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Satanismus - ein kurzer geschichtlicher Überblick
(Wiebus H.-O., Lexikon Jugendkulte. Hamburg 1995)
Der Satan (hebräisch »Widersacher«) ist im Alten Testament zunächst einfach der Gegner ganz allgemein (z. B. im Krieg), der Ankläger vor Gericht und schliesslich auch der Ankläger vor dem göttlichen Gericht. Erst später, in der »zwischentestamentlichen Zeit«, werden dem Satan Untertanen, nämlich Dämonen, zugeschrieben. Diese wiederum sind verbotenen sexuellen Beziehungen zwischen Engeln und Menschen entsprungen. Damit wird der Satan zur Verkörperung des Bösen, zum Versucher und zum Gegenspieler Gottes. Nach christlichem Glauben hat der Satan durch das Wirken von Jesus Christus seine Macht grundsätzlich eingebüsst. Vernichtet werden wird er aber erst am Ende der Welt. In der Geschichte war die christliche Kirche mit dem Vorwurf des Satanskultes nicht eben sparsam. Der Satan wurde nicht als Symbol des Bösen gesehen, sondern als real existierende Macht, mit der »Abtrünnige«, wie Mitglieder von Sekten, einen Pakt eingingen. Die Verfolgung und Ermordung Hunderttausender von Hexen wurde durchweg mit deren Bund mit dem Satan begründet. Satan, nach christlicher Ansicht ein gefallener Engel, war stets auch von literarischem Interesse. Barockdramen beschäftigten sich mit der Gestalt des Bösen. Der Pakt, den Faust in Goethes Drama mit Mephisto (also dem Satan) schliesst, brachte in der Nachfolge eine Fülle »satanischer« Literatur hervor. Der Begriff »Satanismus« wurde erstmals von dem britischen Schriftsteller Robert Southey (1774-1843) verwendet, der damit die Versepen von Byron (1788-1821) charakterisierte. Byron hatte u.a. in seinem Drama »Kain - Ein Mysterium« (1821) in düster-melancholischer Art geschildert, wie Kain, vom Satan aufgestachelt, sich gegen den doktrinären Glauben seines Bruders Abel auflehnte. Mit der Figur des Satans, der dabei teilweise als Erlöser und Heilsbringer gesehen wird, beschäftigten sich um die Jahrhundertwende u. a. August Strindberg (1849-1912) und George Bernard Shaw (1856-1950 , Im ausgehenden 19.Jh. war ein Teil des Bürgertums und auch der Intellektuellen in Europa auf mystisch orientierter Sinnsuche. Die Industrialisierung, der sich andeutende endgültige Untergang der Monarchien, das Erstarken der Arbeiterbewegung, der Verlust von Privilegien brachten eine tiefe Verunsicherung mit sich. Während manche Künstlerinnen und Künstler die Fesseln des Althergebrachten abstreiten und die Moderne mit Begeisterung begrüssten, während ein relativ kleiner Teil des Bürgertums sich den demokratischen Bewegungen anschloss, wandten sich andere dem Okkulten zu. Spiritistische Séancen mit Tischrücken, Pendeln und Geistbefragungen waren mehr nur ein Gänsehaut hervorrufendes Gesellschaftsspiel. Geistererscheinungen, Mitteilungen Verstorbener über Medien und andere geheimnisvolle Erscheinungen fanden ein breites Echo. In dieser gesellschaftlichen Grundstimmung hatten Gemeinschaften, die sich mit den im dunkeln agierenden Kräften ausserhalb dieser (für viele nicht mehr zu verstehenden) Welt beschäftigten, grossen Zulauf. Elitäres Bewusstsein und romantisierende Vorstellungen brachten verschiedenste Arten von Orden, Geheimgesellschaften und Logen hervor, in denen nur Eingeweihte das Wissen vom Wirken der Kräfte des Kosmos hatten. Der Brite Aleister Crowley (1875-1947), der als Vater des Satanismus im 20. Jh. gilt, agierte genau in diesem Umfeld. Der streng puritanisch erzogene junge Mann verfasste in seiner Studienzeit in Cambridge Schriften, die auch heute noch als pornographisch gelten. Überhaupt gebärdete sich Crowley gern als Enfant terrible. So trat er während des 1. Weltkriegs als Propagandist der Deutschen auf, eine geradezu unglaubliche Provokation für die damalige Zeit. Crowley fühlte sich vom Okkultismus angezogen und fand bald Kontakt zu dem führenden britischen Okkultisten Alan Bennett, dessen Hermetic Order of the Golden Dawn (Hermetischer Orden der Goldenen Dämmerung) er beitrat. Als es dem ehrgeizigen Crowley nicht gelang, die Führung der Gemeinschaft zu übernehmen, verließ er den Orden wieder und bereiste mit seiner Frau Indien und Ceylon. Bei einer Zwischenstation in Kairo erschien 1904 das Geistwesen Aiwaz in seinem Hotelzimmer und diktierte ihm innerhalb von drei Tagen das Buch »Liber Al vel Legis« (Buch des Gesetzes), das bis heute als wichtigstes Werk des modernen Satanismus gilt. Crowley garnierte provokant gemeinte Thesen, die sich gegen die Moral des viktorianischen Zeitalters richteten (»Genieße alles Sinnliche und Wollüstige und fürchte dich nicht, dass ein Gott dich dafür strafe ... «), mit allerlei Zutaten aus der indischen und altägyptischen Mystik, die er auf seinen Reisen kennen gelernt hatte. Den esoterischen Charakter seines Buches unterstrich er durch die Aufforderung an die Leserinnen und Leser: »Es zeugt von Weisheit, wenn dieses Buch nach dem ersten Lesen zerstört wird.« 1912 trat Crowley dem Ordo Templi Orientis (O.T.O.) bei, dessen Führung er 1922 übernahm. In Cefalù (Sizilien) errichtete er schließlich seine »Abtei« Thelema, wo er auch Sexualmagie betrieb. Als Mussolini 1923 an die Macht kam, verließ Crowley Italien, obwohl er mit Faschismus und Nationalsozialismus keinerlei ideologische Schwierigkeiten hatte. Im Gegenteil: Der Thule-Orden, in dem sich Neugermanen zusammengefunden hatten, von denen einige später prominente Vertreter des NS-Regimes wurden, war von Crowleys O.T.O. beeinflusst. Crowley ging nach Weida in Thüringen, wo er sich 1925 von seinen Anhängern als »Weltheiland« ausrufen ließ, und kehrte 1933 nach Großbritannien zurück, wo er 1947 in geistiger Umnachtung starb. Der Satanismus der Gegenwart beruft sich vorwiegend auf die Schriften und auf das Wirken von Aleister Crowley. In der kalifornischen Gegenkultur-Szene der 60er Jahre waren die Bücher des Anti-Bürgers aufgetaucht und von einigen der »Blumenkinder« begeistert aufgenommen worden. In den 50er Jahren bereits hatte der ehemalige Tierbändiger und Illusionist Howard Levy, der sich später LaVey nannte, den Okkultismus für sich entdeckt und in seiner Wohnung spiritistische Sitzungen abgehalten. Nach Presseberichten soll dabei auch ein in Brandy gekochter menschlicher Arm verspeist worden sein. Diese und andere Berichte erregten die Aufmerksamkeit des Filmregisseurs Kenneth Anger, der bereits einen den Vorstellungen Crowleys nahekommenden Underground-Film (»Inauguration of the Pleasure Dome«) gedreht hatte. Dieser Film und sein Nachfolger »Lucifer Rising« werden von Cineasten hoch geschätzt, da mit ihnen das unabhängige Kino freier Filmemacher gegründet wurde. In Hollywood war Anger zu einiger Berühmtheit auch durch sein Buch »Hollywood Babylon« gekommen, das akribisch genau die Skandale der großen und kleinen Stars der Film-Stadt auflistet und mancherlei mysteriöse Vorfälle schildert. Als Motto stellte Anger dem Buch (das in deutscher Übersetzung zu einem heute noch gut verkauften Longseller wurde) einen Satz von Aleister Crowley voran: »Jedermann und Jedefrau ist ein Star« - eine Erkenntnis, die Crowley offensichtlich lange vor Andy Warhol hatte. LaVey und Anger taten sich zusammen und gründeten zunächst einen »Magic Circle«, aus dem in der Walpurgisnacht 1966 die »Church of Satan« (Satanskirche) entstand. Die Anhänger dieser »Satanskirche« standen in deutlichem Widerspruch zur etablierten Gesellschaft. Sie verstanden sich als Teil einer auch kulturellen - Gegenbewegung zum Bürgertum. Die Rebellion von Schülern und Studenten in der westlichen Welt, eine antiautoritäre Grundhaltung und mancherlei eher pubertär-provokante Vorstellungen hatten in den ersten Jahren Einfluss auf die Satanskirche. Aber auch manche Prominente aus dem Showbusiness Hollywoods bekannten sich zur Satanskirche, z. B. Sammy Davis und Jane Mansfield. Zu einer frühen Fassung von Angers Film »Lucifer Rising« schrieb Mick Jagger die Musik. Unabhängig von der kalifornischen Satanskirche, sich aber ebenfalls auf Crowley berufend, entstand die Final Church von Charles Manson, der sich für Satan und Christus zugleich hielt und Hitler verehrte. Von Mansons Gruppe wurden 1969 neun Menschen, unter ihnen die Schauspielerin Sharon Tate, ermordet. Nach Europa kam die kalifornische Satanskirche über Amsterdam. Dort hatte 1972 der Schauspieler Martin Lammers eine der ältesten protestantischen Kirchen der Niederlande gekauft und einen Satanstempel daraus gemacht. LaVeys Tochter Karla half beim Aufbau der satanischen Sektion, und eine Zeitlang wurde überlegt, ob das Zentrum der Gemeinschaft von Los Angeles in die Niederlande verlegt werden solle. In den folgenden Jahren nahm das Interesse am Satanskult kontinuierlich ab. Die Mode des »Bösen« fand unter jungen Leuten nur noch wenige Anhänger. Lediglich Exzentriker und teilweise psychisch schwer gestörte Menschen praktizierten den Satanskult. Einen gewissen Aufschwung nahm die Bewegung ausgerechnet durch die Propaganda christlicher Fundamentalisten in den USA. Für sie ist der Satan eine selbständig agierende Macht, die stets aufs neue versucht, Macht über die Menschen zu erringen. Einen wahrhaft teuflischen Plan verwirklichte der Satan nach fundamentalistischer Ansicht, als einige Rockgruppen aus dem Heavy-Metal-Spektrum begannen, mit »satanischen« Symbolen und manchmal auch ketzerischen Texten zu kokettieren. Jugendliche, die diese Musik hörten, würden so zu Satanisten gemacht. Besonders findige Fundamentalisten glaubten gar entdeckt zu haben, dass auf etlichen Schallplatten die satanische Botschaft nur dann zu hören sei, wenn man diese rückwärts abspiele. Über das Unterbewusste würden die Hörer auch dann der Gefährdung durch den Satan ausgesetzt, wenn sie die Platten oder Kassetten ganz normal hörten. Besorgte Pädagogen, Kirchenmitarbeiter und Eltern auch in Europa begannen, die Plattencover zu studieren, und mühten sich verzweifelt, Tonträger rückwärts abzuhören, um mit den Jugendlichen über die Gefährdung durch den Teufel diskutieren zu können. Dieses wohl gutgemeinte Verhalten erst machte die »satanische Gefahr« bekannt. Schulpsychologen berichten, dass Kinder aufgrund dieser Propaganda starke Ängste entwickelt hätten, sie könnten unbewusst vom Teufel beeinflusst werden.
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Aleister Crowley und der "Moderne" Satanismus
Für den rituellen Satanismus der Moderne ist die Person des Okkultisten und Schwarz- bzw. Sexualmagiers Aleister Crowley (12.10.1875 - 1.12.1947) von entscheidender Bedeutung. Gleichzeitig kann man Crowley nicht im eigentlichen Sinn als Satanisten ansehen, weil die okkulten Kräfte, die er erwecken will, nicht mit dem Teufel der Bibel identifiziert werden, von dem er schlicht und einfach feststellt, er existiere nicht (Aleister Crowley, "Magic in Theory and Practice", S. 86,New York 1973)), hielt sich, obwohl schon sieben Monate nach dessen Tod geboren, für die Reinkarnation des berühmten Okkultisten Eliphas Levi (Eliphas Levi: "Für die Initiierten ist der Teufel keine Person, sondern eine schöpferische Kraft, zum Guten sowohl zum Bösen" ). Crowley wuchs in einer bigotten, puritanisch ausgerichteten Familie, die sich zu den "Plymouth Brethren" hielten, auf. Das eigenwillig und vielleicht auch schwer erziehbare Kind Edward Alexander wurde von der überforderten Mutter regelmäßig mit dem Attribut "Beast" aus der Johannesapokalypse (dort mit der mystischen Zahl 666 versehen) bedacht. Diesen, von seiner Mutter initiierten "Titel", behielt er bis zu seinem Tode unter der Bezeichnung "To Mega Therion - The Beast 666" bei. Vermutlich birgt die sexual- und lebensfeindliche Erziehung den Grund für Crowleys sexualmagische Versuche und (Opfer-) Rituale, die in ihrer Perversion (Sodomie, sexueller Mißbrauch und nicht nachgewiesenen angeblichen Menschenopferungen (Aleister Crowley fordert im "Liber Al vel Legis" III, 12-13: "Opfert Tiere, kleine und große und danach ein Kind, aber nicht jetzt")), kaum zu überbieten waren und gegen jegliche gesellschaftlichen und christlich-religiösen Konventionen verstießen. Crowley ist bis heute "Spiritus rector" und Ideenlieferant für eine Vielzahl von Gruppen und Organisationen und ihren Ritualen geblieben. 1904 erhielt er in Kairo visionär eine Offenbarung von einem "Geistwesen" namens "Aiwaz" (oder auch "Aiwass"), einem Sendboten "Set's", dem König der Verwüstung und Zerstörung und dem Mörder des Osiris. Die Offenbarung findet ihren Inhalt im "Liber Al vel Legis" ("Buch des Gesetzes") und soll den heranbrechenden neuen "Äon des Horus" proklamieren. Aus seinem Liber OZ sub Figura LXXVI (zitiert bei Horst Knaut, "Das Testament des Bösen", S. 171 f, Seewald 1979) entstammen die als thelemitisches Gesetz und als "Crowley-Charta" bekanntgewordenen und bis heute bei den meisten Gruppen (nicht nur den thelemitischen) als heimlich-ideologisches Leitmotiv akzeptierten Gedanken: "Das Gesetz des Starken: das ist unser Gesetz und die Freude der Welt. Tu was du willst, soll sein das ganze Gesetz. Du hast kein Recht als deinen eigenen Willen zu tun. Tue den, und kein anderer soll Nein sagen. Jeder Mann und jede Frau ist ein Stern. Es gib keinen Gott außer dem Menschen. Der Mensch hat das Recht, nach seinem eigenen Gesetz zu leben: zu arbeiten wie er will, zu spielen wie er will, zu ruhen wie er will, zu sterben wann und wie er will. Der Mensch hat das Recht zu essen was er will, zu trinken was er will, zu wohnen wo er will, zu reisen auf dem Antlitz der Erde wie er will. Der Mensch hat das Recht zu denken was er will, zu sagen was er will, zu schreiben was er will, zu zeichnen, malen, schnitzen, ätzen, gestalten und bauen wie er will, sich zu bekleiden wie er will. Der Mensch hat das Recht zu lieben wie er will; auch erfüllet euch nach Willen in Liebe, wie ihr wollt, wann, wo und mit wem ihr wollt! Der Mensch hat das Recht all diejenigen zu töten, die ihm diese Rechte zu nehmen suchen. Die Sklaven sollen dienen. Liebe ist das Gesetz, Liebe unter Willen!" Hier wird defacto eine Zwei-Klassen-Gesellschaft ausgerufen: die "Gods" und dazu die "dogs". "Die Dogs sollen machtlos dienen, die Gods regieren. Wer nicht erleuchtet ist, gilt als Sklave durch eigenen Willen. Doch sollen unsere Sklaven freie Männer sein. Sie sollen arbeiten, wo sie wollen, wann sie wollen und wie sie wollen. Der Unternehmer mag sie heuern und feuern wie er will. In dieser kontrollierten Anarchie gibt es keine Polizei (jeder sorgt mit Freundeshilfe für seine eigene Sicherheit), keinen Gesundheitsdienst und keinen Schulzwang. Kein Kind muß zu Schule ohne natürliche Neigung. Aufstiegschancen gibt es freilich genug. Wer die schweren magischen Prüfungen packt, kann sogar König werden, aus welcher Kaste auch immer er kommt. Aber die meisten sind ja zufrieden, wenn sie ein Stück Fleisch auf dem Tisch und ein Weib im Bett haben. Jeder tut eben, was er will: Laßt Schuster Schuster sein, Soldaten Soldaten, Physiker Physiker, Priester Priester! Keine Arbeitslosenunterstützung! Wer zu schwach zum Überleben ist, sei verdammt und tot! Amen."
(aus: Josef Dvorak, "Satanismus - Schwarze Rituale, Teufelswahn und Exorzismus Geschichte und Gegenwart", S.123f, München 3. Aufl. 1994)
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