriert wird, dass "behindert" etwas Negatives wäre.
"hmm... vllt kennst du es ja auch das nur diejenigen gefragt werden die umbedingt gefragt werden wollen."
Ich schaue nur sehr selten fern, und ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, zu ADS hab ich noch überhaupt nie eine Reportage oder Dokumentation im Fernsehen gesehen. (Was auch an dem Stellenwert liegt, den das Thema hier, wo ich wohne, hat, denn hätte ich die Möglichkeit, hätte ich bei dem Thema vermutlich mal neugierig geguckt.) Aber ich kenne zahlreiche Betroffene über einen langen Zeitraum per Mail, einige persönlich, und konnte mich in Gesprächen und auch durch Beobachten davon überzeugen, dass ADS nichts ist, was bloße Einbildung wäre. (Dass bei j e d e r Krankheit der Kopf mitspielt, damit hast du natürlich recht, aber das gilt auch für Zahnschmerzen, aber ich gehe trotzdem zuerst zum Zahnarzt um die loszuwerden, bevor ich überhaupt auch nur in der Lage bin, mir über andere Hintergründe, die zu den Zahnshcmerzen geführt haben, auch psychische, Gedanken zu machen.)
"Allerdings ist das auch eine Sache der Übung , sonst bräuchten sämtliche Menschen mit ADS eine lebenslange Betreuung.
Und da dem nicht so ist ,spricht das doch eigendlich gegen eine 'Fehlfunktion im Hirn',oder?"
Nein, das wird schlüssig erklärt. Du kannst die Augen durch Übung ein bisschen bessern, aber ab einem gewissen Grad der Fehlsichtigkeit kommst du um eine Brille oder Kontaktlinsen oder eine Operation nicht mehr herum.
ADS ist eben nicht gleichzusetzen mit Hyperaktivität, sondern es ist eine Aufmerksamkeitsinkonsistenz. Das kann man kaum üben - weswegen die Verhaltenstherapie alleine ja auch keine nennenswerten Erfolge gebracht hatte, sondern erst in Kombination mit der medikamentösen Behandlung (die in dem Fall sozusagen das Äquivalent für die "gewaltsame Korrektur einer Fehlsichtigkeit durch Brille" darstellt, sich als wirksam erwies.
Erst wenn die Voraussetzungen hergestellt sind, hat Üben überhaupt einen Sinn.
Und da ADS auf einem Kontinuum liegt, gibt es natürlich auch Menschen, die noch so wenig betroffen sind, dass sie imstande sind, von Übungen etwas zu profitieren - das sind aber in der Regel genau die, die solche Übungen nicht brauchen oder sich unbewussst selbst ähnliches entwickelt haben, weil sie im großen und ganzen mit ihrem Leben klar kommen. Manchmal, wenn die Anforderungen andere werden - z.B. Umzug in eine Umgebung, die weniger angepasst an Bedürfnisse von Menschen mit ADS ist - kann es sein, dass unter diesen Belastungen das ADS erst richtig zum Vorschein kommt - vorhanden war es aber schon immer.
Wenn es bei jemandem einmal soweit gekommen ist, dass er/sie unter seinem/ihrem ADS bzw. den Auswirkungen davon, wenn unbehandeltes ADS auf eine ADS-inkonforme Gesellschaft prallt, helfen bloße Übungen in aller Regel nichts mehr - und genau deshalb betone ich in dem Fall den Wert von Medikamenten. Weil die Brille wichtiger ist als Augenmuskeltrainingsübungen sozusagen. (Manche, keineswegs alle, Menschen mit ADS brauchen auch tatsächlich mehr oder weniger lebenslang "Ritalin" - allerdings nicht in dem Sinn, dass sie süchtig danach wären, wenn sie es absetzen merken sie nur, dass die Beschwerden von früher alle wieder da sind.) Ich nehme nicht mal ein Aspirin, und ich gehöre zu den in dieser Hinsicht glücklichen Menschen, die niemals Kopfschmerzen haben, aber ich kenne die Leidensgeschichten erwachsener Menschen, die jahrelang mit unbehandelten, schwereren Ausprägungen von Ads "dahinvegetierten", nicht zuletzt deshalb, weil es zahlreiche vorurteilsbehaftete Meinungen gegen Ritalin gab und gibt, was die Ärzte dazu brachte, ihnen lieber unwirksame Antidepressiva zu verordnen. (Eine weitere Besonderheit von Menschen mit ADS ist übrigens, dass sie, wenn sie trizyklische Antidepressiva nehmen, in der Regel nicht darauf reagieren bzw. nur die unguten Nebenwirkungen zu sprüren bekommen, während bei ihnen ein Zehntel (!) der üblichen Dosis gute Resultate gegen die Depressionen (nicht gegen das ADS an sich, aber viele Menschen entwickeln infolge ihres unbehandelten ADS Depressionen) zeigte, auch das etwas, was deutlich darauf hinweist, dass es einen grundlegenden Unterschied in der Art, wie das Gehirn arbeitet, zwischen ADS-lern und Nicht-ADS-lern gibt.
Ritalin verabreicht man nicht gegen "Hyperaktivität". Hyperaktivität alleine ist ein viel zu unspezifisches Symptom, das viele Ursachen haben kann. Hyperaktivität ist bei einem Teil der ADS-Betroffenen ein charakteristisches Symptom, bei einem anderen (ebenfalls recht großen) Teil der ADS-Betroffenen tritt statt dessen aber eher Hypo-Aktivität auf, und zudem gibt es auch noch Mischformen. Nur, wenn es sich tatsächlich um eine Aufmerksamkeitsinkonsistenz handelt, hilft Ritalin (und auch da nur in etwa 80 Prozent der Fälle).
"Und manchmal braucht eine Person mit Depressionen vllt auch nur einfach das wonach es ihr verlangt??
zB eine Umarmung , ein Funken Aufmerksamkeit oder einfach ab und an aufbauende Worte oder sogar eine Aufgabe die ihnen Spass macht?"
Natürlich treten manche depressive Verstimmungen als Folge von solchen "Mangelerscheinungen" auf. Jedoch keineswegs alle. Ich bin selbst ein Beispiel, jemand, der jahrelang nicht medikamentös (das habe ich schon im Anfangsjahr nach 9 Monaten unterbunden) aber psychotherapeutisch "be-" bzw. besser gesagt "misshandelt" wurde. Das, was ich jetzt noch an Depressionen habe, sind eigentlich keine, sondern depressive Verstimmungen, die dem entsprechen, was du oben beschreibst, und auch das seltener als früher, wo es sozusagen zum Alltag gehörte. Depressionen sind etwas anderes - auch da müsstest du dich halt näher mit dem Thema befassen.
Seit bei mir eine organische Ursache entdeckt wurde (nicht ADS, aber eine Organerkrankung), die behandelt wurde, habe ich - quasi als nette unerwartete Begleiterscheinung - keine Depressionen mehr - und diese erfreuliche Wirkung zeigte sich eher schon nach Tagen als nach Wochen - die Psychotherapien und ähnliches dauerten Jahre und waren völlig erfolglos. Selbst wenn ich nicht ADS habe, wäre die Abklärung auf ADS nach dem vorgesehenen Schema erfolgt, wäre meine Organerkrankung um Jahre früher entdeckt worden, hätte mir viel Leid, viel unnötigen Energieeinsatz und Kraft- und Lebenszeitvergeudung und auch viel Geld erspart. Und solche Schicksale finden sich in der ADS-Liste für Erwachsene haufenweise, da sind zahlreiche Menschen, die von ihrer Umwelt als dumm und unfähig abgestempelt wurden, teils auf der Sonderschule landeten - und deren Leben sich rapide besserte, seit sie adäquat (und das bedeutet in vielen Fällen auch medikamentös) gezielt wegen ihres ADS behandelt wurden.Und: trotz der vielen Nachteile, die es ihnen einbrachte, will so gut wie niemand davon sein ADS und damit für ihn/sie typische Charaktermerkmale gänzlich loswerden, die Menschen wollen nur soweit in die Lage versetzt werden, dass sie mit ihrem ADS einigermaßen glücklich so wie andere Menschen auch leben können.
Zu deinem Sprachspiel: Das Adäquat zu "behindert" wäre "beurteilt". Du bist beurteilt (worden) oder wirst beurteilt. Nicht anders ist es mit "behindert" auch, deshalb hab ich da auch kein Problem damit, auch wenn mich jemand als behindert bezeichnent würde, ich find "gefordert" hingegen echt blöd. Womit ich generell ein Problem hab, ist wenn man Menschen auf einen Aspekt ihres Seins reduziert. Ich schreib daher "der behinderte Mensch" und nicht "der Behinderte" oder "der alte Mann" und nicht "der Alte".
Und ich finde es seltsam, dass du nun noch betonst, dass du "gut bis normal" funktionierst. Und das, nachdem du dich über das Durchdrücken einer Norm durch die Masse beschwerst.
Alles Liebe (warum wünscht du mir eigentlich alles "Böse"?)
Chord
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