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Man muss was unternehmen
pablito schrieb am 17. April 2003 um 0:57 Uhr (581x gelesen):

>Na ja, das mit "kapsele dich nicht zu sehr ab", dieser rat ist jetzt wohl zu spät schätze ich.. Ich hab schon seit Jahren mein "abkapseln" geradezu perfektioniert... Und gerade jetzt, wo ich versuche eine neue Partnerschaft zu vertiefen merke ich, das ich es nicht mehr kann - mich zu binden.



Ich will keine wilden Mutmaßungen anstellen. Ich kenne Dich ja nicht. Ich weiß nicht, was Du schon alles getan hast, welche Therapien Du hinter Dir hast, welche Medikamente Du schon genommen hast, welche Gedanken Du Dir schon gemacht hast. Ob Du „nur“ seelisch“ leidest oder auch körperlich krank bist.
ALSO: was kann man tun? Ein paar Sachen mit Sicherheit: Therapien (Gespräche, Hypnose, Traumatherapie, Analyse, Verhaltenstherapie, Gruppentherapie, Rollenspiele, Familientherapie), Traumarbeit, Medikamente (Antidepressive), Sport, gesund essen, genug trinken. Und: Fragen stellen. Wenn Du sagst, Du perfektioniertest Dein Abkapseln geradezu, versuchtest die Partnerschaft zu vertiefen und stelltest fest, dass Du Dich nicht mehr binden kannst, dann würde ich Dich fragen: Wie GENAU perfektionierst Du Dein Abkapseln? Wie GENAU versuchst Du die neue Partnerschaft zu vertiefen? Du kannst Dich auch fragen: Was genau heißt es für mich, mich zu binden? Was genau stellt das für mich dar, eine Bindung zu einem anderen Menschen? Welche Rolle spielt mein Selbstwertgefühl dabei? Wie beeinflusst es eventuell meine Gefühle in der Beziehung? Das hat doch alles ganz viel mit dem Problem der Einsamkeit zu tun.
Ich selbst z.B. habe meinen bisherigen Partnern immer (ausgesprochene und nicht ausgesprochene) Vorwürfe gemacht, weil sie mich nicht verstanden und mich nicht im Innersten erkannten. Heute verlange ich von den Menschen nicht mehr, dass sie mich bis ins Letzte verstehen. Die Vorwürfe kommen zwischendurch immer noch hoch, allerdings sage ich mir im nächsten Moment: halt, du hast kein Recht, so zu denken, denn KEINER kann einen anderen bis ins Letzte verstehen.
Allgemein sind wir immer fasziniert von dem Gegensätzlichen, das wir am Anderen entdecken. In der Regel handelt es sich dabei um diejenigen Dinge, die wir so gerne an uns selbst sehen und erleben würden. Davon fühlen wir uns angezogen und entwickeln das Gefühl, wir könnten durch den anderen Menschen an diesen Dingen teilhaben. Nach einer gewissen Zeit sind wir dann frustriert und es entstehen die ersten Vorwürfe. In Wirklichkeit suchen wir nämlich niemanden, der ganz anders ist als wir, sondern jemanden, der so ist WIE wir oder zumindest so ähnlich wie wir. Daher wahrscheinlich auch der Begriff Seelenverwandtschaft. Verwandt heißt ja Ähnlichkeiten aufweisend, ob nun biologisch, botanisch, zoologisch oder seelisch oder wie auch immer. In den meisten Fällen muss man die Menschen allerdings so nehmen wie sie sind, auch, wenn sie nicht die vielgelobte Seelenverwandtschaft aufweisen. Wenn man die gleichen Filme toll findet oder über die gleichen Dinge lachen kann ist das schon eine Menge wert.
Was mich betrifft, ich frage mich im Augenblick z.B., ob ich mal zu einem Schamanisch Heilenden gehen sollte, und auch da schwingt diese „Über-Mensch-Vorstellung“ mit, ich könnte vielleicht jemandem begegnen, der mein Leiden sieht und mich heil macht. Mein Verstand sagt allerdings ganz klar, dass das Unsinn ist, dass Wunder niemals ohne eigenes Dazutun geschehen können und wir alle unsere eigenen Heiler sein müssen. Ohne mich werde ich nicht heil. Gut gebrüllt Löwe! Und wie sieht die Realität aus? Ich eiere durch mein Leben und tue nichts! Warum eigentlich nicht? Was ist das für eine Kraft, die mich oder Dich von allem Schönen, von den Herausforderungen, von den Abenteuern fernhält? Sind Deine Träume und Phantasien schon alle gestorben? Meine nicht.
Ich fand die Darstellung von den Larven interessant, weil es eine treffende Darstellung dessen ist, was ich aus meiner eigenen Erfahrung kenne. Es ist, als fresse irgendein Monster meine ganze Energie auf.
Der Grund, einen Schamanisch Arbeitenden aufzusuchen, kommt übrigens auch daher, dass ich bei Fliege eine jungen Mann gesehen habe, der zwei Jahre lang mit der Diagnose schizophrene Psychose durch sein Leben lief und zum Schluss jeden Tag eine Hand voll Pillen nehmen musste, von denen er allerdings auch nicht den Eindruck hatte, das sie ihm halfen. Er ging genau diesen Weg und hat einen Schamanen aufgesucht. Nach der ersten Sitzung setzte er freiwillig, ohne, dass der Schamane ihm das geraten hatte, die Medikation ab. Er brauchte dann noch eine weitere Sitzung und lebt seitdem ohne Medikamente und ohne Verfolgungswahn und Stimmen Hören. Abgesehen davon hatte ich vorher schon eine Affinität zum Schamanismus, habe darüber gelesen und auch selber schon mal an einem Seminar teilgenommen.



> Irgendwas sucht in mir die Einsamkeit.



Dieses IRGENDWAS sind die Phantome (oder Dämon, wie Du schreibst) Deiner Vergangenheit. Deine Larve. Deine Denkschemata. Deine Verhaltenskonditionierungen. Dein biochemisches Gleichgewicht im Gehirn. Alles hängt miteinander zusammen und beeinflusst sich gegenseitig.
Einsamkeit ist übrigens ein Gefühl, kein Zustand. ALLEINSEIN ist ein Zustand, und zwar unser natürlicher Zustand. Wir kommen allein auf die Welt und werden sie allein verlassen, zwischendurch sind wir allein ins Kampfgeschehen verwickelt. Du leidest unter einem Gefühl und IRGENDWAS in Dir treibt Dich immer wieder in eine entsprechende Situation, in der Du dieses Gefühl wiedererlebst.
Kein Mensch kann einem anderen helfen. Kein Mensch kann einem anderen etwas beibringen. Das einzige Rettungsboot, das wir bei dem ständig drohenden Untergang haben ist unser Verstand. Wir müssen unseren Verstand befragen. Unsere Gefühle jedoch kontrollieren. Wieder mal: Gut gebrüllt Löwe! Ich weiß. Aber sag mir was anderes.
Einsamkeit? Ich suche auch die Einsamkeit. Wir suchen immer das Gewohnte, das Sichere, was uns keine Überraschungen beschert, auch, wenn es uns zerstört. Alles andere versetzt uns in Angst und Schrecken, verursacht Herzrasen und Beklemmungsgefühle, selbst, wenn es uns weiterbringen und verändern würde. Ich traue mich auch nichts mehr. Stattdessen wiederhole ich meine negativen Gedanken: ich habe keine Energie mehr, ich kann nicht mehr, ich bin am Ende … usw. Na ja, also habe ich keine Energie, also kann ich nicht mehr, als bin ich am Ende. Der Rat, positiv zu denken, hat mich auch noch nicht weitergebracht. Wenn ich sage: „ich habe keine Energie mehr“, dann entspricht das doch der Wirklichkeit oder? Es ist authentisch. Was soll ich mir denn da in einem solchen Moment sagen: ich habe Energie! Das ist doch Quatsch, es stimmt nicht und es funktioniert nicht. Oder wie siehst Du das? Allerdings frage ich mich, ob Positives Denken nicht vielleicht doch funktionieren kann, und zwar als letztes Mittel, um zu überleben. Das könnte klappen, ausprobiert habe ich es aber noch nicht so richtig, weil dann die Trägheit doch wieder siegt und ich lieber sage: Ach nein, ich hab DOCH keine Energie. Tja ja, so ist das mit dem konditionierten Verhalten und den Denkgewohnheiten.
Mit „mechanisch handeln“ meinte ich übrigens handeln, als wäre man ein Apparat, durch Ignorieren aller Gefühle, insbesondere Gefühlen der Trägheit, der Depression. Funktioniert meiner Erfahrung nach. Allerdings auch nicht immer.
Aber eines hast Du ja schon selber gesagt. Und das ist wahrscheinlich das allerwichtigste: ein Ziel zu haben. Ich glaube, nur ein wahres Ziel kann Energien mobilisieren.
Du bist 28 ja? Hast Du denn schon eine Gesprächstherapie gemacht? Das kann Dir helfen, die Vergangenheit klarer herauszumeißeln aus diesem verschwommenen Etwas, das da vielleicht hinter Dir liegt. Du siehst dann die Dinge eher so, wie sie wirklich waren, befreist Dich von Interpretationsfehlern. Ich glaube bevor man nicht angefangen hat, seine Vergangenheit zu bewältigen, kann man sich auch nicht von ihr verabschieden. Mach Dich auf den Weg. Fang jeden Tag aufs Neue an. Geh einfach weiter. Tu etwas verrücktes, was auf krasse Weise den Alltagstrott unterbricht. Wir können nur unser Verhalten ändern, wenn sich die Verhältnisse ändern. Und die Verhältnisse ändern sich nur, wenn wir unser Verhalten ändern. Man muss was tun. Man muss was unternehmen.



> Ich beginne schon wieder innerlich mich vom Freund abzuschotten - obwohl mir der konsequenz - nämlich einsamkeit - bewusst ist, kann ich gegen mein innerer automatischer Mauer nichts tun. Ich habe das tiefe gefühl, das es wieder darauf hinausläuft (irgendwie steuert mein innerstes darauf an), das ich immer mehr mich zurückziehe - und paradoxerweise wieder erst recht totunglücklich bin, wenn ich alleine bin.



Die Mauer: ist das die Ich-Will-Aber-Ich-Kann-Nicht-Mauer? Wenn ja, dann ist es klar, dass Du anschließend todunglücklich bist. Betrifft es eigentlich nur Partnerschaften oder auch allgemein soziale Kontakte bei Dir?



> Die einzigen Momente wo ich wirklich _Zufriedenheit_ mit mir selbst und Leben verspüre sind die seltenen Augenblicke nach einer erfolgreichen OBE.



Ich spekuliere mal frech drauf los, dass die OBEs in dem Fall eine Fluchtmöglichkeit für Dich darstellen. Aber Flucht ändert natürlich Dein Leben nicht.



> Glaubst du in allen ernstes, ich hätte es nicht schon probiert die eigene Mauer zu durchbrechen? Glaubst du du sagst mir da was neues? Den kampf verliere ich jeden tag. Jeden tag verliere ich den kampf...
jeden tag..



Letzte Woche saß ich in der U-Bahn und sie fuhr nicht zur planmäßigen Zeit los. Dann kam eine Durchsage, dass eine Haltestelle weiter eine Person auf den Gleisen lag. Ich würde sagen, bis jetzt hast Du noch jeden Tag gesiegt. Zwar nicht gegen Deine Mauer, aber gegen den Untergang.



> und irgendwann mal hat man keine Kraft mehr dagegen anzukämpfen und man resigniert



Ja, solche Augenblicke oder Phasen im Leben scheint es zu geben, in denen man offenbar keine Kraft mehr hat. Wenn Du gar nicht mehr weiter weißt, scheu Dich nicht davor, zu einem Therapeuten zu gehen. Aber sieh den Therapeuten nicht als Gott, sondern lass ihm sein Menschsein. Aber er oder sie ist eben ein Mensch, der sich in seinem Beruf ein bestimmtes Instrumentarium angeeignet hat, das Dir mit Deinem Dazutun vielleicht helfen und Dich auf Deinem Weg weiterbringen kann.



> Vielleicht brauch ich ne dicke Bohrmaschine um mir ein Loch quer in den Schädel zu bohren bis an die stelle im Hirn das meine Mauer aufgebaut hat und diese stelle mit Säure auskratzen *seufz



Es gibt wahrscheinlich tatsächlich eine Stelle in Deinem Gehirn. Die hat zwar nicht die Mauer aufgebaut, aber sie ist ein Baustein in der Mauer. Wie gesagt, die Biochemie spielt auch eine Rolle. Bei den Zwangsstörungen und beim Tourette-Syndrom sind es das Corpus Striatum (bestehend aus Putamen und Nucleus Caudatus), der orbitale Kortex und der Kortex. Die Funktionen und der Stoffwechsel in allen drei Hirnarealen werden – das ist wissenschaftlich nachgewiesen - durch eine Änderung des Verhaltens beeinflusst, und zwar bereits ohne die zusätzliche Einnahme von Medikamenten. Du musst Dir also weder ein Loch bohren, noch etwas auskratzen :-). Allerdings ist auch die Verhaltensänderung bei Zwangsstörungen kein Mittel, das eine sofortige Befreiung von allen Problemen bringt, sondern eine Methode, eine Strategie, um langfristig Linderung, Stärke und Sicherheit zu bekommen. Geduld und ein langer Atem sind eben auch Sachen, die wir lernen müssen.

Liebe Grüße

pablito


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