Ein Yogi aus dem Westen

Teil 1  

Autobiographie nach 20 Jahren Yoga

 

 

Alfred Ballabene

alfred.ballabene@gmx.at

gaurisyogaschule@gmx.de

 

Index

 

Vorwort

Einleitung

Kap. 1          Meine Zeit vor dem Yoga

Kap. 2          Weltanschauung und Lebensart

Kap. 3          Der Begriff Yoga als Sammelbezeichnung vieler Richtungen

Kap. 4          Über den in unserer Yogagemeinschaft praktizierten Yoga

 

 

Vorwort

 

Endlich, in all den Stapeln von Yoga-Lehrbüchern und Yoga-Lebensregeln, ein Buch eines Yogi, Swami Vayuananda, über Yoga und Yogis, über Weise und Simili Yogis und über Möchtegern-Yogis und Maskenträger, Theater für sich selbst und Theater für andere, Selbstbespiegelung.

 

Der Autor, ein wirklich ernsthafter Yogi, den das Leben vor der Yogalehre in harte Askese genommen hat, beschreibt sich selbst kritisch und mit feinem Humor.

Ich habe lange auf ein solches Buch gewartet und möchte es gerne jedem, der sich auf den Yogapfad begibt, dem ernsthaft Suchenden, und jenen vielen, die sich an der orangefarbenen Maskerade, an öffentlicher Zurschaustellung von Sitzhaltungen, an rasierten Schädeln mit oder ohne Schopf berauschen, vor die Augen ihrer Seele halten. Man lernt aus diesem Buch mehr als aus allem anderen, was wirklich Yoga ist. Es ist quasi eine Entmythologisierung des Yoga, eine Entkleidung von altem Flitter, von Räucherstäbchen und mystifizierendem Brimborium. Aber was dann bleibt, das ist dann wirklich die Quintessenz des Yoga.

 

Dieses Buch wird seinen Weg gehen und wird heilsam sein.

 

Wladimir Lindenberg

 

 

Einleitung

 

 

Vor nunmehr 30 Jahren hatte ich diese vorliegende Broschüre geschrieben. Sie zeigt meine damalige Sichtweise, die sich von meinen gegenwärtigen Anschauungen in vielem unterscheidet. Augenfällig an meinen damaligen Standpunkten ist für mich eine Naivität, welche mir in einem romantisiertem, dogmatischen Weltbild vieles einfacher erscheinen ließ als ich es heute sehe. Zu der damaligen Sichtweise gehörte auch eine Intoleranz gegenüber anderen Denkgebäuden. Es war eine gewisse Verherrlichung östlicher Denkweisen bei einer nach wie vor vom Christentum geprägten Sichtweise von "Gut" und "Böse" und einem vereinfachten Schema von Belohnung und Bestrafung im Jenseits. Unbewusst war mir klar, dass ich noch stark von christlichen Anschauungen geprägt war, weshalb ich mich in einem Abnabelungsversuch in intoleranter Weise gegen das Christentum gestellt hatte. Indem ich in etlichen östlichen Dogmen die große Wahrheit sah, fühlte ich mich besser wissend gegenüber religiösen abendländischen Ansichten. Das hat sich nun geändert. Gegenwärtig vertrete ich spirituell-tantrische Ansichten vermischt mit neuen abendländischen Erkenntnissen, wie Nah-Tod Erfahrungen, außerkörperliche Erfahrungen etc. Damit sehe ich vieles anders als damals als ich einen hinduistisch geprägten Yoga vertreten hatte. Was das hinduistische Weltbild anbelangt, so finde ich dieses nunmehr in vielen Belangen naiv. Das mag jedoch für fast alle volkstümlich ausgelegte Religionen gelten.

 

Um zu meiner damaligen Konfrontation zum Christentum zurück zu kehren, so hat sich meine Sichtweise in der Zwischenzeit geändert. Ich habe gegenwärtig die größte Hochachtung dem Christentum gegenüber, vorallem wegen seiner Botschaft der Nächstenliebe und Nächstenhilfe, welche in dieser Klarheit und konsequenten Durchführung einmalig ist. Damit verglichen kann selbst der Buddhismus, der Barmherzigkeit propagiert, bei weitem nicht mithalten.

Und noch eines habe ich gelernt: eine jede Religion hat viele Schichten der Verständnistiefe. Es ist ungerecht die Ansichten einer religiösen Elite mit volkstümlichen Auffassungen einer anderen Religion zu vergleichen. Eine jede Religion hat ihre tiefen Denker und Mystiker und ebenfalls eine flache und naive Anhängerschaft. Wenn man schon vergleichen will, so muss man in gerechter Weise Tiefes mit Tiefem und Flaches mit Flachem vergleichen. In diesem Sinne schöpfe ich meine gegenwärtigen Ansichten über das Christentum nicht mehr aus den Resten meiner Kindheitserinnerungen, sondern aus den Botschaften der Vatikan-Homepage. Die dort vorzufindenden Botschaften tragen durchaus ein tiefes Gottesverständnis in sich, mit dem ich mich in so manchem wieder identifizieren kann, wenngleich der Vatikan vor der schwierigen Aufgabe steht möglichst alle Widersprüche, die zwischen den tiefen und den volkstümlichen Denkweisen entstehen, zu vermeiden oder zu kaschieren.

Dies hier zur Entschuldigung zu etlichen intoleranten Vorstellungsweisen, die sich in dieser meiner Schrift aus weit vergangenen Jahren finden. Einige extreme Stellen habe ich gestrichen, durchaus im Bewusstsein in der Wiedergabe nicht mehr voll ehrlich zu sein, aber diese wenigen Textstellen haben mir einfach zu sehr weh getan.

 

 

 

1

 

Meine Zeit vor dem Yoga

 

 

Nach der Matura (Abitur) folgte eine Zeit großer Entbehrungen. Fünf Jahre verbrachte ich als Fremdarbeiter mit manueller Arbeit und durch einige Jahre war ein Stück trockenes Brot die einzige Nahrung für den Sonntag, denn die Werkskantine war dann geschlossen. Trotz des Kontaktes mit vielen unterschiedlichen Menschen und zahlreichen neuen Dingen, die es zu sehen gab, war ich isoliert und einsam. In meinen zwei Koffern, in denen all mein Hab und Gut war, befanden sich immer ein paar Yogabücher, eines von Ramana Maharshi und drei östliche Specksteinfiguren - ein Stier als Einhorn mit einem Fackelträger, ein Affe auf einer Kuh und eine Buddhafigur. Diese Utensilien waren das einzig Greifbare und Sichtbare meiner erträumten Heimat, die als Sehnsucht in mir schlummerte aber noch nicht erfasst wurde.

 

Nach Jahren wieder in Wien suchte ich nach einem Yogalehrer. Damals gab es noch wenige von ihnen und zudem war ich im Suchen auch nicht sehr begabt. Nach etwa zwei Jahren hatte ich ein Inserat von einer Yogagemeinschaft entdeckt. Ich schrieb es an. Als Antwort kam eine Anfrage nach einem Lebenslauf, den ich ebenfalls einschickte. Der Yogi im Inserat war meine jetzige Gurini Ananda. Wie sich anschließend herausstellte, hatte ich im selben Haus meiner zukünftigen Gurini meinen Arbeitsplatz als Funker. Täglich war ich in dem Haus, in dessen letztem Stockwerk die Yogagemeinschaft war, ein und aus gegangen, ohne hiervon zu wissen und mich zugleich zutiefst nach einer solchen Gemeinschaft sehnend. Trotz dieser einmaligen Vorzeichen wurde ich nicht als Schüler angenommen. Entgegen der Einwände von Guru Ananda, die meinte, man könne mich wenigstens die fünf Stockwerke heraufkommen lassen und anschauen, wurde ich von ihrem assistierenden Schüler kompromisslos abgelehnt. "Einem Menschen, der sich so viele Jahre in allen möglichen Ländern herumgetrieben hat, dem könne man nicht vertrauen und von dem könne man keine Beständigkeit erwarten“, meinte er. Er bestand vehement auf seiner Meinung. Guru Amanda gab um des lieben Friedens willens nach. Zwei Jahre später kam es zur selben Situation, aber diesmal setzte sich Guru Ananda durch und ich wurde ihr Schüler.

 

Nun betreibe ich seit 20 Jahren intensiv geistigen Yoga. Hierbei habe ich nicht nur meine gesamte Freizeit dem Yoga gewidmet, sondern bin von meinem weit älteren Guru an Kindes statt aufgenommen worden. Das hat sicherlich meinen Lernprozess beschleunigt.

Es ist für mich nicht leicht zu beurteilen, wie weit ich im Yoga fortgeschritten bin. In manchen Belangen wurde ich durch Begabung und Veranlagung unterstützt, in manchen Dingen sehe ich mich noch immer mit Schwierigkeiten konfrontiert, wie man sie herkömmlicher Weise von einem Yogi längst überwunden glaubt. So zum Beispiel werde ich oft von unruhigen Gedanken beherrscht, die ich nicht oder kaum unter Kontrolle bekommen kann. Innere Stille kommt deshalb schwer auf. Jedoch bleiben hiervon meine Gottesliebe, Nächsten- und Naturliebe ungetrübt. Allerdings haben die Mängel auch ihre Vorteile, wie sich später erwies. Das Bewusstsein meiner Schwächen hat mich zu einem toleranten Yogalehrer gemacht, der es meidet, sich mit dem Nimbus eines erhabenen Meisters zu umgeben, etwas, in das schwärmerische Yogaanhänger einen Yogi leicht hineindrängen können. Bedacht, meine Selbstständigkeit und Handlungsfreiheit zu erhalten, reagiere ich kaum auf Schmeicheleien, lasse ich mich nicht bezahlen und nicht durch Geschenke kaufen. Einzig Blumen akzeptiere ich als Ausdruck der Dankbarkeit und Liebe. Manchmal ist es auch ein selbst gebackener Kuchen, mehr aber nicht.

 

Im Beruf spiele ich als technischer Assistent eine untergeordnete Rolle. Das gleicht meine zentrale Stellung innerhalb der Gemeinschaft aus und lässt mich den Boden der Realität nicht verlieren. Die Gemeinschaft, welche mein Guru zusammen mit mir aufgebaut hat, umfasst einige hundert Schüler. Da ich nur in kleinen Gruppen von ca. 20 Schülern unterrichte und zwar intensiv und desgleichen mein Guru, würden wir beide die Schüleranzahl nicht mehr bewältigen, wenn wir nicht von einer Anzahl Yogis in der Schülerführung unterstützt würden. Durch diese Umstände und die großen individuellen Unterschiede sowohl der zwei Gurus als auch der Yogis, fällt unser Ashram (Gemeinschaft) aus der Reihe des Üblichen und hat eine Dynamik, die mit immer neuen Fassetten seine Entwicklung weitertreibt.

Diese Besonderheiten sind es auch, die mich veranlassten, diese Broschüre zu schreiben, weil ich damit zeigen will, dass Yoga auch anders sein kann als üblicherweise erwartet. Ein eigenständiger Yoga, der nicht versucht indische Schablonen zu kopieren, ist imstande, die örtliche Kultur durch neue Ideen zu beleben.

 

 

2

 

Weltanschauung und Lebensart

 

Selbstgespräche:

Merkwürdig, wie die Zeit vergeht. Hat mich doch jemand vor einem Jahr als "Herr in den mittleren Jahren“ bezeichnet. Das war damals ein kleiner Schock für mich. In der ersten Sekunde hatte ich gedacht, er wolle mich foppen; das wäre noch die bessere Version gewesen, aber er hat recht gehabt.

 

Durch einen Monat, vielleicht hatte es auch länger gedauert, hatte ich mir gesagt: "Trag' es mit Fassung, du bist jetzt wirklich schon in den mittleren Jahren, die Zeit vergeht halt so schnell.“

Dann hatte ich für mich neue Verhaltensregeln festgelegt. Genau genommen war ich ein wenig aus dem Gleichgewicht geraten. Ich legte mir etwa folgende Gedanken zurecht: "Es ist ja klar, ein Herr in mittleren Jahren interessiert sich nicht für junges Teenagervolk, könnte auch falsch ausgelegt werden, sondern hat einen Blick für Abgeklärtheit und Lebensreife. Akzeptiere, dass du nunmehr einer anderen sozialen Schichte angehörst. Lasse dich von der Realität nicht unterkriegen. Ein ordentlicher Kämpfer versucht nicht der Situation zu entfliehen.“

 

Nach einem Monat etwa war der Prozess abgeschlossen und kurioserweise war ich wieder derselbe wie vorher, was mein Verhalten und Wesen betrifft; mein Alter war mir voll bewusst und gleichgültig, etliche Eitelkeiten und Erwartungen der Eigenbeurteilung waren weggefallen. Letztlich ist einiges wie toter Ballast abgefallen und hat mich freier gemacht.

Insofern war dieser Prozess dadurch erleichtert, als ich mich in meinem irdischen Leben ohnedies nur als auf Durchreise betrachtet hatte. Der Glaube an die Reinkarnation hat mich in meiner Sichtweise zu einem Zeitenwanderer gemacht, einen Akteur, der einmal auf dieser und einmal auf jener Bühne in Aktion tritt. Nicht als nur halb beteiligter Statist, sondern als aktionsfreudiger Spieler, dem die Bühne etwas bedeutet und der dennoch unterschwellig die Permanenz einer anderen höheren Realität fühlt, nämlich seine eigentliche Persönlichkeit, die unabhängig von den Rollenspielen bestehen bleibt. Manche Schauspieler werden bei Erfolg eitel. Das Gleiche gilt für viele Yogis, vornehmlich für Gurus indischer Provenienz.

 

Ach ja, einiges zum jenseitigen Lohn für ein gut geführtes Leben, wie es für einen Yogi gelten mag:

Auch jenseitiger Lohn in Form von Status und Anerkennung ist eine Illusion. Warum soll im Jenseits menschliches Denken und Fühlen anders sein? Dort im Jenseits gehen die Illusionen weiter. So tragen die Menschen ihre schlechten Taten in niederen Ebenen durch niedere Illusionen ab. Dagegen werden guten Taten durch schöne Ebenen mit schönen Illusionen belohnt. Manche leben dort in schönen Häusern oder Palästen und gehen in Brokat gekleidet und mit Perlen und Juwelen behangen. Das alles als wohltuender Kontrast zu den in Fetzen Bekleideten der niederen Ebenen. Wer hat in seinem Leben ausschließlich gut gedacht, gefühlt, gehandelt? Wozu übertriebener Lohn und übertriebene Bestrafung?

Nun, ich gebe zu, eine schöne Illusion ist mir natürlich lieber als der Albtraum der niederen, Ebenen. Allerdings hat sich der Glanz der hohen Ebene verloren. So etwa wie es einer Frau ergehen mag, die nach Jahren entdeckt, dass ihr Schmuck nicht echt sondern Imitation ist. Eine gute Imitation mit künstlichen Steinen. Der falsche Schmuck mag nach wie vor schön sein, doch die Freude daran ist verloren.

 

Die etwas nüchterne Betrachtung macht mich dennoch nicht unglücklich, auch wenn ein Teil einer geliebten überhöhter Selbsteinschätzung daran glauben hat müssen. Später war es mir sogar gelungen aus der Not eine Tugend zu machen. Es war eine Entdeckung: ein Erkennen und Steuern von Illusionen gibt uns die Möglichkeit zur eigenen psychischen Manipulation. Und außerdem wird unser aller Leben meist mehr von Illusionen als von der Realität gesteuert.

 

Religiosität und Welt

Unter Religiosität verstehe ich eine innere Suche nach dem Sinn des Lebens und dessen Urgrund. Dogma und Institution werden hierbei unwesentlicher, dagegen werden Gott und die Nächstenliebe mehr und mehr in den Vordergrund gestellt. Das ist eine andere Orientierung als ein materiell orientierter Lebenssinn. In den etablierten Religionen findet sich alles. Jedoch je geringer der soziale Status einer Religion eingeschätzt wird, desto reiner und ehrlicher sind ihre Vertreter. Es finden sich weniger Priester und Mönche, diese wenigen aber sind es aus Überzeugung.

 

Warum lässt Gott die vielen Übel der Welt zu?

In Anfängerstunden wird oft die Frage gestellt, warum Gott diese Schlechtigkeiten auf der Welt zulässt. Das ist eine Folge unserer christlichen, abendländischen Tradition, der zur Folge Gott als Weltenherrscher gesehen wird. Die östlichen Religionen sehen das in der Volksnähe ähnlich. Die tieferen philosophischen und mystischen Lehren sehen jedoch in Gott nicht mehr einen Himmelsherrscher, der inklusive der hierfür nötigen Infrastruktur einer Verwaltung als jenseitiger Welten-König die Geschicke der Erde bestimmt. Die tiefere östliche Denkweise wie sie sich im Buddhismus und im spirituellen Tantra findet ist meist sehr komplex und für einen Abendländer gewöhnungsbedürftig. Hat man sich daran gewöhnt, so entdeckt man eine mentale Schönheit und es zeigen sich bei tieferen Fragen weniger Widersprüche als in einfachen volksnahen Lehren. Das allerdings gilt auch für das Christentum. Auch hier sind die tieferen spirituellen Lehren schöner und intellektuell erfüllender.

 

Zurück zur Frage. Würde Gott das Böse nicht zulassen, so hätten wir auch keine freie Entscheidungsmöglichkeit. Es gäbe somit zwei Optionen: Freiheit voller Spannungen zwischen "Gut" und "Böse" oder eine scheinbar heile Welt, in welcher wir Menschen geistige Sklaven sind. Natürlich stehen damit noch viele andere Fragen in Zusammenhang, etwa, dass die Menschen aus ihren Fehlern lernen können und dies die Möglichkeit einer Weiterentwicklung zu Verständnis und Weisheit erst möglich macht.

 

 

Der Sinn unseres Lebens auf Erden

Er besteht für mich im Lernen aus dem, was wir falsch gemacht haben. Zu versuchen, es in einer anderen Situation richtig zu machen. Enttäuschungen zu überwinden und dadurch zu erstarken. Aus diesen Erkenntnissen heraus zuversichtlich und mutig zu werden. Erkennen, dass man sich bleibende Früchte nicht erschwindeln, sondern nur erarbeiten kann. Und noch vieles mehr. Und weil wir alle fest an unseren Gewohnheiten hängen, braucht es lange, bis sich eine Änderung anbahnt. Deshalb glaube ich an Reinkarnation. Andernfalls müsste ich an der Undurchführbarkeit der Aufarbeitung all meiner Fehler innerhalb des mir nun geschenkten Lebenszeitraumes verzweifeln.

 

 

3

 

Der Begriff "Yoga" als Sammelbezeichnung vieler Richtungen

 

 

Yoga ist kein einheitliches Lehrsystem sondern ein Konglomerat aus verschiedenen Religionen, schamanischen und meditativen Techniken. Da findet sich Atheismus (Samkhya), Pantheismus, Polytheismus und Monotheismus. Die Pandits (Schriftgelehrte) der Brahmanenkaste, die ihre Monopolstellung als Priester in dem Völkergemisch Indiens nicht verlieren wollten und andererseits durch Aufspaltung kein ideologisches Chaos haben wollten, haben die religiöse Vielfalt zu einem philosophischen System vereint, in dem es vieles gleichzeitig geben kann, ohne sich zu widersprechen. Ein religions-juridisches Meisterwerk.

Bei den Übungen ist die Verschmelzung der Systeme ebenfalls mehr oder weniger geglückt. Es entstanden da mehrere Yogasysteme, die miteinander genauso viel gemeinsam haben wie ein Maikäfer mit einer Krähe, die aber einander nicht ausschließen, genauso wie ein Maikäfer nicht die Existenz einer Krähe ausschließt. Die Brahmanen als Priesterkaste legten natürlich wenig Wert auf die Versenkungspraktiken der unreinen Parias, weil sich da wenig verdienen ließ. Da waren der Tempeldienst und auch der private Ritus, bei Hochzeiten etwa, schon lukrativer. So sympathisierten sie mit einem Bhakti-Yoga, das ist der Yoga der Liebe, oder besser gesagt, Verehrung der Götter natürlich, für die man bezahlte Tempeldienste arrangierte. Erst im Westen und auch von einigen indischen Yogis (alle mit westlicher Schulbildung), wie Yogananda und Vivekananda, wurde der Bhakti-Yoga umdefiniert und wie im Christentum auch auf die Mitmenschen bezogen. Das Christentum, mit dem diese Yogis alle sympathisierten, hat da seine Ideen vermittelt und mit einer seiner wesentlichsten Aussagen die Inder indoktriniert. Der Westen hat den indischen Bhakti-Yoga mit Ethik bereichert und ihm dadurch erst Tiefe verliehen.

Eine weitere Domäne der Brahmanen ist der Raja-Yoga, der sich sehr intellektuell orientiert mit Weltstrukturen und Seelenstrukturen befasst und etwas für die gelehrten Pandits war, die als Sanskritlehrer, Wahrer der Tradition und Weisheitslehrer ihr Geld verdienten.

Dann kommt noch der Jnana-Yoga, das ist der Yoga der Erkenntnis, genauer der Selbsterkenntnis. Dies war der beschauliche Weg der alt gewordenen Hausväter, die sich auf ein kleines Anwesen zurückzogen, meditierten und die Verwaltung des Vermögens ihren Söhnen überließen. Dies sind die brahmanischen Verpflichtungen des  vierten Lebensabschnittes eines religiösen Hindus. Bei diesem Yoga geht es um die Vergänglichkeit des Lebens und der Frage nach den unvergänglichen Werten. Ein Hilfsmittel für innere Erkenntnis ist das Erlangen eines Zustandes der Stille, bei dem man frei von Gedanken und Vorstellungen wird, um in klarer schauender Betrachtung das innere Wesen zu ergründen. Ein typischer und berühmter Vertreter ist Ramana Maharishi. Der Jnana Yoga prägte den Buddhismus und seine Methoden der Betrachtung in Gedankenstille fand als Zen im Westen Eingang.

 

Einige weitere Yogaarten sind Teile der Tantralehre. Sie scheinen unter den verschiedensten Bezeichnungen auf, wie Hatha-Yoga, Kundalini-Yoga, Tantra-Yoga, Siddha-Yoga, Kriya-Yoga etc. und sind trotz ihrer unterschiedlichen Benennung im Endeffekt dennoch alle das selbe, kleine Variationen außer Betracht gelassen. Sie befassen sich mit den feinstofflichen Energien im Menschen. Diese Yogaarten stammen von der nicht arischen Urbevölkerung, deren Beziehung zu den Brahmanen immer schon durch gegenseitige Ablehnung gekennzeichnet war. Aus der Überlieferung der Mahasiddhas, das sind Tantriker aus dem 9. und 10. Jahrhundert, sind uns Rituale und Gepflogenheiten bekannt, die einen jeden, der diesen Weg gehen wollte, aus der Sicht der Brahmanen automatisch zu einem Geächteten machten. In den Ritualen war somit eine Ablehnung des Kastenwesens inkludiert.

 

Diese Methoden waren den Buddhisten, welche damals ständig in Querelen mit den Hindu-Brahmanen waren, sehr entgegenkommend. Der ältere Theravada Buddhismus ging eine Ehe mit den Tantrayogis ein und es bildete sich der mächtige Zweig des Vajrayana-Buddhismus, der das restliche Ost-Asien eroberte.

 

Abschließend sei in Bezug zu den allgemeinen Ansichten noch einmal betont, dass der Yoga eine Sammelbezeichnung für verschiedenste meditative Richtungen ist und der juridische Versuch den Yoga als ein einheitliches System zu definieren, um hierfür eine Ausbildung mit Diplomabschluss festzulegen, zwar einerseits löblich ist, um Wildwuchs und mangelhafter Ausbildung vorzubeugen, aber aus traditioneller Sicht ist diese Vereinheitlichung unzulässig.  (In erster Linie geht es bei dieser Ausbildung um einen körperlichen Yoga - Hatha-Yoga westlicher Auffassung. Da es sich hierbei um gymnastische Übungen handelt, als Sport oder für Heilzwecke, ist eine medizinische Grundkenntnis wie sie etwa auch für Sportlehrer bis zu Physiotherapeuten gilt erstrebenswert.)

 

4

 

Über den in unserer Yogagemeinschaft praktizierten Yoga

 

 

Strukturelle Unterschiede zwischen unserem und indischen Ashrams:

Die indischen Ashrams sind in ihrem Aufbau nicht alle gleich. Es gibt da sehr große Unterschiede. In erster Linie ist es aber eine ganz bestimmte Kategorie von Ashram, die in Europa und Amerika in Erscheinung tritt. Inwiefern wir uns von diesen Ashrams unterscheiden, will ich näher erklären:

 

Die Inder lieben es, speziell wenn sie über eine größere Anhängerschaft verfügen oder ein paar Bücher geschrieben haben und deshalb "berühmte“ Gelehrte sind, sich mit einem Mantel der Heiligkeit zu umgeben und sich gnädig gebend, anbeten zu lassen. Das finden sie richtig, denn in einigen heiligen Schriften steht, dass es so sein soll (Prestigeaufbau der Brahmanenkaste). Viele europäischen Anhänger spricht das an, denn je gottähnlicher ihr Idol ist, desto gehobener sind sie selbst als Auserwählte. Eitelkeit auf beiden Seiten, das verträgt sich gut. In einem solchen Ashram hängt alles von diesem spirituellem Zentrum, dem Guru, ab. Wenn der Guru stirbt, bricht die ganze Gemeinschaft zusammen.

In unserem Ashram erhoffe ich mir eine gestaffelte Hierarchie mit einer Meinungsvielfalt wie es sie in indischen Ashramas nicht gibt, denn dort wird eine genau definierte zentrale Lehre vertreten. So gibt es bei uns unter den Yogis Gruppierungen, die dem Buddhismus, dem Christentum oder dem indischen Yoga zuneigen.

 

Ich stelle mir vor, dass kürzer im Yoga befindliche Schüler von Yogis (ältere eingeweihte Schüler) geleitet werden; während die Gurus nur Yogis und werdende Yogis führen. Jeder Yogi, der einen Schüler betreut, kann diesen ohne weiteres verabschieden, ohne den Guru um Genehmigung fragen zu müssen. Es kann sogar vorkommen, dass der Yogi einen Schüler ablehnt, während der Guru diesen als nicht so schlecht empfindet. Das Beste, was der Guru dann machen kann, ist, einen anderen Yogi zu finden, der den Schüler dann eventuell übernimmt.

 

Das Lehrgut eines indischen Ashrams ist unantastbares Dogma. Alles wird seit Generationen übernommen und kopiert und gilt als zeitlos. Die Yogalehrer merken nicht, wie die Zeit an ihnen vorbeigezogen ist und wie viele ihrer Dogmen mit dem heutigen Weltbild nicht mehr übereinstimmen. Da unsere Ashrammitglieder allesamt Studenten sind (sie wurden durch Mundpropaganda von ihresgleichen angeworben), ist die Vorgabe eines Dogmas an Stelle eigenständigen Denkens von vornherein nicht möglich. Somit wird jegliches Lehrgut bei uns im Ashram als hypothetisch aufgefasst und eine Dynamik durch neuere Erkenntnisse erwartet.

 

Die innere Struktur wird durch eine Staffelung von Einweihungen vorgegeben, durch welche die Eingliederung des Schülers in verschiedene fortgeschrittene Gruppen erfolgt. Es entspricht ja auch ungefähr der Struktur unseres Schulsystems, dessen Staffelung hier natürlich nicht durch Einweihungen, sondern durch Zeugnisse erfolgt.

 

Nicht im Gegensatz zu echten indischen Ashrams, aber dennoch erwähnenswert ist die Tatsache, dass es in unserem Ashram keine Bezahlung und keine Mitgliedsbeiträge gibt. Wir arbeiten alle, ob Guru oder Yogi, und verdienen uns unseren Unterhalt selbst. Unterrichtet wird in Kleinstgruppen in unseren eigenen Wohnungen.

 

Unsere Gurulinie:

Unsere Linie stammt von Ramakrishna, einem großen spirituellen Stern im Indien des vergangenen Jahrhunderts.

Es folgten danach noch zwei Gurus, dann kam Guru Vayuananda als deren Nachfolger Anfang der dreißiger Jahre nach Europa. Er ist der zweite Guru dieser Linie, der diesen Namen trägt und ich bin der dritte. Guru Vayuananda war mütterlicherseits Inder, sein Vater war Hamburger. Er war schon von Kindheit an im Ramakrishna-Ashram. In Indien sind seit alters her die Yogaashrams oft auch Internat und Schule. Guru Vayuananda kam später nach Europa, wo er seine zweite Heimat fand. Auch das ausgeglichene Klima konnte er nicht genug loben. Bald hatte er einen Kreis von zehn Schülern um sich, die in den dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts mit ihm aus dem unruhigen Deutschland nach Prag übersiedelten. Keiner wollte seinen Guru verlassen, der als halbfarbiger Mischling, noch dazu aus einem verfeindeten Land gebürtig, nicht mehr das Wohlwollen seiner väterlichen Heimat genoss. Dann kam der Krieg und einer nach dem anderen aus der Yogafamilie fand sein Lebensende; der eine als Soldat an der Front, der andere als Verfolgter. Keiner überlebte bis auf Guru Ananda, die später nach Wien zog.

 

Guru Ananda war mit einem Künstler verheiratet und oft genug war der Lebensunterhalt aus dem Erlös der Bilder kaum zu bestreiten. Das war ein sorgenvolles und aufreibendes Leben und die Weitergabe des Yoga hatte darunter zu leiden. Als ihr Mann, der Künstler Ballabene, unter dem Alter zu leiden begann und das Leben noch schwerer wurde, kam ich als Schüler, scheinbar in einem entscheidenden Schicksalsaugenblick. Ich habe beiden nach besten Kräften geholfen und sie haben mich lieb gewonnen und in ihre Familie aufgenommen. Als ich die zweite Stunde in den Yoga kam, sagte der Meister, so nannten wir den Künstler, zu Guru Ananda: „Dieser hier wird dein Sohn werden und sich einmal um dich kümmern“. Guru Ananda war ungläubig und fragte ihn am nächsten Tag wieder, aber der Meister duldete keinen Zweifel, er war medial und hell sehend und sich seiner Eingebungen sicher. Fünf Jahre lebte ich noch beim Meister, von ihm als Sohn akzeptiert, dann waren Guru Ananda und ich alleine. Viel Arbeit gab es - und allmählich ist die Gemeinschaft gewachsen, über die ich in diesem Buch berichte.

 

Meine Art des Yoga:

Yoga zu betreiben heißt nicht, alles was aus dem Osten kommt zu bewundern und unsere abendländische Herkunft zu verleugnen. Auf letztere bin ich sehr stolz. Außer einer Menge zivilisatorischer Annehmlichkeiten, vererbte sie mir auch eine exakte Art des Denkens und beschenkte mich mit einem Reichtum informativen Wissens. Tief geprägt davon blieb ich als Yogi ein Abendländer. Die Inder selbst würden mich niemals als Yogi akzeptieren, weil ich nicht an ihre heiligen Schriften glaube und weil ich mir Gedanken über so manche der ehrwürdig-traditionellen Übungen mache, etwa wie sie funktionieren und ob sie überhaupt etwas einbringen. Um den Frevel noch zu vergrößern habe ich manche Übungen aus eigenen Erkenntnissen in Anpassung an unsere Kultur umgeändert. Ein indischer, dogmatisch geprägter Yogi, würde mit mir kein Wort reden und ein Pandit (Gelehrter) würde sich wahrscheinlich geringschätzig über meine Unkenntnis der heiligen Schriften abwenden, obwohl ich sogar ein Swami, ein Yogi-Mönch, bin. Zwar verbindet uns das Wort Yoga, aber zwischen den Mentalitäten liegen Welten.

 

Folgend eine kurze Skizzierung was es in unserer Gemeinschaft, zu lernen und zu tun gibt:

·       Ruhig werden, abschalten können.

·       Lernen, lesen, nachdenken, damit die Ruhe wieder nicht zu groß wird.

·       Satipatthana, das Durchschauen unserer Schwächen, ohne uns zu ärgern und mit dem Versuch in erzieherischer Geduld darauf einzuwirken.

·       Sehr viel Liebe entwickeln; Nächstenliebe, Gottesliebe, Liebe zur Natur. Einfach deshalb, weil es schön ist.

·       Das Beobachten und Kontrollieren innerer feinstofflicher Ströme. Dazu noch Lichtübungen, wenn ersteres klappt.

 

Das wäre im Großen und Ganzen das Wichtigste. Es ist sehr einfach, ein jeder könnte es für sich tun, aber innerhalb einer Gemeinschaft ist es leichter nicht nachlässig zu werden.

 

Der Außenseiter

In kurzen Kontaktgesprächen höre ich immer wieder von Außenstehenden, allerlei Kommentare, wie, dass ein Yogi niemals krank wird, immer gut gelaunt ist und über den Dingen steht. Bei solchen Gesprächen bin ich meist sehr wortkarg. Insgeheim lachen diese Leute darüber, dass ich solchen Illusionen nachjage, während ich mich meinerseits über solchen Irrglauben wundere und schweige. Sich ein ganzes Leben hindurch um Gott zu bemühen ist für diese Menschen noch absurder und unverständlicher und bei dem Versuch einer behutsamen Aufklärung würde ich nur ins Fettnäpfchen treten. Leider ist für die meisten Menschen inklusive der Mode-Esoteriker alles, was transzendent orientiert ist, weltfremd.

 

Was mich anbelangt, so habe ich die Möglichkeit gehabt, auf Grund einer mäßigen medialen Veranlagung Zugang zur Transzendenz zu erhalten. Dabei konnte ich feststellen, dass sich die Phänomene auf relativ einfache Grundgesetzmäßigkeiten zurückführen lassen. Es sind nicht Körperübungen, Zauberworte oder dergleichen, welche diese Welten öffnen, sondern Tiefentspannung.

Die aus dem Wandern in jenseitigen Welten erlangten Erkenntnisse sind anders als die konventionellen Ansichten über die jenseitigen Welten. Üblicherweise beschreibt man das Jenseits durch Analogien zu unserer irdischen Welt. Als Ergebnis entstehen dann viele Widersprüche und Vereinfachungen, all das, was man durch Logik zu überwinden versucht, nämlich Aberglaube. Im Yoga sagen wir, dass sich unser Erkenntnisfortschritt durch ein Emporarbeiten von größeren Irrtümern zu kleineren Irrtümern vollzieht. Dies ist ein mühsamer Prozess. Viele wollen es sich einfach machen und gleich die absolute Wahrheit hören. Sie scheuen die Arbeit einer inneren Auseinandersetzung.  

 

Pseudoidealismus, Pietismus, vergeistigter Realismus

Dies ist kurz skizziert der Entwicklungsweg der Schüler in unserem Ashram.

Viele jugendliche sind geprägt von einem blinden Idealismus mit verworrenen Vorstellungen, Aggressionen gegen „böse Unterdrückung“ durch Staat und Kapitalismus und Abneigung gegen alles was Religion ist. Die meisten Interessenten hier im Ashram sind zwischen 18 und 22 Jahre alt, durchaus bereit für eine bessere Welt zu kämpfen und auch bereit Opfer dafür zu bringen. Aber alle sind sie durch die vielfältigsten Parolen verwirrt und so glauben sie meist gar nichts mehr. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass die meisten, denen sie Seinsfragen gestellt hatten, sie ausgelacht hatten oder mit Parolen argumentierten. Meist Niemand konnte seine Meinung begründen oder wagte es zuzugeben über dieses Gebiet nicht Bescheid zu wissen.

Etliche von diesen Jugendlichen kommen in den Ashram und freuen sich, wenn sie durch Zuhören und Diskussion ihre Probleme angesprochen und kommentiert finden.

Manche sind erstaunt, wenn ihnen nahegelegt wird, Idealismus nicht nur als intellektuelles Spiel zu betrachten, sondern ihn auch zu leben und hierfür auf manche Annehmlichkeit zu verzichten. Da gehören einige Grundprämissen in unserem Yoga wie zeitiger aufzustehen und das Studium nicht zu verbummeln. Oder dass die eigene Wohnung aufzuräumen ist und das dazu noch regelmäßig, dass ausgeborgte Bücher zurückzugeben sind und es heißt pünktlich zu sein.

 

Sehr oft wird versucht inneren Fortschritt über äußeres Verhalten zu erlangen. Dies führt zu Pietismus. Es dauert oft ein bis zwei Jahre bis dieser sich mindert, denn es gehört dazu sich Fehler einzugestehen und sich zu fehlerhaften Eigenschaften zu bekennen. Dann ist der Schüler Realist geworden. Er gewöhnt sich immer mehr daran, hart an sich selbst und auch für das Studium zu arbeiten und wundert sich oft, wie anders der Yoga ist als das, was er sich ursprünglich vorgestellt hatte.

 

Das Alte im neuen Gewand

Von jenen Leuten, welche ihre Füße im Lotossitz verrenken, im Indian-Look durch die Straßen spazieren und sich deshalb als große Yogis fühlen, spreche ich nicht. Sie sprechen ja auch nicht mit mir, weil ich noch nicht in Indien war und deshalb kein Insider bin. Außerdem arbeite ich und bin deshalb für sie ein bürgerlicher Konventionalist. Aber mittlerweile sind sie schon weniger geworden, denn die langen Aufenthaltsgenehmigungen für Indien bekommt man nicht mehr so leicht.

Es geht mir hier um diejenigen, die ernsthaft Yoga betreiben und die bei aller Selbsterforschung immer noch die alten Denkstrukturen, Dogmen, Erwartungen und Sehnsüchte sich erhalten haben.

Sie haben als Kind oder jugendlicher niemals eine Glaubenskrise durchgemacht, wie sie augenblicklich entsteht, wenn eigenständige Gedankengänge einsetzen. Sie haben es nicht gewagt, gegen Gebote und Tabus zu verstoßen und sind den Standardanschauungen verhaftet geblieben.

Im Alter von ca. 15 Jahren habe ich noch fest an Himmel und Hölle geglaubt. Ich habe mir dann mathematisch vor Augen geführt, wie lange eine ewige Hölle dauert und wie kurz damit verglichen das irdische Leben mit seinen Sünden war. Und wenn einer noch so viele Sünden in dieser Zeit getan hat, so war mir das Urteil einer ewigen Verdammnis einfach ungerecht. Ich habe da nicht um Gnade für die Verurteilten gebetet, sondern habe schlichtweg gesagt, so einen Gott bete ich nicht an, das ist ethisch für mich nicht vertretbar und wenn ich dafür in die Hölle komme, und bei diesem Gedanken habe ich mir gleich sehr leid getan, aber ich bin dabei geblieben.

Im Yoga ist Gott Geist, der allem als Leben innewohnt, also körperlos. Trotzdem hat oder ist er Bewusstsein, aber nicht in der Art, dass er sich als Ich fühlt. Er ist weder ein kleines noch ein aufgeblasenes Ich, wie könnte er auch, wo er alles ist. Und somit ist er auch das, was uns Leben verleiht und wenn wir dies in uns erfahren, verlieren wir unser Separatsein und werden im Bewusstsein das, was überbleibt, Allgeist, Allgott.

Und nun zu den Yogis, die noch nicht genug in die Tiefe vorgedrungen sind. Diesen Winter sind einige Schüler nach Indien zu Sai Baba (Indischer Guru), den ich verehre, gefahren und einige, glücklicherweise nicht alle, sind völlig verändert zurückgekommen. Nicht dass Sai Baba sie zu neuen Menschen verwandelt hätte, wie sie selber glauben, sondern der alte Mensch ist in ihnen wieder losgebrochen. Endlich haben sie quasi vor Gottvater sitzen können, zu dem sie Sai Baba gemacht haben. Zu Gott, dem alles beseelenden Gott, wie wir es im Yoga auffassen, hätten sie nicht nach Indien fahren müssen. Für sie war es Gottvater, der sich als Sai Baba inkarnierte; und wie diesen umgeben sie Sai Baba mit Dogmen und religiösen Verhaltensschemen. Hier in der Einengung beginnt dann der eigentliche Fehler - zumindest für einen Yogi ist dies ein Fehler; für einen weltlichen Menschen ist eingeengte Religiosität noch besser als gar keine.

 

 

UNSERE YOGASTUNDEN

 

Das „rituelle“ Erscheinungsbild der Gemeinschaft

Hier der mögliche Eindruck eines Außenstehenden, wenn er bei uns einen Yoga-Raum betritt, um bei einer Stunde für Anfänger mit zu erleben. Diese Eindrücke in Form von  inneren Selbstgesprächen:

„Das schaut aber fremdartig aus. Alle sind sie weiß angezogen, inklusive Socken. Diese Sterilität, wo es doch in der Garderobe, in der sie ihre Straßensachen ablegen, so stinkt. Aha, sogar die Wände sind weiß. Ob das zum Kult gehört oder einfach nur billig zurechtgemacht ist? Und am Fußboden sitzen sie alle, ist sicher so ein exotischer Kult. Da schau, die Bilder, das sind sicher ihre Gottheiten. Christus und Maria sind auch dabei! Also die mischen ja in ihrem Pantheon alles durcheinander. Hab' ich mir doch gleich gedacht, dass die etwas verschroben sind, gleich am Anfang, als mich da einer mit "Shanti" begrüßt hat. Komisch, hab' ich mir gedacht. Anschließend hat mich der Swami mit Servus gegrüßt. Da hab' ich mich geärgert. Der wollte mich offenbar damit frotzeln oder hat mich gar nicht für voll genommen. Na, schauen wir uns den Zirkus einmal an.“

Nun ja, so schaut es bei uns aus. Dass wir am Fußboden sitzen ist klar, will doch ein Yogalehrer seine Kleinwohnung nicht wie einen Kinosaal verstellt haben. Allerdings, wenn die älteren Yogis ihre gemeinsame Meditation haben, da sitzt schon ein ansehnlich Volk auf Stühlen oder auf der Couch. So manchen zwickt es halt schon im Kreuz oder er hat Ischias oder sonst irgend ein Zivilisationsattribut. Ich sitze übrigens auch deshalb auf einem Stuhl, was viele Anfänger als eine Betonung des Patriarchalisch-Würdevollen auslegen, während sie auf dem Fußboden sitzen müssen (denke an den Kinosaal).

Manches mag vielleicht auch wirklich verschroben sein, aber wir haben uns so daran gewöhnt, finden es so selbstverständlich, dass, wäre es plötzlich nicht mehr da, wir uns ganz verstört umschauen würden, um zu sehen, weshalb etwa plötzlich etwas so ganz anders ist. Diese kleinen Eigenheiten sind es, die uns am Abend nach Hektik und allen möglichen Tagesplagen das vertraute Gefühl geben, wieder zu Hause zu sein, wieder unter Freunden zu leben. Der interne Gruß „Shanti“, die Bilder an der Wand, die Kleidung, haben Signalwirkung. Da ist dann kein Anpassen an eine neue Atmosphäre mehr nötig, ein jeder ist gleich drinnen in seiner Familie, lacht und plaudert. Das was einem Anfänger als fremd erscheint, ist für uns die Imprägnierung unserer kleinen Heimat, biologisch unser Nestgeruch.

 

Der Verlauf einer Yogastunde

Das Ganze beginnt mit Begrüßung und Plaudereien im Vorzimmer. Sehr zum Unwillen der beiden Gurus, die früher immer sehr dagegen gewettert haben, von Zeit zu Zeit auch drakonische Maßnahmen ergriffen, die nach 14 Tagen längstens wieder in sich zusammengebrochen sind. Mittlerweile haben sich die Gurus resignierend daran gewöhnt. Auch Gurus können erzogen werden. Die Chelas (Schüler) sind alle miteinander befreundet und freuen sich eben, wenn sie einander wiedersehen.

Die Stunde beginnt mit einer längeren Übung. Meditation will ich nicht schreiben, denn manchmal wird auch rein energetisch, nämlich auf den inneren Energiefluss, geübt. Anschließend trägt ein Chela, oder auch mehrere abwechselnd, ein Lehrthema vor. Die Themen sind verschieden: etwa wie man eine größere Gefühlstiefe erlangt oder Selbstkontrolle oder etwas über den Sinn und die Struktur der Schöpfung vom geistigen Aspekt gesehen, soweit man es zu durchblicken vermeint, Biographien und vieles mehr. Eine innere Umstrukturierung des Menschen muss auch mental durch Erwerb tieferer Erkenntnisse erfolgen. Also nicht nur hinsetzen, um einen meditativen Psychotrip zu machen.

Ansonsten verläuft so eine Stunde sehr gelöst und herzlich, bei den fortgeschrittenen Chelas zumindest. Stunden bei Anfangsinteressenten sind für den Guru oder Yogi oft eine regelrechte Qual. Was mich betrifft, so drücke ich mich darum so weit es geht. Unter diesen Interessenten gibt es nämlich einen großen Prozentsatz, die postieren sich ziemlich abweisend und bemessend. Sie kritisieren und schätzen ab, ob das, was geboten wird, ihrer würdig ist oder nur aus Blödsinn besteht. Verwahrlost, verwöhnt und bequem wollen sie bestenfalls konsumieren und verwechseln uns mit einer Sekte, die auf Seelenfang aus ist und für die es eine Gnade ist, wenn sie durch die Anwesenheit einer neu geheuerten Seele beehrt wird. Genauso schnell, wie wir diese jugendlichen ausbooten, kommen wieder neue gleicher Art. Allmählich bleiben aber doch jene über, die zu uns passen und dann ist so eine Yogastunde für beide Seiten eine Freude.

Am besten, dachte ich, kann die Atmosphäre so einer Stunde wiedergegeben werden, indem ich die Gedanken darstelle, die der innere Schwätzer, den auch ein Swami noch besitzt, so von sich gibt. Wollen wir uns also in Form von Kleinkapiteln so ein paar typische Beispiele anhören. Als erstes ein Anfangsinteressent von einer eher gutmütigen Kategorie, der auch so seine Gedanken hat.

 

Der Anfänger

Ein Anfänger sitzt im Meditationsraum:

„Schon das vierte mal hier. Hätte nicht gedacht, dass ich das so lange durchhalte. Heute kommt der Swami. Soll ein echter Yogi sein, eben ein Swami. Bin neugierig, ob da wirklich was dahinter ist; den schau ich mir genau an.“

„Ist noch immer nicht da! Der Mensch kommt aber spät. Mir ist das nicht erlaubt. Aha, da ist er. Ob ich mich verneigen soll oder weitermeditieren? Horch, nichts rührt sich, also weitermeditieren. Was soll ich? Gedanken abstellen? Hab' ich eh gemacht. Durch den Swami hab' ich sie jetzt wieder. Dabei war ich so gut drinnen. Hab' mich direkt erholt dabei.“

„Hört noch immer nicht auf, die Meditation. Mir schläft schon der Fuß ein. Wenn die schon aufhören täten.“

„Ah, war das jetzt schön still. Die ist mir gut gelungen, die Meditation. War ziemlich lang, der Zustand; ein echter Friede; wer weiß, wie viel Zeit inzwischen vergangen ist. Ist doch was Schönes, so eine Meditation, das braucht so ein gestresster Mensch heutzutage, und wie man sich gut erholt dabei. Ha, da schläft ja einer, das hör' ich am tiefen Atmen. Das muss eine Flasche sein, von Yoga hat der keine Ahnung.“ Die Meditation wird beendet mit: Wir nehmen uns zurück und öffnen die Augen.“

„Jetzt schau' ich mir den Swami an. Nein, jetzt nicht, er schaut gerade in meine Gegend. Ob ich ihn fragen soll, warum wir überhaupt auf die Welt kommen? Mich interessiert's halt so. Aha, jetzt kommt so etwas wie ein Vortrag. Ist eh besser, da kann ich zuhören und fragt mich keiner.“

„Jetzt schau' ich mir ordentlich den Swami an, so aus den Augenwinkeln, dass er's nicht merkt. Wie die alle ernst dreinschauen. Wie bei einem Begräbnis.“

„Na gibt's denn das? Der macht glatt einen Witz, der Swami! Und wie die alle dazu lachen und so etwas im Yoga! Hat mich ohnedies gleich schockiert, wie ich ihn das erstemal gesehen hab', in seinem blauen Pullover und Straßeng'wandl. Schaut ihn an, wie der leger sitzt, nichts von Würde. Huh, vielleicht war der nicht einmal in Indien, der Swami, bei einem Erleuchteten und ist nur ein Pfuscher? Na, hören wir einmal zu, was er sagt.“

 

Der Swami bei Fortgeschrittenen, Stundeneröffnung

Komme von einer anderen Stunde und bin natürlich zu spät. Der Kreis hat schon eine halbe Stunde geübt. Fritzi und Li-Si (zwei Hunde, beide Straßenmischungen) kommen mir entgegen und springen mir rauf. Ich streichle sie und tätschle sie ab. Dauert ein bis zwei Minuten bis sie sich beruhigt haben, bei der gegenseitigen Konkurrenz. So abtätschelnd gelingt es mir, mich bis zum Stuhl vorzuarbeiten, damit ich wenigstens dabei sitzen kann.

„Eigentlich müsste ich mich ja zuerst vor der Gottesmutter verbeugen und den Satgurus (Erleuchteten), deren Bilder hier hängen, aber Fritzi und Li-Si wären sicher gekränkt, wenn ich sie warten lassen würde.“

Ich verneige mich vor den Schülern und begrüße sie. „Eigentlich müsste ich mich ja zuerst . . . , aber die Schüler schauen mich schon so an und die Muttergottes und die Satgurus verstehen mich, wie ich sie kenne, sind ja geduldig. So, jetzt habe ich auch sie begrüßt.“

„Freue mich, dass ich Euch wieder sehe, meine Lieben.“

„Wie sie mich anlachen, ja, ich hab' sie auch so gerne, ist schon lange her, dass ich sie nicht gesehen habe, drei Tage sind es schon. Mal abzählen, wie viele fehlen. Fast alle sind da, das ist eben ein toller Kreis, auf den kann man sich verlassen.“

„So, jetzt schau ich mir jeden einzelnen an, ich brauche so eine persönliche Seelenbegegnung, damit es innerlich richtig strömt. Ah, der Rahula, ein Schlendrian, aber ein lieber Mensch, täte mir echt fehlen, wenn er nicht da wäre.“

„Na, Govind, was schaust denn so ernst drein, fehlt Dir was?“

„Natürlich fehlt ihm nichts, schlechte Gewohnheit, immer so ein Gesicht zu machen.“

„Grüß Dich, Mandsana, wer passt denn heute auf den Pauli auf?“

„Haha, den Amata haben sie erwischt zum Kinderaufpassen, einen Novizen (angehenden Swami), den werden die Kinder fertigmachen, zu viert schaffen sie das schon. Das letzte Mal haben sie ihm die Wohnung halb zerlegt. Mann, war der verzweifelt. Ist gut so, der wird Swami aus Überzeugung.“

„Na, Sitaramia, hast ja schon viel im Yoga gelernt, bist

schon gelöster und hast nicht mehr so ein Grüblergesicht.“

 

„Aber Swami, so arg ist es auch wieder nicht.“

 

„Wie meint er das? Grübelt er noch immer oder behauptet

er, dass er nie ein Grübler war. Mit dem soll sich einer

auskennen.“

 

„Na, was gibt es denn heute als Thema?"

 

„Kinetische Erscheinungen im Kundalini-Yoga.“

„Schon wieder Kinetik, höre ich schon das drittemal im

Monat, immer dasselbe.“

 

„Ihr könnt doch nicht immer dasselbe bringen, über Kinetik

habe ich schon zwei Stunden in diesem Monat gehört, hängt

mir schon zum Hals heraus. Habt ihr nicht noch was anderes

vorbereitet?“

 

„Aber Swami, das Thema hast Du selber gutgeheißen, bei

der letzten Besprechung.“

 

„Ja, das war vor drei Wochen, da hab' ich mir nicht gedacht,

dass ich das in anderen Kreisen auch noch hören würde. Bin

ja auch nur ein Mensch, Ihr könnt mir nicht alles zumuten.

Das Thema .schmeiß' ich Euch. Also, ein anderes Thema.“

 

„Wir haben keines!“

 

„Ihr seid mir welche, ich habe Euch doch schon so oft

gesagt, Ihr sollt immer ein Reservethema haben. Worüber

sollen wir denn plaudern? Sagt mir, was Ihr hören wollt.“

.........

 

 

Eine Stunde bei meinem geliebten Guru

Nach langer Zeit ist wieder einmal eine Sonntagsstunde. Es sind die einzigen Stunden, in denen ich bei meinem Guru sein kann. Sonst unterrichten wir parallel und haben uns die Arbeit aufgeteilt.

„Freu' mich schon echt darauf. Wie sie glücklich aussieht (Ananda, mein Guru). Wir sind beide schon alt geworden. Das hätte ich damals visionär sehen sollen, als ich als junger Schüler zu ihr kam. Hätte ich mich da gewundert, ich wäre baff gewesen. Und jetzt ist alles Wirklichkeit. Das waren damals Zeiten, alles ganz anders. Damals haben wir noch Hatha-Yoga zusätzlich unterrichtet. Ich als Vorturner ganz in Schwarz. Haha, Höllenfarbe würden etliche Pietisten jetzt sagen. Für die ist das Weiß heute nicht etwa ansprechend und praktisch, sondern spirituelle Gesetzespflicht, daran erkennt man, ob einer schwarzmagisch oder weißmagisch ist. Ich mag das Magische überhaupt nicht. Für uns war Schwarz damals praktisch, weil es nicht so schnell schmutzig wird.“

„Ist schön so viele Yogis vor einem sitzen zu sehen. Das hat gedauert, bis es so weit gekommen ist, zwanzig Jahre. Direkt feierlich. Muss einmal Guru Ananda die Hand drücken, weil ich mich so freue, und damit sie sieht, wie gern ich sie habe.“ „Wie sie das schön inszeniert hat. Ein Extrathema hat sie gebracht, eine Ausarbeitung, welche ich noch nie gehört habe. Sie tut alles, um mir eine Freude zu bereiten. Eine Dichterbiographie bringt sie, damit ich auch Kultur bekomme. Sie gibt es nie auf, die Liebe, wo ich doch so prosaisch bin und mich mehr für die Naturwissenschaften interessiere.“

„Jetzt hat sie mich angelächelt. Sie ist stolz auf mich. Habe mich auch bemüht hart zu arbeiten und alles bestens zu machen. Na ja, wenn man sich's richtet, dann kann man trotzdem ganz gut und gemütlich leben. Gute Organisation und Aufteilung der Arbeit sind schon was wert.“

 

Stunden im Freien

Auf einer Wiese, am Waldrand, dort, wo auch ein bisschen Schatten ist, sieht man einige Studenten in Blue Jeans, verstreut, auf dem Bauch oder Rücken liegend oder in weltfremder Versunkenheit sitzend. Was machen die nur?

Es sind Yogaschüler, die eine Stunde im Freien haben und üben. jeder zumeist für sich. Nichts da von Introversion, im Gegenteil, die Sinnesorgane werden geöffnet; es heißt da einmal bewusst erleben, einatmen, mit dabei sein.

Weil es dem werten Leser auch nicht schadet, einmal an Yogaübungen mitzunaschen, will ich einige detaillierter beschreiben. Natürlich nicht zu detailliert, denn dadurch würde die Fantasie eingeschränkt werden, und sie soll sich ja entfalten.

Zuerst heißt es einmal, unsere abgestumpften Sinnesorgane zu erwecken und voll aufzunehmen, was da ist. Dass wir unsere Sinne zumeist abschalten und anders gebrauchen, ist doch klar, oder stellen Sie sich vor, Sie würden in der Stadt voll und konzentriert riechen, ganz Nase sein. Na prost, da wäre man eingedeckt, ich brauche es ja nicht aufzuzählen, was sich da anbietet. Wenn wir unsere Gewohnheit jedoch auch in der Natur beibehalten, erleben wir sie nur halb. Wie schön es ist, im Herbst das Laub zu riechen, frisches Laub, altes Laub, von Buchen, von Eichen, usw. Im Frühjahr nach der Schneeschmelze, wenn die ersten Knospen und Blätter hervorkommen, überall die Erde, das Wasser riechen, auch nicht schlecht. Und im Sommer, was es da gibt, nicht nur Blumen auch Holz, Rinde, Steine, ein ganzes Reich der Düfte gibt es. Es ist schön, sich da hineinzuriechen und alles von einer ganz anderen Seite kennenzulernen.

Hören - das Blätterrauschen, die Vögel, den Bach, immer neue Nuancierungen, neue Muster von Klang und Abfolge.

Auch die Augen sehen anders. Da sind nicht abstrakte Zeichen, die möglichst rasch zu verarbeiten sind, nein, da kann man schauen, minutenlang auf einen Fleck schauen, um die unterschiedlichen Farbtöne eines Schattens zu erhaschen. Farben werden neu erlebt, ein Blatt ist nicht mehr grün, nein, es lebt in vielen Grüns, die ineinander übergehen, und schon sind sie wieder anders, weil sich das Blatt bewegt hat. Nicht denken soll man dabei, sondern nur staunen und schauen, sonst erlebt man es falsch, erlebt gar nichts.

Einmal niederknien und das Kleine ganz groß sehen. Das ist nicht nur für den Eigendünkel gut, es ist auch schön. Wie da so ein Käfer, einmal groß geworden, bizarr aussieht. Die Blattwanze, gar nicht so übel, ist ja schön bemalt. Was ist denn das für eine Motte? Habe ich noch nie gesehen. Tolle Fühler hat die. Was stelzt denn da so komisch daher ...

Ach, die Stunde ist schon zu Ende, gerade jetzt, wo ich so mittendrin war. Schade. Aber es kommt ja noch ein Tag.

 

Aufräumen

Aufräumen im Ashram: hier wird nicht nur Unordnung gemacht, hier wird auch alles wieder auf Glanz gebracht! Jeder kommt im Monat einmal an die Reihe.

Gedanken eines Schülers: „Eigentlich macht es ja Spaß. Vorher, wie ich eingeteilt wurde, habe ich mich geärgert. Habe mir gedacht, tut weh oder ist unter der Würde. Jetzt ist irgendetwas schön dabei, was, das ist mir noch nicht ganz klar, denn Unterhaltung gibt es nur in kleinen Fragmenten. Ob es einfach das ist, weil wir beisammen sind? Oder ist es, weil ich einmal auch was leiste und nicht nur zuhöre, weil ich nützlich bin?“

So fängt das Aufräumen an. Zuerst kurz nach der Stunde, dann hin und wieder Mithilfe bei einer Generalreinigung der ganzen Wohnung. Was soll erreicht werden? Dass ein jeder seine Scheu davor verliert und beginnt, auch seine eigene Wohnung aufzuräumen. Dann ist ein großer Schritt getan.

Auch das gehört zur Yogaausbildung, das sind indirekte Yogastunden.

 

 

WAS SICH SO IM LAUFE DES TAGES ABSPIELT

 

Ein Yogi im Alltag

Im Prinzip ist ja so ein Yogapraktikant in keiner Weise anders als jeder seiner Mitmenschen. Der Morgen beginnt damit, dass er nicht gerne aus dem Bett steigt, wenn dieses so schön warm ist. Aber er muss halt, die Arbeit wartet. Dann Frühstücken, mit Auto oder Straßenbahn in den Verkehr hinein, was arbeiten, Mittagessen, müde nach Hause kommen. Derselbe Tagesablauf wie bei jedem anderen; und doch gibt es einen feinen Unterschied: Hinter allen seinen Handlungen und inneren Regungen steht fast nicht erkennbar ein Beobachter, der innere Yogi. Dieser innere Yogi ist kein Staatsanwalt oder Polizist, auch kein Moralist, sondern ein Spieler.

Nach der Morgenmeditation beobachtet er, der Spieler, wie die Sache jetzt weiterläuft. Bleibt innerer Friede, Gottesverbundenheit, Nächstenliebe bestehen oder kommt beim Mittagessen die Erkenntnis, dass aller Yoga, alle Prinzipien wieder für einen halben Tag vergessen wurden, durch die vielen Ablenkungen? Am Nachmittag wieder das Gleiche. Wieder vergessen heißt wieder verlieren. Aber was macht's, am nächsten Tag gibt es wieder eine Runde, und die wird glänzend bestanden, darüber gibt es keinen Zweifel. Manchmal gibt es schöne Augenblicke, da sieht man eine abgeschlagene Mauer oder einen bemoosten Lattenzaun plötzlich ganz anders. Anstatt Anstoß an dem zerfallenden Kulturobjekt zu nehmen, finden wir es plötzlich schön. Diese Ziegel, die da aus der glatten, grauweißen Mauer herausschauen, verleihen dem Ganzen malerische Schönheit, Vielheit oder Abwechslung - oder wie soll ich es sonst beschreiben, eigentlich ist es absurd, es rational begründen zu wollen.

Ein Papierknäuel auf dem Asphalt, die Sonne spiegelt sich darin, Schatten mystifizieren es, es wird eine Welt für sich, eine Botschaft, eine Aussage. Ein paar Sekunden nur, und der Yogi ist glücklich geworden, plötzlich ist er freudig, strahlend, ohne dass nach außen ein Grund zu erkennen ist. Diesmal hat er das Spiel gewonnen.

 

Änderung des Traumlebens

Träume sind Ausdruck der Lebendigkeit und Gesundheit der Psyche. Mit zunehmendem Fortschritt im Yoga treten im Traumerleben einige Änderungen ein. Und so beginnt es:

·       Traumlos: Das heißt keine Erinnerung an Träume, wahrscheinlich, weil die Träume so unplastisch und emotionsschwach sind. Nachgewiesenermaßen hat jedoch auch ein solcher Mensch mindestens vier Traumphasen während der Nacht.

·       Chaotische Träume mit rascher, oft unzusammenhängender Szenenfolge.

·       Träume mit tieferer, symbolhafter Aussage, plastisch und zuweilen mit faszinierenden Farberlebnissen.

·       Flugträume, Landschaftsträume und eingestreut immer häufiger vollbewusste Träume, das sind Träume, bei denen der logische, analysierende Tagesverstand voll aktiv ist. Der Yogi kann sich dann die Gegend anschauen oder sich einfach im Traum hinsetzen und meditieren.

 

Zu Anfang, wenn in der Psyche noch große Spannungen bestehen, finden sich öfters noch Verfolgungsträume. Oft manifestieren sich verdrängte und unterdrückte Eigenschaften mit größter Deutlichkeit. Das Traumleben ist dann für den Yogi ein untrüglicher Wahrheitsspiegel, der ihm Aufschluss über seinen wirklichen Fortschritt gibt.

Allmählich werden die Träume immer zusammenhängender und logischer, wenngleich irgendwelche Irrationalitäten immer erhalten bleiben. Zu dieser Art des Träumens gehört auch das „Falsche Aufwachen“.

„Falsches Aufwachen“ nennen wir eine Traum-Eigenart mit folgenden Gegebenheiten:

In der Früh passiert es immer wieder, dass man aufsteht, ein bisschen im Nachtgewand herumgeht, sich dann anzieht und kurz darauf wirklich aufwacht und feststellt, dass alles nur ein Traum war und man nach wie vor noch im Bett liegt.

Als ein Beispiel hiefür mein heutiges "Falsches Aufwachen“. In der Regel ist der Inhalt sehr "alltäglich", das ist er fast immer beim „Falschen Aufwachen“ - Ankleiden, Zähne putzen, Frühstück zubereiten. Dieses "Falsche Aufwachen" ist eher eine Ausnahme:

„Aha, Ananda ist auch schon auf (Guru und Adoptivmutter in einer Person). Will ein bisschen Cognac für den Tee. Kann sie haben. Ah, das kleine Probefläschchen ist schon fast leer, werde ich nachfüllen. Da ist sie schon die Vorratsflasche, muss eine neue sein. Was steht denn darauf? Lichtwasser.“ Das erinnert mich an Glühwürmchen und Feuerwasser. Gefällt mir, gehe damit in den Yogaraum. „In welch' schönen Farben das luminisziert, bei dem Dämmerlicht hier. Schade, jetzt scheint die Sonne beim Fenster rein und ich sehe es nicht mehr, dieses Farbenspiel.“

Kurz darauf merke ich, dass ich noch immer im Bett liege und scheinbar gerade aufgewacht bin. Ich stehe auf, um mich umzuziehen. "Komisch, habe mir für die Nacht einen Seidenschal um den Hals gewickelt. Den hat sicher ein Schüler am Abend vergessen. Werde ihn dem Sampad geben, der soll herausfinden, wem er gehört.“ Gehe mit dem Seidenschal in die Küche, um ihn abzulegen. Seltsam? Wieso ist der Schal jetzt rosarot kariert, wo er doch vorher hellblau kariert war?“

Jetzt wache ich echt auf und damit beginnt der Alltag.

 

 

DAS INNENLEBEN EINES YOGI

 

Ethische Träumereien

Bei allem Realismus bin ich auch ein großer Träumer. Natürlich hätte ich gern etliches anders in der Welt und es ist mir auch klar, dass ich keinen Deut daran ändern kann. Aber meine Tugend im Yoga ist es, dass ich es trotzdem versuche.

 

·       Friede, Liebe:

Was ich mir ersehne, wäre Frieden in der Welt und dass sich alle gern hätten. Ein jeder Mensch sollte zum anderen gut sein, damit wird er innerlich froh und alle anderen auch. Das heißt natürlich nicht, dass man ein gutmütiger Tollpatsch ist, der alles durchgehen lässt. Man hat ja auch Verantwortung für den Mitmenschen, erzieherische Verantwortung, und muss ihm deshalb hin und wieder eines auf die Finger klopfen, damit ihm die ethischen Richtlinien klar werden. Aber wenn er sieht, dass man dies nicht aus Eigennutz gemacht hat, sondern quasi zur Selbstwehr, dann nimmt er es einem sicher nicht übel und ist nach kurzem Schmollen bald wieder versöhnt. Ganz so leicht ist das natürlich nicht immer, das gebe ich zu; ich habe durch viele Jahre lernen müssen und mache noch immer Fehler, aber irgendwie geht es. Wenn ich mir die vielen Reibereien, Sturheit und mangelnde Kompromissbereitschaft in der Welt anschaue, und das nicht nur im Großen, sondern auch im kleinen Hinterhofmilieu, dann muss ich sagen, dass ich es sogar sehr gut geschafft habe, eine kleine Welt des Friedens aufzubauen. Nicht, dass ich etwa das Leben im Yoga meine, wo man eine rigorose Charakterselektion durchführen kann, nein, im Beruf und im Alltagskontakt meine ich. Die Leute freuen sich, wenn einer einmal gut zu ihnen ist und sind ebenfalls nett. Für alle ist es dann schöner.

 

·       Verschwendungssucht:

Ja, die Verschwendungssucht betrachte ich nicht als Bosheit, sondern eher als Achtlosigkeit. Wie viele Bäume müssen daran glauben, für Reklame und  Wegwerfpapier. Wie werden unsere Rohstoffe vergeudet, die später einmal fehlen werden. Es heißt es werden dadurch Arbeitsplätze geschaffen. Ich glaube es nicht. Arbeit gäbe es auch anderswo genug. Vielleicht ist das Umdenken schwierig, in der Routine unserer Zeit. Man kann es nicht ändern, aber im Kleinen könnte die Einstellung ein wenig anders sein. Man kann mit gutem Gewissen Gutes essen und es auch stehen lassen, wenn man es nicht mehr schafft, aber dankbar sollte man dafür sein und daran denken, dass es viele nicht haben. Hin und wieder ein trockenes Stück Brot essen zum Nachtmahl wäre auch nicht schlecht - einfach aus Solidarität und zum Gedenken an jene, die nichts haben. Sicher kann man ihnen dadurch nicht helfen, aber was schadet es, an sie zu denken, ein bisschen mit ihnen zu fühlen?

 

·       Ansehen und Prestigedenken:

„Gratuliere, Herr Direktor, jetzt haben Sie es geschafft. Hat Sie genug Arbeit und Quereleien gekostet, so rauf zu kommen. Ich gönne es Ihnen und genießen Sie es. Es sind ohnedies nur fünf Jahre, dann gehen Sie in Pension. Ja, und dann sind Sie wieder eine Null. Pensionisten sind eben Nullen in unserer Gesellschaft, die Sie, Herr Direktor, mitgeschaffen haben. Pensionisten sind ohne Einfluss und meist ohne lebendige Beziehungen im Sinne "eine Hand wäscht die andere" oder "Vernetzung", wie man Seilschaften gerne nennt. Wenn einer noch was schaukelt für Sie, Herr Direktor, dann nur aus Sentimentalität. Aber fünf Jahre später reicht es dann auch dafür nicht mehr. Dann sind Sie froh, Herr Direktor, wenn der Meier Franzl im Park mit Ihnen Karten spielt.“

In dieser Art habe ich durch viele Jahre gedacht. Jedoch, dachte ich dann später anders. Wenn Mitmenschen im Mittelpunkt stehen wollen, was streben sie dabei unbewusst an? Sie wollen beachtet werden, sie wollen geliebt werden! Danach suchen sie und sicherlich gibt es in unserer Welt einen Mangel an Liebe!

 

·       Besitzgier:

„Noch mehr, und wenn ich es stehlen muss!“ „Wozu?“ Weil es Ansehen schafft und damit es mir besser geht.“

Solches Denken macht jedoch nicht glücklich. Aber geht es hierbei um Glück? Eigentlich nur indirekt. Was hinter der Besitzgier steckt ist Angst. Angst vor Entbehrungen und Not. Angst einer unteren Klasse anzugehören und gesellschaftlich nicht anerkannt zu werden. Angst davor mit wenig Besitz an Freiheit und Entscheidungsmöglichkeiten zu verlieren. Und es sind unerfüllte Wünsche, die man sich durch Besitz erfüllen möchte. Materielle wünsche sind es. Aber machen solch erfüllte Wünsche wirklich glücklich. Sofort wird ein erfüllter Wunsch durch einen neuen Wunsch ersetzt - das muss so sein, denn sonst würde man mit einer inneren Leere konfrontiert sein. Eine Leere, die dadurch entsteht, weil man im Grunde gar nicht weiß wozu man lebt.

 

·       Macht:

Wie war der Anfang? Als du ein Kind warst haben sie dir Grießmatsch und Spinat in den Mund geschaufelt. Und wenn du einmal eine unangenehme Wahrheit gesagt hast, hast' eine Ohrfeige abgefangen. Seitdem hast du gelogen und du hast dir gesagt wenn ich einmal groß bin, werde ich es ihnen zeigen“. Denen von früher zeigst du es natürlich nicht mehr, die sind ja inzwischen alt geworden und interessieren dich nicht mehr; du zeigst es den anderen, die nichts dafür können. Eigentlich geht es gar nicht mehr um die Revanche, um das Durchsetzen und Respektiert werden. Der Kampf nach oben zu kommen ist zur Gewohnheit geworden. In Kindheit Erlittenes hat die Seele verkrümmt und wurde bestimmend für die Lebensausrichtung.

Letztendlich sind es Angst und die Sehnsucht nach Liebe, welche hinter dem Streben nach Macht stecken. Doch wer liebt schon jemanden, von dem man unterdrückt wird. Es ist nur geheuchelte Wohlgesonnenheit, welche den Mächtigen entgegen gebracht wird. Sie fühlen es, die Mächtigen. Sie fühlen, dass sie nicht geliebt werden. Dies wiederum lässt den Mangel unbewusst umso stärker empfinden und wiederum versuchen sie nach fehlgeleiteter Strategie durch Macht den Mangel auszugleichen.

 

Wie ich selber sein möchte und es nicht bin

Mit einer charakterlichen Wunschliste möchte ich niemandem auf die Nerven fallen, obwohl es auf diesem Gebiet so manches zu erledigen gäbe. Nein, da gibt es subtilere Dinge, über die kaum jemand spricht und die mich besonders faszinieren.

 

Einer meiner Wünsche wäre die Gedankenbeherrschung. Wie so mancher andere schwätze auch ich in Gedanken so vor mich hin. Früher habe ich gedacht, das muss so sein, damit man ein Vernunftwesen ist. Aber nachdem ich die Gedanken analysiert habe, die da so kommen, habe ich erkannt, dass ich jede Idee, jeden Vorsatz immer wieder vor mir hersage und dazwischen eine Unmenge Blödsinn denke, sozusagen als eingebettetes Füllmaterial. Das Ärgerliche ist, dass gerade die wichtigen Sachen, auf die ich mich immer wieder durch diese penetrierenden Wiederholungen aufmerksam gemacht habe, dass ich diese oft zum richtigen Zeitpunkt vergessen habe, weil gerade andere vorauseilende Gedanken im Kopf hatte. Wenn man einmal auf dieses Gedankengeschwätz aufmerksam geworden ist, es durch ein paar Stunden beobachtet hat, die Gedanken abstellen wollte und trotzdem damit weitergequält wurde, ist man sicherlich überrascht was sich da alles so abspielt. Man versucht das Geschwätz abzustellen, aber sicherlich meist vergeblich.

Das wäre zur Beherrschung der Gedanken. Das ist kein Hobby, das ist ein Krieg. Ich glaube, niemand lernt es so oft zu verlieren und trotzdem nach außen eine wohlgemute Miene zu zeigen, wie ein Yogi.

 

Als zweites auf der Wunschliste steht die Lenkung der Gefühle. Mehr Liebe, mehr Herzenswärme, weniger Nörgelei und Kritik an sich selbst und den Mitmenschen. Immer wieder stellt mich das Leben auf die Probe, indem es mir Situationen vor Augen führt, wo ich statt Mitgefühl nur Anteilslosigkeit an mir festgestellt habe. Auch hier habe ich ständig erlebt wie meine Vorsätze zerflossen sind und ich statt in der Herzensgüte zu siegen verloren habe, sehen musste, wie wenig weit noch ich meinen Zielen näher gekommen bin.

Wie sehr habe ich darum gekämpft Liebe zu entwickeln. wie oft habe ich in Meditationen versucht Liebe, ja sogar All-Liebe in mir zu verankern. Ich habe erkannt: Liebe braucht ein gegenüber. Mit geschlossenen Augen kann man sie nicht erlernen.

 

Naturliebe

Durch etliche Jahre meiner Kindheit lebte ich in einem Haus am Waldrand. Um in die Schule zu gelangen, musste ich als Sechsjähriger zusammen mit einem Mädchen eine volle Stunde durch den Wald gehen. Selten sind wir einem Menschen begegnet, dafür aber Feuersalamandern, allerlei Schmetterlingen, seltsamen Blumen, und überall lebten da unsichtbare Geister. Noch als Siebzehnjähriger bin ich oft vor einer Blume niedergekniet, habe ein jedes Äderchen der Blüte bewundert, war entzückt und unansprechbar. Aus Angst eine Blume zu zertreten, bin ich nur auf Wegen gegangen und wehe, jemand aus meinem Nahkreis hätte eine seltene Art gepflückt, da konnte ich recht ärgerlich werden. Ein bisschen übertrieben war ich schon und nicht realistisch. Aber ich habe Ehrfurcht erlernt und Liebe zum Kleinen. Diese Eigenschaften habe ich nie verloren und damit habe ich eine gute Mitgift für den Yoga eingebracht. Für den Yoga war eine gute Basis gelegt.

Alle die Leute, welche ihren Hund streicheln, an Blumen riechen, gutmütig und hilfsbereit sind, die sind in meinen Augen verborgene Yogis. Andere dagegen, die in strammer Yogi-Sitzhaltung die Augen verdrehen, im Alltag sich jedoch ihren Egoismus entfalten, sind es zwar nicht, aber sie haben zumindest ein wertvolles Ziel vor Augen und über kurz oder lang werden sie es auch erreichen.

 

Die Kerzenflamme

Obwohl mich so viele Menschen umgeben, die alle liebevoll und gut zu mir sind, bin ich oft einsam. Das ist, weil ich noch keine volle Gottesnähe erreicht habe, die göttliche  Gegenwart manchmal nicht so intensiv fühle wie ich möchte. Womöglich falle ich dann in Traurigkeit und Depression. Dann hilft mir oft eine kleine, goldene Kerzenflamme.

Ich entzünde es, dieses lebendige goldene Licht, vor dem Bildnis der Gottesmutter und mache nichts, sondern betrachte nur die Flamme und dann das Bild. Dabei kann eine geraume Zeit vergehen, vielleicht eine Stunde oder mehr, ohne dass ich etwas tue - und doch, es wird still in mir. Das Aufbegehren und Verzweifeln weicht einer Stille und wieder kehrt der Friede zurück. Alle Unzufriedenheiten über meinen geringen seelischen Fortschritt, den ich eben noch beklagt hatte, weicht einer Gottergebenheit. Ich weiß, sage ich mir dann, dass ich nicht viel erreicht habe, aber es liegen noch viele Jahre oder Leben vor mir, vielleicht schaffe ich es dann, und wenn es der Gottesmutter recht ist in ihrer Geduld, dann will ich zufrieden sein und warten können.

Goldene Kerzenflamme, dein Licht hat schon oft meine Seele erhellt.