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Alte Lehren
Erwinio schrieb am 5. März 2005 um 8:46 Uhr (496x gelesen):
Es war schon dunkel, doch Schnee und Mond erhellten den Wald um mich; die Lichtungen waren gut überblickbar und nur dort, wo die jungen Fichten Ast an Ast aufwuchsen, mochte kein Licht unter sie fallen.
Auf einmal war ich nicht mehr allein; ohne zu wissen, woher er kam, schritt auf einmal ein Mann neben mir, etwa in meinem Alter. Ich erschrak, tat unwillkürlich einen Sprung zur Seite und verhielt mich dann abwartend; nicht wissend, ob ich flüchten oder dem unerwünschten Begleiter einen überraschenden Faustschlag verpassen sollte. Wie gelähmt blickte ich ihn an, weder zum einen noch zum anderen fähig. Was tat der Kerl auf einmal da, mitten in der Nacht, mitten im Wald?
Er lächelte.
„Bloss nicht“, sagte er mit ruhiger Stimme. „Rennen könntest Du, aber Du hast keinen Grund dazu; zum Schlagen hättest Du wohl einen Grund, aber Du könntest es nicht! Lass uns weitergehen; ich möchte mich nur mit Dir unterhalten.“
Ich ging also weiter, von einem Gefühl durchdrungen, als ob ich träumte, doch wusste ich genau; das war kein Traum. Er ging im selben Augenblick weiter wie ich, keine Verzögerung in seiner Bewegung war zu erkennen. Wie ein Schatten hatte er sich meinen Bewegungen angepasst. Seine Schritte erzeugten ein knirschendes Geräusch, welches darauf schliessen liess, dass es einige Grade unter dem Nullpunkt war. Doch als ich in den Augenwinkeln zu ihm hinüberspähte, stellte ich mit Schrecken fest, dass seine Schritte keine Spuren im Schnee hinterliessen.
„Wer bist Du?“ fragte ich. Mein Herz raste und ich hatte Angst, die Kontrolle über mich zu verlieren. Deutlich fühlte ich einen beklemmenden, dunklen Nebel, der mir mein Bewusstsein trüben wollte. Noch immer spielte ich mit dem Gedanken, davon zu rennen.
„Ich bin Erwinio“, meinte er nüchtern.
„Was? Der bin ich doch. Wenigstens ist das mein…“
Weiter kam ich nicht.
„Du spielst immer noch mit dem Gedanken, zu fliehen. Ist Erwinio ein Grund, davonzurennen?“
„Nein, aber…“
„Höre mir jetzt zu: Schau Dich an, grosser Mann, der Du bist. Ängstlich wie ein Kind bist Du, alle Deine Weisheit, Dein Mut, alles ist von Dir gewichen. Alles bloss Fassade.“
Danach schwieg er. Ich blieb stehen und stellte fest, dass er wiederum in demselben Sekundenbruchteil stehen geblieben war. Wie ein Spiegel reagierte er auf meine Bewegung, bewegte aber trotzdem eigenständig seinen Kopf in meine Richtung und machte mit den Armen eine einladende Bewegung.
Schizophrenie, schoss es mir durch den Kopf. Jetzt hat es mich erwischt.
„Ja und wenn schon“, meinte Erwinio. „Meinst Du etwa, alle die Geisterseher und erschienenen Marien seien nicht auf die Schizophrenie zurückzuführen?“
„Ich weiss nicht…“
„Dummkopf, der Du bist! Grosses geschieht mit Dir jetzt und Du bist nicht in der Lage, es zu erkennen.“
„Was soll an Schizophrenie denn gross sein?“
„Nun, es ist ganz gewaltig. Ich kann mich immer wieder zu Dir gesellen. Ich lese Gedanken und Gefühle wie andere Bücher lesen. Nichts ist mir unmöglich und unmöglich ist mir nichts. Du kannst ein Lehrer der Menschen sein, Du kannst sie führen auf ihrem geistigen Weg…“
„Hör mir auf, Kranke gibt es genug“, sprach ich. Einerseits hatte ich jetzt wieder Mut gefasst, andererseits hatte mich die ganze Situation so übermannt, dass ich von einem Gefühl der Resignation durchdrungen war, das mich lähmte und mich gleichgültig stimmte, was noch kommen würde.
„Wie Du meinst.“ Er schien mich nicht weiter überzeugen zu wollen.
Wir schwiegen einen Moment. Ich versuchte meine Gedanken zu besänftigen, zu kontrollieren.
„Was sollte ich Deiner Meinung nach den tun?“ fragte ich dann. Es konnte nichts schaden, zu hören, was mir mein kranker Schatten sagen wollte.
„Alles ausreissen, alles abbrechen, alles vernichten, alte Lehren sind Gift für das wahre Erkennen.“
„Alte Lehren?“
„Hast Du nicht begonnen, Dich mit chinesischer Weisheit zu beschäftigen?“
„Doch…“
„Nun siehe, was aus ihnen geworden ist! Was Du studierst sind die Wurzeln eines degenerierten Volkes! Sieh an, wie es gewachsen ist! Aus den kranken Wurzeln entstand ein kranker Baum!“
„Woran soll ich mich denn halten?“
„Warte: Schau Dir die Völker der Welt an, schau Dir Indien an, Tibet, Asien, Europa, Amerika, Afrika! Was ist entsprungen aus ihren Wurzeln? Ein kriechendes, wucherndes Schlangengewächse, die Dornen mit Blut versetzt, die Blüten voller Gift, welches das Erkennen betört!“
„Aber diese Lehren hatten doch gewiss…“
„Sei nicht einfältig! Natürlich hatten diese Lehren ihren Sinn. Sie hatten aber auch ihre Zeit! Welcher Bauer spannt noch seine Ochsen vor den Pflug? Welcher Astronom geht von einer Erde als Scheibe aus? Welcher Musiker spielt noch auf einem morschen, hohlen Baumstamm? Welcher Arzt verzichtet auf die Möglichkeiten und Erkenntnisse der heutigen Zeit? Wer wickelt sich heute in ein Tierfell, wenn er friert? Wer baut eine Strasse mit hunderten von Sklaven, die ihm die Steine zureckt klopfen? Welcher Feldherr schickt seine Krieger mit Speeren und Schwertern in die Schlacht? Alles ist überholt, alles ist weiter, alles ist im Fluss. Aber die spirituellen Menschen von heute! Sieh sie Dir an. Genau das tun sie! Aber ist denn etwas richtiger, bloss weil es alt ist? Ist etwas richtiger, weil es exotisch ist für Eure Kultur? Feriengefühle! Das ist es, was Ihr sucht, wenn ihr Euch mit Feng Shui und Yoga beschäftigt! Ach, Du hältst Dich an Schamanen, an alte Weise, an alte Gleichnisse. Weshalb wohl kannst Du nicht wachsen? Weshalb wohl wächst ihr Menschen nicht in die Tiefe, sondern nur in eine scheinspirituelle Welt? In eine Welt, die das Ich zum Göttlichen macht, die Spiritualität betreibt als eine Art Selbstbefriedigung an den Ich-Gefühlen! Höre! Dieses Ich, es ist Dein Feind. Dieses Ich, es ist der Weltenfeind! Alte Lehren wirken beruhigend auf’s Ich, sie geben Halt und Zuversicht! Aber die Zeit wird kommen und sie ist jetzt schon da, wo starke Geister alles liebgewordene, alle Vorstellungen und Träume über Bord werfen. Sie werden Weite erlangen und Welten sehen, in denen noch niemand war zuvor. Doch wer am Alten festhält, wird immer nur Altes erreichen. Erkenntnis ist Fortschritt, Fortschritt ist Entwicklung, Entwicklung ist Überwindung des Alten!“
Ich schwieg. Ich war beeindruckt. Das klang ziemlich einleuchtend für mich. Dann aber wurde mir wieder klar, dass mein Begleiter nur ein Trugbild meiner Selbst war. Was hatte ich nur getan. Was konnte ich nur tun?
“Fasse mich an!“ sprach er. Einmal mehr hatte er meine Gedanken erraten, denn genau das wollte ich tun.
Ich schritt zu ihm hin und fasste seine beiden Hände, ihm dabei in die Augen blickend. Er glich mir sehr, stellte ich nun fest, auch wenn er reifer wirkte als ich, weiser, ausgeglichener, wissender. Sein Blick wärmte etwas in meiner Seele und ich war seltsam gerührt. Ich blickte auf seine Hände, die ich deutlich in den meinen fühlte. Doch da waren keine Hände zu sehen. Ich fühlte sie noch, konnte sie aber nicht sehen. Ich blickte auf und stellte mit Schrecken fest, dass ich alleine war. Niemand zu sehen, weit und breit.
Erwinio

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Diskussionsverlauf:
- Alte Lehren ~ Erwinio - 05.03.2005 08:46 (2)