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Scheint nicht dazu zu passen, aber es scheint nur *g*
tralala * schrieb am 23. Juni 2006 um 14:18 Uhr (819x gelesen):

Thomas Metzinger

WENN DIE SEELE VERLORENGEHT

Der Fortschritt in den Neurowissenschaften erfordert eine neue Bewußtseinskultur

In den vergangenen zehn Jahren haben wir mehr über das menschliche Gehirn erfahren als in den dreihundert Jahren zuvor. Es ist anzunehmen, daß sich der Wissenszuwachs in den Neuro-, Informations- und Kognitionswissenschaften mit großer Geschwindigkeit fortsetzen wird und sich damit auch unsere Möglichkeiten vielfältig erweitern, das menschliche Gehirn direkt zu beeinflussen. Was wir derzeit erleben, ist allem Anschein nach erst der Anfang einer umwälzenden Entwicklung: Menschliches Bewußtsein wird technisch verfügbar, subjektives Erleben kann beeinflußt und effektiv manipuliert werden. In vielen dieser neuen Handlungsräume werden unsere moralischen Intuitionen versagen.

Heute geht es nicht mehr nur um ethische Detailfragen, wie sie sich beispielsweise in Zusammenhang mit Bewußtseinsexperimenten à la Persinger stellen (siehe nebenstehenden Beitrag): Wir bewegen uns auf ein grundlegend neues Verständnis dessen zu, was es heißt, ein Mensch zu sein. Die fortgeschrittenen Neuro- und Informationstechniken der Zukunft werden in vielen Fällen Bewußtseinstechniken sein. Aus diesem Grund brauchen wir nicht nur eine Neuroethik, sondern auch eine Bewußtseinsethik, eine neue Bewußtseinskultur.

Wonach viele bereits suchen, ist eine "normative Psychologie". Aber: Was ist überhaupt ein "guter Bewußtseinszustand"? Gibt es Formen des subjektiven Erlebens und der Selbsterfahrung, die "besser" sind als andere? Solche Fragen betreffen nicht mehr nur die medizinethischen Implikationen des technischen Zugriffs auf das menschliche Gehirn, sondern auch so weit voneinander entfernte Bereiche wie etwa die Behandlung von Sterbenden oder den Tierschutz, die Drogenpolitik oder die Pädagogik. Am Ende geht es natürlich um die klassische Frage, was überhaupt ein gutes Leben ist.

Nehmen wir zum Beispiel die enorme Erweiterung unserer medialen Umwelt durch das Kabelfernsehen, durch interaktive Unterhaltungselektronik oder die weltweite Kommunikation über das Internet. Die Ankoppelung von immer mehr Menschen an die zeitliche Eigendynamik der neuen Medien zwingt dem Nervensystem bestimmte Rhythmen und Zeittakte auf. Dabei ist denkbar, daß die neuen Medien dem menschlichen Gehirn unablässig eine erhöhte Aufmerksamkeitsleistung abverlangen. Das könnte auf Dauer zu einer permanenten Verkürzung der Aufmerksamkeitsspanne, zu Konzentrationsstörungen und zu bleibenden Beeinträchtigungen kognitiver Fähigkeiten führen.

Ein zweites Beispiel: die Psychopharmakologie. Der Einsatz psychoaktiver Substanzen zu medizinischen oder religiösen Zwecken ist eine der ältesten Bewußtseinstechniken der Menschheitsgeschichte. Bald wird es als Resultat der neurowissenschaftlichen Forschung neue Medikamente geben, die auch geistige Funktionen modulieren oder wiederherstellen. Das könnte uns in den Stand versetzen, psychische Erkrankungen oder die senile Demenz zu beeinflussen. Es eröffnet aber erstmals auch die Möglichkeit einer "kosmetischen Psychopharmakologie", etwa in Form alltagstauglicher und für den Dauergebrauch geeigneter Stimmungsaufheller. Hier haben wir es zunächst nur mit einer Grauzone der psychiatrischen Medizin zu tun, die prinzipiell gesetzlich geregelt werden kann. Daneben wird es aber immer auch eine illegale Psychopharmakologie geben, die einen illegalen Markt mit ständig neuen Drogen bedient.

In die Pädagogik - ein drittes Beispiel - dringen neue, computergestützte Formen des Lernens ein. Kinder werden in Zukunft wohl häufig vor dem Bildschirm lernen, etwa von einer CD-ROM oder direkt aus dem Internet. Weil neue Lerntechniken auch neue Erlebnisformen und damit persönlichkeitsbildende Arten der Selbsterfahrung vermitteln, vergrößert sich die psychologische Kluft zwischen den Generationen. Überdies ist menschliche Intelligenz zu einem überwiegenden Teil "Körperintelligenz": Wir sind leibliche Wesen, die ihre Beziehung zur Welt zum großen Teil durch körperliche Handlungen aufbauen. Niemand weiß zum Beispiel, wozu es führen wird, wenn junge Menschen sich in den entscheidenden Phasen ihrer Entwicklung längere Zeit in künstlichen Umgebungen bewegen, wenn der zwischenmenschliche Kontakt in der Schule durch eine entkörperlichte Mensch-Maschine-Beziehung ersetzt wird.

Es wäre deshalb ein Fehler, die sozialethische Dimension des Problems auszublenden. Gleichzeitig geht es jedoch auch um die kulturelle Umsetzung der neuen Erkenntnisse. Nehmen wir einmal an, die Forschung findet tatsächlich heraus, auf welche Weise Gehirnvorgänge Bewußtsein und subjektives Erleben erzeugen. Damit würde der klassische Begriff der "Seele" für viele zu einem leeren Begriff: Theorien, die sich noch an diesem Begriff orientieren, würden dann genauso irrational erscheinen wie die Ptolemäische Theorie, nach der sich die Sonne um die Erde dreht. Das könnte dazu führen, daß Leute, die an ein Leben nach dem Tod glauben oder hartnäckig mit altmodischen Begriffen wie dem der "Seele" operieren, genauso verlacht werden wie Leute, die heute noch im Ernst an Ptolemäus' Weltbild glauben. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die neuen Beiträge zu unserem Menschenbild in einigen Aspekten - besonders im subjektiven Empfinden vieler Menschen - eine Demütigung und eine Kränkung darstellen. Deshalb ist es wichtig, dem Aufkommen eines szientistischen Vulgärmaterialismus vorzubeugen, indem man die neu entstehende Anthropologie selbst zum Gegenstand kritischer Diskussionen macht.

Wir brauchen deshalb eine neue Bewußtseinskultur. Es ist nicht damit getan, die ethischen Implikationen des Aufkommens bestimmter neuer Medizin- oder Bewußtseinstechniken im allgemeinen zu diskutieren. Worum es geht, ist die Einbettung sowohl der technologischen als auch der theoretischen Entwicklung in eine kulturelle Evolution, die mit ihnen Schritt halten kann.

Wie könnte eine rationale Bewußtseinskultur aussehen? Sie hat nichts mit organisierter Religion oder einer bestimmten politischen Vision zu tun. Bewußtseinskultur wird darin bestehen, Individuen zu ermutigen, die Verantwortung für ihr eigenes Leben zu übernehmen. Den gegenwärtigen Mangel an echter Bewußtseinskultur kann man als gesellschaftlichen Ausdruck des steckengebliebenen Projekts der Aufklärung deuten: Was uns fehlt, ist nicht Glauben, sondern Wissen; nicht Metaphysik, sondern eine neue Variante praktischer Rationalität.

Im Bereich der neuen Medien ist die Kultivierung einer bestimmten Art von psychohygienischer Intelligenz am wichtigsten: Wir werden zum Beispiel lernen müssen, mit vielen hundert Fernsehprogrammen und Abermillionen von Seiten im World Wide Web umzugehen, ohne abzustumpfen oder süchtig zu werden. Wir werden auch lernen müssen, weltweit vertrauensvoll mit Menschen zu kommunizieren, die wir niemals persönlich kennenlernen.

Deutlich verfahrener ist die Situation im Bereich der Drogenpolitik. Der Schaden, der durch jahrzehntelange Desinformation und eine undifferenzierte Prohibitionspolitik angerichtet worden ist, läßt sich kaum abschätzen. Rationale Bewußtseinskultur bedeutet in diesem Bereich zunächst, einer Reihe von einfachen Tatsachen ins Auge zu sehen. Eine solche Tatsache ist: Von achtzig Millionen Menschen in Deutschland sind zehn Millionen alkoholsüchtig und etwa eine Million medikamentenabhängig. Von illegalen psychoaktiven Substanzen dagegen sind nur 50 000 Personen abhängig. Der Schaukampf gegen die illegalen Substanzen dient, so könnte man vermuten, der gesamtgesellschaftlichen Verdrängung dieses Sachverhalts. Eine andere einfache Tatsache besteht darin, daß der Kampf gegen die illegalen psychoaktiven Substanzen längst verloren ist: In den reichen Industrieländern sind die Verfügbarkeit, die Qualität und die Preisstabilität dieser Stoffe gleichbleibend hoch, weil die entsprechenden Märkte seit langem relativ reibungslos funktionieren. Erst wenn man solchen Tatsachen ins Auge sieht, könnte man untersuchen, woran es eigentlich liegt, daß ein so uninteressanter Bewußtseinszustand wie die durch Äthanol ausgelöste dumpfe Enthemmung zum globalen Spitzenreiter in der psychopharmakologischen Freizeitgestaltung werden konnte. Erst dann könnte man eine rationale Diskussion darüber einleiten, welche durch psychoaktive Substanzen ausgelösten Bewußtseinszustände wir langfristig in unsere Kultur integrieren wollen und welche nicht.

In der Pädagogik könnte rationale Bewußtseinskultur bedeuten, in den Schulen ideologiefreie und säkularisierte Formen der Selbsterfahrung anzubieten, zum Beispiel bestimmte Formen von Meditation oder autogenem Training. Dadurch würde es jungen Menschen ermöglicht, auf ungefährliche Weise Grenzerfahrungen zu suchen und in eigener Regie veränderte Bewußtseinszustände ohne Suchtpotential zu entdecken. Auch in anderen kulturellen Traditionen begeben sich junge Erwachsene seit langem systematisch auf die Suche nach solchen Grenzzuständen des subjektiven Erlebens - allerdings meistens in einem rituellen Kontext. Die westliche Kultur hat dagegen äußerst wirksame und gefährliche Möglichkeiten zur Bewußtseinsveränderung entwickelt, ohne dafür einen angemessenen Kontext anbieten zu können. Bei uns sind Jugendliche einfach allein.

Bewußtseinskultur in der Schule müßte über das akademisch-intellektuelle Bildungsideal hinausgehen und den Schülern und Schülerinnen Mittel an die Hand geben, mit denen sie ihre Autonomie beim Umgang mit dem eigenen Bewußtsein erhöhen können. Natürlich könnte man dasselbe auch mit Blick auf die Universitäten fordern.

Insbesondere besitzt das Projekt einer rationalen Bewußtseinskultur auch einen forschungspolitischen Aspekt: Welchen Stellenwert besitzt überhaupt der wissenschaftliche Fortschritt in diesem Bereich der Selbsterkenntnis? Wieviel Geld ist der Gesellschaft die empirische Erforschung der Grundlagen des menschlichen Bewußtseins durch die Neuro- und Kognitionswissenschaften in Zukunft wert - und wieviel Geld ist ihr dabei die begleitende philosophische Interpretation der einzelwissenschaftlichen Ergebnisse wert?

Ethik und Kultur werden in Zukunft immer stärker von generellen Theorien darüber abhängen, was überhaupt ein Mensch ist, was es bedeutet, im bewußten Erleben eine subjektive Erste-Person-Perspektive auf die Welt einzunehmen, und welchen Systemen wir überhaupt den Status einer Person zugestehen wollen. Was wir brauchen, ist deshalb eine innovative Form der Zusammenarbeit von Ethik, Sozialphilosophie und Philosophie des Geistes. Ich denke, daß die empirische Forschung recht bald und immer deutlicher zeigen wird, daß Tiere zum Beispiel Schmerzen oder Todesangst - auch wenn sie nicht sprechen oder mit Hilfe von Begriffen denken können - subjektiv sehr wohl als ihre eigenen erleben. Der Begriff der Person könnte dann auf einmal als Kampfbegriff erscheinen, der der menschlichen Rasse seit langem dazu dient, diese intuitiv längst vorhandene Einsicht zu ignorieren und ihre eigenen Interessen im Umgang mit anderen bewußtseinsfähigen Wesen rücksichtslos durchzusetzen.

Wenn nicht die Fähigkeit zu rationalem Denken, sondern auch Leidensfähigkeit das Kriterium ist, anhand dessen wir den Gegenstandsbereich bewußtseinsethischer Überlegungen auszeichnen, dann rückt dabei langsam auch die fundamentalste Frage der normativen Psychologie in den Vordergrund: Ist bewußtes Erleben überhaupt ein Gut? Ist insbesondere die spezifisch menschliche Form des Bewußtseins eine interessante Form des Bewußtseins? Ist sie etwas, das man bedenkenlos vermehren darf?

Immerhin muß man zumindest der Möglichkeit ins Auge sehen, daß durch das Entstehen von Nervensystemen, die erstmals in der Lage waren, an eine subjektive Innenperspektive gebundene Bewußtseinszustände zu aktivieren, alles in allem mehr Leiden in die Welt gekommen ist als Freude und Dankbarkeit - daß das Leben, wie Schopenhauer dachte, im Grunde ein Geschäft ist, das nicht die Kosten deckt. Es ist der Synergismus von Informatik, Kognitionswissenschaft und Hirnforschung, der solche alten Fragen plötzlich wieder aktuell werden läßt. Weil niemand die Eigendynamik des wissenschaftlichen Fortschritts wirklich abschätzen kann, besteht tatsächlich die Möglichkeit, daß es - früher, als den meisten von uns lieb ist - auf einmal nicht mehr nur um Hirngewebstransplantationen oder intelligente Neuroprothesen geht, sondern tatsächlich um künstliches Bewußtsein, etwa in Form autonomer kognitiver Roboter.

Bewußtseinskultur würde in diesem Fall bedeuten, darauf zu achten, daß nicht gleichzeitig auch künstliches Leiden in die Welt gebracht wird: Solange wir keine überzeugende Antwort auf die Frage haben, ob und unter welchen Bedingungen subjektives Bewußtsein überhaupt ein erstrebenswertes Gut ist, sollten wir auch nicht versuchen, es auf künstlichen Trägersystemen zu duplizieren. Wie würden Sie es finden, wenn Sie plötzlich "zu sich kämen", nur um zu entdecken, daß Sie ein rechtloses Versuchsobjekt sind, mit dessen Hilfe eine fremdartige und ihrerseits sehr unvollkommene Art von informationsverarbeitenden Systemen versucht, sich selbst zu verstehen?

Eine kleine historische Schlußbemerkung: Bewußtseinskultur ist ein altes philosophisches Projekt. Schon Cicero hat die Philosophie als cultura animi bezeichnet, als Pflege der Seele - und in diesem Sinne mache ich an dieser Stelle Werbung für einen etwas aus der Mode gekommenen Begriff von Philosophie. Die Liebe zur Weisheit als Pflege der Seele ist ein klassisches Motiv, das uns vielleicht bei den ersten Schritten in Richtung auf ein neues ethisches und kulturelles Selbstverständnis weiterhelfen könnte.

DIE ZEIT Nr. 45, 1. November 1996, 46
http://www.philosophie.uni-mainz.de/metzinger/publikationen/1996v.html

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