Heilige und Satgurus


JOHANNES VOM KREUZ

Das Spanien der frühen Neuzeit war nicht nur geprägt von einer religiösen, wirtschaftlichen und egozentrischen Machtpolitik, es war auch die Keimstätte einer mystischen Spiritualität, die bis dato unvergleichbar war. In der katholischen Welt gab es sicher lich Vorläuferströmungen,zu nennen wären hier die Gnostiker der Spätantike, die Vorstellungen der mittelalterlichen Bettelorden und natürlich die deutschen Mystiker (Meister Ekkehart, Tauler, Seuse).Es gibt aber auch Anklänge an etliche religiöse Randgruppen der damaligen Zeit, weiters auch an diesbezügliche Erfahrungen in anderen Religionen und Kulturkreisen.

Getragen wurde diese Bewegung von den Karmeliten Theresa von Avila und Johannes vom Kreuz.Das entscheidend Innovative war die langsame Distanzierung von einem starren, dogmatisch hierarchischen Katholizismus, aber auch von einer masochistischen, selbstquälerischen und weltfremden Sekte. Auf der anderen Seite geschah eine Hinwendung zu einer Innerlichkeit, die das Göttliche das "Himmelreich" in der eigene Seele lokalisiert, Gott ist nicht mehr ein außerhalb gelegenes, patriarchalisches, strenges Gebilde, sondern ein geistiges Etwas, das als komplementäre Instanz der eigenen Seele nicht nur geliebt werden kann, wie in einer partnerschaftlichen Beziehung. Es gibt darüber hinaus auch die Möglichkeit der liebe- und sehnsuchtsvollen Annäherung und Vereinigung.

In der religiösen Literatur oben erwähnter Karmeliten wird die prinzipielle, seelische Ausrichtung und Dynamik,diverse Schwierig keiten und Gefahren am Weg, Stufen und Abschnitte der Entwicklung und auch die schwer in Worte ausdrückbaren Erlebnisse der Ver einigung mit beziehungsweise des Aufgehens im Göttlichen beschrie ben. Sprachlich werden viele Bilder, Symbole und Vergleiche ver wendet, wahrscheilich deshalb weil diese subtilen Gefühle nicht anders veranschaulicht werden können, vielleicht war aber auch diese Bildersprache notwendig um Anfeindungen und Verfolgungen der Inquisition zu entgehen.

Biographie und Bibliographie des Johannes vom Kreuz:

Der kleine Juan de Yepes wurde 1542 in Fontiveros in Kastilien als Sohn einer armen Weberin geboren. Die Kindheit und Jugend war geprägt durch den frühen Tod des Vaters, durch einen mehrfachen Wohnortwechsel und durch materielle Not. Er arbeitete als Pfleger im Seuchenhospital und erhielt nebenher eine gediegene Schul bildung bei den Jesuiten. Er trat 1563 in den Karmeliterorden ein, studierte nach dem Noviziat in Salamanca Theologie und Philosophie und wurde 1567 zum Priester geweiht. Als P.Fray Juan de la Cruz - Pater Johannes vom Kreuz - wurde er von Teresa von Avila für ihren Plan, Reformklöster des Karmel zu gründen, gewonnen. Er beginnt 1568, zusammen mit zwei Mitbrüdern, in Duruelo karmelitisches Leben nach den Vorgaben Tereses zu leben; wird Novizenmeister und Studienleiter seiner jungen Mitbrüder und dann Beicht vater und Spiritual der Schwestern in Avila (Kloster der Mensch werdung). Infolge ordens- und kirchenpolitischer Mißverständnisse und Anfeindungen wird er 1577 von Mitbrüdern des Stammordens verschleppt und in Toledo gefangengehalten. Nch neun für Körper und Geist qualvollen Monaten gelingt ihm die Flucht..In den folgenden Jahren übt er verschiedene Leitungsämter im teresianischen ("unbeschuhten") Ordenszweig des Karmel aus, gründet Klöster, predigt, ist seelsorgerlich tätig und fasst seine geistlichen Schriften ab. Aufgrund eines Richtungsstreites im neuen Orden wird er später aller Ämter enthoben. Am 14.Dezember 1591 stirbt er in Übeda/Andalusien.

Vom literarischen Schaffen sind uns Briefe, Gedichte, Kommentare und Anweisungen erhalten. Entstanden sind die Werke in der Zeit der Gefangenschaft in Toledo und in den Jahren danach, jeweils im Anschluß an geistige Erlebnisse und Entr~ckungszustÖnde. Johan nes vom Kreuz besaß eine intensive mystische Begabung und war Meister in der Darstellung des verinnerlichten Lebens und des Zustandes der Versenkung und Entrückung. Seine Erfahrungen gibt er in den Gedichten und Lehrbriefen weiter.

Das Vorbild seiner Poesie ist wegen des gleichnishaften Charakters das Hohe Lied Salomos. Einige seiner häufigsten Themen sind das Bild von Braut und Bräutigam und die mystische Hochzeit. Im Gedicht "Der geistliche Gesang" wird diese Thematik verdeutlicht. Die Gefühle zweier Liebender bei Trennung und beim Vereintsein wird parallelgesetzt dem Unglück des von Gott Verlassenseins und dem Glück der Nähe Gottes. Im Gedicht "Die lebendige Liebesflamme" werden Empfindungen und Probleme am Weg zu Gott beschrieben. Das Gedicht "Die dunkle Nacht" ist Teil des umfangreicheren Werkes "Empor dem Karmelberg". Der Weg zu Gott wird abgesehen von einer Liebesbeziehung mit der Besteigung eines Berges äquivalent gesetzt. Anzeichen für den Beginn der Reise und Hindernisse am Weg zeigt Johannes insbesondere in dem zum Gedicht zugehörigen Kommentar auf.

"Die dunkle Nacht" bedeutet, daß die von Liebe zu Gott erfüllte Seele ihren Leib verläßt. Die Loslösung vom Irdischen ist schmerz haft, doch der Glaube, daß Gott selbst diese Trennung bewirkt und am Ende des Weges auf die Seele wartet, läßt sie alle Beschwernis se auf sich nehmen. Am Ziel ihrer Liebe angekommen wird sie mit Gott vereint.

Die dunkle Nacht

"In einer dunklen Nacht, die Liebesglut - o gückliches Geschehen zum Sehnsuchtsbrand entfacht, entfloh ich ungesehen und lieB mein Haus schon tief in Ruhe stehen.

Ich konnt' in Heimlichkeit, vermummt, auf schmaler Treppe sicher gehen, gedeckt von Dunkelheit - o glückliches Geschahen! - und ließ mein Haus schon tief in Ruhe stehen.

Sollt niemand meiner achten in dieser Segensnacht; auch wollte ich mir selbst kein Ding betrachten; nichts andres führte mich, als nur mein Licht im Herzen innerlich.

Dies hat mich hingeleitet, Viel sich 'rer als das volle Licht am Tage, wo er sich mir bereitet, zu dem ich Liebe trage; und kein Geschöpf uns dort zu stören wage.

O Nacht, die holder scheint als Morgenrot, in ihren dunklen Falten die Liebenden vereint, bis göttliche Gewalten die Liebste in den Liebsten umgestalten.

An meiner Brust, allein für ihn erblüht, genoß er traute Rast; hier schlief Er friedlich ein; ich labte meinen Gast, und Kühlung fächelte ein Zedernast.

Als schon der Morgenwind sein Haar umspielte, fühlt' am Nacken streichen ich Seine Hand, so lind; dies traf mich ohnegleichen und ließ mir alle Sinne süß entweichen.

Vergessen sog mich ein. Ich blieb, das Haupt dem Liebsten angeschmiegt, und ließ mein ganzes Sein entschwinden. Eingewiegt ist unter Lilien mein Gram versiegt."

Kommentar:

Voraussetzung für den Aufstieg zu Gott ist das Läutern und Leerwerden der Sinne und des Geistes, es ist als ob die Seele in nächtlicher Dunkelheit verharren muß. Zwei Leidens-Nachterlebnisse werden unterschieden: die Nacht der Sinne, in der die Loslösung von allem Irdischen erfolgt, und die Nacht des Geistes, in der das Selbst aufgegeben wird. In diese dunkle Nacht beginnen die Menschen hineinzugehen, wenn Gott sie nach und nach aus dem Zustand der Anfänger herausholt -dh aus dem Meditieren auf dem geitlichen Weg (= diskursive Betrachtung von Glaubenswahrheiten und Schriftstellen, bei der der Hauptakzent auf die Leistung des Menschen fällt)- und anfängt, sie in den Zustand der Fortschreitenden, dh der Kontemplativen (= Selbstmitteilung Gottes, die dem Menschen ohne sein eigenes Zutun zuteil wird. Darin wird dem Menschen das Licht der Weisheit und die Wärme der Liebe Gottes eingegossen) zu versetzen. Der Anfänger muß geistliche Unvollkommenheiten überwinden zB die Uberheblichkeit (Lust vor anderen über geistliche Dinge zu sprechen, andere zu verurteilen, sie herabzusetzen, beim Beichtvater eine Sonderstellung einnehmen zu wollen, eigene Fehler zu verharmlosen), die Habgier (gierig danach sein geistliche Ratschläge zu hören, geistliche Vorschriften zu lernen, entsprechende Bücher zu haben und zu lesen, übertriebenes Verwenden von Heiligenbildern, Rosenkränzen, Reliquien), die Unzucht (sexuelle Regungen, Angeregtsein zu sinnenhaftem Geschmack und Wonne), der Zorn, die geistliche Genußsucht (extreme Bußübungen, Fasten, zu häufiges Beichten und Kommunizieren), geistlicher Neid (gegenüber fortgeschritteneren Mitbrüdern), geistliche Trägheit (lustloses Beten). An drei Anzeichen kann der Aspirant erkennen, daß er sich auf dem Weg der Nacht der Läuterung des Sinnenbereiches und der Aufgabe des diskursiven Denkens befindet: der Mensch findet keinen Geschmack und Trost mehr in den geschaffenen und auch göttlichen Dingen. weiters findet er keine Befriedigung an Dingen des Verstandes und des Geistes; zweitens richtet er seine Gedanken angstvoll auf Gott, voll Sorge, er würde ihm sonst nicht dienen, er ist unfähig die Dinge Gottes zu verkosten, ganz bekümmert denkt er dauernd an Gott, hat dabei aber das Gefühl Rückschritte zu machen; das dritte Anzeichen ist, daß er nicht mehr mit der Vorstellungskraft meditieren und diskursiv denken kann, hier beginnt sich Gott mitzuteilen, aber nicht mehr über den Sinnenbereich, sonderndurch den reinen Geist, in dem es keine aufeinander folgende Gedanken gibt. Desweiteren besteht auch eine große Sehnsucht nach Einsamkeit, um in der liebevollen Gegenwart Gottes zu bleiben. Damit ist die erste, rationale Phase der Geistesentwicklung durchlaufen und er ist bereit für die nächste, nämlich die intuitive.

Der Mensch tritt in die dunkle Nacht ein, begleitet von vielen Ängsten, Befürchtungen, Unsicherheiten, Zweifeln, glaubt sich ver lassen, den Weg verloren zu haben, findet nirgends Halt und Stütze, verliert auch seine Gelassenheit und seinen inneren Frieden.

Entsprechend dem Vers in der ersten Strophe wird der Mensch von brennender Liebessehnsucht entflammt.

Johannes beschrebt es als gückliches Geschehen, wenn der Mensch von der Welt der Sinne Abschied nimmt, denn diese Nacht bringt viele Vorteile: er erkennt sich selbst und seine Armseligkeit, er erfährt wiesehr Gott als Licht in der Finsternis aufscheint, bekommt nicht nur Einblick in seine Unzulänglichkeit und Armselig keit, sondern auch in die Größe und Herrlichkeit Gottes, er lernt geistliche Demut und Nächstenliebe und wird gefügig und gehorsam auf dem geistigen Weg. Er denkt voll Furcht und Besorgnis ständig an Gott und kommt dadurch in allen Tugenden auf einmal vor an. Er übt sich in der Liebe und in der Tugend des Starkmuts, erfährt Frieden, innerliche Reinheit und überwindet geistliche Fehlhaltungen wie Zorn, Neid, Trägheit.

Der Mensch "entflieht ungesehen" weil er aus allen geschaffenen Dingen herausgeht und von den sinnlichen Gedanken nicht gesehen, nicht aufgehalten wird.

Er läßt sein Haus, das ist sein Körper, mitsamt der niederen Ein wohnerschaft, das sind die vier Antribe, nämlich Freude, Schmerz, Hoffnung und Furcht, in Ruhe stehen.

Die Nacht kann unterschiedlich ausgeprägt sein, entweder steht überreizte Sexualität im Vordergrund (Geist der Hurerei), oder blasphemische Gedanken (Geist der Gotteslästerung), oder skrupulöse Gedanken (Geist der Verdrehung).

Wenn die zweite Nacht, die des Geistes, beginnt, werden die Unvollkommenheiten des Fortgeschrittenen deutlich, nämlich Gewohnheiten und Unvollkommenheiten, die die Läuterung des Sinnesbereiches nicht erfassen konnte und die wie Wurzeln im Geist geblieben sind.

Es ist ebenfalls eine dunkle Nacht, weil er darin von geistlichen Unkenntnissen und Unvollkommenheiten geläutert wird und für die Liebeseinung mit Gott vorbereitet wird. Er erlebt sie als schmerzvoll, weil das göttliche Licht heller und klarar ist, und er seine eigene Dunkelheit umso deutlicher wahrnimmt. Der Mensch fühlt sich auch von allen Freunden verlassen und verachtet, in sich selbst nur Armseligkeit und Leere. Auch wird er von einem Gefühl der Erbärmlichkeit und Schlechtigkeit beherrscht, und findet dadurch bei keinem geistlichen Meister Trost und Stütze, Hilfe und Güte erlebt er als Schmerz. Er gaubt sein Gebet als un gehört, den Weg zu Gott als verschlossen.

Aus dieser Nacht können wir lernen, daB das läuternde Licht am Beginn des Weges das selbe ist, wie jenes das uns zur letzten Vervollkommnung führt. Wir lernen auch das alle Schmerzen durch eigene Schwächen bedingt sind und daß wir durch das Liebes feuer nicht nur geläutert und gereinigt werden, sondern auch entflammt.

In der zweiten Strophe erfahren wir, daß der Weg über eine schmale Treppe führt, das ist der lebendige Glaube. Die Dunkel heit bezieht sich auf alle sinnlichen und geistlichen Strebekräfte, die eingeschlafen und zur Ruhe gekommen sind. In der Dunkelheit spüren wir die Hand Gottes, die uns wie einen Blinden führt. Erst dadurch wird der Weg sicherer, wir verstehen Ansätze zur Besserung dort, wo wir sie am wenigsten erwarten. Die Dunkel heit symbolisiert auch alle Bitterkeit auf dem Weg.

Die Treppe ist schmal und geheim, weil das Wirken des Erkenntnis vermögens geheimnisvoll ist.

Die Treppe hat zehn Stufen, nämlich wird der Mensch zuerst einmal krank durch die Liebe, er verliert den Geschmack an allen Speisen und verändert seine Gewohnheiten. Zweitens wird er ver laßt, ohne Unterlaß Gott zu suchen. Auf der dritten Stufe erfährt er Werke, die ihm Wärme eingeben. Auf der vierten wird er zu ständigem Erdulden befähigt. An der fünften verlangt er voll Ungeduld nach Gott. Bei den weiteren Stufen lernt er leichtfüßig zu Gott zu laufen, er wird wagemutig, erlangt Festigkeit, Zärtlichkeit und gleicht sich Gott schließlich völlig an.

Er geht vermummtdh er verhüllt sich mit dem weißen Kleid des Glaubens, damit der Böse ihn nicht sieht, mit dem grünen Kleid der Hoffnung, um vor der Welt sicher zu sein, und mit dem roten Kleid der Liebe zum Schutz vor fleischlichen Gelüsten.

Auch der höhere Teil der Seele, das geistige Haus, kommt zur Ruhe.

In der dritten Strophe wird deutlich, daß in dieser die Sinne nicht mehr auf die Seele achten und sie berühren können. Der Mensch hält sich auf seinem Weg zu Gott nicht mehr mit welt lichen Dingen auf, er wird nur durch seine Liebe geführt.

© Urheberrecht und copyright by Prema, Wien, 1996
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