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Re: Zeit....
j`os schrieb am 22. Dezember 2004 um 1:29 Uhr (523x gelesen):

"Im Alltag weiß ich, was Zeit ist. Fragt man mich jedoch danach, dann weiß ich es nicht mehr!" Dieser Satz von Augustinus verrät schon, welche die Schwierigkeiten beim schwer fassbaren Begriff "Zeit" sein werden: Einerseits die vollkommene Vertrautheit, die jeder tagtäglich spüren kann, wenn wir von Zeit reden; andererseits die völlige Sprachlosigkeit, wenn es darum geht eine haltbare "Definition" von Zeit zu geben. Es gilt, was Thomas Mann festgehalten hat: Zeit sei das Rätselhafteste, welches der Mensch imstande ist zu messen.

Wie veranschaulicht man sich Zeit? Wohl zuallererst auf einer Linie, als Verräumlichung, die sich auf natürliche Weise in drei Teile teilt: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Nun aber müssen wir erklären, was diese drei Teile sein sollen, wenn wir beschreiben wollen, was denn das Ganze, die Zeit sein will. Genauso ging auch Augustinus vor. Die Vergangenheit, so wird man wohl im ersten Anlauf versuchen, ist das, was vergangen ist; die Gegenwart, das was gerade ist; und die Zukunft, was noch sein wird.

Nun treten aber bereits erste Widersprüche auf: Wenn die Vergangenheit, das ist, was vergangen ist, dann besteht sie aus lauter Teilen, welche nicht mehr sind, also nicht sind. Genauso die Zukunft: Wenn das, woraus die Zukunft gemacht ist, erst sein wird, dann ist es jetzt noch nicht. Vergangenheit und Zukunft existieren – so definiert – demgemäß nicht, weil sie nicht gegenwärtig sind.

Dies führt zu jener spannenden Überlegung, welche die Geistesgeschichte seit Jahrhunderten quält: Wenn wir Vergangenheit und Zukunft so definieren, wie es uns unser üblicher Sprachgebrauch vorschreibt, dann kommt ihnen gemäß ihrer Definition keine Existenz zu. Die gängigste und im Alltag brauchbarste Beschreibung von Vergangenheit und Zukunft führt stehenden Fußes zu Widersprüchen.

Doch damit nicht genug. Wenn nur sein kann, was gegenwärtig ist, dann ist alles, was existiert, in der Gegenwart. Nur was gegenwärtig ist, jetzt ist, existiert demnach. Fragen wir also, was die Gegenwart ist, oder wie wir sie in unserer Zeitlinie einzeichnen sollen. "Als Punkt!", wird man wohl antworten. Denn sobald der werte Leser diese Zeilen liest, ist die Zeit vorangeschritten und was eben noch gegenwärtig war, ist schon zum Vergangenen übergetreten. Die Worte, welche noch im Gedächtnis nachklingen, sind bereits vergangene Worte, gelesene Worte.


Aber nicht nur mit den einzelnen Sätzen und Worten lässt sich dieses Spiel treiben. Jede erdenklich kurze Zeiteinheit wird der Gegenwart schließlich zu lang. Denn was gerade ist, ist im nächsten Moment nicht mehr und daher vergangen. Das Gegenwärtige schrumpft zur unausgedehnt kurzen Zeit, zum Punkt am Zeitstrahl.

Damit ist aber eine weitere Paradoxie zu der obigen hinzugetreten: Alles, was existiert, existiert nach der eben geführten Überlegung in einem unendlichen kurzen Zeitintervall, das außerhalb Nicht-Sein liegt.

Wie aber soll dies funktionieren? Wie kann der Mensch Dauer empfinden, sich erinnern, Voraussagen treffen, wenn alles Existierende zur unendlich kurzen Seinsdauer verkürzt würde? Ja schon das bloße Messen von Zeit wäre unmöglich, weil was existiert, nur unendlich kurz existieren könnte und keine ausgedehnte Zeitspanne anhielte. Ein Zeitablauf, könnte nie stattfinden, da die Gegenwart, in der wir messen, unausgedehnt wäre.

Wir müssen die Frage, was Zeit sei, also anders beantworten, wollen wir diesen Paradoxien entgehen. Ein Ansatz wäre, zu fragen, warum wir überhaupt meinen, der obige Erklärungsversuch greife zu kurz. Wohl, weil wir glauben, dass Zeit ausgedehnt ist, weil wir sie messen können. Weil wir nicht akzeptieren, dass Vergangenes in keiner Weise existieren könne, oder dass Zukünftigem, aus dem die Gegenwart wird, keine Existenz zukäme. Der Grund liegt im Menschen selbst verankert: Unsere Wissen vom Vergangenen hält dieses, unser Denken an das Zukünftige jenes lebendig.

Im menschlichen Ich fußt das Empfinden und das Urteilen über Zeit. Daher ist es nur natürlich, das menschliche Ich als Ort zu identifizieren, in dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu verstehen sind und so erst erklärbar werden, indem sie, leicht transformiert – vermenschlicht – miteinander passend "verklebt" werden: Die Vergangenheit kann nun als das beschrieben werden, was der menschlichen Erinnerung zugängig ist. Die Gegenwart, als jenes, was den Sinnen gerade erfassbar ist. Und die Zukunft als das, worauf wir hoffen, worüber wir Voraussagen treffen.

Diese Subjektivierung des Zeitbegriffes zieht ihm die Zähne und formt ihn in einen menschlichen um: Übrigens der Weg, den Augustinus gewählt hat, um seine Zeitparadoxien aufzulösen. Zeit korrespondiert dann dem Dreigespann von Erinnern, Fühlen, und Hoffen – zutiefst menschlichen Fähigkeiten.

Diese Subjektivierung aber löst die Zeit aus ihrem objektiven Kontext heraus und macht sie vom Menschen abhängig: Was, wenn es keine Menschen gäbe? Gäbe es dann keine Zeit?

Zeit kann nur sinnvoll und widerspruchsfrei in einem vermenschlichten Kontext gedacht werden. Die strenge Antwort auf die eben gestellte Frage muss "Nein!" lauten. Mit Kant: Zeit ist eine Form der menschlichen Anschauung, sie ist Teil der Brille, in der sich das Außerhalb bricht und verortet sich, folgt man Augustinus, in den Fähigkeiten des Erinnerns, Fühlens, und Hoffens.

Die Unwilligkeit, Zeit als rein menschlich zu begreifen, fußt im Gutglauben, dass das, was unseren Sinnen und damit den empirischen Wissenschaften zugängig ist, die Wirklichkeit darstellt und in den Formen unserer Anschauung als solche erfasst werden kann. Sich von dieser Utopie zu befreien, muss eine der größten Herausforderungen der Menschheit am Weg zu Erkenntnis sein.


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