Wissenschaft

Geowissenschaften, Physik
Licht im Dunkel [04.04.2003]


Die natürliche Erklärung einer mysteriösen Leuchterscheinung

Aus dem Nichts erscheinende Lichter, die im Dunkel der Nacht umhertanzen, können einen einsamen Wanderer gehörig erschrecken. Im australischen Outback tun sie das offenbar besonders gern. Ein Wissenschaftler ist sich nun sicher, die natürliche Erklärung für das vermeintlich übernatürliche Phänomen gefunden zu haben.


Wenn Menschen von Leuchterscheinungen erzählen, die auf einmal des Nachts auftauchen und für die es allem Anschein nach keine natürlichen Quellen gibt, so hat das stets den Hauch des Esoterischen. Man ist geneigt, das mysteriöse Erlebnis als Spinnerei abzutun. Und dennoch, manche Region scheint unerklärliche Lichtphänomene förmlich anzuziehen.

Das gilt auch für das Channel Country, eine weite offene Ebene im nordostaustralischen Outback. Hier berichten Menschen seit jeher von seltsamen Lichtern in der Nacht, meist rund, ein wenig verschwommen, die häufig knapp über dem Horizont schweben und Wanderer geradezu zu verfolgen scheinen. Die Aborigines gaben der Erscheinung einen eigenen Namen: Min Min.

Auch John Pettigrew, seines Zeichens Physiologe an der University of Queensland, hatte mehrfach Gelegenheit, das Min-Min-Leuchten zu beobachten. Als er jedoch 1990 das erste Mal ein rötliches Licht tief im Westen über der flachen Ebene sah, glaubte er noch, die Rücklichter des Fahrzeugs seines Kollegen zu sehen. Nachdem ihn die Fahrt mit dem eigenen Wagen jedoch nicht merklich näher an das Licht brachte, und auch der Blick durchs Fernglas nur einen verschwommenen Lichtfleck knapp über dem Horizont offenbarte, hielt er die Leuchterscheinung für die Venus. Irgenwelche atmosphärischen Bedingungen, so dachte er, verzerren wohl das Bild.

Die zweite Beobachtung machte Pettigrew ziemlich genau zwei Jahre später, als er zusammen mit zwei Mitfahrern im Channel Country unterwegs war, um die nächtliche Aktivität eines australischen Greifvogels zu untersuchen. Plötzlich sahen die Männer aus ihrem Auto heraus in rund hundert Metern Entfernung etwas, das sie zunächst für den Wiederschein der Augen einer Katze oder eines Fuchses hielten. Das Licht verschwand allerdings auch dann nicht, als sie die Scheinwerfer abschalteten.

Im Blickfeld ihrer Ferngläser schätzten die Männer den Durchmesser der Leuchterscheinung auf 0,1 bis 0,2 Grad. Die Helligkeit soll mindestens einem Stern der ersten Größenklasse entsprochen haben, war jedoch variabel. Mit einem Kompass versuchten die Forscher das Licht anzupeilen. Senkrecht zu dieser Richtung fuhren Pettigrew und seine Begleiter erst einen und dann weitere vier Kilometer querfeldein, um dann erneut die Richtung zum Licht zu bestimmen. Lediglich um ein Grad war der leuchtende Fleck mittlerweile verrückt, weshalb die Männer die Entfernung auf rund 300 Kilometer schätzten. Müßig zu sagen, dass ein soweit entfernter Punkt wegen der Erdkrümmung selbst von einem erhöhten Posten aus kaum mehr auszumachen wäre. Nach rund zwanzig Minuten verschwand das Licht plötzlich.

Das Interesse Pettigrews war jedenfalls geweckt, und so befasste sich der Wissenschaftler in der Folgezeit eingehend mit dem Phänomen. Dabei sichtete er unter anderem die ausführlichen Berichte von Maureen Kozicka, die die letzten zwei Jahre ihres Lebens damit zubrachte, dem Phänomen auf den Grund zu gehen, selbst jedoch nie ein Min-Min-Licht zu Gesicht bekam. Pettigrew nahm sich auch der unzähligen Theorien an, die um das Phänomen geisterten.

Unter all den Erklärungsversuchen fand er einen am plausibelsten, der zudem ausgezeichnet zu seinen Beobachtungen passte: "Das Min-Min-Licht tritt auf, wenn Licht aus einer natürlichen oder vom Menschen verursachten Quelle gebrochen wird - etwa durch eine invertierte Luftspiegelung oder Fata Morgana - und einen Beobachter erreicht, der mehrere zehn oder sogar hunderte Kilometer entfernt ist", so Pettigrews favorisierte Theorie.

Eine Luftspiegelung soll also die Lichter aus dem Nichts zaubern. Und tatsächlich, bei einer bestimmten Wetterlage - der so genannten Inversion, bei der sich verhältnismäßig kalte, dichte Luft unter warmer Luft befindet - ist die Sichtweite deutlich erhöht. Wie in einem Glasfaserkabel wird dann Licht an der Grenzschicht zwischen der kalten und der warmen Luft reflektiert, sodass ein Objekt über dutzende Kilometer hinweg sichtbar ist - selbst dann, wenn es weit hinter dem Horizont liegt.

Ein Blick auf die Karte zeigte Pettigrew außerdem, dass der Winkel und die Entfernung der zweiten Lichterscheinung genau zu einer schnurgeraden Fernstraße passte, die auf die damalige Beobachtungsposition zuführt. Rücksprache mit Bewohnern eines Ortes an dieser Straße brachte außerdem die Information ein, dass zu der besagten Zeit ein langes Truck-Gespann mit mehreren Anhängern eintraf. Und auch die Jahreszeit passte. So gibt es in diesen Gefilden im Juli, also dem australischen Winter, häufig Inversionswetterlagen.

Als Pettigrew mit einem Experiment selbst ein Min-Min-Licht erzeugte, war für ihn klar, dass die Theorie der Luftspiegelung stimmt: Der Forscher fuhr des Nachts mit seinem Fahrzeug auf das rund zehn Kilometer entfernte Camp seiner Kollegen zu. Obwohl die direkte Sichtlinie durch eine Erhebung versperrt war, konnten die Menschen im Camp das Licht des ankommenden Fahrzeuges als diffusen, über dem Horizont schwebenden Schein erkennen. Per Funk verständigte sich Pettigrew mit dem Camp und schaltete das Licht an und aus - gleichzeitig verschwand und erschien, vom Camp aus gesehen, das Min-Min-Licht in der Ferne.

"Wenngleich eine Fata Morgana eine wundervolle Erscheinung am Tag ist, so kann sie in der Nacht außerordentlich beängstigend wirken, wenn es keinen Hinweis auf den Ursprung einer einzelnen Lichtquelle gibt", weiß Pettigrew. Und als hätte es noch einer weiteren Bestätigung bedurft, zeigte sich am nächsten Morgen eine Luftspiegelung, die am fernen Horizont gleich ein ganzes Felspanorama aus dem Nichts entstehen ließ, genau an der Stelle, wo nachts zuvor noch die fernen Lichter tanzten.

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