GESCHICHTEN
VON RABBI ISRAEL BEN ELIESER,
GENANNT DER BAAL-SCHEM-TOW
AM
BAUM DER ERKENNTNIS
Es
heißt, die Seele des Baal-Schem-Tow sei einst, als alle Seelen in der Adams
versammelt waren, in der Stunde, da er am Baum der Erkenntnis stand, geflohen
und habe nicht von der Frucht des Baums gegessen.
DER
SPRUCH DES VATERS
Israel
wurde seinen Eltern in ihrem Alter geboren, und sie starben weg, als er noch ein
Kind war. Da sein Vater den Tod nahen fühlte, nahm er den Knaben auf den Arm
und sprach zu ihm: "Ich sehe, dass du mein Licht zum Leuchten bringen
wirst, und mir ist nicht beschieden, dich großzuziehen. Aber, geliebter Sohn,
gedenke wohl all deine Tage, dass Gott mit dir ist und du daher kein Ding der
Welt zu fürchten hast." Dieser Spruch blieb im Herzen Israels.
ÜBER
DEN DNJESTR
Ein
Zaddik erzählte: "Schon als der Meister noch ein Knabe war, kam Ahia von
Silo, der Prophet, zu ihm und lehrte ihn die Weisheit der göttlichen Namen. Und
weil er noch so klein war, begehrte es ihn zu erfahren, was zu wirken in seinem
Vermögen stünde. Eines Tages warf er einen Gurt in den Fluss Dnjestr, der reißend
ging, sprach einen Namen und ging über das Wasser. Um diese Handlung hat er
dann all seine Tage Busse getan, dass er den Makel wieder zurechtschaffe, und es
geriet. Denn einmal musste er den auch diesmal reißend gehenden Fluss überqueren,
weil etliche Hasser der Juden ihn nachsetzten und ihm ans Leben wollten. So warf
er seinen Gurt ins Wasser und ging darüber, ohne einen Namen zu sprechen, mit
nichts gerüstet als mit dem großen Glauben an den Gott Israels."
DER
ERSTE KAMPF
Es
wird von Israel ben Elieser erzählt: Als der Knabe heranwuchs, verdingte er
sich als Schulhelfer. Er holte am Frühmorgen die Kinder aus den Häusern und
brachte sie in die Schule und ins Bethaus. Er sprach ihnen die Worte des Gebets,
die im Chor gesprochen werden, wie "Amen, es sei Sein Großer Name gesegnet
in Ewigkeit", mit einer lieblichen Stimme vor. Im Gehen sang er ihnen vor
und lehrte sie, zusammen mit ihm zu singen. Zuletzt führte er sie über Wiese
und Wald wieder nach Haus. Die Chassidim erzählen, im Himmel habe man sich
allmorgendlich dieser Lieder erfreut wie einst des Gesangs der Leviten im
Heiligtum zu Jerusalem. Es waren Stunden der Gnade, in denen die himmlischen
Scharen sich versammelten, um den Stimmen der Sterblichen zu lauschen. Darunter
aber war auch Satan. Er verstand wohl, daß, was sich da bereitete, seine Macht
auf Erden bedrohte. So ging er in den Leib eines Zauberers ein, der sich in
einen Werwolf zu verwandeln wusste. Als einmal Israel singend mit seiner Schar
durch den Wald zog überfiel sie der Unhold, und die Kinder stoben schreiend
auseinander. Etliche unter ihnen erkrankten vom Schreck her, und die Väter
beschlossen, dem Treiben des jungen Schulhelfers Einhalt zu tun. Er aber
gedachte der Sterbensworte seines Vaters, ging von Haus zu Haus, versprach den
Leuten, ihre Kinder zu schützen, und es gelang ihm, sie zu bewegen, dass sie
ihm die kleine Schar noch einmal anvertrauten... Mit einem kräftigen Stecken
versehen, führte er sie das nächste Mal an, und als der Werwolf wieder
hervorbrach schlug er ihm den Stecken an die Stirn, dass er auf der Stelle
verreckte. Tags darauf fand man den Zauberer tot auf seinem Bett.
DIE
HEIRAT
In
seiner Jugend war Israel ben Elieser Hilfslehrer in einer kleinen Gemeinde
unweit der Stadt Brody. Die Leute wussten nichts von ihm; weil aber die Kinder
mit einem so fröhlichen Eifer bei ihm lernten, wurden auch die Väter ihm
wohlgesinnt. Bald verbreitete sich der Ruf, dass er weise sei; man kam zu ihm
sich Rats zu erholen; wo es einen Streit gab, wurde der junge Lehrer angegangen,
ihn zu schlichten. Er tat es so, dass der Mann, gegen den er entschied, den
Spruch mit nicht geringerer Zufriedenheit vernahm als sein Gegner, zu dessen
Gunsten entschieden worden war, und beide guten Muts von dannen zogen. Einmal
hatte der Vater des großen Gelehrten Rabbi Gerschon Kitower, Rabbi Efraim,
einen Rechtshandel mit einem Mitglied der kleinen Gemeinde, deren Kinder der
Baalschem lehrte. Sie einigten sich darauf, ihre Sache vor den jungen Lehrer zu
bringen und ihn zu befragen. Als sie seine Stube betraten und Rabbi Efraim ihn
ansah, erschrak er; denn von der Stirn Israels leuchtete ihm ein geschwungenes
Zeichen entgegen, vollkommen gleich dem unvergesslichen, das er einen Blick lang
auf der schmalen Stirn der eigenen Tochter gesehen hatte, als ihm einst die
Wehmutter die neugeborene wies. Mit schwerer Zunge brachte er sein Anliegen vor;
doch wie er die gesenkten Augen wieder erhob, war das Zeichen verschwunden.
Israel hörte zu, fragte, hörte wieder, dann sprach er das Urteil; und alsbald
zog in die Herzen beider Männer, die es vernahmen, der Friede ein, denn ihnen
war, als sei das lichte Recht selber aus der Nebelwand der Meinungen
hervorgetreten. Hernach kam Rabbi Efraim zum Baalschem und bat ihn, er möge
seine Tochter zum Weibe nehmen. Israel stimmte zwar zu, bestand aber auf einer
zwiefachen Bedingung: die Vereinbarung solle zunächst geheim bleiben, und in
der Urkunde, die aufgesetzt werden sollte, dürfe nicht - wie es üblich war -
seine Gelehrsamkeit gerühmt und seine Person nicht anders als mit dem Namen
Israel ben Elieser erwähnt werden; "denn", so fügte er hinzu,
"Ihr wollt mich und nicht mein Wissen Eurer Tochter zum Gemahl". Es
geschah nach seinem Wunsch. Als Rabbi Efraim von seiner Reise heimkehrte,
erkrankte er plötzlich und starb nach wenigen Stunden. Sein Sohn, der gelehrte
Rabbi Gerschon Kitower, kam, ihn zu bestatten. Unter den Schriften des Vaters
fand er auch die Heiratsurkunde und las, daß seine Schwester einem Mann ohne
gelehrten Titel und ohne den berühmten Namen eines bedeutenden Geschlechts
zugesprochen sei. Nicht einmal die Heimat des Fremden war genannt. Sogleich
teilte er der Schwester mit heftigen Worten das Unerhörte mit. Sie aber
erwiderte nur, wenn dies des Vaters Wille gewesen sei, könne nichts anderes auf
der Welt das Rechte für sie sein. Israel wartete indes, bis das Jahr seines
Lehramts um war. Dann legte er sein Gewand ab, kleidete sich in einen kurzen
Schafspelz mit breitem Ledergurt, wie ihn die bäurischen Männer tragen, und
nahm deren Art auch in Rede und Gebärde an. So kam er nach Brody und in Rabbi
Gerschons Haus. Israel tat dem Rabbi zu wissen, er sei gekommen, sich sein Weib
zu holen. Bestürzt rief Rabbi Gerschon die Schwester herbei, dass sie den Mann
betrachte, auf den die Wahl des Vaters gefallen sei. Sie sagte nichts als:
"Wenn er es so bestimmt hat, ist es von Gott bestimmt" und hieß die
Hochzeit rüsten. Ehe sie zum Baldachin gingen, unterredete sich der Baalschem
mit seinem Weibe und offenbarte ihr sein Geheimnis. Doch musste sie ihm geloben,
es unverbrüchlich zu bewahren, was immer auch über sie kommen möge; er
verschwieg ihr nicht, dass großes Elend und vielfältige Bedrängnis ihrer
harre. Sie sagte nur, es sei recht so. Nach der Hochzeit sah Rabbi Gerschon
bald, dass es unmöglich war, seinem unwissenden Schwager die Thora zu lehren,
ja ihm auch nur ein Wort der Lehre beizubringen. Endlich sprach er zu seiner
Schwester: "Ich schäme mich deines Mannes. Willst du dich von ihm trennen,
so ist es gut. Willst du es nicht, so kaufe ich dir Pferde und Wagen, und du
kannst mit ihm fahren, wohin du magst." Das war sie zufrieden. So fuhren
sie von dannen, bis sie in ein karpatisches Städtchen kamen, wo die Frau
Wohnung nahm. Israel ging in die nahen Berge, baute sich eine Hütte und grub
Lehm. Sie kam zwei- oder dreimal in jeder Woche zu ihm, half den Lehm auf den
Wagen laden, brachte ihn in die Stadt und verkaufte ihn um weniges Geld.
SEGEN
UND HINDERNIS
Der
Baalschem fragte einst seinen Schüler, den Rabbi Meir Margaliot: "Meirl,
entsinnst du dich noch des Sabbats, als du die Fünfbücher zu lernen begannst -
die große Stube deines Vaterhauses war voller Gäste, man hatte dich auf den
Tisch gestellt, und du trugst deine Rede vor?" Rabbi Meir sprach:
"Wohl entsinne ich mich. Plötzlich kam meine Mutter herein und riss mich
mitten in der Rede vom Tisch. Mein Vater wurde unwillig, sie aber zeigte nur auf
einen Mann im kurzen Bauernpelz, der an der Tür stand und mich ansah; Da
verstanden alle, dass sie das böse Auge fürchtete. Während sie noch nach der
Tür zeigte, war der Mann verschwunden." "Ich war es", sagte der
Baalschem. "In solchen Stunden kann ein Blick großes Licht in eine Seele
schütten. Aber die Furcht der Menschen baut Wände vor das Licht."
WENN
DER SABBAT NAHTE
Die
Schüler eines Zaddiks, der ein Schüler des Baalschem gewesen war, saßen
mittags vor Sabbat beisammen und erzählten sich Wundertaten des Baalschem. Der
Zaddik, der nebenan in seiner Stube saß, hörte sie. Er öffnete die Türe und
sprach: "Was habt ihr euch Wundergeschichten zu erzählen. Erzählt euch
von seiner Gottesfurcht! An jedem Sabbatvortag begann ihm das Herz so gewaltig
zu pochen, dass wir alle, die bei ihm waren, es hörten."
DIE
SCHAUFÄDEN
Ein
Zaddik erzählte: "Die Schaufäden am Gebetsmantel des heiligen
Baalschemtow haben in sich Leben und Seele gehabt. Sie konnten sich bewegen,
ohne dass der Leib sich bewegte. Denn durch die Heiligkeit seines Tunst hatte
der heilige Baalschemtow Leben und Seele in sie gezogen."
ZUM
LEIB
Der
Baalschem sprach zu seinem Leibe: "Ich wundere mich, Leib, dass du noch
nicht zerbröckelt bist aus Furcht vor deinem Schöpfer."
ÜBER
DIE TAUCHBÄDER
Der
Baalschem sprach: "Alles verdanke ich den Tauchbädern. Tauchen ist besser
als kasteien. Die Kasteiung schwächt dir die Kraft, die du zu Andacht und Lehre
brauchst, das Tauchbad steigert sie."
DER
TANZ DER CHASSIDIM
Am
Fest der Freude an der Lehre vergnügten sich die Jünger im Haus des Baalschem;
sie tanzten... und tranken... und ließen immer neuen Wein aus dem Keller
holen... Nach etlichen Stunden kam die Frau des Baalschem in seine Kammer und
sagte: "Wenn sie nicht aufhören zu trinken, wird bald für die Sabbatweihe
kein Wein mehr übrig sein." Er antwortete lachend: - "Recht redest
du. Geh also zu ihnen und heiße sie aufhören." Als sie die Tür der großen
Stube öffnete, sah sie: Die Jünger tanzten im Kreis, und um den tanzenden
Kreis schlang sich lodernd ein Ring blauen Feuers... Da nahm sie selber eine
Kanne in die rechte und eine Kanne in die linke Hand und eilte, die Magd
hinwegweisend, in den Keller, um alsbald mit den gefüllten Gefäßen zurückzukehren.
DER
MEISTER TANZT MIT
An
einem Abend des Festes der Freude an der Lehre tanzte der Baalschem selber mit
seiner Gemeinde. Er nahm eine Schriftrolle in seine Hand und tanzte mit ihr.
Dann gab er die Rolle aus der Hand und tanzte ohne sie. In diesem Augenblick
sagte einer der Schüler, der mit den Bewegungen des Baalschem sonderlich
vertraut war, zu den Gefährten: "Jetzt hat unser Meister die leibliche
Lehre aus der Hand getan und hat die geistige Lehre an sich genommen."
DER
KANTOR DES BAALSCHEMTOW
Einer
der Schüler fragte einst den Baalschem: "Was soll mein Geschäft in der
Welt sein?" "Kantor", sagte er. "Aber", wandte jener
ein, "ich kann doch nicht singen!" "Ich will dich",
antwortete der Zaddik, "an die Welt der Musik binden." Aus diesem Mann
ist ein Sänger ohnegleichen geworden, und man nannte ihn weit und breit den
Kantor des Baalschemtow. Nach vielen Jahren kam er mit seinem Basssänger, der
ihn nie verließ, nach Lisensk, zu Rabbi Elimelech, dem Schülerschüler des
Baalschem. Der Rabbi und sein Sohn Eleasar konnten lange nicht übereinkommen,
ob man die beiden am Sabbat im Bethaus mit dem Chor vorsingen lassen solle, denn
Rabbi Elimelech fürchtete, er würde durch den kunstvollen Gesang in seiner
Andacht gestört werden; aber Eleasar machte geltend, um der Heiligkeit des
Baalschemtow willen dürfe man dem Mann die Ehrung nicht vorenthalten, und es
blieb dabei, dass er am Sabbatempfang singen sollte. Als er jedoch begann,
merkte Rabbi Elimelech, dass die große Andacht dieses Gesangs in die seine
einströmte und ihn von Sinnen zu bringen drohte, und er musste die Einladung rückgängig
machen. Doch behielt er den Kantor den Sabbat über bei sich und erwies ihm
viele Ehren. Nach Sabbatausgang lud ihn der Rabbi aufs Neue zu sich und forderte
ihn auf, von der Leuchte Israels, dem heiligen Baalschemtow, zu erzählen. Der
Mann begann zu reden, und es war offenbar, dass alle Inbrunst seines Herzens,
die sonst in sein Singen einzugehen pflegte, in sein Reden einging. Er erzählte,
wie der Meister in der Folge der Lobgesänge keinen Vers sprach, ehe er den
besonderen Engel dieses Verses gesehen und seine besondere Melodie gehört
hatte. Er erzählte von den Stunden, in denen sich die Seele des Meisters zum
Himmel erhob und der Leib wie tot zurückblieb. Dort unterredete sich die Seele
mit wem sie sich unterredete, mit Mose dem Getreuen Hirten, und mit dem Messias,
und fragte und bekam Antwort. Er erzählte, wie der Meister mit jedem Geschöpf
der Erde in dessen Sprache zu reden wusste und mit jedem Himmelswesen in dessen
Sprache. Er erzählte wie der Meister, wenn er irgendein Gerät sah, sogleich
die Beschaffenheit des Mannes kannte, der es gemacht hatte, und seine Gedanken,
während er es machte. Und dann stand der Kantor auf und bezeugte, er und seine
Gefährten hätten die Thora durch den Mund des Meisters empfangen wie Israel am
Sinai durch Donner und Posaunenschall, und noch sei die göttliche Stimme auf
Erden nicht erstorben, sondern währe fort und lasse sich hören. Einige Zeit
nach dem Besuch in Lisensk legte sich der Kantor hin und starb. Dreißig Tage
danach, es war wieder ein Freitag, kam der Basssänger vom Tauchbad und sagte zu
seiner Frau: "Ruf schnell die Totenbruderschaft zusammen, dass sie für
meine Bestattung Sorge tragen; denn man hat im Paradies meinen Kantor betraut,
zum Sabbatempfang zu singen, und er will es nicht ohne mich tun." Er legte
sich hin und starb.
DIE
PREDIGT
Man
bat einst den Baalschem, nach dem Gemeindegebet zu predigen. Er begann die
Predigt, inmitten aber erfasste ihn ein Beben, wie es ihm zuweilen inmitten des
Gebets widerfuhr; er brach ab und sprach: "Ach, Herr der Welt, dir ist es
offenbar, nicht zu meiner Ehre spreche ich...", und wieder brach er ab, und
dann stürzten die Worte aus seinem Mund: "Vieles hab' ich erkannt, vieles
hab' ich vermocht, und da ist keiner, dem ich's eröffnen könnte." Und
sprach nicht weiter.
DER
HOFREINIGER
Der
Baalschem kam einst kurz vor dem Neuen Jahr in eine Stadt und fragte die Leute,
wer hier an den Furchtbaren Tagen vorbete. Sie antworteten, es sei der Raw der
Stadt selber. "Und wie ist sein Brauch beim Beten?" fragte der
Baalschem weiter. "Am Versöhnungstag", sagten sie, "trägt er
alle Sündenbekenntnisse mit den fröhlichsten Weisen vor." Der Baalschem
schickte um den Raw und befragte ihn nach dem Grund seines seltsamen Verhaltens.
"Der geringste unter den Knechten des Königs", erwiderte der Raw,
"der den Außenhof vom Schmutz zu säubern hat, singt zur Arbeit seine fröhlichen
Liedlein; denn er tut sein Werk, um den König zu erfreuen." "So möge
mir", sagte der Baalschem, "ein Los neben dem Euren zufallen."
DIE
WAHRHEIT
Der
Baalschem sprach: "Was bedeutet das, was die Leute sagen: "Die
Wahrheit geht über die ganze Welt?" Es bedeutet, dass sie von Ort zu Ort
verstoßen wird und weiterwandern muss."
DER
KRUG
Der
Baalschem sprach einmal zu seinen Schülern: "Wie im Blatt die Kraft der
Wurzel, so ist in jedem Gerät die Kraft des Menschen, der es gemacht hat, und
dessen Beschaffenheit und Gebaren sind daraus zu erkennen." Da fiel sein
Blick auf einen schönen Bierkrug, der vor ihm stand; er deutete darauf und
sprach weiter: "Ist es diesem Krug nicht anzusehen, daß ihn ein Mann ohne
Füße gemacht hat?" Als der Baalschem geendet hatte, nahm einer der Schüler
von ungefähr den Krug, um ihn auf die Bank zu stellen. Aber sowie er darauf
stand, zerfiel er in kleine Brocken.
DIE
KLEINE HAND
Durch
Rabbi Nachman von Bratzlaw ist uns dieser Spruch seines Urgroßvaters, des
Baalschemtow, überliefert: "Wehe, die Welt ist voller gewaltiger Lichter
und Geheimnisse, und der Mensch verstellt es sich mit seiner kleinen Hand".
DIE TIERE Es wird erzählt: "Einst war der Baalschem genötigt, den
Sabbat auf freiem Felde einzuweihen. Er weidete aber unfern eine Schafherde. Als
er den Segen sprach, der die nahende Braut Sabbat begrüßt, erhoben sich die
Schafe auf ihre Hinterfüße und blieben so, dem Meister zugewandt, bis er das
Gebet vollendet hatte. Denn solange es die Andacht des Baalschem vernahm, war
jedes Geschöpf in seiner Urhaltung, wie es am Throne Gottes steht."
DER
FLUSS UND DAS LICHT
Es
wird erzählt: "Eine Frau aus einem Dorf unweit von Mesbiz kam oft
hingefahren und brachte allerhand Gaben, Fische und Geflügel, Butter und Mehl,
ins Haus des Baalschem. Unterwegs musste sie durch einen kleinen Fluss. Einmal
war der Fluss über die Ufer getreten, und als die Frau dennoch hinüberzukommen
versuchte, ertrank sie. Der Baalschem grämte sich um die gute Frau. Im Gram
verwünschte er den Fluss, und er versiegte. Aber der Fürst des Flusses erhob
im Himmel Klage, und es wurde entschieden, es solle irgend einmal wenige Stunden
lang wieder Wasser im Fluss sein, und der Fluss solle über die Ufer treten, und
jemand von den Nachkommendes Baalschem solle hindurch wollen, und keiner dürfe
ihm helfen, es sei denn der Baalschem selber. Mehrere Jahre nach seinem Tode kam
ein Sohn nachts des Weges, verirrte sich und fand sich vor dem Fluss, den er des
hochgehenden Wassers wegen nicht wiedererkannte. Er wollte ihn durchqueren,
wurde aber bald von den Fluten erfasst und mitgerissen. Da sah er über dem Ufer
ein brennendes Licht, das erleuchtete Ufer und Fluss. Er holte seine Kraft
zusammen, entrann der Flut und erreichte das Ufer. Das brennende Licht ist der
Baalschem selber gewesen."
NACH
DEM TOD DER FRAU
Ein
Zaddik erzählte: "Der Baalschemtow erwartete, er werde einst im Sturm wie
Elija zum Himmel auffahren. Als sein Weib starb, sprach er: "Ich habe
erwartet, ich würde im Sturm wie Elija auffahren zum Himmel. Jetzt aber, da ich
nur noch der Halbscheid eines Lebens bin, kann es nicht mehr sein."
DER
HIRT
Immer,
wenn das Licht seinen Boten sendet, sendet auch die Nacht ihren Boten. Das Licht
hat nur seinen Blick, aber die Nacht hat tausend Arme. Der Bote des Lichts hat
nur seine Tat, aber der Bote der Nacht hat tausend Gebärden. Damals hieß er
Jakob Frank. Aller Kunst des Trugs kundig, fälschte er das Heiligste, durchzog
mit zwölf Erwählten die Städte Polens und ließ sich als den Messias und
Gottessohn verehren. Der farbige Bann der Lüge ging von ihm aus, sein weiches,
glänzendes Auge berauschte das Land, und jedes schwankende Herz fiel ihm zu. An
einem Morgen fühlte der Baalschem eine Hand auf seiner Schulter, und als er
sich wandte, sah er den Engel des Kampfes mit bleicher Stirn und zürnenden
Brauen. "Was begehrst du, o Herr?" fragte er mit unsicherem Mund.
Jener aber sprach: "Du weißt es", und ging. Seine Hand war von der
Schulter des Baalschem gewichen, aber eine Last war geblieben und wollte nicht
weichen. So rüstete der Baalschem sich. Und da er sah, daß der Kraft, die in
ihm wohnte, nicht genug war zum Werk, beschloß er, alle Strahlen heimzurufen,
die er je an irdische Wesen gespendet hatte. Er beschwor weithin die Strahlen,
warf einen Ruf über die Erde und sprach: ,,Kehret heim, meine Kinder, denn ich
bedarf euer zum Kampf". Alsbald flogen die Strahlenkinder herbei und
umlagerten ihn schweigend in weitem Kreis. Israel, Sohn des Elieser, der
Baalschem blickte weit hinaus, wo Sphäre der Seinen sich leuchtend um Sphäre
schloß, wie die sinkende Sonne am Tagesrand ihr Bild anschaut, ausgegossen im
Abendrot über alle Fernen. Sodann sprach er mit leisen und langsamen Lippen:
,,Einst habe ich euch entsendet und hingeschenkt, Trost oder Freude oder Lösung
zu bringen. Aber nun rufe ich euch heim, daß ihr wieder mein seiet und mir in
dem großen Streit wider den Boten der Nacht helfet. Ich hätte euch nicht
gezogen von den Stätten der Welt, darin ihr wachset und Leben weckt, wenn es
nicht um das Heil ginge und um die Geburt der Zukunft. Nun aber berufe ich
euch". Da war wieder das Schweigen über dem Land. Endlich sprach ein Fünklein:
"Vergib, Meister, und ihr alle vergebet, daß ich dich bitten will, lieber
Herr, du mögest mich wieder an meine Stätte lassen. Denn als du mich aus dir
hingabst, hast du mich in das Herz eines Jünglings gesenkt, der blickte von
seinem Fenster trübselig in eine Welt, die sich starr vor ihm verschloß. Seit
ich aber bei ihm eingekehrt bin, hat sie sich ihm lebendig aufgetan, und der Hügel
vor seinem Fenster ist ihm grün und gelb und rot und weiß, je nach dem Spiel
der Jahreszeiten. Willst du ihm das rauben?" Der Baalschem schwieg und
winkte dem Fünklein Gewährung zu. Aber sogleich hoben andere Stimmen an und
erzählten von den Menschen, die sie aus Zweifel und Leere, aus Taumel und
Bitterkeit, aus Blindheit und Not befreit hatten, und die, wenn sie von ihnen
gingen, wieder in die Finsternis hinsinken müßten. Und bald klang es von
tausend Mündern durch die Luft: "Willst du alle verderben, die du gelöst
hast?" So ertönte tausendfältig die Frage. Lange saß der Baalschem und
lauschte, da aller Ton verklungen war, in die nachzitternde Luft. Dann sprach er
lächelnd: ,,Wohl denn, meine Kinder, ich segne euch zum andern Mal. Kehret
heim!" Er erhob sich und breitete seine Hände über die lichte Schar
....."
VOM
TOD DES BAALSCHEM
Nach
dem Passahfest erkrankte der Baalschem. Doch fuhr er fort, im Bethaus vor dem
Pult zu beten, soweit seine Kräfte es zuließen. Den Schülern, die fähig
waren, sich im Gebet einzusetzen, jetzt aber an anderen Orten weilten, ließ er
keine Nachricht zukommen, und die unter ihnen, die in Mesbiz weilten, schickte
er an andere Orte. Nur Rabbi Pinchas von Korez weigerte sich heimzufahren. Am
Vorabend des Wochenfestes versammelte sich die Gemeinschaft, um, wie alljährlich
um diese Zeit, die Nacht im Werk der Lehre zu verbringen. Der Baalschem sprach
zu ihnen über die Offenbarung am Sinai. Am Morgen ließ er die Vertrauten
holen. Zunächst rief er zwei von ihnen zu sich und wies sie an, dass sie sich
beide mit seinem Leichnam und der Bestattung befassen sollten. Er zeigte ihnen
an seinem Leibe, Glied um Glied, wie die Seele daraus abzuscheiden begehrte, und
lehrte sie das Wahrgenommene bei anderen Kranken anwenden; denn diese zwei gehörten
der Bruderschaft an, die sich mit dem Tod und der Bestattung befasst. Dann ließ
er eine Zehnerschaft sich mit ihm zum Beten zusammentun. Er ließ sich das
Gebetbuch geben und sagte: "Ich will mich noch ein wenig mit Gott
abgeben." Nach dem Gebet ging Rabbi Nachman von Horodenka ins Lehrhaus, um
für ihn zu beten. Der Baalschem sprach: "Umsonst erschüttert er den
Himmel. Er kann nicht zur Pforte hinein, durch die ich einzutreten
pflegte." Als später der Diener einmal in die Stube kam, hörte er den
Baalschem sprechen: "Ich gebe dir die zwei Stunden", und verstand, er
sage zum Todesengel, er brauche ihn die zwei letzten Stunden nicht zu peinigen;
aber Rabbi Pinchas verstand besser, was er meinte. "Er hatte", sagte
er, "noch zwei Stunden zu leben, und von denen sprach er zu Gott, er gebe
sie ihm als Geschenk. Dies ist ein rechtes Seelenopfer." Dann kamen, wie
alljährlich an diesem Tag, die Leute aus der Stadt, und er sprach Worte der
Lehre zu ihnen. Später sagte er zu den Schülern, die ihn umstanden:
"Nicht um mich trage ich Sorge. Ich weiß ja in aller Klarheit: zur einen Tür
geh' ich hinaus, zur andern Tür geh' ich ein." Und wieder sagte er:
"Jetzt weiß ich, wozu ich erschaffen worden bin." Er saß im Bett auf
und sprach eine kurze Lehrrede über den "Pfeiler", auf dem die Seelen
nach dem Tode vom untern Paradies zum obern Paradies, zum "Baum des
Lebens", aufsteigen, und legte den Vers aus dem Buch Esther aus: "Und
damit kam das Mädchen zu dem König." Auch sprach er: "Ich komme
gewiss noch wieder, aber nicht, wie ich jetzt bin." Danach hieß er das
Gebet "Und es sei Huld" sprechen und streckte sich im Bette aus, setzt
sich aber wieder etliche Male auf und flüsterte, wie man es an ihm kannte, wenn
er seine Seele in der Andacht ausrichtete. Eine Weile hörte man nichts mehr,
und er lag still. Danach befahl er, ihn mit dem Laken zu bedecken. Noch hörte
man ihn aber flüstern: "Mein Gott, Herr aller Welten!" und danach den
Psalmvers: "Nicht komme mich der Fuß des Hochmuts an." Die er
angewiesen hatte, sich mit seinem Leichnam und der Bestattung zu befassen,
sagten hernach, sie hätten die Seele des Baalschem wie eine blaue Flamme
aufsteigen sehn.
Im Chassidismus wird dieses Erlebnis des Leuchtens oft erwähnt. Lichterfahrungen werden aus allen mystischen Bewegungen der Welt berichtet. Über Jakob Jizchak von Lublin wird erzählt: "Vor dem Gebet saß der Rabbi jeden Sabbat allein in der Stube, und niemand durfte sie betreten. Einmal versteckte sich dort ein Chassid, um zu erspähen, was dort vorging. Erst sah er nichts weiter, als dass der Rabbi sich an den Tisch setzte und ein Buch aufschlug. Da aber schien in dem engen Raum ein ungeheures Licht auf, dessen Anblick dem Chassid das Bewusstsein raubte". (Martin Buber: "Die Erzählungen der Chassidim")
In jener Zeit, als der Baalschemtov noch in der Einsamkeit lebte und dort ein Gästehaus betreute, kam sein Schwager auf Besuch und dieser erzählte: "In jener Nacht, der letzten vor dem Tag, da dem Baalschem das sechsundreißigste Jahr seines Lebens sich runden sollte, kam ihm vom Himmel die Botschaft, die Zeit der Verborgenheit sei um. Mitten in der Nacht erwachte der Gast in seinem Bett in der Wirtstube und sah ein großes Feuer auf dem Herde brennen. Er lief hinzu, denn er meinte, die Holzscheiter hätten Feuer gefangen. Da sah er: was er fuer ein Feuer gehalten hatte, war ein großes Licht. Ein großes weißes Licht ging vom Herde aus und füllte das Haus. Der Mann zuckte zurück und fiel in Ohnmacht." (Martin Buber: "Die Erzählungen der Chassidim")
Weitere Informationsquellen sind:
M. Eliade: Yoga
Neues Testament: Matth. 17; 1-13. Markus 9; 2-13. Lukas
9; 28-36
Kleine Philokalie (Benziger Verl., 1976)
SSE - SOLARIS
Spirituelle Edition (c) - Verlagsverzeichnis
Der Verlag für Bücher, CD´s und zahlreiche
Artikel mit spirituellen Themen
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