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Die Kunst des Handlesens (*)
Re: Marokko der Berberstaat
Torweg schrieb am 20. August 2003 um 11:06 Uhr (803x gelesen):
Danke, Großer,
für die wundervollen Worte. Im Großen und Ganzen erinnert es mich sehr an Damaskus, wo sie auch mal schnell auf der Straße neben dir ein Kamel schlachten. Ist halt eine andere Welt, allerdings gibt es dort diese Cash-People nicht. Jedenfalls sind sie mir nicht begegnet. Ich 99 für vier Wochen dort, habe morgens die Schule besucht und bin mittags in der Stadt geschlendert oder in die Wüste gefahren.
Marokko klingt wild und schön, archaisch und doch schon von der Zivilisatin verdorben, aber das ist wohl überall so im sog. Orient. Vielleicht kann ich da ja mein Arabisch aufbessern. Zur Zeit reicht es gerade zum Überleben.
Esstechnisch klingt das ja auch sehr lecker. Die haben da ja Spezereien, die man hier überhaupt nicht kriegt, leider. Und Tee habe ich auch literweise getrunken.
Was die Zeit angeht, hatte ich die gleichen Erlebnisse. Ich habe mich dort auch sehr schnell wohlgefühlt. Als ich wieder in Deutschland war, habe ich sechs Wochen gebraucht, bis ich wieder so durchgeknallt und leistungsorientiert war wie vorher. Ich weiß noch wie ich am ersten Tag in meinem Büro saß und nur gelacht hab, weil ich nicht glauben konnte, was für Hektiker auf den Gängen rumstürzen. Geht mir heute auch oft so.
Jedenfalls freut es mich sehr, daß du eine gute Zeit gehabt hast. Wärest du nach Irland gefahren, hättest du bestimmt auch spannende Abenteuer erlebt, wir hatten Sommerstürme, Nebel, wilde Brutzelhitze, einen bunten irischen Wettermix.
Heute fahre ich übers Wochenende zu meinem Engelchen, bin ab Montag wieder an Bord, bis dahin alles Liebe und Gute, Torweg
> Hallo Torweg,
> ich gebe dir gerne einen kleinen kulturellen Rundblick. 40 Prozent der Marokkaner sind Berber (der Rest Araber) und sprechen demnach die Berbersprache (in vielen Dialekten, die verbreitetsten sind Tamazight, Tarifit und Tachelhit), Amtssprache ist Arabisch, als Geschäftssprache ist auch Französisch stark verbreitet, in ehemals spanischen Gebieten auch Spanisch. Es leben auch viele Schwarze in Marokko die einst als Sklaven ins Land geholt wurden.
> Die Berbersprachen enthalten sehr viele deutsche Worte, weil die Deutschen im 1600 Jahrhundert dort waren, so stimmen die Berber ebenfalls mit dem Wort "Ja" zu oder sagen beispielsweise "Knee" zum Knie. Problematisch wird es bei dem berbischen Wort "Hand", das heißt nämlich Fuß, da hatten sie wohl etwas Verständigungsschwierigkeiten *ggg*
> Das Nationalgetränk ist Pfefferminztee, gemischt mit grünem Tee, dazu Berge von Zucker. Der Tee ist klasse, man bekommt aber eine Taube Zunge davon, sie nennen ihn den Whiskey der Marokkaner, da Moslems bekanntlich keinen Alkohol trinken. Dafür rauchen ca. 40 % der Bevölkerung Marhiuana, darunter auch Kinder und Greise. Die Nationalspeiße ist Tajine, das ist ein Eintopf aus Gemüse und Fleisch (Hühnchen, Ziege, Lamm oder Rind) der in einem speziellen Tontopf gekocht wird. Auf einem getöpferten Holzkohlenkocher steht sowas wie ein tiefer Teller auf dem eine Kegelförmige Haube mit einem Loch oben steht. Diesen Topf bekommt man an jeder Straßenecke zu kaufen.
> Die Uhren gehen in Marokko anders, nein ich rede nicht von der Zeitverschiebung (Winterzeit 1 Stunde, Sommerzeit 2 Stunden), sondern davon, dass dort niemand Stress macht. Einer meinte mal "den Lack musst du eine halbe Stunde marokkanischer Zeit trocknen lassen". Ich fragte ihn, was heißt "marokkanischer Zeit"? Darauf meinte er, "45 Minuten bis eine Stunde, in Marokko läuft die Zeit langsamer. Wenn eine Frau ein Date um 20 Uhr hat und der Typ ist bis 22 Uhr nicht da, dann sagt sie, wenn er bis 23 Uhr nicht da ist dann gehe ich um 24 Uhr!" *ggg*
> Kellner in Marokko bedienen einen erst, wenn man ihnen ein Zeichen gibt, du kannst also in eine Kneipe gehen und 2 Stunden sitzen bleiben ohne von einem Kellner angesprochen zu werden, das sollte man wissen, wenn man durstig ist. Handeln scheint Nationalsport zu sein, wer nicht handelt, für den ist Marokko weit teurer als Deutschland, einige Geschäfte versuchen zwar Festpreise einzuführen, aber das nimmt niemand ernst.
> Die Kluft zwischen arm und reich hat mich etwas schockiert, in einem armen Viertel zahlst du für eine Cola 0,33 L 25 Cent, in einer Disco im reichen Viertel auch mal 7 Euro. Ein marokkanischer Fahrer von Swiss-Air meinte, die Leute verdienen zwischen 1500 und 3000 Dirham, das sind zwischen 150 und 300 Euro pro Monat!!! Da wundert man sich wohl kaum noch über Kinderarbeit und die vielen Bettler in den Touristenvierteln. Prostitution ist zwar verboten (wegen dem Koran), aber wer in eine Disco geht merkt schnell, dass das niemanden interessiert.
> Was mich etwas gestört hat, alle 10 Meter wirst du von jemandem angequatscht, erst verwickeln sie dich in ein Gespräch, dann wollen sie dir irgendwas verkaufen. Wenn du nach dem Weg fragst, wunderst du dich erst, wie hilfsbereit die Person ist, sie begleitet dich sogar an dein Ziel, möchte dann aber dafür bezahlt werden. Auch auf dem Basar (Suuk genannt) findest du schneller als dir lieb ist einen Führer, der dir alles erklärt und sogar für dich handelt, natürlich gegen Bares.
> Für marokkanisches Essen muss man schon etwas Mut und Tabletten gegen Durchfall mitbringen, aber irgendwann war ich dann so weit, dass es mich auch nicht mehr gestört hat bei einem Straßenhändler einen Becher Buttermilch aus einem schmutzigen Kannister zu trinken.
> Ich war sehr froh, dass ich dort nicht fahren musste, denn dort herrscht ein recht eigenwilliger Verkehr auf den Straßen. Vor dem Überholen wird aufgeblendet, es kann aber durchaus sein, dass der Fahrer dann während des Überholvorgangs das Licht ganz ausschaltet. Verkehrsregeln werden dort etwa so aufgefasst wie bei uns die Richtgeschwindigkeit auf Autobahnen, das heißt in der Nacht überführ unser Taxi mit 120 km/h sämtliche rote Ampeln in Agadir *schauder*.
> Letztlich kann ich jedenfalls behaupten, ich habe jede Minute in Marokko genossen, das kann aber nur jemand der sich von mitteleuropäischen Maßstäben lösen kann und locker bleibt, egal was passiert.
> ciao
> Blaze

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