SOLARIS - Aus dem Leben von Paramahansa Yogananda


Die Welle und das Meer

„Die Göttliche Mutter sagte mir einmal: ,Denen ich zu viel gebe, denen gebe ich mich nicht selbst.’"

Meister erklärte uns den Unterschied zwischen der freudigen Aufnahme göttlicher Gnade, von Gott als ein Zeichen Seiner Liebe gespendet, und dem Verlangen nach den Gunsterweisen selbst.

„Sucht Gott um Seiner selbst willen", sagte er uns, „nicht einer Gabe wegen, die er euch zukommen lassen könnte." Ungleich vieler Verfechter der spirituellen „Neuen Idee" lehrte er uns, dass die wahren Zeichen für Spiritualität in der Gelassenheit allem gegenüber liegen, ausgenommen die Liebe Gottes. Religion zu einer Angelegenheit der „Manifestationen" einer endlosen Folge weltlicher Güter zu machen hieße, aus dem Materialismus eine Religion zu machen. Der ernsthafte Sucher zieht es vor, eher ein einfaches Leben zu „manifestieren". Alles, was er besitzt, hält er ohnehin für Gottes Eigentum, das er auf federzeitiges Verlangen freudig an seinen Eigentümer zurückzustellen bereit ist.

Meister pflegte zu sagen: „Wann immer ich jemanden sehe, der etwas, das mir gehört, notwendiger braucht als ich, gebe ich es ihm."

„Vor einigen Jahren", erzählte er uns, „hatte ich ein erlesenes Musikinstrument, eine Esraj aus Indien. Ich liebte es, devotionale Musik darauf zu spielen. Eines Tages bewunderte sie ein Besucher. Ohne zu zögern gab ich sie ihm. Jahre danach fragte mich jemand: ,Wart ihr nicht zumindest ein wenig betrübt?’ ,Niemals auch nur einen Augenblick lang!’ erwiderte ich. Sein eigenes Glück mit anderen zu teilen, erweitert es nur."

Meister behielt für sich persönlich nur gerade genug Geld, um seine Reisen zu den verschiedenen ashrams bezahlen zu können. Selbst diesen Betrag gab er oft weg.

Allen äußeren Vergnügungen gegenüber zeigte er die gleiche Indifferenz. Das war keine Apathie; Enthusiasmus für alle Aspekte des Lebens war vielmehr ein Kennzeichen seiner Persönlichkeit. Aber es war klar, dass er die Dinge nicht um ihrer selbst willen genoss, sondern deshalb, weil sie auf verschiedene Weise seinen einzigen, unendlichen Geliebten verkörperten.

Grosse Meister haben die Macht, das karma anderer anzunehmen, ähnlich einem starken Mann, der Schläge auf seinen eigenen Körper einstecken kann, die eigentlich einer schwächeren Person zugedacht waren. Gelegentlich nehmen sie große Mengen von karma auf sich - besonders gegen Ende ihres Lebens -, um ihren Jüngern durch die Jahre ohne die körperliche Gegenwart des gurus hindurch zuhelfen. Zu solchen Zeiten mag ihr eigener Körper zeitweise von Leiden betroffen sein.

Solch ein Geschenk war es, das Meister uns nun gewährte. Das Ergebnis war, dass er für eine gewisse Zeit nicht gehen konnte.

Lächelnd jedoch bemerkte er: „Dieser Körper ist nicht alles. Manche Leute haben Füße, können aber überhaupt nicht gehen!"

Eines Nachmittags half ich ihm in seinen Wagen. „Es geht Euch besser, Sir", rief ich dankbar aus.

„Wem geht es besser?" Meisters Ton war unpersönlich. „Ich meinte Euren Körper, Sir."

„Wo liegt der Unterschied? Die Welle, die sich vom Busen des Ozeans fortpflanzt, bleibt weiter ein Teil des Meeres. Das ist Gottes Körper. Wenn er ihn in gute Verfassung bringen will, gut. Es ist am besten, unvoreingenommen zu bleiben. Wenn dir Gesundheit beschieden ist, und du ihr verhaftet bist, dann wirst du immer Angst davor haben, sie zu verlieren. Und wenn du an guter Gesundheit hängst und krank wirst, dann wirst du immer um das Gut trauern, das du verloren hast.

Das größte Problem des Menschen ist der Egoismus, das Bewusstsein der Vereinzelung. Es bezieht alles, was geschieht, auf sich als etwas, was ihn persönlich betrifft. Warum betroffen sein? Du bist nicht dieser Körper. Du bist Er! Alles ist Geist."

Eines Abends sprach er über seine Krankheit und meinte: „Es war nichts! Wenn das Mahl der Weisheit aus der Schüssel des Lebens gegessen worden ist, macht es keinen Unterschied mehr, ob man sie behält oder wegwirft. Der Mensch ist auf die Erde hier gestellt worden, um Gott zu suchen. Das ist der einzige Grund für seine Existenz. Freunde, Beruf, materielle Interessen: All dies für sich allein bedeutet nichts."

Einer der Mönche fragte: „Sir, ist es falsch, Gott um materielle Dinge zu bitten?"

„Es ist in Ordnung, wenn du sie brauchst. Aber du solltest immer sagen: ,Gib mir dieses oder jenes, vorausgesetzt, du bist damit einverstanden.’ Viele der Dinge, welche die Leute so dringend wollen, erwiesen sich als schädlich für sie, wenn sie sie bekämen. Überlass es Gott, was du haben solltest!"

Worum immer es Meister in der Konversation ging - ob es nun ein Aspekt des geistigen Pfades war oder eine vollkommen gewöhnliche Aufgabe, die er erledigt haben wollte - wenn man feinfühlig genug „lauschte", dann spürte man immer eine subtile Kraft von ihm ausgehen. Lenkte man dieses Gewahrsein nach innen, so fühlte man sich durch einen vermehrten Sinn für Freude und Freiheit gesegnet.

„Ist dieses Werk eine neue Religion?" fragte ich ihn eines Tages. „Es ist ein neuer Ausdruck", korrigierte er mich.

Die Wahrheit ist unteilbar: sanatan dharma, wie sie in Indien genannt wird - „die ewige Religion". Die großen Weltreligionen sind allesamt Zweige auf diesem einzigen Baum.

Sektierertum ist zersplitternd. „Das eine Meer ist zu all seinen Wellen geworden", sagte mir Meister einmal, als ich ihn über seine Rolle in der in der religiösen Evolution dieses Planeten befragte. „Du solltest auf das Meer schauen, nicht auf die kleinen Wellen, die aus seinem Busen hervortreten."
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Aus: "The Path" von Swami Kriyananda, direkter
Jünger Paramahansa Yoganandas


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