Vorträge von
Paramahansa Yogananda
Die Moskito Plage!
"Während meiner ersten Monate im Ashram erteilte mir Sri Yukteswar
eine heilsame Lehre, die für mich den Höhepunkt meiner bisherigen
Schulung bedeutete: ”Wie man die Moskitos überlistet”. Zu Hause pflegten
wir nachts immer Moskitonetze aufzuspannen. Wie ich jedoch beunruhigt feststelle,
wurde diese Vorsichtsmaßnahme in der Einsiedelei nie getroffen. Dabei
waren die Insekten in Massen vertreten, so dass ich von Kopf bis Fuß
zerstochen wurde. Mein Guru hatte Mitleid mit mir: ”Kauf dir ein Netz und
bring mir auch eins mit”, sagte er lachend und fügte hinzu:”Wenn du
nur eins für dich kaufst, stürzen sich die Moskitos alle auf
mich!” Dankbaren Herzens kam ich dieser Auforderung nach. Von da an gab
der Guru jedesmal, wenn ich über Nacht in Serampur blieb, den Auftrag,
die Netze aufzuspannen. Eines Abends jedoch, als wir von einen Schwarm
Moskitos umgeben waren, versäumte der Meister, seine gewohnte Anweisung
zu geben. Besorgt lauschte ich den unheilverkündenden Summen der Insekten.
Als ich mich schließlich ins Bett legte, sandte ich ein Stoßgebet
in die ungefähre Richtung der Moskitos. Eine halbe Stunde später
hustete ich absichtlich, um die Aufmerksamkeit meines Guru zu erwecken.
Die Moskitostiche und vor allem das unaufhörliche Summen, mit dem
die Insekten ihren blutrünstigen Ritus vollzogen, machten mich fast
wahnsinnig. Doch der Meister reagierte nicht darauf, sondern blieb unbeweglich
liegen. Vorsichtig näherte ich mich ihm und stellte fest, dass er
überhaupt nicht atmete. Es war das erste mal, dass ich ihn aus nächster
Nähe im Yoga-Trancezustand erblickte, und mir wurde unheimlich. “Sein
Herz schlägt nicht mehr”, dachte ich und hielt im einen Spiegel unter
die Nase. Kein Atemhauch war darauf zu erkennen. Um mich doppelt zu vergewissern,
hielt ich im minutenlang mit dem Fingern Mund und Nase zu. Sein Körper
war kalt und regungslos. Bestürzt lief ich zur Tür, um Hilfe
herbeizuholen. “So! Du bist ja ein vielversprechender Experimentator! Meine
arme Nase!” rief der Meister da, der sich vor Lachen nicht mehr halten
konnte. “Warum gehst du nicht zu Bett? Soll sich etwa die ganze Welt deinetwegen
ändern? Ändere dich selbst und befreie dich von dem Moskito-Komplex!”
Mit hängendem Kopf kehrte ich in mein Bett zurück; und kein Insekt
wagte sich mehr in meine Nähe. Da verstand ich, dass der Guru die
Netze nur meinetwegen hatte besorgen lassen; er selbst kannte keine Furcht
vor Moskitos. Er konnte sich innerlich immun machen oder durch Anwendung
bestimmter Yoga-Methoden verhindern, dass sie ihn stachen. “Er hat mir
ein Beispiel geben wollen”, dachte ich. “Das ist der Yoga-Zustand, den
ich erreichen muss. ”Ein echter Yogi kann jederzeit ins Überbewusstsein
eingehen und trotz der vielen Ablenkungen, die es immer auf dieser Erde
geben wird-z.B. dem Summen der Insekten oder dem grellen Tageslicht-, in
diesem Zustand verharren.
Die lehrreichen Moskitos waren auch Anlass einer weiteren Lektion, die
ich schon früh im Ashram erhielt. Es war um die Zeit der Abenddämmerung,
als mein Guru in in seiner unnachahmlichen Weise die heiligen Schriften
auslegte. Ich saß friedlich zu seinen Füssen, als ein unverschämter
Moskito in das Idyll einbrach und meine Aufmerksamkeit beanspruchte.Als
er seine giftige “Injektionsnadel” in meinen Schenkel bohrte, erhob ich
automatisch die Hand zur Rache. Doch dann schob ich die Hinrichtung auf,
weil mir gerade in diesem Augenblick ein Aphorismus des Patanjali über
Ahimsa (nicht-Verletzen) einfiel. Warum führst du dein Werk nicht
zu Ende?” “Meister! Billigt Ihr etwa, dass man einem Tier das Leben nimmt?”
“Nein. Aber in Gedanken hast du den Todeshieb bereits versetzt. “Das verstehe
ich nicht! “Mit Ahimsa meint Patanjali, dass man den Wunsch zu töten
überwinden muss.” Sri Yukteswar las in meiner Seele wie in einem aufgeschlagenem
Buch. “Diese Welt ist nicht so eingerichtet, dass, man Ahimsa wortwörtlich
befolgen kann. Die Menschen sehen sich oft gezwungen, schädliche Tiere
auszurotten. Doch sie stehen unter keinem ähnlichen Zwang, Zorn oder
Hass zu empfinden. Alle Lebewesen haben das Recht, die Luft der Maya zu
atmen. Der Heilige, der die Geheimnisse der Schöpfung entschleiert
hat, lebt auch in Harmonie mit den zahllosen rätselhaften Ausdrucksformen
der Natur. Jeder Mensch wird diese Wahrheit erkennen, sobald er seine Zerstörungslust
überwunden hat."
Aus: "Autobiographie eines Yogi" von Paramahansa Yogananda
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