In
alter Zeit herrschte auf dem Brocken die Zauberjette. Elf jungen Mädchen
oblag die Pflicht, sie zu bedienen.
Einst waren zwei Ritter auf dem Brocken vom Weg abgekommen. Der eine von
ihnen hieß Otto, der andere Ramme. Schon mehrere Tage waren sie
umhergeirrt, aber sie fanden keinen Ausweg aus der Wildnis. Plötzlich stürzten
mitten im Wald mehrere Männer auf sie zu. Es waren Räuber, die sich auf
der Flucht vor ihren Verfolgern nach dem Brocken durchgeschlagen hatten.
An diese Bande mussten die Ritter sich anschließen, wenn sie in dem
wilden Gebiet ihr Leben erhalten wollten. Alle versprachen einander, sich
gegenseitig zu helfen.
Zunächst galt es, eine Unterkunft zu suchen. Deshalb gruben sie in den
steinigen Boden eine Höhle. Was sie aber am ersten Tag gearbeitet hatten,
war tags darauf zusammengefallen. Die Männer konnten nicht begreifen,
wieso das geschehen war.
Am zweiten Tag arbeiteten sie trotzdem an der Höhle weiter. Aber diesmal
stellten sie zwei Räuber als Wache davor. Aber alles, was sie unter Tags
gebaut hatten, war am nächsten Morgen wieder auseinandergerissen.
In der dritten Nacht wachten die beiden Ritter mit dem Räuberhauptmann
zusammen. Gegen Mitternacht sah der ältere der beiden Ritter, Ramme, elf
Mädchen daherkommen. Jede von ihnen hatte einen kleinen Hammer und
klopfte damit an den Pfeiler, den die Räuber als Stütze der Höhle
gebaut hatten. Darauf floss alles auseinander wie Wasser. Ritter Ramme
aber zog sein Schwert, packte eines der Mädchen und fragte sie, warum sie
ihre Arbeit vernichte. Aber niemand antwortete; auch auf die zweite Frage
blieb es still. Erst als der Ritter zum drittenmal fragte, entgegnete das
Mädchen, es könne ihm den Grund nicht angeben, er solle es zur Herrin
des Berges begleiten, dort werde er Weiteres erfahren.
Beide Ritter folgten nun dem Mädchen. Sie wurden in eine große steinerne
Höhle an der Nordwestseite des Brockens geführt. Die Höhle war groß
und schön wie ein fürstliches Schloss. Drin trafen sie die Zauberjette.
Auf die Frage der Ritter, warum sie Befehl zur Vernichtung ihrer Arbeit
gebe, erhielten sie den Bescheid, auf dem Brocken sei der Bereich der
Zauberjette, und sie wolle allein im Berge herrschen. Wollten die Ritter
in ihren Dienst treten, so sei sie mit deren Bleiben einverstanden; sie
werde dann auch die Räuberbande dulden. Die Ritter entschlossen sich, bei
der Zauberin zu bleiben.
Nach einiger Zeit machten die beiden Ritter eine merkwürdige Beobachtung:
die Macht der Zauberin wurde täglich schwächer. Sie war nämlich, bevor
sie die Dienste der Ritter angenommen hatte, jede Nacht um zwölf Uhr zum
Wolfsbrunnen geeilt, der unten am Brocken liegt, und hatte dort drei
Handvoll Wasser getrunken. Daher rührte ihre Zauberkraft. Dies hatte sie
aber, seit die Ritter bei ihr waren, versäumt. Deshalb nahm ihre Kraft
fortwährend ab.
Als die Zauberjette merkte, dass sie dem Tode nahe sei, zeigte sie den
Rittern all ihre Schätze. Fünf ihrer Dienerinnen ließ sie frei. Dann
holte sie eine Flasche und einen goldenen Becher, um noch einmal auf das
Wohl der Ritter zu trinken. Während der Ritter Ramme gerade zum Trinken
ansetzte, trat aus dem Hintergrund der Höhle ein alter Mann hervor und
rief: "O du alte Zauberjette, nun sind die zwölf Jahre um, für die
du mich in den Schlaf gezaubert hast."
Der
Ritter Ramme ließ vor Schrecken den Becher zu Boden fallen: in dem alten
Mann erkannte er seinen Vater. Dieser sagte zu ihm: "Ich bin dein
Retter, mein Sohn; denn was du hättest trinken sollen, ist das übelste
Gift."
Darauf zog der Sohn sein Schwert und schlug der Zauberjette den Kopf ab.
Ein
furchtbares Krachen im Berge entstand. Der schwarze Hund, der eben noch in
der Höhle gekauert war, winselte auf und zog sich zurück. Nun kamen auch
die Räuber angesprungen. Da verwandelte sich der Hund in einen alten
Mann, der aufatmend jubelte: "Gott sei gelobt! Das bedeutet für mich
die Erlösung, ich habe jetzt nichts mehr zu bewachen, alles ringsum gehört
nun euch."
Auch heute noch sind die Goslarer Bergwerke tätig, die Schätze der
Zauberjette zu heben.
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