Vortrag von Jnanavatar Sri Yukteswar

Was versteht man unter natürlicher Lebensweise?


„Sittlicher Mut wird durch Yama (Sittlichkeit oder Selbstbeherrschung) und Niyama (religiöse Gebote) gestärkt.

Yama bedeutet Nicht-Verletzen anderer Lebewesen, Wahrhaftigkeit, Nicht-Stehlen, Enthaltsamkeit und Begierdelosigkeit. Niyama bedeutet Reinheit an Körper und Geist, Zufriedenheit unter allen Bedingungen und Gehorsam (dem Guru gegenüber).“



Ausdauer des sittlichen Mutes erreicht man durch Yama, das heißt durch strenge Enthaltsamkeit (Vermeiden von Grausamkeit, Unaufrichtigkeit, Begierde, unnatürlicherer Lebensweise und unnötigem Besitz), ferner durch Niyama, das heißt durch Befolgen der religiösen Gebote wie körperliche und geistige Reinheit (das heißt äußere und innere Reinigung des Körpers von allen fremden Stoffen, die, wenn sie in Gärung geraten, allerlei Krankheiten im Körper hervorrufen, und Reinigung des Geistes von allen Vorurteilen und Dogmen, die den Menschen engherzig machen), Zufriedenheit in allen Lebenslagen und Befolgen der von den Heiligen gegebenen Geboten.

Um zu wissen, was unter natürlicherer Lebensweise zu verstehen ist, müssen wir sie zunächst von der unnatürlichen unterscheiden können. Unsere Lebensweise ist erstens durch die Nahrung, zweitens durch den Wohnplatz und drittens durch unseren Umgang bedingt.

Um zunächst unsere natürliche Nahrung zu wählen, müssen wir unsere Aufmerksamkeit auf die Bildung jener Werkzeuge, das heißt Organe unseres Körpers richten, die der Nahrungsaufnahme und Verdauung dienen, d.h. auf die Zähne und den Magen-Darm-Kanal, ferner auf die natürliche Neigung der Sinnesorgane, welche die Tiere zu ihrer Nahrung hinlenkt, und schließlich auf die Ernährung der Kinder.

Beim Betrachten der Zähne finden wir, daß die Schneidezähne der fleischfressenden Tiere nur wenig entwickelt sind, daß ihre Eckzähne jedoch von außergewöhnlicher Länge sowie glatt und spitze sind, um die Beute packen zu können, und daß die Backenzähne ebenfalls spitz sind. Diese Spitzen schließen jedoch nicht aufeinander, sondern dicht nebeneinander, um das Zertrennen von Muskelfasern zu erleichtern. Bei den pflanzenfressenden Tieren sind die Schneidezähne auffallend stark entwickelt, die Eckzähne aber verkümmert.
Die Backenzähne habe eine breite Kaufläche. Bei den fruchtfressenden Tieren sind alle Zähne von ziemlich gleicher Höhe, die Eckzähne ein wenig vorstehend, kegelförmig und stumpf. Die Backenzähne haben eine breite Kaufläche, die mit Schmelzfalten versehen ist, um Nahrungsverlust zu vermeiden; sie sind jedoch nicht zugespitzt, um das Kauen von Fleisch zu erleichtern. Wenn wir jetzt die Zähne beim Menschen betrachten, so finden wir, daß sie weder derjenige der fleischfressenden noch der pflanzenfressenden gleicht. Sie gleicht hingegen genau derjenigen der fruchtfressenden Tiere. Daraus ziehen wir die Schlußfolgerung, daß der Mensch ein fruchtessendes Tier ist

Wenn wir die natürliche Neigung der Sinnesorgane, betrachten, so finden wir, daß die fleischfressenden Tiere beim Anblick ihrer Beute wie verzückt sind; ihre Augen beginnen zu funkeln, sie packen ihre Beute im Sprung und lecken  begierig das Blut auf. Das pflanzenfressende Tier hingegen läßt selbst seine natürliche Nahrung unberührt stehen, wenn diese nur mit ein wenig Blut besprenkelt ist.
Und ebenso finden wir, daß die furchterregenden Tiere durch ihre Sinne stets zu den Früchten der Bäume und Felder hingezogen werden. Auch bei allen Menschenrassen können wir beobachten, daß Ihre Sinne sie niemals dazu veranlassen, ein Tier zu schlachten; sie können nicht einmal den Anblick des Tötens ertragen. Aus diesem Grunde werden die Schlachthäuser möglichst weit draußen vor der Stadt angelegt; oft bestehen sogar strenge Vorschriften, die ein unbedecktes Transportieren von Fleisch verbieten. Kann Fleisch daher als die natürliche Nahrung des Menschen angesehen werden, wenn sich sowohl seine Augen als auch seine Nase heftig dagegen sträuben. Wie sehr entzückt uns dagegen der Duft von Früchten, bei deren bloßem Anblick uns schon das Wasser im Munde zusammenläuft! Auch haben gewisse Körner und Wurzeln, selbst wenn Sie noch unzubereitet sind, einen angenehmen, wenn auch schwächeren Duft und Geschmack. Diese Untersuchungen führen uns also wieder zu dem Schluß, daß der Mensch als fruchtessendes Tier angesehen werden muß.

Andere Nahrungsmittel sind unnatürlich für den Menschen, und da sie dem Körper nicht zusagen, sind sie notwendigerweise Fremdstoffe für ihn. Diese Fremdstoffe werden vom Magen nicht richtig assimiliert, und wenn und wenn Sie ins Blut gelangt, sammeln sie sich in den Ausscheidung- oder anderen Organen an, die nicht darauf eingestellt sind. Wenn sie keinen Weg nach außen finden, senken sie sich, dem Gesetz der Schwerkraft zufolge, in die feinen Spalten des Gewebes, wo sie in Gärung geratenen, geistige und körperliche Krankheiten hervorrufen und letzten Endes zu einem frühzeitigen Tod führen.

Versuche haben ergeben, daß die reizlose, natürliche Kost der Vegetarier besonders gut für die körperliche und geistige Entwicklung der Kinder ist, daß Geist, Verstand, Wille, Gefühlsleben, besondere Fähigkeiten und der allgemeine Gemütszustand dadurch richtig entwickelt werden. Bei Anwendung von drastischen Mitteln jedoch, wie übertriebenem Fasten, Kasteien oder klösterliche Abgeschlossenheit, die oft zur Unterdrückung der natürlichen Leidenschaften auferlegt werden, stellen sich die gewünschte Resultate nur selten ein. Dagegen lehrt die Erfahrung, daß der Mensch diese Leidenschaft dann leicht überwinden kann, wenn er eine natürliche, reizlose Kost zu sich nimmt. Dadurch gewinnt der geistige Ruhe, und diese ist die beste Voraussetzung für jede geistige Arbeit, gute Auffassungsgabe und scharfes Denken.

Aus: "Die Heilige Wissenschaft" von Jnanavatar Swami Sri Yukteswar Giri (S. 60-67) gekürzt.


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