Die Erschaffung eines Golem

Alfred Ballabene, Wien, 1998

© copyright Alfred Ballabene , Wien

links: Titelbild des Buches "Der Golem" v. E. Petiska (s. Lit.Verz.)

Die Schöpfungsgeschichte und der Golem

Der Schöpfungsgeschichte im alten Testament zufolge schuf Gott Adam, indem er Lehm (nicht Staub) zu einer Menschengestalt formte und ihr die Seele einhauchte. Bei der Erschaffung eines Golems wird dieser Vorgang nachvollzogen: in die Lehmgestalt wird die Seele mit Hilfe des magischen Schöpfungswortes, dem Schem, dem Namen Gottes, hineingebunden. "....entnahm er dem Bücherschrank das Buch "Jezirah" und suchte nach der Stelle, wo von der Schöpfung des Urmenschen Adam die Rede ist".

Zumeist wird der Schem auf ein Pergament geschrieben und dem Golem in den Mund gelegt (verborgen und doch greifbar), bisweilen wird er auch auf der Stirne angeheftet. Durch den Mund hat ja auch Gott dem Adam die Seele eingehaucht und durch den Mund wird beim Sterben die Seele ausgehaucht (alter Volksglaube).

In der Regel herrscht die Meinung vor, daß die Erschaffung eines Golems auf das mystische Judentum beschränkt ist. Dem ist jedoch nicht so. Im Gegenteil, ähnliche Vorgänge, wenngleich unter anderem Namen sind weit verbreitet. Das Prinzip der Belebung eines Abbildes findet sich in einem völlig anderem magischen Sektor wieder - in der Sympathiemagie! Was geschieht in der Sympathiemagie? In eine menschengestaltete Figur wird ein kleiner Teil eines Menschen (Haar, Fingernägel, Kleidungsstück) hineingebracht - ähnlich wie beim Golem der Schem. Der in der Sympathiemagie verwendete Teil eines Menschen wird als materieler Teil erachtet, dem ein Teil der Seele innewohnt oder als Teil der mit dessen Seele verknüpft ist betrachtet. Das entspricht also dem magischen Akt der Beseelung.

Die Erzählungen über den Golem von Prag, der erschaffen wurde von Rabbi Löw sind allbekannt (z.B. von Gustav Meyrink) weshalb ich bei dieser Sage nicht verweilen möchte.


Aus dem Buch von Chajim Bloch: "Israel der Gotteskämpfer" (Verlag unbekannt):

"Der Sohn des "Chacham Zwi", R. Jakob Emden (1696-1776) teilt in seiner Selbstbiographie "Megillat Sefer" folgendes mit: "Von Rabbi Elijahu Baalschem, unserem Großahnen von Chelm, erzählte mir mein Vater, daß er einen Golem gebildet habe, der das Sprachvermögen nicht besaß und ihm als Knecht diente. Einmal bemerkte der Rabbi, daß das Werk seiner Hand an Kraft und Gr4öße außerordentlich zugenommen hatte, dies durch den Schem, welcher, auf einen Papierstreifen geschrieben, an seine Stirn gebunden war. Da ward er Rabbi von Angst ergriffen, der Golem könnte Verderben stiften. Er bemächtigte sich deshalb seiner und riß das Papier von der Stirn des Golem schleunigst ab, so daß die Menschengestalt sich wieder in einen Klumpen Lehm verwandelte."

Er befalhl seinem Jünger, einen Wassereimer und einen Spaten zu holen. Auch Männerkleider händigte er ihm ein. Er selbst trug unter dem Arm das Buch Jezirah und ein Beschneidungsmesser.

Und nun forderte er Simche auf, ihn zu begleiten. Mit dem erwähnten Gerät ausgerüstet, begaben sie sich zu dem Hügel außerhalb der Stadt.

Es war stockfinstere Nacht. Fast konnte man die Dunkelheit mit Händen greifen. Licht wollte Rabbi Elijahu nicht anzünden, um nicht durch dessen Schein seine Handlung zu verraten.

Als sie aber ans Ziel angelangt waren, zerstreuten sich die dichten Wolken, und der Mond beleuchtete den Hügel.
Ringsum herrschte TolenstilIe, kein Laut war vernehmbar. Selbst die Bäume hielten in ihren Bewegungen ein.

Rabbi Elijahu sprach zu seinem Jünger: "Ich hoffe, daiß unsere Absicht die Gnade des Himmels erlangen wird."

Unter einer großen Eiche war ein Brunnen. Hier tauchten MeisIer und Jünger dreimal unter, sprachen einige Psalrnen und nun ging es an die Arbeit....

Mit dem Angesichte gegen Mizrach, den Osten gewendet, grub Rabbi Elijahu Erde vom Boden. Bei jedem Eindrücken des Spatens sprach er verschiedene Gebete.

Als schon eine ansehnliche Menge Erde ausgegraben war, schöpfte Rabbi Elijahu Atem, wischte sich den Schweiß vom Gesichte und sagte mit seinem Jünger verschiedene Psalmabschnitte her.

Er sammelte eine Lehmrnasse in der Menge von zwei Ellen und in der Höhe von fünf Fäusten, ließ seinen Jüiiger Wasser bringen und knetete Lehm und Wasser zu einer Masse, bis es ihm möglich schien, ein Modell zu formen.

Noch hob er nicht an, die Gestalt zu formen, als Simche traurigen Antlitzes wieder an ihn herantrat und mit zagender Stimme sprach: ,,Meister! Es lehrten die Weisen: Dort wo eine Entweihung des Gottesnamens vorliegt, scheut man die Würde des Meisters nicht!' Ich ermahne Euch daher nochmals, das gefährliche Unternehmen zu unterlassen. Mich schaudert schon bei dem Gedanken, den "Heiligen Namen" auszusprechen.''

Darauf Rabbi Elijahu: " Ich werde den Namen Gottes aussprechen, es ist wahrhaft eine gefährliche Tat. Aber ich tue sie in reiner Absicht; meine Brüder will ich retten und es lehrten die Weisen: Wenn wer nur einen Juden rettet, ist es als hätte er eine ganze Welt gerettet! Und darf man denn nicht wegen der Erhaltung eines Meuschen den Namen Gottes aussprechen?"

Also sprach Rahbi Elijahu in großer Verzückung. Er hob die Augen und sprach die dreizehn Eigenschaften des Weltenschöpfers, gepriesen sei sein Name.

Und nun begann er mit rasender Schnelligkeit die Gestalt zu formen.
Es währte nur eine Weile, da lag sie fertig vor ihm. Er wusch sich die Hände und betrachtete sie in großer Ehrfurcht.
Er fühlte, daß eine höhere Macht seine Hand so kunstfertig gemacht.

Wieder den Blick zum Himmel gerichtet, sprach er aus der Tiefe seines Herzens: "Herr der Weölten, Schöpfer aller Kreaturen und aller Seelen. Dir ist's offenbar, daß nicht Ehrgeiz mich zu dieser Arbeit verleitete. Nicht zu eigennützigem Zwecke unternahm ich es, eine Gestalt nach Deinem Ebenbilde zu verfertigen. Ich flehe daher zu Dir: Laß Gnade walten und verleihe mir die Kraft, den heiligen Namen ohne Zagen und ohne Scheu auszusprechen, damit ich nicht strauchle und meines Anteils in der ,kommenden Welt nicht verlustig werde."

Und nun machte er sich daran, das Gefährlichste in seiner Handlung zu unternehmen; den Schem hamforasch, den ausdrücklichen Namen Gottes, aus- zusprechen.

Ein heiliger Schauder erfaßte ihn; schon wollte er vom ganzen Unternehmen zurücktreten.
Da bemächtigte sich seiner die Gewalt des Willens und eine innere Stimme rief ihm zu: ,,Vollende, was du in Heiligkeit unternommen hast.''
Darauf sprach er den ,,ausdrücklichen Gottesnamen". Aber er sprach ihn so aus, wie es der Hohepriester am Versöhnungstage im Allerheiligsten zu tun pflegte: er verschlang ihn.

Beim Aussprechen war sein Blick auf die Gestalt gerichtet, hauptsächlich auf den Kopf, gegen die Hirnstelle.

Er trat an den Lehmkoloß heran, betastete jedes seiner Glieder, wie die eines schlafenden Menschen. Den Geschlechtsteil berührte er nicht, weil er ihm die Kraft des Zeugens nicht geben wollte.

Jetzt erst nannte er geläufig die Namen jener Engel, die über Blut, Nerven, Herz und Hirn gesetzt sind, und Meister und Jünger merkten, daß der Lehmkörper zur Glut wurde.

Unter Beihilfe des Jüngers vollzog Rabbi Elijahu die Beschneidung. Sie sprachen den Segen nicht, doch stimmten sie leise die üblichen Litaneien an. Der Golem rührte sich nicht und auch kein Laut des Schmerzes wurde vernehmbar. Das Blut rann jedoch wie von einem natürlichen Menschen. Nun hieß es dem Golem den Schem, sein eigentliches Leben zu geben. Wohl war Rabbi Elijahu ein Gegner des Brauches der Kablialisten, heilige Namen auf Papier zu schreiben, doch mußte er diesmal gegen sein Prinzip handeln, "weil die Stunde es nötig hatte".

Er schrieb auf einen Pergamentstreifen das Wort "I III I ".Er schrieb dieses Wort, welches vor allemzwei Buchstaben "J" und"H", die Hälfte des ausdrücklichen Gottesnamens, enthält. Das Wort aber bedeutet: "Er soll leben".

Und nun kam der Augenblick, in dem der Schöpfer von dem Werk, das er hier schuf, sich gehoben fühlte.

Jetzt machte er dem Goleni einen Einschnitt oben auf der Stirn und legte den Pergamentstreifen ein.

Als Rabbi Elijahu damit fertig war, machte der Golem eine Miene, wie ein Mensch, der mit einer Feuerrute berührt wird. So war ihn das Leben gegeben.

Nun trat Rabbi Elijahu an die Gestalt heran und sprach mit kräftig anherrschender Stimme:
,,Stehe auf, Israel!"
Er gab ihm diesen Namen, weil auch in ihm ein Gottesname inne ist: Isra-El, der mit Gott kämpfte.

Eine plumpe träge Menschengestalt erhob sich, als stünde sie vom Schlafe auf, und schaute die ihr gegenüber stehenden zwei Männer halb lachend, halb fragend an.

Im dunklen Osten dämmerte es bereits. Der Wind trieb die Wolken vor sich her, auf dem Firmament erschien der Morgenstern.

Rabbi Elijahu wies seinem Jünger mit dem Finger gegen Osten und sprach: ,,Schau! so weicht die Nacht dem Tage. Möge denn durch den von uns erschaffenen Golem alles Böse in diesem Lande niedergerissen werden, daß unsere Morgenröte die finsteren \Volken, die über unserem Volk lasten, durchbrechen könne! Amen."

Nun wurde Rabbi Elijahu von hoher Frreude erfaßt, da er den Golem in seiner Riesengesialt vor sich sah. Denn seit dem Augenblick seiner Belebung war der Golem um einige Fäuste höher und breiter geworden, auch Haar war an seinem Haupt und Antlitz.

Rabbi Elijahu wandte sich an den Golem mit den Worten "Ziehe die Kleider an und folge mir!'' Und der Golem zögerte nicht, die Gewänder anzuziehen und er gehorchte dem Rabbi so willig, als kennte er ihn schon von früher her als seinen Herrn.

Der verträumt aussehende Hügel badete in Frühlingsscbönheil. Die weißen, schlanken Birken senkten ihr leise erschauerndes Gezweig tief auf die dunklen Tannen, daß es wie duftige Schleier darüber hinwehte. Die Sonne spannte ihre Strahlenfäden über die bräutlichen jungen Birkenstämme. Blütenkerzen hingen aus den weißeii Knospen schwer herab und tausend bunte Blumenaugen hoben sich strahlend aus Gras und Moos empor der Sonne entgegen; sie glichen den frohmütigen Hoffnungen Rabbi Elijahus.

Den schmalen Waldweg, der von dem Hügel in die Stadt führt, schritten drei Männer in tiefer Schweigsamkeit. Als sie in des Rabbis Haus kamen, führte Rabbi Elijahu den Golem in seine Kammer der Abgeschiedenheit. Hier unterrichtete er ihn, zu welchem Behufe er ihn erschaffen.

Er sprach zu ihm:
"Ich entbinde dich aller Gebote und Verbote in allen jenen Fällen, wo es sich um irgend eine Gefahr für Juden handelt. Dein einziges Gebot ist, die Befehle deines Schöpfers zu befolgen, mir treu zu dienen."

Der Vorzug des Golems Israel über alle anderen bis dahin erschaffenen Golems war, daß er auch das Hör- und Sprachvermögen besaß, freilich nur in jenen Fällen, da dieses Vermögen nötig war. Er gab daher zur Antwort: "Ich werde alle Eure Befehle treu erfüllen.''

Rabbi Elijahu ließ seine Gattin hereinkommen und sprach zu ihr: "Schau. ein Fremder aus unserem Stamme hatte sich in unserem Orte eingefunden und suchte in unserem Hause Unterkunft. Da der Mann seit längerer Zeit keine Nahrung zu sich genommen, reiche ihm etwas zu essen." Da dies geschehen war, sah Rabbi Elijahu daß der Golem es nicht zustande brachte, Löffel Gabel und Messer zu gebrauchen und die Speise zum Mund zu nehmen. Stumpf und wortlos saß er da. Die Gattin des Rabbi glaubte, er sei des Weges müde und sie sprach zu ihrem Manne leise, er möge den Gast vorher einige Zeit ruhen lassen.

Als sie sich entfernte, sprach Rabbi Elijalin zum Golem: ,,Du wirst in dieser Kammer meiner Abgeschiedenheit dein Lager aufschlagen, damit ich dich neben mir habe, wenn ich dir nachts etwas zu befehlen habe. Vor den Leuten wirst du aber als mein Leibdiener gelten." Nun befahl ihm Rabbi Elijahu sich zur Ruhe zu begeben und so lange zu schIafen, bis er ihn wieder wecken würde. Als der Golem eingeschlummert war, trat Rabbi Elijahu an ihn heran und flüsterte ihm, um sein Golemwesen zu vervollkommnen, noch einige heilige Namen ins Ohr. Durch die eine der Formeln würde er zum Unsicbtbaren gemacht, aber nur für solche Fälle, die seine Unsichtbarkeit bedingen würden.

(Seite 31 bis 40 des oben zitierten Buches)
Weitere Anmerkungen aus einer Korrespondenz siehe am Ende der Seite


Aus dem Buch "Marion" (Zitat unten).

Das Buch erzählt von dem Bemühen um die Auflösung eines Golems, denn die zur Belebung des Golems nötigen Seelenkräfte entstammten den beiden Magiern und waren durch alle künftigen Geburten dadurch gebunden. Nicht nur daß die Seelenkräfte zur Weiterntwicklung den zwei Magiern fehlten, waren beide auch karmisch für alle Taten verantwortlich, welche mit Hilfe ihrer in dem Golem inkorperierten Seelenteile verursacht wurden.

Günther Kretzschmer: "Marion",
Die Lebensbeichte einer Toten.
Turm Verlag, Bietigheim, 1970

So nahm alles seinen Lauf!

Die Gestirne selbst setzten uns noch eine Frist, drei Monate. Erst dann würden die kosmischen Lichter an ihren vorgeschriebenen Orten stehen. Die uns somit noch verbleibende Zeit reichte gerade aus, um die unbedingt notwendigen Vorbereitungen zu treffen.

Die zur Bildung des materiellen Körpers unseres zukünftigen Dieners erforderlichen Stoffe mußten herbeigeschafft und in die vorgesehene Form gebracht werden. Auch erwies es sich als unerläßlich, unsere schon stets betriebenen geistigen Übungen zu höchster Intensität zu steigern.

Tagelang streifte ich durch die Wälder auf der Suche nach reinem, von keiner Menschenhand berührtem Bienenwachs, von welchem wir eine große Menge benötigten. Um eine bestimmte Art schiefergrauen Lehms zu finden, diesen in einer Neumondnacht zu vorgeschriebener Stunde eigenhändig aus dem Boden zu stechen und noch vor Morgengrauen in das Laboratorium zu bringen, bedurfte es meilenweiter Ritte durch die ganze Gegend. Die zur Herstellung des Räucherwerks erforderlichen Kräuter brachten wir nur mit Hilfe eines alten Kräuterweibleins in unseren Besitz. Außerdem brauchten wir das Blut einiger Tiere. Drei Lämmer und einen streitsüchtigen Gockel fanden wir in den Stallungen der Burg. Einen Wolf fing Graf Wenzel im Schlageisen. Ich selbst errichtete im Walde einen kleinen Meiler zum Brennen jungfräulicher Kohle.

Alle sonstigen Gegenstände und Materialien mußten, sofern sie bereits mit anderen Menschen in Verbindung gekommen, entweder für längere Zeit vergraben oder der reinigenden Kraft des fließenden Wassers ausgesetzt werden. Vier Stunden - zwei des Morgens und zwei des Abends - verbrachten wir nun täglich in geistiger Versenkung, um die Macht unserer Gedanken bis in schwindelnde Höhen emporzutreiben. Während dieser Vorbereitungszeit kam es zwischen Wenzel und mir zu keiner körperlichen Vereinigung.

Wir lebten enthaltsam wie im Kloster. Unser ganzes Sinnen und Trachten drehte sich nur um einen, alles übrige ausschließenden Gedanken - die Schöpfung des Xentopolus!

Anfangs glaubte ich noch manchmal, daß wir unsere Mühen an ein Hirngespinst verschwendeten. Doch seltsam, je näher die Stunde der Entscheidung rückte, um so mehr wuchs auch meine Überzeugung, und als ich dann schließlich neben Wenzel im schützenden Rund des Kreidekreises stand, waren alle Zweifel bis an die Grenzen der Ewigkeit gewichen.

Wenn ich jetzt die Augen schließe, steigt die gespenstische Szene wieder mit aller Deutlichkeit vor mein inneres Angesicht:

Rot flackert das Licht der Fackeln in den wallenden Nebeln des Räucherwerkes. Der Dunst glimmender Kräuter legt sich als pressender Reif um meine Brust. Ich fühle mich körperlos, schwebe federleicht im Raume, alle Erdenschwere scheint tief unter mir im Nichts zurückgeblieben. Mein Gehirn ist zu einem Kristall erstarrt, kühl und voller Klarheit ruht es faustgroß in meinem Kopfe, sammelt die Gedanken, wie in einer optischen Linse und lenkt sie in das Zentrum.

Neben mir steht Wenzel. Stolz und gebieterisch die Hand mit dem Stab erhoben, zwingt er die mächtigsten Geister der vier Reiche herbei. Sicher und ohne Stocken tönen die vorgeschriebenen Worte von unseren Lippen, werden zu sichtbaren Formen und dringen ein in die Hülle des unförmigen Kolosses.

Zahllose Stunden haben wir vorher die weiche Masse mit Geist und Händen bearbeitet, all unsere Wünsche und Begierden in sie hineinknetend, ehe wir dem Monstrum seine endgültige Gestalt verliehen. Nun hockt der Götze vor uns, geschaffen aus Feuer, Wasser, Luft und Erde, aus Blut und unser beider Lebenskraft.

Röter und heller wird das Licht, durchdringt die wallenden Wolken, verdichtet sich um das noch leblose Ungeheuer am Rande der schützenden Linie. In letzter Konzentration sammeln wir unser Wollen in der Spitze eines imaginären Pfeiles und schleudern diesen als machtvollen Befehl in die glühende Hölle.

"Xentopolus! - Lebe!"

Ein blendender Blitz schließt mir die Augen. Ein Donnerschlag, als wolle der Felsen über uns zusammenstürzen.

Dann plötzlich Stille. Nur ein leises Knistern aus dem Räucherbecken.
Ich hebe die Lieder.
Da steht er vor mir. - Xentopolus! - Massig und ungeschlacht, mit überlangen, fast auf den Boden hinabhängenden Armen, den Nacken gebeugt, wie unter einer schweren Last, glotzt er blöde vor sich hin.

Wieder hebt Wenzels Rechte den Stab, seine Linke weist schräg abwärts zu Boden, deutet auf ein leeres, weißes Pergament: ,Xentopolus!' - ruft er mit gebietender Stimme, ,schreibe deinen Namen auf dieses Blatt!'

Das Ungeheuer bückt sich nieder, beißt sich in den Finger und schmiert blutige Buchstaben auf die glatte Fläche.

Abermals ertönt Wenzels Stimme: ,Wirf es in den Kreis!'

Mit plumpen Schritten tappt es näher.
,Halt!' - schreit Wenzel, ,überschreite die Linie nicht!'

Zu spät! Ein dumpfes Stöhnen, kraftlos bricht das Wesen in die Knie und fällt zur Seite.

Der Zettel mit dem Namen liegt zu unseren Füßen.

,Alles umsonst!' - hämmert es in meinem Hirn. Ich fühle mich wie ausgelaugt, will erschöpft den Kreis verlassen.

,Halt! Wahnsinnige!'- reißt mich Wenzels Schrei zurück und bannt mich auf die Stelle. Und wieder, doch ruhiger, erklingt die Stimme neben mir: ,Du kannst den Kreis jetzt nicht verlassen. Die Kräfte wirken noch. Was nach den magi- schen Regeln begonnen, muß auch nach den Regeln enden.'

Da bewegt sich der leblose Körper, stemmt sich auf die Beine, wankt zurück an seinen Platz.

"Er lebt", flüstert Wenzel fassungslos, ,die Vernichtung hat ihn nur gestreift!'

Damals empfanden wir nur Erleichterung. Erst viel später begriffen wir, was dieser Vorgang zu bedeuten hatte. Wie mächtig mußte dieses Wesen bereits bei seiner Erschaffung gewesen sein, wenn es den kosmischen Gewalten des magischen Zirkels zu trotzen vermochte.

Und wieder sehe ich ihn vor mir stehen, plump und hilflos wie ein großer, zahmer Bär.

Nun erst beugt Wenzel sich zu Boden, greift nach dem blutbeschmierten Pergament, hält es dem Monstrum entgegen und spricht mit feierlichem Klang:

,Xentopolus dies sei dein Name! Ich bin der Herr und du der Knecht. Mein Wissen soll dich leiten, meine Kraft dich nähren, solange du bestehst. Mit dieser deiner Unterschrift halte ich dein Sein in meiner Hand. Wenn ich dich einst bei deinem Namen nenne und im gleichen Augenblick dieses Pergament in der Flamme vergeht, sollst du in das Nichts zurückweichen, aus dem du durch meine Macht gekommen bist. Solange du mir aber treu und redlich dienst, sollst du am Leben bleiben. Hast du mich verstanden?'

,Ja, Herr!' sagt das Wesen mit dumpfer Stimme. Unterwürfig sinkt sein Kinn auf die Brust hinab.

Wenzel streckt den Stab in seine Richtung:
,So schwöre mir, bei den Vorstehern der sieben Sphären, daß du unseren Vertrag anerkennen und halten willst!'

Er scheint zu überlegen, schaut uns tückisch an und spricht dann doch:
,Ich will es und ich schwöre es!'

,Dann geh in jenen Winkel!' befiehlt Wenzel, ,dort soll dein Platz sein, bis ich dich rufe!'

Mir wurde mit einem Male schwarz vor Augen. Haltsuchend griff ich nach der Sessellehne und rang nach Luft. ,,Fräulein Staneck"' hörte ich die besorgte Stimme des Herrn Kunze neben mir, "Fräulein Staneck! Was haben Sie denn?"

(Seite117 bis 121 aus dem Buch Marion)


Literatur:

1) Chaim Bloch: "Israel der Gotteskämpfer" (Verlag unbekannt)
2) Günther Kretzschmer: "Marion", Die Lebensbeichte einer Toten. Turm Verlag, Bietigheim, 1970
3) Eduard Petiska: "Der Golem", Jüdische Märchen u. Legenden aus dem alten Prag. Lilien Verl., Wiesbaden, 1972
4) Ostjüdische Legenden. mit 52 Bildern von Anatoli L. Kaplan. Aus dem Jüd. übertragen v. A. Eliasberg. Leipzig, Gustav Kiepheuer Verl., 1983

Anmerkungen zu Chajim Bloch:

David,
The books of Chajim Bloch seem to be not available. I for my part have made copies of two of his books. The copies are made of originals of the national library in Vienna or the library of the university (there are no stamps in, therefore I do not know it exactly). Further information are inserted into your text:

David wrote:
I was wondering if you knew any biographical details about Chaim Bloch. I assume that he is also the author of "The Golem". Do you know if he is the same Chaim Bloch (full name Rabbi Moshe Chaim Ephraim Bloch) from Delatyn, Vienna, and finally New York. This Chaim Bloch was the son of R' Avraham Abba Bloch of Delatyn, and is buried in Staten Island, New York. He is also mentioned in Rabbi Meir Wunder's book Meorei Galicia (in Hebrew). It is an encyclopedia of Galician rabbis and scholars.

The story about the golem he wrote in this book deals from:
Rabbi Elijahu Baalschem of Chelm (70 km at the east of Lublin), born 1514.
In the introduction was a remark:
"Die Aufnahme, welche mein Buch 'Der Prager Golem' 1) gefunden hat, ermutigt mich , nun auch vorliegende Sammlung neuer Golem Sagen, die Geschichten des Chelmer Golem, herauszugeben."
1) Small remark: "Der Prager Golem von seiner Geburt bis zu seinem Tod" nach einer alten Handschrift bearbeitet von Chajim Bloch (Wien 1919, "Dr. Blochs Wochenschrift", Wien II )

The second book I know from Chajim Bloch is called "Lebenserinnerungen des Kabbalisten Vital" 1927, Vernay-Verlag, Wien