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Der Werwolf vom Born / alte Mythen
anton * schrieb am 12. August 2006 um 9:18 Uhr (708x gelesen):

Salü!

Das ist nicht die Geschichte die ich ursprünglich bringen wollte, aber sie ist schauerlich schön und sie handelt auch von der Region in dem wir wohnen.

lg. anton


Der Werwolf vom Born oder das Geheimnis eines Dorfnamens

Der Mann mit dem grauen, struppigen Bart setzte sich behutsam auf die Eichenbank, die dumpf knarrte, und die alte Wirtin stellte den Tonkrug mit dem Weissbier vor ihn hin. Die Kerze flackerte eine Weile unruhig. Sie erhellte nur bescheiden die dunkle Schenkenecke im alten "Kreuz" zu Wolfwil. Er tat einen grossen Schluck, wischte sich mit dem Ärmel seines Leinenhemdes den Schaum vom Schnurrbart, warf einen Blick in die dunkle Nacht hinaus, musterte mich kurz und begann zu erzählen:

***

"Nomen est Omen! Eine alte Geschichte will wissen, Wolfwil habe seinen Namen von einem der ersten Ansiedler erhalten, der mit einem erlegten Wolfe anrückte und daher Wolf und sein Gehöft Wolfwil genannt wurden. Diese Geschichte aber besagt etwas anderes. In Wolfwil wurden in jenen alten Zeiten, als sich die ersten Menschen hier ansiedelten, nicht mehr und nicht weniger Wölfe gesichtet als anderswo. Mitunter wissen die Menschen nicht, wie ihr Dorf zu seinem Namen kam, denn der Name war vor den Menschen da. Es ist ein Omenname, und der stammt nicht von Menschen. Das Geschehen, welches das Geheimnis der Namens-gebung preisgibt, welches also die Frage: Warum denn dieser Name? beantwortet, liegt bei Omennamen in der Zukunft. Und das ist die Geschichte:

Es geschah vor Hunderten von Jahren und man zählte das Jahr sieben nach der fürchterlichen Flut, die Brücken, Fähren, Häuser, Mensch und Vieh mit sich weg gerissen hatte. Der Weinmonat ging zu Ende und die Dämmerung legte sich schon früh über das herbstliche Land. Zwei junge Männer hatten eine Wölfin erlegt, die ihnen unten am Fluss in die Falle getreten war, sie an Ort und Stelle ausgeweidet, der eine die besten Stücke aufgeschnürt und der andere das blutige Fell über die Schultern geworfen. Den brauchbaren Rest versorgten die beiden an einem geschützten Orte. Innereien und Knochen verschwanden in den Fluten der Aare. "Mein Mädel wird den Pelz zu schätzen wissen". "Und meine Eltern mögen Wolfsfleisch, gut gebeizt oder gepökelt." Und so machten sie sich wieder auf den Rückweg. Zum Dorfe hatten sie noch gut zwei Meilen zu gehen.

Dann, zwei oder drei Wochen später, es war eine Vollmondnacht, und die Menschen im Dorf hatten sich schon langsam an die Gerüchte aus den Dörfern am Fusse des fernen Born gewöhnt. Ein seltsames Heulen dringe dort seit einigen Monden vom Berg herab. Seltsam sei’s nicht, das Heulen eines Wolfes, doch die Stärke und das nachfolgende Knurren wie fernes Donnergrollen schon, und immer gegen Vollmond hin, das beunruhigte halt schon manchen, und dass es in klaren, windstillen Nächten nicht nur in Boningen und Kappel, nein bis drüben im Rothrist zu vernehmen war.

In dieser Vollmondnacht also geschah’s zum ersten Mal. Den Stallknecht im Oberen Haselhof am Dorfrand, der gegen Mitternacht nach einer kalbernden Kuh hatte schauen wollen, diesen Stallknecht also fand der Bauer am frühen Morgen vor der Stalltüre, leblos und fürchterlich zugerichtet wie vom Leibhaftigen selber. Und tellergrosse Pfotenspuren führten nordwärts ins Stoppelfeld des Dinkelackers hinaus.

Zwei weitere Vollmondnächte folgten und jedes Mal der gleiche Schrecken. Einmal traf’s den Sohn des Schenkenwirts, der nach Beizenschluss einen umherstreunenden Hund von seinem Ziegengaden wegjagen wollte, dann einen Küfergesellen, der nach Mitternacht vom Chilten bei des Wagenschmieds jüngster Tochter heimwärts gegen Fulenbach zog. Er wollte eben das Dorf verlassen, als die Bestie zuschlug. Und immer wiesen die grossen Pfotenspuren nordwärts oder ostwärts gegen den fernen Born hin und lösten sich dann urplötzlich in nichts auf.

Das war zuviel für die braven und gottesfürchtigen Leute, und das nächste Vollmond-Opfer schien so sicher wie das Amen in der Kirche. Fünf der kräftigsten und mutigsten Männer machten sich schon tags nach dem dritten Mordsfall auf den Weg und zogen gegen Kappel, wo sich ihnen noch zwei weitere Männer anschlossen, und stiegen sodann grimmig entschlossen zum Born hinauf. Von morgens bis abends durchkämmten sie den ganzen Berg bis hin gegen Olten und zurück. Nicht mal das Spürchen eines ganz normalen Wolfes war zu finden.

Und wahrlich, die nächste Vollmondnacht dasselbige Unheil! Diesmal traf’s den jungen Lerchenhöfler, der eben erst das Heimetli von seinem Vater übernommen hatte und selber Vater geworden war. Die Angst und die Trauer waren gross im ganzen Dorf, denn männiglich mochte diesen senkrechten jungen Mann und seine Frau, die oft schon Mitmenschen, die Ungfell erlitten, unter die Arme gegriffen und überall selbstlos zugepackt hatten, wo Not am Manne war.

Die sieben wackeren Männer traten erneut zusammen und beschlossen, dem schrecklichen Untier diesmal zur nächtlichen Zeit, dann also wo sein schauerliches Heulen zu vernehmen war, auf den Born zu folgen und es dort zu stellen. Mit Sturmlaternen, Hunden und grimmigen Waffen zogen sie bergan. Wenig später, sie waren eben in den Bergwald eingedrungen, lärmte ein Mann und fluchte laut auf. Die übrigen eilten herbei. Ihre Laternen warfen ihr Licht auf einen ihrer Hunde, der einen Menschenfuss beschnupperte, gefangen in einer Tierfalle und abgerissen oder abgebissen oberhalb des Knöchels. Grausen erfasste die Männer. Doch seltsam! Kein Blut war zu finden und keine Spuren eines Raubtieres. Die Männer zogen weiter, als sie urplötzlich von zwei grünfunkelnden Augen angestarrt wurden. Fast gleichzeitig schwirrten sieben schwere Speere durch die Luft - und die Männer reckten ihre Laternen nach vorne. Alle Speere steckten in der Rinde einer alten bhäbigen Eiche. Vom Wolf oder wer das Untier auch immer war, keine Spur.

Im Ischlag, einer Waldlichtung auf dem höchsten Punkte des Born, von welchem Ort die Leute in den Dörfern sagten, dort sei es "ned ganz suuber", rasteten sie und hielten Rat, wie die Suche weitergehen sollte. Die Wiese war übersät von Alraunegewächsen, welche sonst nur ganz selten vorkamen, und einer der Männer wollte sogleich nach einer Wurzel graben. "Finger weg!" schrie ihn der Älteste an, "oder willst du noch mehr Ungemach über uns und die braven Leute bringen?" Und da war es urplötzlich, das Knurren, vom Rande der Lichtung her! Doch wohin sich die Männer mit ihren Speeren und Äxten auch drehten und wendeten, das Knurren hatten sie stets in ihrem Rücken. Es schwoll an und wieder ab. So war jegliches Erspähen und Kämpfen unmöglich, und nur noch das Weiterziehen machte Sinn. Nichts, keine Spuren und auch nichts vom Menschen, dem der Fuss gehört haben musste, fanden die Männer irgendwo, gleichwohl sie ihre Suche noch bis zur Mittagszeit des folgenden Tages fortsetzten. Einzig einem Suchtrupp aus dem Städtchen Aarburg waren sie begegnet, wo man seit drei Tagen einen Mann vermisste, der einer alten Mär vom Borngold nachgehen wollte. Auch zwei Alraunegräber waren seit Tagen auf dem Born verschwunden, zwei dubiose Kerle allerdings, denen niemand nachtrauerte.

Die fünf Wolfwiler und die beiden von Kappel kehrten also unverrichteter Dinge in ihre Dörfer zurück. In ihrer Not suchten darauf hin die Dorfältesten von Wolfwil Rat bei einem alten Kräuterweiblein unten beim Fähristand auf dem jenseitigen Aareufer. Von dem alten Weibe ging die Kunde, es könne in den Karten lesen und den Rauch des brennenden Fliegenpilzes deuten. Manche meinten, sie erhalte diese Seherkraft von einer schwarzen Madonna, die vor sieben Jahren mit der grossen Flut angeschwemmt kam, und die sie aus der Aare gefischt und in ihre Kammer gestellt hatte.

Der beissende Rauch machte den Dorfältesten schon eine Weile zu schaffen, als das Weiblein endlich zu murmeln anfing: "Ich sehe einen weissgefleckten Wolf, gross wie ein jähriges Kalb, und ich sehe eine junge Wölfin im Blute vor ihm liegen. Er leckt das Blut von ihrem Fell. Menschen haben seine Tochter getötet." Das Weib schlug erschreckt die Hände über dem Kopf zusammen. "Barmherziger! Das Kind eines Werwolfes!" Die Alten erbleichten. Die beiden jungen Männer waren ja nicht unter den Getöteten und das Untier würde weiter zuschlagen. "Bei Gott! Gib uns Rat, Weib!" Sie starrte angestrengt in den Rauch, seufzte, starrte wieder hin und dann lange in den Nebel hinaus, der träge über dem Wasser aufstieg."Bindet zur Vollmondzeit ein trächtiges Schaf an der Stelle an, wo die beiden jungen Männer die Wölfin gefangen und getötet haben. Und seht zu, dass das Schaf zuvor einen Silberthaler verschluckt hat. Dann verriegelt eure Häuser und Ställe und keine Menschenseele soll sich sehen lassen vor dem ersten Hahnenschrei."

Und dem tat man so.

Das Schaf samt Strick und Pfahl waren weg, als die Ersten Nachschau hielten. Und wieder war kein Tropfen Blut zu sehen und gfürchig grosse Pfotenspuren führten in den Hanfacker und verschwanden urplötzlich vom Erdboden."

Die Kerze im Wirtshaus zum Kreuz flackerte wieder kurz auf, als der hagere, müde wirkende Erzähler seinen leeren Bierkrug hob und einen weiteren Trunk von der Wirtin forderte, um dann weiterzufahren:

"Den Wolfwilern fielen die Schuppen von den Augen. Ihr kleines verträumtes Dörfchen über der Aare hatte also einen jener schicksalshaften Omennamen! Derweil, einen Wolf hatte man hier nimmermehr zu Gesicht bekommen und kein Wolf richtete hierzulande jemals wieder Unheil an. Auch das Geheule am Born war verstummt, nicht aber das seltsame Knurren in den Nächten vor Vollmond. Und an der Aare unten von Wolfwil bis Ruppoldingen tanzten in diesen Nächten seltsame grünfunkelnde Irrlichter. Und die Alraunen breiteten sich über den ganzen Born aus und vertrieben die Herdmännli. Alraunen sind für diese hilfsbereiten und selbstlosen aber scheuen Zwergwesen wie Hexengift. Manch armer Bauer, Hirte, Holzfäller, Handwerker hatte schon mal aufgeschnauft, da er sein angefangenes Werken, das gar harzig einfach nicht vom Fleck gekommen war, dass er also dieses Werk beim Gang und Augenschein zur frühen Morgenstund durch Herdmännlis Hände wundersam vollendet vorfand.

Die Wolfwiler konnten nun die Sefistöcke, die sie dutzendweise am Dorfrand und um die Höfe gesetzt hatten, getrost wieder austun. Diese hatten einetwegen nur zum Abserbeln der Birnbäume geführt. Stattdessen erbaten sie von der Hellseherin die wundertätige Muttergottesstatue, die sie bis anhin verschmäht hatten, und erstellten in christlicher Dankbarkeit eine Gnadenkapelle mit der Statue darinnen. Seitdem ist dieses Knurren am Born und sind auch die Irrlichter an der Aare zur Sage geworden. Und überdies wurden die Menschen am Born von weiteren leidigen Übeln erlöst, die sie Jahr für Jahr heimgesucht und geängstigt hatten. Nie mehr kam das Feuerrad auf die Bauern zugerollt, welche ihre Milch von Kappel über die Dünnernbrücke nach Hägendorf tragen wollten. Der weisse Hase, der seit dem unseligen Wasserstreit zweier Bauern nachts auf dem Zelglibritschensteg bei Boningen hockte, erschreckte fortan keine braven Leute mehr und auch die satanischen Alraunen auf dem Born waren verschwunden wie sie gekommen. An ihrer Stelle zurückgekehrt aber waren die Herdmännli.

In später Dankbarkeit, so wird gesagt, beschlossen auch die Kappeler einen frommen vierzehn staziönigen Kreuzweg auf den Born zu bauen und ihn oben mit einer gehörigen Bornchrüz-Kapelle abzuschliessen.
Dennoch, in Vollmondnächten verriegelt noch heute manch einer am Fusse des Born sein Haus und seine Scheune, und lässt sich erst nach dem ersten Hahnenschrei wieder draussen blicken."


***

Die Alraune

und insbesondere deren Wurzel, die unter dem Galgen eines Gehängten gedeiht und dessen Seele in sich aufnimmt, soll in bestimmter Verarbeitung grosses Glück und viel Reichtum bringen. Das Graben nach ihr und erst recht der Handel wurden aber mit strengen Strafen geahndet, da Betrüger mit diesen Wurzeln allerlei Scharlatanerie betrieben, um Leuten das Geld aus der Tasche zu locken.


Der Sefibaum

ist ein Wacholderstrauch. Er schützte die Menschen vor Unheil und Hexenzauber und sein Saft wurde als Heilmittel gebraucht. Allerdings verseuchte der pilzerkrankte Sefistock die Birnbäume in der Umgebung mit der Gitterrost-Krankheit.


Borngold

Gemäss verschiedenen Sagen soll es auf und am Born immer wieder Gold gegeben haben. So stand da ein Goldbrunnen, den ein habsüchtiger Graf durch einen willfährigen Zwerg vollständig plündern liess. In einer Höhle sollen drei Tröge voller Gold gestanden haben, bewacht vom hünenhaften Dolder. Und Schlüsselblumen, die ein Bursche auf dem Born für seine Geliebte gepflückt hatte, verwandelten sich in Gold.


Das Feuerrad

Die alte Brücke über die Dünnern war in der Fronfastenzeit wie verhext. Einmal machten ein weisses Pferd, dann wieder eine rote Kuh oder gar ein feuriges Rad die Brücke unpassierbar.


Herdmännli

oder Erdmännchen sind scheue, zwergenhafte Wesen, die in Höhlen wohnen und nur in der Nacht hervorkommen. Dabei tun sie Arbeiten zugunsten armer und bedrängter Menschen, währenddessen diese nichtsahnend schlafen.


Silberthaler

Der Werwolf kann nur mit Waffen und Materialien bezwungen werden, welche Silber enthalten.


Schwarze Madonna

Beim protestantischen Bildersturm in Bern wurde eine Muttergottesstatue achtlos auf eine brennende Schutthalde geworfen und angesengt. Später riss sie das Wasser einer Sturmflut in die Aare und trieb sie gegen Wolfwil zu.


Weisser Hase

Ein Bauer grub dem Nachbarn heimlich das Wasser ab, was zu einem leidigen Zoff und einem ungerechten Richterspruch führte. Nach dem Tode des Wasserabgräbers mahnte nachts ein weisser Hase an das Unrecht, bis die Seele des Übeltäters aus dem Fegefeuer erlöst wurde.


Der Werwolf

ist eine verbreitete Sagenfigur und meistens ein Mensch, der in Vollmondnächten die Gestalt eines mächtigen, mordlustigen Wolfes annimmt.

Quelle: Gehört und aufgeschrieben von Sepp Arnold, Oftringen (Schweiz), Emailzusendung vom 9. März 2006

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