Was bedeutet eigentlich Erleuchtung?
Copyright KaliShivaTara November 2005
Im Laufe meines spirituellen
Erwachens und Weges habe ich mir diese Frage immer wieder gestellt.
Erleuchtung – das oberste höchste Ziel im Yoga!
Eigentlich hat mich anfangs
diese Erleuchtung nicht sonderlich interessiert, weil ich mir nicht viel
darunter vorstellen konnte. Irgendwann hatte ich in der Meditation ein
wunderschönes Erlebnis und fing an am ganzen Körper golden zu leuchten.
Aha, dachte ich, jetzt bin ich erleuchtet, ist ja logisch, ich leuchte,
ich bin in einem ganz besonderen Liebeszustand und natürlich bin ich
jetzt er-leuchtet. So wie eine Glühbirne die angeknipst wird erleuchtet
ist.
Dann hörte ich aber nach einigen
Stunden wieder auf zu leuchten, da war meine spontane Erleuchtung wieder
weg. Huch, das geht aber schnell dachte ich. Vielleicht wars das doch
noch nicht? Was aber ist es dann und vor allen Dingen – wie ist es?
Ich kam in immer stärkere und
heftigere Zustände, Licht, Licht, Licht, nichts als Licht und
Auflösungszustände, Samadhis und was es noch so alles gibt an unendlich
vielen verschiedenen Liebes – und Lichtzuständen.
Da ich meinen Yogis immer
erzähle, was so gerade mit mir geschieht (keine Sorge, ich erzähle auch
die weniger spektakulären und nicht so lichtvollen Erlebnisse ;-) ),
fragten sie mich immer wieder: „Bist du jetzt erleuchtet?“ „Woher soll
ich das wissen?“ habe ich zurückgefragt. „Woran soll ich denn bitte
schön erkennen, dass ich erleuchtet bin, ich weiß ja nicht einmal genau
was das sein soll.“
Das Leuchten alleine war es nicht, soviel wusste ich mittlerweile.
In der Zwischenzeit hatte ich
meine Gurueinweihung bekommen. „Ein Guru muss aber doch erleuchtet
sein!“ „Ah ja, interessant.“
Ich habe mir dann immer wieder
gedacht, dass ich ja viel zu viele Macken an mir habe, ich bin nicht
heilig. Wenn man aber erleuchtet ist, habe ich mir gedacht, dann läuft
man heilig durch die Gegend, ist immerzu ruhig in seiner Mitte und
überhaupt man lächelt ewig selig vor sich hin. Oh, ich kenne auch diese
Zustände. Ich bin dann superglücklich, bin voller Liebe für alle
Menschen um mich herum, jeder lächelt mich an, sogar wildfremde Menschen
bleiben auf der Strasse stehen und lächeln mich an. Es sprechen mich
fremde Menschen an im Zug, irgendwo, wo immer ich dann gerade bin und
erzählen mir ihr ganzes Leben – einfach so. Alles um mich herum läuft
wie „geschmiert“, ich mache mir überhaupt keine Sorgen, alle Probleme
sind aufgelöst – ein wunderschöner Zustand.
Doch dann kommt eine Situation, ganz unerwartet und mein schöner Zustand
löst sich in Wohlgefallen auf. Die Folge ist eine leichte Depression,
weil es so hart ist wieder auf dem Boden des normalen Lebens zu landen.
Diese schönen Zustände kommen
immer öfters und sie bleiben immer länger, aber jedes Mal komme ich auch
wieder heraus.
Ist das Erleuchtung? Keine Ahnung, irgendetwas sagt mir, dass es das
auch nicht ist.
Einige Altyogis (das sind die, die schon seit über zwanzig Jahren im
Yoga sind, dagegen bin ich ja ein völlig Yoga ungebildetes Küken),
fingen an mir zu sagen, wie ich als Guru zu sein hätte und zu leben
hätte. Hmm, das bin aber nicht ich, wieso sollte ich mich verstellen und
etwas vorgeben zu sein, was mir überhaupt nicht entspricht? Mein
kindlicher Widerspruchsgeist meldete sich zu Wort: „Ich bin nun mal so
wie ich bin, basta! Wenn euch das nicht passt, dann sucht euch einen
anderen Guru, es gibt genug davon! Ich habe mich nicht darum gerissen
ein Guru zu werden, nun bin ich aber mal einer oder vielmehr eine und
das wird schon einen Grund haben.“
Offensichtlich passe ich nicht
in ein gängiges Guruschema hinein. Damit kenne ich mich nicht so aus, so
viele Gurus kenne ich nicht. Überhaupt bin ich eher Guru skeptisch
eingestellt, auch ein Widerspruch in mir. Mengenweise Widersprüche,
mengenweise Unsicherheiten, mengenweise Fehler. Zeitweise halte ich mich
für einen wirklich miesen Guru, nicht einmal erleuchtet bin ich, was
auch immer das sein soll. Wieso habe ich dann von Shiva und Ramakrishna
diese Gurueinweihung bekommen und wieso war mein Guru schon lange davor
so wild darauf mir die Gurueinweihung zu geben, gegen die ich mich mit
Händen und Füssen gewehrt habe? Erst als ich die sichere Erkenntnis in
einer Meditation hatte, dass ich ein Guru werden soll, da habe ich
zugestimmt und im gleichen Moment war es dann völlig unwichtig ob ich
diese Einweihung bekommen würde oder nicht. Mir ist absolut klar, dass
das richtig war, aber warum ich, wo ich doch so unvollkommen war und
bin?
So viele Fragen tauchten auf und
ich fand einfach keine Antwort darauf.
Ein Freund von mir lud mich in
seinen Yogakreis ein und stellte mich vor: „Das ist Kali, sie ist eins
mit Gott.“ „Nein! wollte ich rufen, wie kommst du nur auf diese
Absurdität! Ich doch nicht, die ganzen Fehler und dunklen Seiten in mir!
Niemals ich!“ Gesagt habe ich aber nichts, irgendwie musste ich
innerlich über mich lachen, über diese Situation in die ich da geraten
war und irgendwie war ich erstaunt darüber wie er überhaupt auf so etwas
kommen konnte. Alle nickten beeindruckt, mir war zum Lachen zumute. In
der Pause klärte ich gleich auf, dass ich nicht erleuchtet bin, „eins
mit Gott“ sollte doch sicherlich erleuchtet und heilig bedeuten und
davon war ich nun wirklich meilenweit entfernt.
Dann kam ein langes Jahr in dem
ich keine spektakulären Zustände mehr hatte. Die Liebesschwingung kam
und ging, ich war im Fluss und wieder nicht. Mein Guru sagte mir
mehrmals, ich würde auf der Stelle treten, würde nichts dazu lernen,
mich nicht weiter entwickeln. Daran wären die Männer schuld und der
viele Sex. Aha, wenn man Sex macht kann man nicht erleuchtet sein, so
stehts ja auch in allen Yogabüchern. So ein Mist, ich liebe Sex und ich
liebe Männer. Dann wird das wohl nie etwas werden mit meiner
Erleuchtung, ok, dann eben nicht!
Aber gleichzeitig hatte ich
ständig das sichere Gefühl in mir, dass da irgend etwas nicht stimmig
ist. Was soll ich mit einer Erleuchtung anfangen, wenn ich sie nur
erreichen kann, wenn ich meine Gefühle unterdrücke? „Man braucht dann
keinen Sex mehr“, meinte mein Lehrer, „und wenn es mal zu stark wird,
dann gibt man dem nicht groß nach.“ Na gut, dann werde ich eben nie
erleuchtet sein, dachte ich mir, ich werde mir meine Sinnlichkeit nicht
verklemmen und von alleine geht die nicht weg. Außerdem glaubte ich ihm
nicht, das kann ja vielleicht für einige Menschen stimmen, für mich
stimmte es nicht. Da war sie wieder meine Bockigkeit. Wenn die mich da
oben zum Guru machen, dann hätten sie sich vorher überlegen sollen, wen
sie auswählen, es gab bestimmt noch genügend asketische Bewerber, die
sich darum gerissen hätten diesen „Job“ zu bekommen.
Außerdem wieso soll das falsch sein, wenn ich meine Sexualität auslebe?
Darin sah und sehe ich überhaupt keinen Sinn. Jede Art der Beschränkung
meiner Sinne und jede Art von Unterdrückung meiner Gefühle wird
einseitig und damit unausgewogen. Und wie soll ich auf einem Bein,
praktisch zerstückelt einen Zustand erreichen, der angeblich der höchste
überhaupt ist?
Das stimmte für mich hinten und
vorne nicht.
Nun geschah nichts Spektakuläres
mehr. Meine Energien wurden weiter von Zeit zu Zeit angehoben und
stärker, um mich herum tat sich viel im täglichen Leben, aber von
Erleuchtung keine Spur. Tief in mir drinnen wusste ich genau, dass ich
mich weiter entwickelte, dass diese Phase des Lernens im normalen
Lebensumfeld enorm wichtig war. Es offenbarte sich mir allerdings nicht
sofort was genau ich dort lernte.
Und zack - auf einmal hatte ich
unvermittelt neue Erkenntnisse (Erkenntnisse haben es so an sich, dass
sie plötzlich und unerwartet völlig klar vor einem liegen, meistens dann
wenn man überhaupt nicht damit rechnet, beim Zähneputzen oder in ähnlich
„banalen“ Situationen).
Es war eine Veränderung mit mir
vorgegangen und zwar eine gewaltige Veränderung! Ich konnte ohne
Erwartung und Ansprüche an einen anderen Menschen zu stellen lieben!
Einfach z.B. einen Mann lieben so wie er ist ohne Einschränkungen, aber
im vollen Bewusstsein meiner eigenen Grenzen (keine Allliebe, die äußert
sich anders, diese ist eher so wie oben in dem Liebeszustand
beschrieben). Der „Hasenfuss“ war bei mir immer der gewesen, dass ich
z.B. von den Männern mit denen ich zusammen war irgendwann enttäuscht
wurde und aus meinem Liebeszustand heraus fiel oder dass ich von
Menschen die mir nahe standen enttäuscht war und heraus fiel etc. Wenn
ich aber Liebe schenken konnte ohne eine Gegenleistung zu erwarten, dann
hatte ich einen riesigen Schritt voran gemacht.
Dann zack, die nächste
Erkenntnis, die mir erst vor einigen Tagen kam:
Eine spirituelle Entwicklung hat
überhaupt keinen Wert, wenn die menschliche Entwicklung nicht mithalten
kann! Ich bin wie eine Rakete gestartet, aus dem normalen Leben in einem
atemberaubenden Tempo in höchste Höhen, wofür ich sehr dankbar bin. Aber
irgendwann musste der Rest von mir nachziehen, sonst wäre ich abgezischt
und niemandem mehr von Nutzen gewesen. Natürlich hätte ich mich in eine
Höhle im Wald zurückziehen können, obwohl mir diese Vorstellung momentan
nicht sehr zusagt. Es hat Zeiten gegeben, in denen ich mir nichts
Schöneres vorstellen konnte, zum Glück befinden wir uns nicht im
Himalaja und ich bin meinen Kindern erhalten geblieben. Ich wäre
zerstückelt, anerkannt erleuchtet, heilig - wenn es gut gelaufen wäre -
Wunder vollbringend, irgendwo vermodert.
Das ist nicht mein Weg. Leider
oder eher zu meinem Glück bin ich gezwungen mich mit mir selbst und
meiner Umwelt auseinanderzusetzen. Wenn überhaupt irgendetwas
Erleuchtung bedeutet – so meine momentane Erkenntnis - dann dieses: Sich
selbst anzunehmen, ALLES in sich selbst anzunehmen, hin zu schauen,
nichts zu beschönigen, nichts zu verdammen, nicht aus der Welt fliehen.
Nur so kann sich etwas ändern und nur so kann ich mich weiter
entwickeln. Nicht indem ich aus dem Ego heraus ein feines sorgenfreies
Leben anstrebe, sondern indem ich einfach glücklich bin mit dem Leben
das ich habe und alles was mir geschieht als Geschenk ansehe, ein
Geschenk aus dem ich lernen kann. Nur aus dieser Kraft heraus kann ich
Schülern helfen bei ihren ganz persönlichen Problemen. Nicht indem ich
in der Einsamkeit und Askese allen Problemen aus dem Weg gehe, sondern
indem ich mich meinen eigenen Problemen stelle.
Vielleicht ist gerade das
Erleuchtung. Überhaupt nicht spektakulär, ganz profan und eine
Lebensaufgabe, die nie endet.
Hin und wieder begegnen mir
Menschen, die haben sich nie oder nur sehr wenig mit einem spirituellen
Weg beschäftigt, die sind erleuchtet nach dieser Definition. Da sehe ich
im Fernsehen einen Bericht über eine einfache Bäuerin, die ihr Leben
lang hart gearbeitet hat und denke bei mir „Diese Frau hat es!“ Es
begegnet mir die Mutter eines Freundes und ich denke, „Diese Frau hat es
auch!“ Zugegeben, es kommt selten vor, aber es kommt vor. Bisher konnte
ich nicht genau definieren, was genau diese Menschen „haben“. Nun weiß
ich es. Sie strahlen eine wundervolle Liebe aus, Liebe zu sich selbst
und zu allem um sie herum. Das bedeutet nicht, dass diese Menschen keine
Probleme mehr haben, dass sie sich nicht manchmal ärgern können, es
bedeutet, dass sie größtenteils in dieser Seinsschwingung sind, meist
ohne es selbst zu bemerken. Das bedeutet momentan Erleuchtung für mich.
Vielleicht habe ich in ein paar
Jahren wieder neue plötzliche Erkenntnisse und meine jetzige Erkenntnis
wird revidiert oder erweitert. Ich mag mich nicht festlegen, für mich
ist das oben geschriebene jetzt ein wichtiger Schritt auf meinem Weg,
der hoffentlich noch viele interessante spektakuläre und unspektakuläre
Erfahrungen bereithält.