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Ich hab's !
Irnann schrieb am 13. Mai 2004 um 11:26 Uhr (523x gelesen):
Der Göttinger Soziologe Wolfgang Sofsky, Autor des Buchs «Traktat über die Gewalt», sieht einen wesentlichen Faktor im «freien Spielraum», den diese Täter hatten - in Abwesenheit unmittelbarer Vorgesetzter, aber mit Anweisungen der Art wie «Sorgt mal dafür, dass diese Häftlinge eine schlechte Nacht haben». Sofsky: «Sie quälten also diese Häftlinge nicht, weil sie das auf Befehl mussten, sondern weil sie es durften».
Nach dem, was bisher bekannt geworden sei, unterschieden sich diese Taten von Fällen harter Folter aus der Geschichte, etwa in Südamerika oder bei den französischen Fallschirmjägern in Algerien. «Es hat in Abu Ghoreib relativ wenig wirkliche körperliche Verletzungen gegeben. Im Unterschied zur Folter hatten die dortigen Misshandlungen vor allem mit Demütigung, auch sexueller, Entehrung und Herbwürdigung zu tun. Dazu gehört auf den Bildern der Triumph derjenigen, die vor dem Opfer stehen, also dieses Pärchen Lynndie England und Charles Graner, als hätten sie einen großen Sieg errungen. Sie triumphieren und sie lachen. Das ist Schadenfreude.»
Speziell zu den beteiligten Frauen sagte der Soziologe: «Sie sind sozusagen aus ihrer klassischen Opferrolle heraus. Sie sind in der Täterrolle. Und Männer sollen sich nun aneinander vergehen. Das ist eine Umkehrung dessen, was man sonst an sexueller Demütigung in Kriegssituationen kennt, in denen Männer vergewaltigen, über Frauen herfallen.»
Der Soziologe hält die Rolle der Fotos für sehr wichtig für die Dynamik der Vorgänge. «Manche der Szenen scheinen so arrangiert, dass sie ein gutes Foto abgeben. Der Fotoapparat ist mit ein Auslöser für eine neue Demütigung. Die Bilder sind Trophäen - zur Prahlerei und zur Erinnerung. Das war ein toller Job, ein toller Krieg für uns.» Es gebe in solchen Gruppen häufig so etwa wie eine Rivalität: Wem fällt das Quälendste, das Grausamste ein, wer ist der Tollste von allen! Das sei unabhängig von Befehlen, ergebe sich allein aus der Gruppe.
Die Psychoanalytikerin Annette Streeck-Fischer (Göttingen), Herausgeberin des neuen Buchs «Adoleszenz-Bindung-Destruktivität», nimmt grundsätzlich an, dass «diese jungen Menschen überfordert und im Stich gelassen» sind. Die Soldaten seien mit der Vorstellung in den Irak gekommen, Heilsbringer zu sein und voller Ideale. Stattdessen würden sie dort nun angefeindet, verteufelt und bedroht, so dass sie mit einer völligen Desillusionierung und Entwertung ihrer Vorstellungen konfrontiert seien. «Außerdem befinden sie sich im Irak in einer Atmosphäre ständiger Bedrohung durch Krieg und Kleinkrieg, die sie überfordert und in ihnen Täterdynamiken in Gang setzt sowie Macht- und Unterwerfungshandlungen auslöst.»
Nach Ansicht des Psychoanalytikers Alf Gerlach (Saarbrücken), Mitherausgeber des Buchs «Gewalt und Zivilisation», ist es nach dem Anschlag auf das Wold Trade Center in New York zu einer schleichenden Erosion der Verbindlichkeit von destruktionsbegrenzenden Normen gekommen. «Symbol dafür ist die offene Auffassung der US-Regierung, auf die Gefangenen in Guantanomo sei die Genfer Konvention nicht anwendbar. Das setzt sich im Bewusstsein der Armeeangehörigen, vor allem aber im Unbewussten fest, und erleichtert gewissermaßen dem Einzelnen das Ausleben destruktiv-sadistischer Attacken auch gegenüber Gefangenen in Bagdad», sagte Gerlach.
Sicher werde es in jeder Armee auch Menschen mit einem festen, «schützenden» Gewissen geben, welche auch dann nicht sadistisch handeln, wenn es geduldet wird oder sie sogar dazu aufgefordert werden. Ebenso werde es aber in jeder Armee Menschen geben, welche eine Situation der aufgeweichten Normen nutzen werden, um den in jedem von uns wirkenden destruktiven Sadismus an anderen Menschen auszuleben.

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- Ich hab's ! ~ Irnann - 13.05.2004 11:26 (1)