Mongke der Mongole
Alfred Ballabene
alfred.ballabene@gmx.at
gaurisyogaschule@gmx.de
Mongkes verlorene Liebe
Mongke wuchs in
den weiten Steppenhügeln der Mongolei auf. Er liebte die Familie, die Jurte und
die Welt um ihn. Es war ein freies Leben, in einer Welt, in welcher die
Unendlichkeit die Erde berührte und den Menschen Ehrfurcht vor den vielfältigen
Geschöpfen lehrte.
Mongke als Jugendlicher
Er liebte es mit
seinem Pferd in die mit Steppengras bewachsenen Hügel hinaus zu reiten, den Ruf
der Adler zu hören und zu jagen oder friedlich in der Nähe der Yakherde zu
sitzen, die Tiere zu beobachten und vor den Wölfen zu beschützen.
Yakbulle
Mongke war zu
einem jungen Mann gereift und hatte sich in ein Mädchen verliebt. Nur selten
sah er sie, denn die Entfernung zwischen den einzelnen Zelten war groß. Es gab
jedoch immer wieder Festlichkeiten, an denen man sich treffen konnte. Das waren
seine schönsten Tage. Die Liebe zu dem Mädchen und ihre Liebe zu ihm wuchsen
mit jedem Tag. Schon waren die Trennungen, die bisweilen Wochen oder Monate
dauerten, für beide kaum zu ertragen. Beide Familien waren mit einer Heirat
einverstanden und alle freuten sich, das junge Paar bald vereint zu sehen.
Schon träumte
Mongke von einem Leben mit seiner Geliebten und von fröhlichem Kindergeschrei,
das sein Zelt mit Leben füllen würde. Plötzlich jedoch, mitten in seinem
greifbar nahem Glück, stürzte das Mädchen unglücklich vom Pferd und starb von
einer Stunde zur anderen.
Eine Zeit
hindurch war der Jüngling vom Schock gelähmt, unfähig irgend etwas zu tun,
unfähig zu denken oder gar sein Leben neu zu gestalten. Er schlich mit leblosem
Gesicht zu den von Erinnerungen geschwängerten Lieblingsplätzen, als ob er dem
Geist seiner Geliebten dort begegnen könnte. Doch alles war ohne Leben, selbst
Bäume und Gräser, die früher zu ihm gesprochen und ihre Kraft mit ihm geteilt
hatten, sie alle schwiegen, als wären auch sie gestorben. So durchstreifte er
ruhelos die Plätze seiner Erinnerung und jedes Mal erfüllten sie ihn mit schmerzvoller
Trauer.
Da jene Plätze
nicht in unmittelbarer Nähe der Jurte waren, sah ihn seine Familie oft tagelang
nicht. Vater und Mutter mahnten ihn immer wieder, ins Leben zurück zu kehren,
doch vergeblich. Zuletzt hielt er es nicht mehr in seiner vertrauten Umgebung
aus und beschloss wegzuziehen, irgendwohin zu reisen als Flucht vor seinen
Erinnerungen.
Sein Vater, der
einerseits um das Leben seines Sohnes bangte und andererseits die Hoffnung
hegte, dass sein Sohn durch Ablenkung vom Schmerz wieder genesen würde, gab ihm
sein bestes Kamel und reichlich haltbaren Proviant. So zog Mongke von zu Hause
fort.
Zuerst zog er
kreuz und quer durch das Land, ohne Ziel, so als könnte er dabei seiner eigenen
Vergangenheit entfliehen. Später wendete er sich nach Süden, immer der
Mittagssonne nach.
Es war ein mit
schütterem Gras bewachsenes Land, das seinem Kamel ausreichend Nahrung bot und
ihm ermöglichte, von gejagtem Wild zu leben. Das Land war durchzogen von
schmalen Bächen. Hohe Berge mit Schneegipfeln waren weit weg am westlichen
Horizont, wie niedere Wolken, zu erkennen.
Da der Weg
bergiger und beschwerlicher wurde, wandte sich Mongke nach Osten. Das Land
wurde flacher und allmählich dürftiger, die Grasflecken seltener und ebenso
Bäche und Seen.
Mongke ritt
weiter in das ihm unbekannte Land hinein. Dieses wurde zusehends trockener und
als er sich der Konsequenzen so richtig bewusst wurde, war es schon zu spät um
umzukehren. Es wäre weder ihm noch seinem Kamel möglich gewesen die zuletzt
aufgefundene Wasserstelle zu erreichen, wobei gar nicht sicher war, ob er sie
auch finden würde. Mit Schreck wurde sich Mongke klar, dass er zu leichtsinnig
gewesen war.
Und nirgends war
Wasser!
Die einzigen
Wasserstellen, die er fand waren salzig und nicht trinkbar.
Mongkes Durst
brannte, seine salzigen Lippen sprangen auf. Schon begann er sich in Träumen zu
verlieren und er musste mit Willenskraft seine Augen offen halten.
Da sah er wie
sein Kamel an einem Gerippe vorüber ging. Er reagierte kaum und wollte schon
vorbei reiten, da wurde ihm gewahr, dass es ein menschliches Gerippe gewesen
war. Ein Verlorener wie er selbst?
Ein Gefühl der
Verbundenheit kam hoch und er dachte: oh, sicher hat hier niemand ein Gebet
gesprochen, auf dass die Seele des Verstorbenen ihren Weg finden möge. Ohne
Sterbensgebete muss diese Seele in der Dämmerung herumirren.
Mongke stieg ab
und hielt sein Kamel zur Vorsicht am Zügel. Es fiel ihm schwer, seine Beine
waren bereits schwach, aber er sprach das Totengebet. Als er dabei war, eine
kleine Steinpyramide zu errichten, sah er plötzlich etwas blinken. Er sah näher
hin und aus dem Staub blinkte ihm ein goldener Metallteil mit dem Kopf einer
Dakini entgegen. Dakinis sind mächtige magische Feen und die meisten Menschen
fürchten sich vor ihnen. In abergläubischer Furcht schreckte Mongke zurück.
Dann besann er sich und zog den Metallteil aus dem Staub heraus. Es war ein
Phurba, ein Ritualdolch, wie ihn nur Meister unter den Lamas verwenden. Da kam
Mongke die Idee, dass dieser Phurba ein Geschenk des Toten sein könnte, als
Dank für die Segensgebete. Es könnte auch sein, dachte er weiter, dass die dem
Ritualdolch innewohnende Gottheit - der Einsamkeit überdrüssig - ihn erwählt
hatte, um sich ihm als beschützende Begleiterin anzuschließen. Vielleicht war es
auch ihr Dank dafür, dass er sich ihres Schützlings angenommen hatte. Ja, so
war es ohne Zweifel. Denn er hatte ja erst jetzt nach dem Totengebet den
Ritualdolch gesehen, vorher war er seinen Augen verborgen und unsichtbar
geblieben. Solche Phurbas sind lebendig, manche von ihnen von immenser
magischer Kraft und niemand darf sie verwenden, dem sie nicht gegeben worden
sind.
Mongke aber
durfte diesen Phurba bei sich tragen, ihm wurde er gegeben. Ja, die Gottheit
Phurba hatte ihn gerufen und erwählt, deshalb sah er auch zuerst ihr Antlitz
und nicht etwa die dreifache Klinge. Letzteres wäre ein schlechtes Zeichen
gewesen. Mongke kniete nieder, berührte mit der Stirne den Boden als Zeichen
seiner Ehrfurcht und nahm dankbar den Phurba an sich.
Erst jetzt besah
sich Mongke den Ritualdolch genauer. Der Phurba war ein harmonisches Kunstwerk.
Er zeigte keine überflüssigen Schnörksel und dennoch war er von großer
Schönheit und mit Edelsteinen und Elfenbein ausgelegt. Gerade durch die
Kombination von Schönheit und Einfachheit schien er ein Bündel magischer Kräfte
zu sein. Er war von dreifachem Metall. Der dolchartige untere Teil war eine
eiserne Klinge, im mittleren Teil eine große Perle. Der Griff des Phurba und
der Kopf schien aus purem Gold zu sein, mit Ornamenten aus Gold, Rotgold und
Weißgold. Der Kopf der Dakini trug eine Schädelkrone mit Schädeln aus
Elfenbein. Statt einer gegossenen Haarpyramide hatte dieser Phurba einen echten
Haarschopf, wahrscheinlich Haare eines heiligen Lamas.
Je mehr er
hinsah, umso schöner erschien ihm der Ritualdolch. Kaum konnte er sich von dem
Anblick trennen. Schon schien seine Hand von der Kraft des Phurba warm zu
werden und zu prickeln beginnen. Mongke wäre es nicht im Schlaf mehr
eingefallen, dieses wunderbare Geschenk zu den anderen Utensilien in die
Satteltasche zu stecken. Dies wäre eine Entheiligung Phurbas gewesen. So nahm
er einen Lederriemen aus der Satteltasche und hängte sich den Phurba um den
Hals.
Phurba
Wieder saß er
auf dem Kamel und wiegte sich in dessen monotonen Schritten. Würde er ebenso
wie der heilige Lama bald als Gerippe hier liegen?
Er war von der
Göttin Phurba angenommen als ihr neuer Schützling!
Sie solle ihn
auch führen, dachte er, und er ließ die Zügel sinken, damit nicht er, sondern
Phurba das Kamel zum Wasser geleite.
Mongke wusste
nicht wie lange er auf dem Kamel saß, träumend und einzig darauf achtend, nicht
vom Kamel zu fallen.
Das Kamel blieb
stehen. Er wurde sich dessen erst nach ungewisser Zeit bewusst. Er öffnete die
Augen und sah vor sich Wasser und wie sein Kamel dieses in langen Zügen trank.
Eilig stieg
Mongke ab, und trank seinerseits. Er füllte den Wasserschlauch und indem er mit
einer kurzen Schnur die Vorderbeine des Kamels nahe beisammen hielt und diesem
dadurch nur kleine Schritte ermöglichte, so dass es nicht davon laufen konnte,
ließ er es im Ufergras weiden.
Er blieb den
ganzen Tag am Ufer dieses kristallklaren Sees. Es gelang ihm einige Fische zu
fangen, die er roh aß, weil es weder Holz noch trockenen Dung gab, um Feuer zu
machen.
Endlich konnte
er sich entspannen und von dem langen Ritt erholen. Mongke wollte einige Tage
hier bleiben.
Es wurde Abend
und Mongke wickelte sich in die warme Decke, die ein Teil seines spärlichen
Reisegepäcks war und zugleich als Sattel verwendet wurde.
In der Nacht
hatte er einen seltsamen Traum:
Vor ihm erschien
ein dreifaches Leuchten, in Rot, Silber und Gold. Es kam näher und er erkannte
Phurba. Die stumpfe Klinge leuchtete rot wie Feuer. Das Diamantszepter in der
Mitte erstrahlte in Weiß und Phurbas Kopf bildete sich aus dem goldenen Licht,
wolkenartig wallend und halb durchsichtig. Ihr Antlitz war das einer Furcht einflössenden
Dakini, aber ihr Blick war mild. Ihr
offener Mund zeigte die spitzen Zähne, aber nicht drohend, sondern fast
lächelnd. Mongke fürchtete sich nicht und sandte ihr in Gedanken einen Ehre erbietenden
Gruß und seinen Dank zu.
„Vertraue meinem
Schutz“, sprach sie und löste sich in Sternenfunkeln auf. Und in immer weiterer
Entfernung sich verlierend erhallte ein Lied:
Ich bin Phurba,
Deine magische Beschützerin.
Gegossen bin ich
aus fünf Metallen,
bei Mondlicht
und Sonnenschein.
In mir ist die
Kraft von Himmel und Erde.
Ich bin das
Flammenschwert des Himmels,
Dein Schutz und
der Schrecken Deiner Feinde.
Wohlwollen und
magische Kraft der Dakinis,
Unvergänglichkeit
des Vajra bin ich,
Phurba bin ich,
Deine Beschützerin.
Von ganz weit
hörte er noch: "Ich bin immer bei dir, als Phurba, als Göttin, in
vielerlei Gestalt. Nie werde ich dich verlassen!"
Mongke hatte
vor, einige Tage hier zu verweilen, doch es kam anders. Am nächsten Nachmittag
kamen zwei Männer auf ihn zugeritten. Sie sahen nicht sehr vertrauenswürdig
aus. Außerdem wusste Mongke, dass Nomaden in diesen Ländern bettelarm waren und
sich keine Gelegenheit entgehen ließen, ihr karges Leben durch Beute
aufzubessern.
Mongke hatte
sich nicht getäuscht. Die zwei Reiter stiegen ab und kamen näher, ihn von oben
bis unten musternd. An ihrem enttäuschten Blick konnte er ablesen, dass sie
keine auch nur mittelmäßigen Wertobjekte an ihm entdeckten. Er trug keine
schmucke Ziertasche am Gürtel, ein wichtiges Statussymbol, das Würde und
Herkunft signalisierte. Statt dessen hing dort nur ein schlichter Lederbeutel,
wie ihn Hirten tragen. Zu besonderen Anlässen - wie eine Reise - ist es üblich,
repräsentativere Objekte zu tragen, um sich Respekt zu verschaffen. Das einzige
Brauchbare schien den Nomaden das Kamel zu sein.
Einer der Männer
hielt Mongke einen kleinen unbearbeiteten Türkis hin und sprach etwas in einer
unbekannten Sprache. Mongke antwortete in seiner Sprache und wurde seinerseits
nicht verstanden. Die Miene des Mannes wurde unfreundlicher. Er deutete auf das
Kamel, dann auf den Türkis und machte eine Gestik, die auf Tausch hindeutete.
Mongke dankte der Lehre der Gewaltlosigkeit, wie es die Lamas lehren. In
heidnischen Ländern hätten ihn solche Nomaden ohne zu fragen gleich getötet.
Hier aber boten sie einen Scheintausch an. Sie kauften das wertvolle Kamel
gegen einen Stein von geringem Wert. Sie raubten nicht, sondern tauschten – es
sei denn, man wäre mit dem Tausch nicht einverstanden.
Aber was soll
es, ohne Kamel war er hier genau so gut tot. Niemand konnte dieses Land zu Fuß
durchqueren.
Mongke hatte
nichts zu verlieren. Er hob das Lederband über den Kopf, griff in seinen
Ausschnitt und holte den Phurba hervor. Ruckartig wie in einer Beschwörung
hielt er ihn schräg nach oben und wie
ein Wahnsinniger schrie er zugleich PHURBA. Es war Verzweiflung, Hoffnung und
Zuversicht, die sich in ihm aufbäumten und durch die Stille hallten, so laut,
dass die Göttin Phurba es hören musste, selbst wenn sie schlief.
Die Nomaden
prallten zurück. Eilig murmelten sie einen Abwehrzauber - noch während sie auf
die Pferde sprangen und davon galoppierten.
Phurba hatte
Mongke abermals das Leben gerettet.
Mongke trank
noch einige Schluck Wasser, leitete sein Kamel an es ebenfalls zu tun, füllte
seinen Wasserbehälter und stieg auf. Man sollte sein Schicksal nicht
herausfordern, dachte er, und ritt weiter.
In Tibet
Mongke
durchquerte eine weite Steinwüste. Wie
Wellen erhoben sich sanfte Hügel. Gelegentlich gab es vom Salz verkrustete
Mulden, die er zur Vorsicht mied. Sofern es hin und wieder ein Grasbüschel gab,
ließ er seinem Kamel die Freiheit es abzugrasen. Sein Kamel musste bei Kräften
bleiben.
Vom klaren
Horizont her näherte sich ein quer liegender Bergrücken, als hätte ihn ein
riesiger Dämon hingeworfen, um ihm den Weg zu versperren. Mongke betrachtete
diesen Hügel jedoch nicht als Hindernis, sondern hoffte dort Wasser zu finden.
Endlich war er
beim Bergrücken angekommen. Der Bergrücken jedoch war kahl, die Bachrinnen
ausgetrocknet, die Felsen steil und bizarr.
Das Wasser war
mittlerweile knapp geworden und wieder stand er vor einer Entscheidung auf
Leben oder Tod.
Welche Seite bot
weitere Berge oder trockene Steinfelder und welche Seite bot ein Tal mit einem
Bach oder einem kleinen See, wenn er Glück hatte? Mongke erinnerte sich an eine
Orakelmethode, die er einmal bei einem Schamanen aus dem Westen gesehen hatte.
Dieser hatte einen Knochen eines seiner Krafttiere als Pendel verwendet, das
ihm Auskunft auf allerlei Fragen gegeben hatte.
Warum sollte er
diese Methode nicht auch versuchen? Phurba hatte versprochen ihn zu beschützen!
Er nahm das lederne Halsband mit Phurba daran und ließ Phurba wie ein Pendel
senkrecht zum Berg schwingen. Laut brachte er sein Anliegen vor. Allmählich
schwang das Pendel nach links.
Er war
überzeugt, die Göttin Phurba hatte ihm den richtigen Weg gezeigt und ihm den
richtigen Rat gegeben.
Und so war es.
Am Ende des
Bergrückens öffnete sich ein Tal mit einem kleinen Bach. Es war ausreichend
Grün für sein Kamel vorhanden. Auch einen Hasen vermochte er zu erlegen und
hatte damit Nahrung.
Abermals hatte
ihm Phurba bewiesen, dass sie seine Beschützerin war.
Hier wollte
Mongke einige Tage ausruhen und es war ihm auch gegönnt.
In der dritten
Nacht hatte Mongke einen Traum. Abermals erschien ihm Phurba.
Sie stand vor
ihm, eine goldene Aureole um ihren Kopf und einen Leib, der wie eine Flamme
nach unten lodernd spitz zulief.
Mongke verneigte
sich im Traum tief vor der Schutzgöttin.
Als er sich
wieder aufrichtete und zu ihr sah, hatte sich ihr Antlitz zu dem seiner
Geliebten verwandelt. Während er noch ungläubig hinstarrte, hörte er eine süße
Melodie:
Durch Ewigkeiten bin ich deine Begleiterin
als deine himmlische Mutter Tara,
als deine Beschützerin Phurba,
auch deine Geliebte bin ich.
Wo immer dein Herz ist, bin auch ich.
Wenn Augen in Liebe erglänzen,
so sind es auch meine Augen.
Wenn ein Mund lächelt,
so ist es auch mein Mund.
Wenn eine Hand zärtlich ist,
so ist es auch meine Hand.
Du suchst mich in deinem Sehnen,
blicke um dich, ich bin überall.
Du trauerst um deine Geliebte,
sieh mich an, sie lebt in mir.
Du
trauerst um deine Geliebte,
sieh
mich an, sie lebt in mir.
In süßem Glück
erwachte Mongke. Er war vom Traum derart aufgewühlt, dass er nicht mehr
einschlafen konnte.
Im Laufe des
Tages ebbte sein Glücksgefühl ab und er fragte sich, ob es Phurba war oder
Tara. Die Göttin konnte doch nicht alles zugleich sein. Warum sollte sie gerade
ihn seit Ewigkeiten begleiten? Wie konnte sie zugleich auch seine Geliebte
sein, wo er ein sterblicher Mensch war. Mongke war verwirrt und konnte das
alles nicht verstehen. Vielleicht legte er alles zu direkt aus? Die Liebe, die
er jedoch empfing war unbeschreiblich groß und überwältigend. Sie war die
eigentliche Botschaft, das erfasste er wohl.
Mongke
verbrachte noch einige ruhige Tage in dem Tal. Dann machte er sich Bach abwärts
weiter auf die Reise.
Die Vegetation wurde
üppiger, der Ritt war unbeschwerlich und entspannend. Teilweise ging Mongke
neben seinem Kamel, um dieses zu entlasten. Auch ihm sollte Erholung gegönnt
sein.
Zwei Tage später
sah er ein an eine Felsenwand angeschmiegtes Gebäude mit weißgekalkten Mauern
und rotem Dach. Davor war ein kleiner Garten und einige kleine Äcker. Es war
das erste Anwesen, das er nach langer Zeit zu sehen bekam, außer einigen
Nomadenzelte, um die er einen großen Bogen gemacht hatte.
Mongke steuerte
auf das Anwesen zu. Bei seinem Kommen lief ein junger Mann ins Haus und bald
darauf erschien ein älterer Mann in der Tür, anscheinend der Hausherr. Mongke
übergab dem jungen Mann, der herbeieilte, das Kamel und begrüßte den nobel
gekleideten Hausherrn mit einer Verbeugung. Der sprach ihn in tibetisch an.
Mongke verstand die Sprache nicht. Zum Glück aber stellte sich heraus, dass der
Noble auch mongolisch verstand. Er lud ihn zu sich ins Haus ein und eine
Dienerin brachte eine Kanne Buttertee. Reisende waren die Vermittler von
Neuigkeiten aus nah und fern und aus diesem Grund willkommen. Ein Mongole von
weit her war überhaupt sehr vielversprechend.
Mongke erzählte,
was er so alles erlebt hatte. Nur den Besitz seines Phurba verschwieg er und
die zwei Träume. Die Reise interessierte jedoch den Noblen kaum, dafür umso
mehr die Heimat von Mongke und die Gerüchte, die dieser über noch fernere
Gegenden gehört hatte.
Wie sich heraus
stellte, war das Anwesen der Alterssitz eines Adeligen, der hier in erholsamer
Weise seine religiösen Praktiken ausführte, um gutes Karma anzuhäufen oder gar
mit Erleuchtung begnadet zu werden.
Auf die Anfrage
Mongkes, ob er hier als Diener bleiben könne, im Austausch für einen Unterricht
in Lesen und Schreiben, willigte der Alte ein.
In den nächsten
Tagen wurde Mongke immer wieder am Abend zum Buttertee eingeladen und auch
später in größeren Abständen. Hierbei wurde er mit großem Interesse nach seiner
Heimat befragt und nach allem, was er über die große, unbekannte Welt im
Westen, dem Land der weißen Tara und im Osten dem Land China gehört hatte.
Selbst Gerüchte, und waren sie noch so absurd, wurden mit Neugier und Staunen
aufgenommen. Zum Glück war Mongkes Vater einmal in der Hauptstadt gewesen und
hatte oft darüber erzählt. Jetzt konnte Mongke alles, was er gehört hatte
weiter geben und es wurde dankbar und mit Interesse aufgenommen.
Mongke erkannte
zum ersten Mal, dass seine Heimat Geschichte und Ansehen bei anderen Völkern
hatte. Dass Mongolisch als Weltsprache galt und von der Oberschicht vieler
Völker und von allen Händlern verstanden und gesprochen wurde. Auch hatten die
Mongolen Tibet einige Male vor den Chinesen beschützt.
Mongke erhielt
auch den versprochenen Unterricht. Dieser erfolgte durch einen Lama, der im
Haushalt lebte und aus einem Kloster in nicht zu großer Entfernung stammte. Er
war von dem Vorsteher seines Klosters dem alten Adeligen zugewiesen worden, um
ihn beim Studium religiöser Schriften zu unterstützen und beschützende
Zeremonien abzuhalten. Dieser Mönch konnte ebenfalls etwas Mongolisch und
unterrichtete Mongke in der tibetischen Schrift an Hand einfacher religiöser
Texte, die in der Bibliothek zu finden waren. Schon bald hatte er sich mit
Mongke befreundet und bemühte sich, ihm die tibetische Sprache beizubringen.
Mongke machte in allem gute Fortschritte. Der Mönch fand besonderen Gefallen an
Mongkes religiösem Eifer und versorgte ihn mit Schriften aus der reichlich
bestückten Bibliothek. Von jedem Folienstapel besprach er mit Mongke den Inhalt
und erklärte ihn. Mongke las durch halbe Nächte beim Schein der
Butterlampen. Zu immer selteneren
Schriften arbeitete sich Mongke durch und las so manchen Text mit geheimen
magischen Riten und tiefen Weisheiten.
Es waren zwei
Jahre vergangen. Der Winter nahte, die Ernten waren schlecht und ebenfalls
spärlich waren die Abgaben der Bauern für die Leihäcker. Zudem hatte Mongke das
Flair des Besonderen allmählich verloren und konnte auch keinen weiteren neuen
Gesprächsstoff liefern.
So kam es dem
Adeligen sehr gelegen, als sein jüngerer Bruder, eben jener Abt von dem Kloster
aus dem der Mönch stammte, mit Gefolge auf Besuch kam. Der Adelige lobte Mongke
in höchsten Tönen und pries ihn seinem Bruder an, nicht aus Überzeugung,
sondern weil er hoffte, dass sein Bruder Mongke zu sich ins Kloster nehmen würde.
So geschah es
auch.
Der Adelige rief
Mongke zu sich, und eröffnete ihm, dass sein Bruder der Rimpotsche als
Klostervorsteher bereit wäre, ihn zu sich zu nehmen, um ihn als Lama
einzuweihen und weiter auszubilden. Eine einmalige Chance, fügte er hinzu. Er
musste sich jedoch keine Mühe geben, Mongke die Entscheidung schmackhaft zu
machen, denn dieser war sofort hellauf begeistert.
Nebenbei zeigte
sich, dass für das Kamel dort kein Bedarf wäre, es aber hier bleiben könne.
Schweren Herzens trennte sich Mongke von seinem Kamel, das nunmehr in den
Besitz des Adeligen überging.
So schloss sich
Mongke dem Gefolge des Rimpoche an und reiste mit ihm.
Die Vision
Die Gruppe mit
dem Rimpoche wanderte durch zwei Tage den Fluss abwärts und bog dann in ein
seitliches Tal. Nicht lange und sie erblickten vor sich die weißen Mauern des
Klosters. Es war nicht groß, aber dort hoch auf den Felsen, mit seinen weißen
ineinander geschachtelten Mauern, den rot bemalten Erkern, Holzsäulen und Dachpfosten sah es
reich und wunderbar aus. Es war ein reiches Kloster. Mongke staunte, als wäre
er in das Land der Götter versetzt worden.
Mongke wurde
einem Lama zugeteilt, der für die Sauberkeit des Hauses zuständig war. Ab nun
bestand das Leben von Mongke im Kehren und Waschen. Nur morgens und abends
durfte er an den gemeinsamen Zeremonien teilnehmen. Zum Lesen und Lernen war er
durch die harte Arbeit zu müde.
Mongke begann
allmählich zu verzweifeln. So hatte er sich sein Leben als Lama nicht
vorgestellt. Eigentlich hatte er keine Lebensziele, besann er sich, er ist ja
bloß von zu Hause der Trauer entflohen, ohne Ziel. Aber jetzt wusste er, so
sollte sein Leben nicht aussehen.
Jede Anfrage
beim Lama nach Schulung stieß auf taube Ohren.
Mongke grübelte,
wie er dieser Monotonie entfliehen könne. Er fand keinen Ausweg und seine
Seelennot wurde immer größer.
Da hatte er
eines Nachts folgenden Traum:
Er stand vor
einem Regenbogen. Dieser führte hoch hinaus über das Kloster, hinauf zu den
Wolken. Dort sah er eine Göttin, die ihm zulächelte.
Sieh den Regenbogen,
er ist die Brücke zu den
Göttern.
Kein schwerer Fuß kann ihn
betreten,
er ist der Weg des Herzens.
Wie eine Melodie
klangen die Worte der Göttin nach.
Am Morgen war
Mongke getröstet, obwohl er mit den Worten nichts anfangen konnte. Das
Wichtigste aber war, dass die Göttin ihn nicht vergessen hatte.
Am Nachmittag
kam eine kleine Gruppe von drei Lamas zum Kloster. Sie hatten kein großes
Ansehen und wurden deshalb nicht vom Rimpoche empfangen, sondern nur von einem
untergeordneten Lama.
Mongke wurde
angewiesen ihnen eine dürftige Stube herzurichten. Danach sollte er aus der
Küche eine große Kanne mit Buttertee zu den drei Lamas bringen.
Mongke stellte
die Kanne vor dem älteren Lama ab. Er schien der Führer der Gruppe zu sein. Nachdem
Mongke mit einer tiefen Verbeugung die Kanne abgestellt hatte und wieder
aufblickte, sah er in das Antlitz eines gütigen abgeklärten Menschen. Um diesen
schien ein Regenbogen zu sein. Mongke wurde plötzlich sein Traum voll
gegenwärtig, nunmehr jedoch war ihm der Traum verständlich. Der Regenbogen
umgab den Lama, gleich der Regebogenaura der Buddhas. Die weiteren Worte der
Botschaft wiesen darauf hin, dass die Güte und Liebesfähigkeit des Lamas den
Weg zu den Göttern zeigen würde.
Mongke kniete
vor dem Lama nieder und bat darum mit ihm sprechen zu dürfen. Dann erzählte er
seinen Traum, sein Streben nach inneren Fortschritt, der hier in diesem Kloster
keine Erfüllung finden konnte.
Der Lama zeigte
Interesse an Mongke und ließ sich sein Leben erzählen. Mongke berichtete alles,
inklusive dem Gerippe, des Phurba und der Träume.
Nachdem Mongke
alles erzählt hatte, stellte der Lama keine weitere Frage, sondern schwieg und
schloss die Augen.
Mongke war
verunsichert. Er wusste nicht, was dies bedeuten solle, etwa ob es ein Zeichen
der Ablehnung wäre und ihn der Lama nicht mehr sehen wolle. Hilfesuchend
blickte er zu einem der Begleiter des Lamas. Dieser lächelte ihm zu und deutete
mit der Hand zu bleiben und abzuwarten.
Endlich öffnete
der Lama die Augen, gab Mongke seinen Segen und bot ihm an, mit ihm zu seinem
Kloster zu reisen.
Mongke sagte mit
Begeisterung zu.
Die Reise war
lang. Sie führte durch Schluchten und über Bergsättel in abgelegenes Land,
umgeben von Wüsten und Felsen, eine Welt, die außer von den Lamas nur von
Göttern und Dämonen belebt zu sein schien.
Endlich nach
zwei Wochen gelangten sie zu dem Kloster Es war klein und dürftig. Außer dem
Lama und seinen zwei Reisebegleitern waren nur zwei weitere Mönche hier.
Bald schon
erkannte Mongke den Unterschied zu dem großen Kloster: Diese kleine Gruppe von
Lamas war wie eine Familie. Der Abt war keine unnahbare Halbgottheit, sondern
von allen geliebt und verehrt. Er aß zusammen mit seinen Mönchen und diese
konnten sich jederzeit an ihn um Rat oder spirituelle Hilfe wenden. Der Abt -
so zeigte sich - war sehr um den geistigen Fortschritt seiner Mönche bemüht.
Auch Mongke konnte das bald zu erkennen.
Mongke als Mönch
Der Abt gab
Mongke einige Übungen, erkundigte sich nach dem Fortschritt und erweiterte die
Übungen. Gerade weil Mongke durch den Tod seiner Geliebten so gelitten hatte,
wies er ihm den Totengott Yama als Yidam, als persönliche Schutzgottheit, zu.
In vielen Gesprächen versuchte er Mongke die Gottheit näher zu bringen. Des
weiteren gab er ihm eine Statue von Tara, in die er seine beschützende Göttin
hinein denken sollte, um ihr zu danken und um sie nahe zu fühlen.
Er ließ sich den
Phurba zeigen und wies Mongke darauf hin, dass auch Phurba mit Yama verbunden
sei, wie die Schädelkrone zeige.
Er erklärte
Mongke das Wechselspiel zwischen dem Yidam und seiner Shakti, dem Aspekt der
Schöpfung. Der Yidam sei reines Bewusstsein aus der Stille heraus und der
männliche Aspekt, den Mongke in sich verwirklichen solle. Wenn er dies erreicht
habe, so könne er die höchste Verwirklichung anschließend durch die Vereinigung
mit der Shakti erlangen. Nach diesen Worten zeigte er Mongke eine Yab-Yum
Statue, die Yama in Vereinigung mit seiner Shakti Yami zeigte.
Als der Abt den
Eindruck hatte, dass Mongke das Prinzip verstanden hatte und ernsthaft zu
verwirklichen versuchte, gab er ihm ein Rollbild von Yama (Anmerkung: von Yama
und nicht von Yamantaka!!). Mongke hängte es in seinem Zimmer auf und
meditierte davor. Er hatte dazu ausreichend Zeit, denn die anfallende Arbeit
wurde auf alle gleichmäßig verteilt und war nicht allzu viel.
Mongke wurde
angewiesen, so lange vor dem Bildnis Yamas zu meditieren, bis dieser vor seinem
geistigen Auge lebendig werden würde. Es war eine Meditationsart, wie sie in
mongolischen und tibetischen Klöstern gelegentlich üblich war.
So meditierte
Mongke Tag und Nacht davor, wann immer es die Zeit erlaubte.
Bisweilen war er
übermüdet und schlief für kurze Augenblicke ein, Augenblicke, in denen er
manchmal den büffelköpfigen Yama als Nachbild vor sich sah, manchmal den Schein
einer Butterlampe oder irgendein Bild von geringerer Aussage.
Meditation und
Ritual flochten ein immer dichter werdendes Band zu Yama und das Bildnis begann
sich allmählich zu beleben. Im flackernden Kerzenlicht begannen die Augen auf
dem Bildnis hin und wieder zu glänzen, anfangs ganz kurz, kaum wahrnehmbar.
Dann schienen sich die Augen Yamas zu bewegen und zu ihm zu blicken. Später
merkte Mongke aus den Augenwinkeln, dass sich der Kopf Yamas neigte und
wendete, als wäre das Rollbild ein Fensterrahmen durch den Yama blickte. Wenn
Mongke dann genau hinsah, war das Bildnis wieder erstarrt. Mongke, der
inzwischen zum Lama eingeweiht worden war, bemerkte das wachsende Interesse
Yamas an ihm. Mit der Zeit wurden beide miteinander vertraut. Bisweilen war es
Mongke, als würde Yama in Gedanken zu ihm sprechen und nach wieder einiger Zeit
sah er mit dem inneren Auge, einer plastischen Vorstellung gleich, Yama im
Raum, als würde auch er hier wohnen.
Die Beziehung
des Mönches zum Totengott änderte sich. War Yama am Anfang eine erhabene,
schreckliche Erscheinung gewesen, so wurde er allmählich vertraut und später
zum väterlichen Freund.
Das Ziel der
Meditation jedoch war die Einswerdung mit der Schutzgottheit und so setzte
Mongke die Meditation fort.
Eines Tages
hatte Mongke die entscheidende Vision:
Er war Yama! Als
solcher befand er sich in der Mitte eines großen Ritualsaales. Das Licht des
Raumes war dämmrig, nur von wenigen Butterlampen erhellt.
Er stand hier,
groß und mächtig, und mit seinem gehörntem Büffelhaupt berührte er fast die
Decke des Saales. Am Boden hockend, in einem großen Ring entlang der Wände des
Raumes, saßen Mönche und starrten zu ihm. Über die unverhoffte Erscheinung
hatten sie mit dem Ritual inne gehalten, ja, sie hatten es gleichsam vergessen,
gebannt von dem Ereignis, das sich vor ihnen abspielte.
Mongke als
Erscheinung Yamas begann sich zu drehen und zog einen Flammenkreis um sich,
indem er aus seiner Schädelschale Blut goss, das sofort als rote Flamme empor
loderte, sobald es den Boden berührte. Und schneller wurde er. Wie ein
Wirbelwind tanzte er im Kreis; es war der sichtbare Ausdruck seiner Energie.
Stampfend dreht sich Yama im Kreis.
In der Hand die Schädelschale,
Feuer ist es, das sie füllt,
das Feuer des Lebens.
Und er dreht sich im Kreis,
schüttet aus der Schädelschale
die reinigende Kraft des Feuers,
einen Flammenkreis bildend, der ihn umgibt.
Und er dreht sich,
um sich die Flammen.
Leben ist es, das die Welt erfüllt,
dem Feuer gleich tanzend, leuchtend, erglühend,
verlöschend und wieder entstehend.
Und weiter tanzt Yama,
in der zweiten Hand den Vajra,
ewiges, nie verlöschendes Bewusstsein,
Ursprung des Seins.
Und er tanzt.
In seinem Herzen verschmilzt er beides,
Feuer und Vajra,
formt aus ihnen unvergängliche Liebe.
Liebe, die in allem ruht,
im Gras, im Zweig
und in den Herzen der Menschen.
Als leuchtende Liebe tanzt Yama,
sich selbst vergessend, Mensch werdend.
Mit jedem seiner Feuerschritte
verbindet er die Herzen vieler,
lässt sie schlagen im Gleichklang.
Wie von Glocken tönt es zeitlos,
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft,
alles eins.
Hör’ auf den alles durchdringenden Glockenklang,
Ommmmm.
Er hallt durch die Herzen,
verschmilzt sie in Liebe,
lässt sie vibrieren und glühen.
Hör’ auf das Pochen der Herzen -
es sind die Flammenschritte Yamas!
Von nun an lebte
Yama in Mongke, als sein innerstes Wesen. Nur der Körper war noch Mensch, er
aber fühlte und dachte wie Yama. Tiefe Ruhe kehrte in ihn ein, Friede und Liebe
zu allen Wesen. Er fühlte sich verbunden und eins mit allem.
Herzreisen
Durch einige Zeit war Mongke glücklich, dass er den Zugang zur Leere gefunden hatte, dem Zustand jenseits von Raum und Zeit, jenseits der Schöpfung. Zunächst hatte er den Eindruck, dass er gemäß der heiligen Schriften den höchsten Zustand erreicht hätte. Doch bei genauerer Selbstbetrachtung hatte er den Eindruck, dass ihm etwas fehle. Es war die Liebe, erkannte er, eine alles umfassende Liebe, eine Liebe zu allem Leben, ja selbst zu Steinen und Sand, eine liebevolle Hinwendung zur gesamten Schöpfung. Mongke erinnerte sich an sein Bhoddisatva Gelübde, das er einst abgelegt hatte: nicht die Vollendung ist das höchste Ziel, sondern in Liebe zu dienen, bis auch der letzte Mensch erlöst sei. Das aber erkannte er wiederum, könne er nur erreichen, wenn ihm ein weiterer Schritt gelingen würde, die Vereinigung mit der Shakti. Aber wer oder was ist seine Shakti?
Eines Nachts sah er einen Lichtschein, der sich immer stärker aufhellte. Da stand vor ihm eine Göttin in rotgoldenem Kleid, mit kohlschwarzen Haaren und einer goldenen Krone.
Sie lächelte ihn an und sprach. "Ich war und bin immer an deiner Seite. Ich bin diejenige, welche die Gestalt von Phurba angenommen hatte, um dich zu beschützen, ich bin die Göttin, welche du in deiner Vision auf dem Regenbogen sahst und jene Göttin, welche das Aussehen deiner Geliebten angenommen hatte. Ohne dass du meiner gewahr warst, habe ich dich immer begleitet und beschützt. Jetzt bist du so weit, dass du mich bleibend als deine jenseitige Gefährtin wahr nehmen kannst.
Ich bin Deine Shakti, Deine Liebe, deine Gefährtin durch viele Geburten und bleibe an deiner Seite in aller Ewigkeit!"
Kurz darauf war Mongke in seinem irdischen Körper zurück. Lange dachte er noch über das Erlebte nach.
Und seltsam, ab dieser Begegnung hatte er immer, wenn er an die Göttin dachte, ein glühend heißes Herz. Wie ein mächtiger Strom erfüllte ihn die Liebe und ließ ihn die Welt mit anderen Augen sehen.
Mongke liebte es, in einer Felsenhöhle gleich neben dem Kloster zu meditieren. Vom Kloster her führte ein schmaler Felspfad entlang eines steilen Berghanges dort hin, auf dem wegen der Trockenheit nur gelegentlich Grasbüschel oder Kräuter wuchsen. Wenn es Regen gab, kamen wie aus Zauberhand viele Blumen hervor. Jedoch auch während der trockenen Zeiten war dieser Weg schön. Auf dieser Gegend musste ein großer Segen liegen, denn wenn das Gras in den Dürrezeiten vertrocknete, so war es nicht braun, wie anderswo, sondern seine Halme leuchteten in wunderschönem Goldgelb und wie eine Krone trugen sie rotbraune oder silberne Samenstände.
Auf dem Weg zur Felshöhle gab es einige kleine Felswände und glatte Felsplatten. In diese waren im Laufe alter und auch gegenwärtigen Zeiten Gebetsformeln und Buddhafiguren gemeißelt und bunt bemalt worden. Die wunderschöne Felslandschaft mit den goldenen Gräsern und den bunten Buddhafiguren im Stein formten das Umfeld zu einem einzigen religiösen Kunstwerk. Die solcherart geheiligte Landschaft wurde zum Altar der alles beseelenden Kraft, die jenseits und zugleich in der Schöpfung präsent ist. Jener Kraft, der das alles beseelende Bewusstsein entspringt, das wir Leben nennen.
Mani
Stein
Mongke liebte diesen Weg und laut seine Gebete murmelnd gab er dieser wundervollen Bilderwelt auch den heiligen Klang.
In der Höhle setzte sich Mongke in der Regel auf einen Sitz mit Seitenlehnen und Rückenlehne. Der Sitz sah einer nach oben offenen und gepolsterten Kiste ähnlich, welcher die vordere Seite fehlte. Sie hielt ihn warm und verhinderte ein Umkippen in der Meditation oder Tieftrance.
Mongke tauchte ein in einen endlosen Raum der Stille und Leere. Bisweilen aber öffnete er sich auch den Bildern, die aufkamen, und wies diese Bilder nicht als Täuschung ab, wie es so oft den Mönchen empfohlen wird. Sehr schnell tauchte er durch statische Schwellenbilder durch und befand sich dann in einer Welt, die so real war wie die äußere Welt. Er hatte dort auch einen Körper und konnte wie gewohnt sehen, hören und tasten. Meist traf er seine Shakti und besuchte mit ihr zusammen die vielfältigen Welten. Es waren Welten niederer Geister oder farbenfrohe Götterwelten. Mongke wanderte durch diese Reiche, um zu lernen und zu lieben. Er tauchte in die Seelen und Schicksale der Menschen ein und erspürte ihre Freuden und Schmerzen.
In den Reisen lernte Mongke verstehen, wie die Menschen durch ihre innere Seelenlage ihr Dasein formen. Leid entsteht nicht als Bestrafung für vergangene Taten, sondern durch ein Gefangensein in einem Dickicht geistiger Verirrungen, so erkannte er. Immer tiefer drang Mongke in seinem Verständnis der menschlichen Schicksalskräfte vor.
Eines Tages hatte Mongke ein neuartiges Erlebnis. Es war ihm, als hörte er einen inneren Schrei nach Hilfe und geistiger Führung. Mongke folgte dieser unsichtbaren Spur und tauchte in einen weiten leeren Raum, so wie man sich den Weltenraum vorstellt, jedoch ohne Sterne aber mit einem lebendigen Zentrum. In diesem Zentrum war ein Mensch, von dem das Rufen ausging. Es war ein verkörperter Mensch. Zunächst war Mongke erstaunt, dann tauchte er in diesen Menschen ein und verschmolz gleichsam mit ihm. In dem Augenblick der Verschmelzung war ihm das gesamte Leben jenes Menschen präsent, nicht als Bilderflut, sondern als empfundene Persönlichkeit, die von den Erfahrungen nicht nur des gegenwärtigen Lebens sondern vieler Leben davor geprägt war. Es war ein erhabenes Empfinden, eine ehrfurchtgebietende Größe, in die Mongke tauchte. Und dennoch, jenes Wesen rief um Hilfe. Es fühlte sich allein in der irdischen Welt, wollte einen geistigen Lehrer, der das verborgene Wissen alter Zeiten in ihm wieder erwecken würde.
War Mongke bis zu diesem Augenblick passiv, nur ein Wanderer und Beobachter, so brachte er sich jetzt in das Bewusstsein jenes Menschen ein. Wie ein kostbares Objekt, so holte Mongke aus der Fülle seiner eigenen tiefsten Erfahrungen einen hohen Bewusstseinszustand der Zeitlosigkeit hervor und erfüllte damit den inneren Raum des Menschen. Er ließ den Menschen die Vergänglichkeit des Irdischen erschauen, ließ ihn erkennen, dass die Menschen unsterbliche Wanderer durch endlose Zeiten sind. Er gab ihm Mut und bestärkte ihn darin, dass er kein verlorenes hilfloses Wesen sei, sondern gleichsam eine Gottheit. Durch Identifikationen sei er von Geburt an in dem verzerrenden Spiegelkabinett der irdischen Welt gefangen und unfähig geworden zu sich selbst, zu seinem wahren Urgrund zurück zu finden. Es war die Rückkehr zum Allbewusstsein nach dem er sich sehnte und Mongke ließ es ihn durch die Möglichkeit der Bewusstseinsverschmelzung erkennen.
Mongke hielt die Verbindung zu jenem Menschen aufrecht, vertiefte in ihm das Erlebte durch Wiederholung und verhalf ihm zu immer tiefer werdenden Zuständen. Mongke hatte seinen ersten Schüler gefunden. Es war ein Schüler aus einem fernen Land, so weit entfernt, dass man es nie zu Fuß oder auf einem Pferd erreichen mochte und doch war dieser Schüler nah. Mongke brauchte sich nur in sein Herzzentrum vertiefen. Dort ruhte die Liebe zu jenem Menschen wie ein kostbarer Juwel. Und wenn er sich dahinein begab, so war er im selben Augenblick bei diesem Menschen. Sie waren einander nah durch die Liebe.
Mongke fand noch andere Schüler. Er war ein geistiger Lehrer, der einsam in einer Höhle saß, von Schülern umgeben, die nicht zu sehen waren. Für Mongke war dies selbstverständlich, aber in früheren Jahren hätte er sich gewundert und es wahrscheinlich auch nicht verstanden. Wie konnte jemand Lehrer sein, ohne dass er je einen seiner Schüler zu Gesicht bekam? Wie konnte jemand in fernen Welten wirken, ohne mehr als einige Schritte vom Kloster zu einer Felsenhöhle zurück gelegt zu haben?
Kommentare
Phurba:
Magisch aufgeladener Ritualdolch. Phurba ist zugleich die Bezeichnung der dem Ritualdolch innewohnenden Schutzgottheit.
Vajra:
Diamantszepter – Symbol für das Unvergängliche
Yama:
Yama mit einer tantrischen Knochenkette
bekleidet.
Yama ist der Totengott in Indien (meist in menschlicher Gestalt mit Keule dargestellt) und in Tibet (in Büffelgestalt oder menschlicher Gestalt mit Büffelkopf dargestellt).
Hier in der Geschichte erfolgt im Gegensatz zu gegenwärtigen
Gepflogenheiten die Yidam-Meditation NICHT
auf Yamantaka sondern auf Yama als Kala-Yama, den Herrn über die Zeit und das
Schicksal.
Erstausgabe Wien, 2012, überarbeitet 2017
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Alfred Ballabene