re: Ansichten über den Tod....
myrrhe * schrieb am
14. April 2008 um 19:08 Uhr (1243x gelesen):
Liebe Suhela,
wir kennen uns noch ... nicht wahr? :-)
Was du geschrieben hast - ich kann es in jedem Wort nachvollziehen. Nicht von mir selbst, zumindest nicht auf "der Seite", die du erlebt hast ... aber auf der anderen.
Ja. Wir haben keine Angst vor dem Tod, aber vor dem Sterben. Vor dem Nachlassen der Lebenskraft, vor den Schmerzen, vor der Diagnose, den mitleidigen Blicken, dem Abschied vom Leben. Vor dem Loslassen.
Alles ist anders in diesem Augenblick. Die Zeit zieht sich zusammen zu einem winzigen Punkt. Dem Punkt "ich muß sterben".
Ich habe diesen Punkt mit anderen erlebt. Habe die Momente miterlebt, sie damit selbst erlebt. Das Miterleben ist heute noch Teil meiner geistigen Arbeit ...
Ja, ich verstehe dich - und ich finde, du hast mit jedem deiner Worte recht. Ich kenne auch die Energien auf der Onkologie ... ich kenne die Augen, die einen anschauen, nicht nur die der eigenen Lieben. Ich kenne den "flachen Blick" derer, die wissen, was geschieht, und es doch nicht sehen wollen. Ich kenne den Blick der Angehörigen, die es auch wissen, aber verschweigen müssen. Ich kenne die Dichte dieser Energien.
Und ich weiß, warum mein Mann dort nicht bleiben wollte, warum er solche Angst hatte, am Ende seines Lebens dort wieder landen zu müssen. Daher war ich froh, ihm das ersparen zu können.
Ich weiß auch, daß in solchen Situationen der Zweifel am größten ist. Die Angst, die Qual des Loslassens, ist größer.
Suhela, habe keine Schuldgefühle - du mußt auch nichts fragen. Es ist einfach natürlich, daß wir alle - selbst wenn wir um den Tod wissen (und keine Erleuchteten sind *g*) - den Moment des Loslassens des irdischen Lebens, unseres Körpers, mit dem wir uns nun mal in gewissem Ausmaß identifizieren, fürchten. Es ist auch vollkommen normal, wenn wir in diesen Augenblicken keinen geistigen Beistand spüren, wenn wir uns vollkommen allein fühlen.
Wichtig ist: mach dir keine Vorwürfe. Du teilst das mit vielen Menschen, auch spirituell orientierten. Denn das Sterben ist nicht der Tod. Vor dem Tod hast du keine Angst, denke ich - ich auch nicht. Aber das Sterben - das Loslassen dessen, was uns, vom Embryo bis jetzt, begleitet hat, des Körpers. Ich finde, es ist eine vollkommen normale Reaktion.
Ich empfinde das mit dir - denn ich habe nun mehrmals die Konfrontation meiner Lieben mit dem bevorstehenden Tod miterleben müssen. Ich habe die Reaktionen gefühlt (das ist stärker, als sie zu hören). Ich habe, zwei Tage vor seinem Tod, mit meinem Mann geweint. Ich habe so viel erlebt, daß ich jetzt sage: bitte nicht nochmal. Aber wenn ich es wieder erleben muß: dann ist es so. Und wenn ich dran bin, und jemand anderes leidet - auch dann muß ich da durch.
Das ist das Eigentliche: wer steht neben mir und leidet, wenn ich gehen muß?
"Mitten wir im Leben sind von dem Tod umgeben" ist ein alter Luther-Choral. Ich bin ja nicht christlich orientiert, aber - er trifft es. Wir können dem nicht davonlaufen. Aber wir können versuchen, uns damit "anzufreunden". In Meditationen visualisiere ich immer wieder einmal eine große Tür. Die Tür von Hier nach Dort. Dann öffne ich diese Tür einen Spalt und schaue hindurch. Was sehe ich? wie sieht es für mich hinter der Tür aus? wen sehe ich? Es ist, glaube ich, eine gute Übung, den Tod im Leben zu integrieren. Für eine mögliche schlimme Diagnose habe ich aber keine Übung. Das kann man nicht trainieren, denke ich. Wie der nahende Tod sich ankündigt - das kann so unterschiedlich sein. Krankheit, Unfall, Siechtum ... keine Ahnung. Es bringt auch nichts, zu sehr darauf zu focussieren, denn dann geht man glatt am Leben vorbei. ;-)
Du hast diese Krankheit wohl nicht "zufällig" bekommen ... du bist reifer geworden, und ich denke mir, du hast auch über das, was vielleicht dazu geführt hat, nachgedacht. Dann, denke ich, ist der Weg der, das Leben mit Tiefe zu füllen. Lebe bewußt, freue dich am Leben, er-lebe, liebe, tue alles mit Inbrunst. Mehr, glaube ich, kannst du nicht tun.
Ich wünsche dir Licht in dein Leben - Kraft und immer die richtigen Impulse, um dein Leben mit Inbrunst zu leben.
Einen lieben Gruß dir!
myrrhe
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