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Die Kunst des Handlesens (*)
Noch´n Fehler ??? 300 Jahre ?? oder alles Quatsch ??
Nobby * schrieb am
30. April 2006 um 13:52 Uhr (1074x gelesen):
Hi T.,
hier noch eine Ungereimtheit :
Wahr oder frei erfunden ?
Gruss Nobby
Ein Loch in der Zeit
von Harald Grobner
Urkundenforscher haben es schwer, wenn sie nach verwertbaren Quellen aus früheren Jahrhunderten suchen. Zuallererst existieren keine authentischen Aufzeichnungen aus dem dunklen Mittelalter, und die wenigen chronologischen Berichte, die es gibt, zeugen entweder von einem äußerst mythischen Chronologieverständnis der Schreiber oder sie weisen gravierende Fehler in ihren Datierungen auf.
Gräbt man tiefer in den Bibliotheken diverser Klöster, so stößt man auf zahlreiche Aufzeichnungen aus dem 10. Jahrhundert, deren Datumsangaben nachträglich und aus heutiger Sicht recht stümperhaft geändert worden sind. Auch ersieht man keinen Grund, warum kaiserliche Notare auf ihren Papieren plötzlich einen 300-Jahre-Sprung vermerken sollten und Datumsangaben von um 700 auf das Jahr 1000 ausbessern und bei den Neu-Datierungen noch haarsträubendere Fehler begehen.
Bedenkt man Heribert Illigs These von der erfundenen Zeit 614-911, die, so Illig, vom Duo Kaiser Otto III. und dem Papst Silvester II. nachträglich ins Rad der Geschichte eingefügt wurde, dann erscheinen solche Fehler und ein solches Verhalten freilich nur mehr als natürlich. Welche Motive könnten Kaiser und Papst gehabt haben, eine solch gravierende Geschichtsfälschung zu begehen?
Nun, zuallererst fällt einem das symbolträchtige Jahr 1000 ein, in welchem Otto III. von dem von ihm eingesetzten Papst Silvester II. die Kaiserkrone überreicht bekam. In der christlichen Zeitrechnung stellt das Jahr 1000 einen besonderen Moment dar: Es ist der Beginn des so genannten Siebenten Welttages, der den letzten Zeitabschnitt vor dem Jüngsten Gericht markiert. Besseres könnte Kaiser und Papst aus machtpolitischer Sicht gar nicht passieren, als gemeinsam das letzte Zeitalter einzuläuten.
Einen wirklichen Vorteil aber erwirtschafteten sich Kaiser und Papst nicht nur durch das bloße Vordrehen der Uhr, sondern auch womit sie die imaginären 297 Jahre gefüllt haben. Wie erwähnt erscheinen jegliche Aufzeichnungen aus jener sehr dunklen Zeit von 614 bis 911 wie Märchenerzählungen aus dem Fabulierbuch, und nicht wie nüchterne, sachliche Berichte der sonst so gewissenhaften klösterlichen Chronisten.
Wir denken an Karl den Großen, den christlichen Übervater und Überkaiser, dessen Pomp und Macht die späteren Kaiser, so auch Otto III. und die Vorherrschaft des Christentums in Europa legitimieren und besiegeln sollte. Ein – als reales Ereignis betitelter – Bericht handelt etwa von der Erschaffung Zürichs, die so stattgefunden haben soll:
Der kaiserliche Hof geht auf die Jagd und Karl höchstpersönlich erspäht ein Prachtexemplar von einem Hirschen. Sofort jagen sie dem Tier nach, das aber wie durch ein Wunder ohne jegliche Erschöpfung den ganzen Weg von Aachen bis zum Gebiet des heutigen Zürich (!) zurücklegt, ehe es freiwillig halt macht. Der Kaiser versteht natürlich sofort und lässt an der bewussten Stelle Grabungen anstellen, die wiederum Märtyrergräber zum Vorschein bringen, worauf eine Kirche und bald herum eine Stadt – Zürich – entsteht.
Noch abstruser erzählt sich folgender historischer Bericht vom großen Treffen des Adels, den Karl zu sich ruft: Ein Gesandter des Kalifen überreicht Karl einen Speer als Geschenk. Karl packt den Speer schleudert ihn mit bloßer Hand bis nach Byzanz (!), trifft dort genau die Kuppel der Hagia Sofia (!), der Speer macht kehrt und landet wieder wohlbehalten in Karls Arm.
Für die Untermauerung der eigenen christozentrischen Macht aber noch bedeutsamer eignen sich jene Berichte, in denen Karl in einem einzigen großen Feldzug, der sich über ganz Europa erstreckt, nicht nur die unchristlichen Widersacher besiegt, sondern auch in einem apokalyptischen Weltkrieg Byzanz in die Knie zwingt. Mit einem solchen Überkaiser als Ahne wird jeder Gegner oder Kritiker verstummen.
Bedenkt man weiters das von Illig anvisierte Datum 911, so wird der kulturhistorische Clou noch um einen Tick raffinierter. Denn: Wie sollte es möglich sein, 300 Jahre einfach so zum damaligen Datum hinzuzufügen ohne, dass jemand dagegen aufgetreten wäre? Gehen wir in die Frühzeit zurück, so erkennen wir, dass als Erster Dionysius Exiguus im Jahre 525 seine Osterterminberechnungen "nach Christus" angegeben hat.
Davor zählte man in der so genannten Diokletiansära, die nach Diokletian, dem römischen Kaiser und Christenverfolger benannt ist. Es sollte aber noch einige Zeit dauern, bis sich die neue Datierungsmethode durchsetzen sollte, nämlich ziemlich genau bis zum Auftreten Ottos III., der somit den wenigen in der Zeitrechnung versierten Kennern ein Schnippchen geschlagen hätte: Ändert man nämlich beim Hinzufügen der bewussten 300 Jahre den Bezugspunkt der Zeitrechnung, so ist die Fälschung nur mehr für ausgemachte Experten nachvollziehbar.
Auch in der Baukunst ist ein solcher Zeitsprung nachzuvollziehen. Die wenigen Gebäude, die aus dieser Zeit stammen sollen, wie die Aachener Pfalzkapelle, stellen die Forscher vor ein Rätsel. Seriösen Quellen zufolge war es zur damaligen Zeit gar nicht möglich, solch eine Kapelle zu bauen. Es existiert auch schlicht kein einziges vergleichbares Wunderwerk an Baukunst und Technik, das nicht etwa 300 Jahre später erbaut worden wäre als die Karl dem Großen zugerechnete Aachener Pfalzkapelle, die auf 800 datiert wird.
Das Ausnahmekönnen, das die damaligen Baumeister singulär in Aachen gehabt haben müssen, lässt sich in jeder Faser des Gebäudes nachweisen: Steinbearbeitung, Stütz- und Wölbtechnik der Kuppel, Verankerungsmethode, Beseitigung der Schubkräfte, die eine solche riesige Decke auslöst, Mauerfertigung, Grundform.
Neben dem fast gänzlichen Fehlen baulicher Zeugen der Jahre 614 bis 911 in Deutschland deutet auch das völlige Verschwinden der Maurischen Hochkultur in Andalusien auf die Zeitfälschung Ottos hin: In Berichten wird von den gewaltigen, prunkvollen, großen Gassen der maurischen Städte erzählt, die – für damalige Verhältnisse enorm fortschrittlich – sogar über Straßenlaternen verfügten, wird von den Palästen und Gartenanlagen geschwärmt. Tatsache ist, dass keine einzige Scherbe aus der damaligen Zeit erhalten ist und vorhandene Bauwerke erst ab 950 zuverlässig datiert werden können.
Es ist recht erstaunlich, wie sich der rote Faden von der Erfundenheit von 300 Jahren durch alle Bereiche des Lebens zieht. In einem besonders sensiblen Bereich, der verschiedenen Kalenderrechnungen sind, wie Illig selbst formuliert hat, folgende Parallelen auszumachen:
Das Geschehen in Persien ist schwer ausleuchtbar, so dass wir nur zwei Streiflichter auf bislang Unverständliches fallen lassen können. Trotz der frühen arabischen Eroberung von 641 und der sofort einsetzenden Verdrängung des Zoroastrismus ist Persien, zumal sein Osten, im 10. Jahrhundert noch keineswegs islamisiert. Als Erklärung wird die wohl gleichzeitig einsetzende Toleranz der Moslems in religiösen Dingen bemüht. Diese Toleranz muss im Falle von Persiens berühmtestem Dichter noch mehr strapaziert werden. Firdausi lebte von 939 bis 1020 und beschrieb in 60.000 Doppelversen die Geschichte des iranischen Reichs bis zur arabischen Eroberung (das Schah-Name oder Königsbuch). Warum er es sich leisten konnte, dieses Epos seinem Sultan zu widmen, obwohl es weder die arabischen Heldentaten seit 651 erwähnt noch den Islam noch Allah, ist bislang unerklärt. Erst wenn die Islamisierung des Irans – beim Auskehren der Phantom-Jahrhunderte – ins 10. Jahrhundert rückt, dann klärt sich auch die persische Geschichte. Im Iran lebten im Übrigen auch die Parsen. Schon im letzten Beitrag ist erwähnt worden, dass diese Religionsgemeinschaft bis heute nicht verstanden hat, warum der Kalender ihrer Glaubensbrüder in Indien von dem im Iran geltenden um 300 Jahre differiert. Auch hier stiftet die These von den Phantom-Jahrhunderten Sinn.
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