re[6]: Kapitel IV Seite 2/4
spacefraggel * schrieb am
9. November 2008 um 20:03 Uhr (1306x gelesen):
aber nicht sein Gewicht. Ich habe ihn allein vom Boden auf ein Sofa gelegt, wenn er in diesem Zustand war. Es stimmt auch, daß er steif wie ein Brett viel leichter zu tragen war als seine gewöhnliche, schlaffe, unbewußte menschliche Form; aber es besteht ein klares Verhältnis zwischen dem Gewicht eines erwachsenen Mannes und der Kraft einer Frau von normaler Statur.
Was mit dem bei diesen Anlässen fehlenden Gewicht geschah, fand ich eines Nachts heraus. Er war krank geworden, litt an irgendeinem Delirium, und der Löwenanteil der Pflege, insbesondere die Nachtwache, war mir zugefallen. Es kam jedoch die Zeit, da wir beschlossen hatten, er sei so weit wiederhergestellt, daß es nicht mehr notwendig sei, jemand bei ihm wachen zu lassen; deshalb gingen wir alle zu Bett, das erste Mal wieder seit vielen Tagen. Ich teilte mein Zimmer mit einem anderen Mitglied unserer Gemeinschaft. Es war eine verhältnismäßig kleine Hütte, in der wir schliefen, und unsere beiden Betten standen nahe beieinander, Seite an Seite, direkt unter dem offenen Fenster, ohne Gardine. Es war die Zeit des Vollmonds, und ich erinnere mich, daß ich keine Kerze anzuzünden brauchte, um mich auszuziehen.
Ich schlief sofort ein; denn ich war sehr müde. Ich konnte jedoch noch nicht lange geschlafen haben, als ich durch das Gefühl eines Gewichtes auf meinen Füßen geweckt wurde. Es fühlte sich so an, als ob ein ziemlich großer Hund, etwa ein Collie, hinaufgesprungen sei und sich auf das Bett gelegt hätte. Der Raum war vom Mondlicht durchflutet, so hell wie am Tag, und ich sah deutlich - offensichtlich schlafend - quer am Fuße meines Bettes liegend den Mann, den wir sicher für die Nacht eingepackt im Zimmer unten verlassen hatten. Es war eine etwas peinliche Situation, und ich lag zunächst ganz still und dachte nach, bevor ich etwas tat. Ich war inzwischen hellwach, wie man sich vorstellen kann. Ich kam zu dem Schluß, daß Z., wie ich diesen Mann nennen will, entweder wieder im Delirium war oder schlafwandelte. In jedem Fall war ich sehr daran interessiert, ihn sicher wieder zu Bett zu bringen, ohne viel Aufhebens oder eine Szene zu machen. Meine Nachbarin hatte ein schwaches Herz, und ich wollte nicht, daß sie einen Schock erlitt; aber ich wollte auch nicht, daß der Mann in seinem geschwächten Zustand einen Schock bekam. Ich mußte befürchten, wenn ich meine Nachbarin zuerst wecken würde, daß sie schreien und Z. mit einem Ruck aufwecken würde, was verheerende Folgen haben konnte. Daher beschloß ich, ihn vorsichtig zu wecken, weil er schwerer krank war, und sie sich selber zu überlassen. Nachdem ich diese Möglichkeiten einige Augenblicke durchdacht hatte, fing ich an zu handeln. Ich setzte mich im Bett auf und bewegte mich vorsichtig nach vorn in der Absicht, ihn sanft an der Schulter zu berühren und dadurch aufzuwecken. Um mich aber vorzubeugen, mußte ich meine Füße unter ihm wegziehen, die durch sein Gewicht noch immer festgehalten wurden; denn ich war sehr vorsichtig gewesen, mich nicht zu bewegen, während ich meinen Feldzug ausdachte.
Z. war deutlich sichtbar im Mondlicht, anscheinend mit seinem Bademantel bekleidet, wofür ich jedenfalls die umhüllenden Falten des Materials hielt, worin er eingewickelt war. Sowohl Gesicht als auch Kleidung erschienen im Mondlicht grau und farblos, aber es gab in meiner Wahrnehmung keinen Zweifel, daß er materiell war; denn ich konnte ihn nicht nur sehen, sondern auch sein Gewicht auf meinen Füßen spüren. Doch sobald ich mich bewegt hatte, verschwand er, und ich starrte verwirrt auf die weichen Falten meiner Wolldecken am Fuße des schmalen Feldbettes, auf dem ich lag. Erst da -nicht vorher — wurde ich mir bewußt, daß er ganz grau und farblos erschienen war, mehr einer schattierten Bleizeichnung gleich als einem menschlichen Wesen aus Fleisch und Blut.
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