Die Schicksalsbücher
Alfred Ballabene
alfred.ballabene@gmx.at
gaurisyogaschule@gmx.de
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Kapitel 1 Im Krankenbett
Kapitel 2 Felsen
und andere Steine
Kapitel 3 Die
Stadt
Kapitel 4 Auf
der Suche
Kapitel 5 Im
Haus von Daya
Kapitel 6 Wiedersehen
mit Berta
Kapitel 7 Ein
Spaziergang mit Berta
Kapitel 8 Der
Altar
Kapitel 9 Die Schicksalsbücher
Kapitel 10 Die russische Gräfin
Kapitel 11 Gedankenflüsterer
Kapitel 12 Seelen wie bunte Blumen
Kapitel 13 Zukunftsperspektiven
Kapitel 14 Abschluss
Vorwort
Wir fühlen uns zwar in der
irdischen Welt zu Hause, aber genau genommen statten wir dieser Kulisse nur
einen Kurzbesuch ab. Unsere wahre Heimat ist in einer anderen Dimension, im
Jenseits. Dort warten unsere Angehörigen und Freunde auf uns, unsere Liebsten,
mit denen wir schon seit ältesten Zeiten verbunden sind.
Wir gelangen nicht gleich
nach unserem irdischen Tod in unsere jenseitige Heimat. Weshalb lässt sich auch
leicht erklären: aus unserer irdischen Niederkunft nehmen wir einen mehr oder
weniger schweren Ballast an Erinnerungen und Emotionen mit, der zunächst einmal
verarbeitet werden muss. Wieder bewegen wir uns durch ein Umfeld, das wir
genauso wie die irdische Welt als Kulisse bezeichnen können. Man könnte diese
Kulisse auch mit einem Spiegel vergleichen, denn sie entspricht unserer inneren
Verfassung. Unser inneres Befinden ist sozusagen nach außen gekehrt, durch eine
Umwelt, die mit uns schwingungsmäßig in Resonanz steht und von der wir uns
hierdurch angezogen fühlen. Das alles läuft unbewusst ab. Es ist sozusagen
unser Unterbewusstsein, welches unser Geschick steuert. Seien wir ehrlich,
schon auf Erden hat unser Unterbewusstsein unser Schicksal mehr bestimmt als
unser freier Wille.
Mag unser freier Wille auch
nicht in unseren Entscheidungen das erste Wort haben, aber er kann wesentlich
zu unseren Entscheidungen beitragen. Letztendlich ist dieser freie Wille die
entscheidende Kraft, welche unser Geschick bestimmt, in dieser irdischen Welt
und auch in der jenseitigen Welt.
Je mehr wir unser selbst
bewusst sind, je weniger wir von unseren Instinkten und Wünschen abhängen,
desto freier werden wir in unseren Entscheidungen. Frei in unserer
Selbstbestimmung zu werden ist das Ziel unserer Entwicklung. Es ist ein langer
und mühsamer Weg. Manche wollen es einfacher haben und glauben den Weg der
Selbsterkenntnis nicht gehen zu müssen. Solche Menschen verschreiben sich etwa
der Macht und glauben durch Macht frei zu sein. Aber es ist nur eine Illusion,
der sie erliegen und spätestens mit dem irdischen Tod kommt das Erwachen und
die selbstherrliche Illusion fällt ab wie Staub von einem Reisegewand.
Die Schicksale der Menschen
sind vielfältig, nicht nur in der irdischen Welt, sondern auch im Jenseits.
Wenngleich kein Schicksal dem anderen gleicht, so können wir dennoch aus dem
Schicksal eines anderen Menschen lernen. Und je mehr Schicksale wir durch
Einfühlungsvermögen nacherleben, umso einsichtiger und verständnisvoller werden
wir gegenüber den Turbulenzen und Geschehnissen, die von geheimnisvollen
Kräften gelenkt, den Karmakräften, unser und der anderen Leben bestimmen.
Möge dieses kurze Büchlein
einen Beitrag hierzu leisten.
1
Im Krankenbett
Albin vor seiner Krankheit
Albin war nun schon seit
einem Monat krank und bettlägerig. Seine Umgebung nahm er nur getrübt wahr. Er
sah besorgte Gesichter die sich zu ihm beugten. Seine Frau sprach beruhigende
Worte zu ihm und er merkte an ihrem Tonfall, dass sie in weitaus größerer Sorge
war als er selbst. Die Furcht vor seinem Tod klang aus jedem Wort heraus. Sein
Tod würde in ihr Leben eine große Lücke reißen. Sie würde einsam sein und seine
Nähe vermissen. Er, Albin, dagegen fühlte sich friedlich, wenngleich sehr müde
und meist in wirren Träumereien versunken.
Die meiste Zeit schlief er,
wachte auf und schlief nach kurzer Zeit wieder ein. Er war zu geschwächt und
langes Wachsein und das Sitzen im Bett machte ihn müde.
Wieder war er aus tiefem
Schlaf erwacht. Es schien diesmal ein besonders erholsamer Schlaf gewesen zu
sein. Vielleicht hatte ihm irgend ein Mittel der modernen Medizin dazu
verholfen, ein Medikament, das wie manches andere kleine Wunder vollbringen
konnte. Ohne Schwierigkeiten, jedoch anscheinend noch etwas benommen, hatte er sein
Bett verlassen. Ein Lebensgefühl, das er schon lange nicht mehr hatte. Es
erfüllte ihn mit Freude. Sein Bewusstsein klärte sich allmählich und er genoss
es in neuer Leichtigkeit durch das Zimmer zu gehen. Es war ein wunderbares
Gefühl.
Es schien bereits abends zu
sein, denn es war dämmrig im Zimmer. Es war unglaublich still. Kein Auto, kein
Hundegebell, kein Moped war zu hören. Auch die Dämmerung war gleichmäßig. Keine
schaukelnde Straßenlaterne belebte durch einen Wechsel von leicht Heller und
Dunkler. Kein Autoscheinwerfer ließ für kurz das Zimmer heller werden. Kein
Mond strahlte herein, um sich sogleich neckisch wieder hinter einer Wolke zu
verstecken. Kurz schossen Albin diese Gedanken durch den Kopf, um sogleich
durch neue Gedanken verdrängt zu werden. Würde der Mond herein scheinen gäbe es
im Zimmer Schatten. Aber es gab keine Schatten. Kaum aufgetaucht, verschwand
diese seltsame Beobachtung wieder aus Albins Bewusstsein und wechselte zu
seiner Entscheidung das Licht aufzudrehen. Entschlossen ging er zum
Lichtschalter, um das Tageslicht in das Zimmer zu holen. Doch zu seiner
Überraschung funktionierte der Schalter nicht. Wäre er die Zeit vorher gesund
gewesen, hätte er den Schalter repariert. So aber schien die Wohnung in manchen
ihrer Funktionen ebenfalls abgebaut zu haben wie sein Körper. Wenn er wirklich
durch ein neues Medikament wieder gestärkt ins Leben treten würde, so wären
diese kleinen Reparaturen als erstes fällig. Noch mit diesen Gedanken befasst
wechselte er in das benachbarte Wohnzimmer, in der Hoffnung dort seine geliebte
Frau anzutreffen. Sie war dort, so wie erwartet. Sie saß im Lehnstuhl, auf
ihrem Schoß ein Buch, das sie abgelegt hatte. Ihre Augen waren geschlossen.
Anscheinend war sie eingedöst. Albin sprach sie leise an, um sie nicht zu
erschrecken. Da sie nicht reagierte, tupfte er sie sanft an der Schulter an.
Sie fühlte seine Berührung, erhob ihren Kopf, öffnete die Augen und sah sich
erstaunt um. Zu Albins Erstaunen schien sie ihn nicht zu sehen. Er sprach sie
an, doch sie reagierte nicht. So sprach er etwas lauter und eindringlicher.
Doch statt einer Antwort und statt sich zu freuen, dass er stark genug war das
Bett zu verlassen, griff sie sich verwirrt an die Stirne, erhob sich und ging
in die Küche, wo sie sich ein Glas Wasser nahm.
Weshalb ignorierte ihn seine
Frau? Die Situation war unwirklich seltsam. Albin begann sich zu beunruhigen
und die verschiedensten Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Vielleicht träumte
er. Oder es waren die Medikamente, welche die Wahrnehmungen mit Halluzinationen
überlagerten? Er sprach weiter eindringlich zu seiner Frau, aber sie schien ihn
nicht zu bemerken. Tausende Gedanken, im Versuch die Situation zu erklären,
schossen ihm durch den Kopf. Doch statt Klarheit zu finden wurde er eher
verwirrter. Als er sich selber ein Glas Wasser nehmen wollte, griff seine Hand
einfach durch das Glas hindurch. Nun versuchte er dies an anderen Objekten und
stellte es ebenfalls fest, inklusive dem Lichtschalter.
Verwirrt und beunruhigt
kehrte Albin wieder ins Wohnzimmer zurück und ging im Raum auf und ab, eine
alte Gewohnheit, wenn er versuchte seine aufgewühlten Gedanken wieder zu
ordnen. Da sah er unverhofft seinen lang verstorbenen Großvater vor sich
stehen. Er war von einer schwachen Lichtaureole umgeben. Albin starrte die
Erscheinung an, die es doch in Wirklichkeit nicht geben konnte. Wieder schossen
ihm allerlei Gedanken durch den Kopf. Er musste sich in einer Fieberphantasie
befinden, ja, das musste es wohl sein. Er schloss und öffnete einige Male seine
Augen, doch die Erscheinung seines Großvaters blieb beharrlich bestehen. Vielleicht
war Geduld von Nöten. Wäre es ein Traum, so müsste sich über kurz oder lang die
Szene ändern. Albin hatte sich durch viele Jahre eingehend mit Traumgesetzen
und Traumsymbolik befasst und wusste: Träume sind von häufigem Szenenwechsel
gekennzeichnet. Auch ist in Träumen Logik und Denken reduziert, wenn man von
Klarträumen mal absieht. In seiner Selbstanalyse stellte er fest, dass er
denken konnte, ja logisch denken konnte. Sofort meldete sich ein neuer Gedanke:
in Träumen könnte man den größten Unsinn erleben und den größten Unsinn denken
und es wird einem immer logisch erscheinen. Wäre es nicht so, so hätte dies einen
Weckeffekt zur Folge und genau das möchte der nach Erholung strebende Körper
vermeiden. Schwer die Situation zu bewerten. Vielleicht irrte er sich, doch
sein Eindruck war, dass sein Denken, wenngleich aufgewühlt, doch klar und nicht
wie in Träumen war. Er ging weiterhin erregt auf und ab. Das Gehen beruhigte
ihn. Sein Großvater stand nach wie vor im Raum und blickte aufmerksam zu ihm
her. Allmählich gelang es Albin seine überstürzten Gedanken so weit zu
kontrollieren, um zu einer mittelmäßigen Ruhe zu kommen. Etwas ruhiger
versuchte er zu überlegen. Langsam rückte die Vorstellung in den Vordergrund,
dass er vielleicht verstorben sein könnte. Er hatte in früheren Jahren etliche
Jenseitsbücher gelesen, wo solche Zustände beschrieben wurden. Ob es das wohl wäre?
Verblüfft über die neu
aufgekommene Vorstellung, dass er nun vielleicht selber ein Geist wäre, so wie
er das in manchen Berichten beschrieben fand, blickte Albin nun mit größerem
Interesse zu seinem Großvater. Sein Großvater schien das Abklingen der
Verwirrung und den fragenden Blick mit Erleichterung zur Kenntnis zu nehmen und
redete ihn jetzt an. Kurz sprach er: "Es stimmt, du hast Deinen irdischen
Körper abgelegt." Albin akzeptierte diese Worte als wahr, jedoch führte
dies keineswegs zu einer Beruhigung. Im Gegenteil. Eine Flut von Gedanken
überstürmte Albin, Gedanken darüber was in der Welt noch unerledigt liegen
geblieben sei, wie seine Frau zurecht kommen würde, ob diese oder jene Rechnung
bezahlt wäre, ob seine Frau das Passwort für seine Mailbox kennen würde, um
seinen Bekanntenkreis zu verständigen und vieles von Wichtigem und Unwichtigem
mehr.
Der Großvater wartete
geduldig, bis sich die Gedanken Albins allmählich beruhigt hatten und er sich
mit seiner Situation abgefunden hatte. Dann sprach er beruhigende Worte und
erklärte Albin, dass dieser ein gutes Leben geführt habe und Freunde in der
jenseitigen Welt auf ihn warten würden. Er wäre nicht alleine und hätte viele
ihn liebende Seelengefährten, denen er bald begegnen würde, sobald er seine
dichtere und noch dem Irdischen verhaftete Seelenschwingung abgelegt hätte.
Albin nahm die Worte dankbar an. Es war weniger der Inhalt des Gesagten, was
für ihn wog, sondern die Tatsache, dass er der Situation nicht hilflos und
allein ausgeliefert war und es ein vertrautes Wesen gab, mit dem er sich
austauschen konnte.
Großvaters Kraft und Ruhe
übertrug sich auf Albin, der allmählich zur Ruhe fand, zu seinem bevorzugten
Polsterstuhl ging und sich in diesen setzte. Zusehends legten sich die
Emotionen und die gegenwärtige Situation wurde weniger dramatisch. Die Gedanken
wurden träger und eine zunehmende Müdigkeit erfasste ihn. Bald schien er in
einen erholsamen Schlaf zu versinken.
2
Felsen und Steine
Albin hatte den Eindruck,
als wäre er aus einem langen Schlaf erwacht. Zunächst hielt er seine Augen noch
geschlossen. Langsam, wie aus einem Nebel, tauchten seine letzten Erinnerungen
auf. Er ließ sich Zeit diese zu ordnen und zu klären. Er war krank und lag Tage
oder Wochen im Bett. Das war klar. Das Letzte jedoch woran er sich erinnerte
war verwirrend:
Er fühlte sich viel gesünder
an, ging durch die Wohnung und seine Frau nahm ihn nicht wahr. Dagegen sah er
seinen verstorbenen Großvater, der ihn sogar ansprach. War es möglich, dass er,
Albin, in die andere Welt gewechselt hätte? War alles Traum oder Wirklichkeit.
Jetzt war der Augenblick gekommen sich darüber Klarheit zu verschaffen. Hierfür
war ein günstiger Augenblick gekommen, denn er fühlte sich wach, ohne jegliche
Benommenheit und sogar bei Kräften. Noch hatte er seine Augen geschlossen und
alles war ruhig. Wenn er sie jetzt langsam öffnen würde, so würde sich sicherlich
alles klären. Höchstwahrscheinlich hatte er einen Traum gehabt und würde sich
jetzt, gut ausgeschlafen wieder in seinem Bett vorfinden, mit seiner lieben
Frau an der Seite.
Aber er hatte Zeit. Deshalb fühlte
er noch in seinen Körper hinein. Das Körpergefühl war da, vollkommen wie
gewohnt. Er fühlte Arme und Beine. Vorsichtig bewegte er einen Arm. Ja, das war
in Ordnung und ebenfalls so wie immer; es war kein Unterschied. Oder doch? Er
müsste doch seine Bettdecke fühlen und das war nicht der Fall! Noch etwas
erstaunte ihn, als er so seinen Körper beachtete: er lag nicht, sondern saß,
mit dem Rücken an eine harte Stütze angelehnt.
Das war unverhofft. Diese
verwirrenden Umstände musste er noch kurz sich setzen lassen, bevor eine
genauere Überprüfung statt finden sollte. So ließ er noch kurz die Augen
geschlossen. Dann öffnete er langsam die Augen.
Was er sah war unerwartet.
Eine völlig veränderte Realität. Er saß auf einem Felsblock, mit dem Rücken an
eine Felswand gelehnt. Vor ihm lag eine breite Talsenke mit seitlichen sich
verzweigenden Schluchten, die von hohen, steilen Bergwänden eingesäumt waren.
Es war eine beeindruckende Landschaft, urtümlich und mächtig.
Albin blieb sitzen und
wartete ab, bis sich seine Überraschung und die Flut von Gedanken beruhigt
hatten. So wie es aussah, war es nicht nötig sich in Aktionen zu stürzen.
Ob Traum oder jenseitige
Realität, was immer es sein mochte, er konnte denken und sich kontrollieren.
Das war schon einmal ein guter Ausgangspunkt, der versprach die Situation
einigermaßen handhaben zu können.
Langsam wanderten Albins
Augen über die Umgebung. Der Himmel war trüb, wie an Wintertagen, aber es war
nicht kalt. Es waren keine Wolken zu sehen. Seine Augen glitten die Felsenwände
entlang, suchten das Tal ab nach Wegen, Flüssen oder Anzeichen von Hirten,
Unterständen oder Häusern. Es waren keine Anzeichen menschlicher Artefakte zu
sehen. Alles war unberührte Natur. Die Bergwände zeigten Vorsprünge und Erker,
Spalten und bestanden aus unterschiedlichem Gestein mit zarten bunten Farben. Neben
dem Grau gab es gelbe und orangefarbene Gesteinsstreifen, welche die Wände durchzogen.
Es gab auch rote Farben und bläuliche Schatten. Die Landschaft hatte eine
eigenartige Schönheit.
Das Tal vor ihm war breit.
Am Übergang zu den Felswänden türmten sich Halden vom Steinschlag. Seitlich
einmündend sah er steile Schluchten, jedoch konnte er weder Wasserfälle, noch
Bäche sehen. Alles war trocken und schien zudem ruhig und wie ausgestorben. Es
musste eine Menschen ferne Gegend sein.
Einige Minuten noch blieb
Albin sitzen. Er ließ sich Zeit beim Betrachten der Landschaft. Er fühlte sich
körperlich wohl und hatte weder Hunger noch Durst. Nichts drängte ihn zur Eile.
Er empfand die Landschaft als sehr schön und zusammen mit seinem sich gesund
anfühlenden körperlichen Zustand kam ein Gefühl von Freiheit auf, wie er es
schon lange nicht mehr erlebt hatte. In vollen Zügen genoss er immer wieder
neue Details, die seine Augen entdeckten. Durch Monate hatte ihn sein Krankheit
in die Enge eines Zimmers verbannt, das keine Abwechslung bot und eintönig
wurde. Welch ein Kontrast zu dem, was er jetzt erleben durfte.
Dann nach dieser Weile
innerer Sammlung und zunehmender Ruhe und Zufriedenheit erhob er sich, um sich
auf den Weg zu machen. Noch einmal drehte er sich in alle Richtungen, genoss
die Schönheit der Felsen und ging dann auf einen breiten Schotterpfad zu, der
durch die Mitte der Talsenke sich um Vertiefungen und Felsen schlängelnd seinen
Weg fand. Eine neue Welt war zu erkunden und er ging ihr zuversichtlich
entgegen.
Albin hatte schon immer
Steine geliebt. Von Zeit zu Zeit hob er einen der Steine auf, betrachtete die
Maserung, die Färbung, trug ihn betrachtend einige Schritte mit sich, um ihn
dann wieder am Rande des Weges abzulegen. Er warf ihn nicht einfach weg den
Stein, denn eine Ehrfurcht vor seinem Alter forderte dies von ihm. Solcherart
auch ließ ihm der Weg immer wieder neue Schönheiten entdecken und war für ihn
schön. Andere Menschen hätten denselben Weg anders empfunden: einsam, karg und
abstoßend. Auch daran dachte Albin und er sagte sich, dass nicht die Umgebung
schön oder hässlich sei, sondern es vom Menschen abhängen würde, wie er sie
bewerte. Man konnte hier glücklich sein oder traurig er war glücklich,
wenngleich ihn auch ein wenig die Einsamkeit beschlich. Als er wieder seinen
Blick über das Geröll am Weg gleiten ließ, sah er unweit einer knorrigen Staude
etwas glitzern. Vielleicht ein Glimmer. Albin dachte an den Spruch der drei
Hauptbestandteile von Granit:
"Feldspat, Quarz und
Glimmer, die drei vergess' ich nimmer!"
Neugierig ging er darauf zu
und fand einen ovalen Stein, der seltsamerweise glatt geschliffen war. Albin
fand das merkwürdig, denn hier in der trockenen Gebirgsgegend gab es keine
Bachkiesel. Und was auch sollte sonst die Steine abrunden und schleifen? Der
Stein war von grauer Farbe und mit vielen winzigen Kristalleinschlüssen, die,
ebenfalls merkwürdig, alle Farben reflektierten. Er wendete den Stein in seinen
Händen. Einen solchen Stein hatte er noch nie gesehen und er kannte sich in
Mineralien gut aus. Dieser Fund war es Albin Wert mitgenommen zu werden.
Albin legte nun zügige
Schritte ein und es mochte wohl eine Stunde vergangen sein, als das Tal sich weitete
und die seitlichen Felsen in sanfte Hügel über gingen.
Der Weg verzweigte sich.
Albin war unschlüssig, welchen der zwei Wege er nun gehen sollte und suchte bei
jedem der zwei Wege den Horizont ab. Ratlos blieb er stehen, denn keine
Richtung versprach mehr als die andere. Als er gedankenverloren in seine Tasche
griff, fühlt er den Stein und da sich dieser warm anfühlte, holte ihn heraus. Es
war eine gedankenverlorene Handlung. Zu seinem Erstaunen bemerkte er, dass der
Stein auf der einen Seite, die zum linken Weg gewandt war dunkel blieb und auf
seiner dem anderen Weg zugeneigten Seite in schwachem Glanz leuchtete.
Merkwürdig war das. Albin wendete sich nun bewusst dem einen Weg zu und dann dem
anderen. Der Stein wurde in Richtung des einen Weges dunkel und in Richtung des
anderen begann er leicht zu scheinen. Das war merkwürdig und er wiederholte
einige Male den Versuch, nur um von Neuem zu staunen.
Es war klar; im Jenseits und
da schien er sich zu befinden, galten andere Gesetze als auf Erden. Er dachte
an seinen Großvater. Vielleicht hatte dieser ihm einen magischen Stein
geschickt, einen Kompass, der ihm in verschiedenen Situationen eine günstige
Richtung zu weisen vermochte? Ohne noch einen weiteren Augenblick zu zögern
ging er die Richtung, zu welcher hin der Stein aufgeleuchtet war.
Das Land wurde flacher und
der nun breiter gewordene Weg begann leicht bergab zu führen. Die Vegetation
war nach wie vor karg und bestand aus blattlosem Dornengestrüpp. Nach einer
Wegbiegung um einen Hügel stand Albin unversehens vor einem weiten Talkessel.
Ein breiter Weg führte hinab, verzweigte sich weiter unten, um sich dann in
vielen kleinen Wegen zu verlieren. Zwischen den Wegen sah man schwarzen Morast.
Beides, Wege und Morast schienen in weiterer Entfernung miteinander zu
verschmelzen. Dunkelgraue Nebelschwaden überdeckten teilweise das Gelände. Zu
beiden Seiten dieser Talsohle schien eine Hochebene zu verlaufen, die sich in
weiter Ferne verlor und deren Ränder zum Talkessel hin zunehmend steil
abfielen. Diesmal gezielt griff Albin in die Tasche und holte den Stein hervor.
"Möge der Stein nun seine magische Kraft beweisen“, dachte Albin. Er hielt
den Stein in Richtung des Talkessels. Der Stein blieb dunkel.
Überraschenderweise erfüllte ihn eine innere Gewissheit, dass er nach rechts
gehen und dort seinen Weg fortsetzen sollte. Als er den Stein nach rechts
hielt, hellte sich dieser auf. Zur linken Seite hin gehalten, wurde der Stein
nicht so dunkel wie in Richtung Tal, jedoch auch nicht so hell wie in der
rechten Richtung. Albin war über beides hoch erfreut, über sein scheinbar
richtiges Empfinden und die abermalige Hilfe durch den Stein. "Ein gutes
Gespür ist viel wert und gibt Sicherheit“, dachte er.
Der Weg, den er nun ging, war
ein schmaler, ausgetretener Pfad. Immer häufiger wurde das Gestrüpp von winterlich
aussehenden Bäumen überragt. Etwas knorrig und krumm gewachsen waren sie, aber das
gab ihnen sozusagen Charakter. Sie glichen harten Kämpfern, die sich unter
widrigen Umständen behauptet hatten, Sturm und Wetter trotzend.
Kurvig wandte sich der Weg
durch das blattlose Gehölz und schlängelte sich unverändert weiter. Es gab
keine Abzweigung, sondern lediglich ein Vorwärts oder ein Zurück. Die Zeit
verging und das Gehen wurde monoton. Da sich weder Abwechslung zeigte, begann
Albin mehr und mehr seinen Gedanken nach zu hängen. Die letzten Jahre seines
Lebens zogen an ihm vorbei, sprunghaft einmal dieses und jenes Ereignis und
zwischendurch immer wieder ein Stück der Kindheit. Bilder ohne scheinbaren
Zusammenhang.
Noch in Erinnerungen
versunken, stand er jählings vor einer Lichtung, mit einer Hausruine am
gegenüberliegenden Rand. Das Dach war noch zur Hälfte vorhanden und endete in
dunklen Latten, die waagrecht in die Luft vorstießen. Das verbliebene,
restliche halbe Haus hatte keine Eingangstüre mehr. Dort wo einst die zweite
Hälfte des Hauses stand, war ein Schuttkegel aus Ziegel, Mauerwerk, Dachziegeln
und Dachsparren. Zwischen dem Schuttkegel und dem verbliebenen Hausteil war
eine natürliche Passage, durch die man hinein klettern konnte.
Das Dach war noch zur Hälfte vorhanden
Albin wurde neugierig. Das
Haus war ja das erste Zeichen einer menschlichen Präsenz auf seinem bisherigen
Weg. Der Anblick der Hausruine ließ seine Einsamkeit verstärkt in Erscheinung
treten und er begann sich nach Gesellschaft zu sehnen. Er entschloss sich in
die Hausruine hinein zu klettern, einfach weil ihm durch den Anblick von
Möbeln, Scherben oder was immer dergleichen da sein mochte, wenigstens für
einige Augenblicke die menschliche Zivilisation wieder nahe war.
Das Innere des Hauses war
dunkel, der Boden eben und ohne Schutt. Es schien hier trocken und weniger kühl
als draußen zu sein. Zu sehen war nichts. Albin entschloss sich zu einer kurze
Rast, obwohl er eigentlich nicht müde war. Er setzte sich nicht weit vom Einstieg
auf den Boden und lehnte sich an die Wand.
Wie er so in das Dunkel des
Inneren blickte, hatte er den Eindruck, dass in der rückwärtigen Ecke noch
jemanden zu sitzen schien. Ganz sicher war er sich nicht, weil sich jener
dunkle Fleck nicht bewegte. Aufmerksam beobachtete Albin weiter und versuchte
mit allen seinen Sinnen die Stelle auszuloten. Und tatsächlich, nach kurzer
Zeit war er sich dessen gewiss, saß dort jemand und schien zu schlafen oder zu
dösen.
Albin sah davon ab an die
dunkle Stelle heran zu gehen. Er wusste nicht ob jener Mensch freundlich
reagieren würde. Als ihm die Zeit doch zu lange wurde, räusperte er sich. Der
dunkle Fleck belebte sich und es erweckte den Eindruck, als ob jener Mensch den
Kopf heben würde. Albin verhielt sich wieder still. Er wollte nichts
überstürzen dadurch, dass er aufstand oder mit lauter Stimme sprach.
So herrschte wieder durch
kurze Zeit Stille. Dann begann er in einer Art Selbstgespräch vor sich
herzusagen, dass er lange Zeit gewandert sei, ohne etwas anderes als blattlose
Bäume und Felsen angetroffen zu haben. Und er fügte voll Selbstbedauern hinzu,
dass er die ganze Zeit einsam war und jetzt, wo er einen Menschen gefunden
habe, dieser ihn in keiner Weise beachte.
Die Taktik schien
erfolgreich zu sein, denn sein Gegenüber ließ endlich mit leiser Stimme hören,
dass es auch ihm nicht sonderlich gut gegangen sei, und dass er den Klagen, die
er hörte beipflichten könne.
Albin bemühte sich durch
Zwischenfragen und Kommentare das Gespräch in Gang zu halten und war letztlich
über seinen Erfolg zufrieden. Auch erzählte er seinerseits über seine
Eindrücke, die er in letzter Zeit erlebt hatte. Die Felsen der Schluchten
wurden in seiner Schilderung höher, dunkler und bedrohlicher. Dass er sie schön
fand, vermied er zu erwähnen. Ebenfalls schilderte er die morastige Senke, die
er gemieden hatte.
Sein Gesprächspartner schien
aus einer anderen Richtung gekommen zu sein, denn Albins
Landschaftsschilderungen waren ihm fremd. Wie sich zeigte schien er die
Umgebung nach anderen Gesichtspunkten bemessen zu haben. Er war auf der Flucht
und hoffte in den Wäldern hier Versteck und Zuflucht zu finden. In der Hütte
fühlte er sich erstmals geborgen. Also war er hier geblieben. Ganz glücklich
war er über diese Situation bei weitem nicht. Es war für das Erste eine Möglichkeit
um zur Ruhe zu finden. Er war hier schon geraume Zeit, wie lange konnte er
nicht sagen. Tag und Nacht gab es nicht, es blieb immer gleichmäßig trüb, etwa
wie an Wintertagen. Allmählich jedoch begann sich bei ihm ein Gefühl der
Einsamkeit und Verlassenheit zu melden, doch schob er es auf den Weg weiter zu
gehen, mit dem Risiko Gefahren ausgesetzt zu sein.
Albin fragte, ob es ihm
gestattet sei, sich in seine Nähe zu setzen, um das Gespräch in gemütlicherem
Rahmen fortzuführen. Sein Gegenüber war einverstanden.
Er setzte sich zu ihm hin
und sah ihn genauer an. Der Mann neben ihm war zirka 40-jährig und von
südländischem Aussehen. Er schien von lateinamerikanischer Herkunft zu sein.
Albin stellte sich vor. Er
schilderte in kurzen Zügen sein irdisches Leben und mal dieses und mal jenes
Ereignis.
Das Gespräch wurde
lebhafter.
Albins Gegenüber stellte
sich als Antonio vors, und begann seinerseits über sein Leben zu berichten. Es
war weniger schön als das von Albin und hatte viele Schattenseiten. Ja, sein
Leben war so hart, dass es kaum Erfreuliches zu bieten hatte.
Antonio
Er wuchs in Armut im Slum
auf. Später hielt er sich über Wasser, indem er sich der Gang seines
Stadtteiles anschloss. Diese hatte außer Schutzgeld und dergleichen eine
zusätzliche Einkommensquelle - auf Anleitung eines Mittelsmannes wurden gegen
Entgelt regimefeindliche Elemente terrorisiert, ausgeplündert und bisweilen
auch "eliminiert“, wenn die Anweisungen so lauteten. Sonstige
Raubüberfälle, die als eine Art Gegengeschäft galten, wurden von der Polizei
nur halbherzig geahndet. Von oberer Stelle waren solche Aktionen zur
Verschleierung der Aufträge gerne gesehen. Sicherlich gab es bisweilen
Polizeirazzien, auch wenn diese um die Tabus wusste. Es gehörte einfach zum
Spiel, musste so sein, damit die Bevölkerung ihr Vertrauen zur Polizei nicht
gänzlich verlor. Hierbei wurde auch der eine oder andere festgenommen, aber
dies war nicht tragisch. In diesem Falle wurden die Gang-Mitglieder nach meist
kurzer Zeit "verlegt“, das heißt frei gesetzt. Es wurden auch immer wieder
Mitglieder erschossen, jedoch seltener von der Polizei, sondern meist von
anderen Gangs bei Überschneidungen von Geschäft oder Revier. Es gehörte zum
Leben und man konnte dadurch, wenn man durch kam, in der Hierarchie aufsteigen.
Zuletzt leitete Antonio eine Gruppe von zehn Mitgliedern. Sie besaßen ein kleines
Lastauto für blitzschnelle nächtliche Überfälle.
Irgendwann, erzählte Antonio
weiter, sei er bei einer Plünderungsaktion aus dem Hinterhalt erschossen
worden. Zu seinem Erstaunen ging das Leben weiter. Es dauerte einige Zeit, bis
Antonio heraus fand, dass er sich hierbei in einer jenseitigen Ebene befand. Im
Wesentlichen unterschied es sich nicht von seinem irdischen Leben. Er gelangte
dann nach etlichen schrecklichen Zwischenperioden in die jetzige Umgebung. Die
Hütte hier war sein erster Unterschlupf, in welchem er Ruhe gefunden hatte. Es
war so: in einer Stadt, irgendwo in der Ferne wurde er von einer Bande
angeheuert. Da in der Stadt Anarchie herrschte, war die Bande ein scheinbarer Schutz vor Willkür. Bald aber stellte sich
heraus, dass die Bande die Zeit mit sinnlosen Quälereien verbrachte, welche
weder für den Lebensunterhalt nötig waren noch sonst einen Sinn erfüllten. Es
gab ja auch keine Lebenszwänge mit Hunger oder Durst aus den Bedürfnissen eines
irdischen Körpers heraus.
Nach kurzer Zeit schon hatte
sich Antonio geweigert an dem sinnlosen Randalieren, Raufen und den derben
Späßen teil zu nehmen. Es hatte ihn zunehmend angeekelt. Diese Weigerung wurde
als ein Aufbegehren gegen den Chef der Bande empfunden, was zur Folge hatte,
dass er nun seinerseits zum Opfer wurde. Man achtete sehr darauf, dass er nicht
entfliehen konnte und ergötzte sich an seiner Hilflosigkeit.
Letztendlich gelang es ihm
doch zu entfliehen. Er verließ schleunigst die Stadt und gelangte in diese
Hochebene. Unter den knorpeligen Bäumen und dem Gestrüpp, hoffte er Deckung vor
seinen Verfolgern zu finden. Die hatten es aber anscheinend bald aufgegeben ihn
zu suchen. Dennoch, Antonio blieb lieber auf der sicheren Seite.
Wenngleich das Gebiet, das
er nun durchstreifte nicht schön war, so fühlte er sich doch endlich nach langer Zeit frei,
ohne in ein System gezwängt zu sein und Befehlen gehorchen zu müssen. Es war das
erste Mal, selbst wenn man sein vergangenes irdisches Leben dazuzählte, wie er
sich zugestand. Er genoss es seinen Weg selbst bestimmen zu können. So ist er
dann über die Hochebene gewandert, bis er diese halb verfallene Hütte fand.
Hier wollte er einige Zeit ruhen und die Vergangenheit mit ihren unguten
Erinnerungen verarbeiten und abgleiten zu lassen.
Es gab viel worüber er
nachdachte. Es war eine unbestimmt lange Zeit gewesen, da er sich hier
aufhielt. Zur Abwechslung machte er immer wieder kleine Wanderungen in der
Umgebung. So manche unschöne Erinnerung wurde in dieser Einsamkeit lebendig:
Menschen, deren Existenz er zerstört hatte, tauchten vor seinem inneren Auge
auf und ihre Verzweiflung durchdrang ihn bis ins Mark. Die Gefühle jener
Menschen, die er zu Lebzeiten nicht wahrnahm, für die er nicht einmal Zeit
hatte sie wahrzunehmen, diese Gefühle nun schlugen ihm jetzt in dieser Stille
hart entgegen. Jetzt tat ihm seine frühere Handlungsweise leid. Aber, fügte er
seufzend seinem Bericht hinzu, sei es jetzt nicht mehr möglich seine
Handlungsweisen ungeschehen zu machen. Was blieb, war Resignation und eine gehöriges
Maß an Selbstverachtung. Aus dieser Sicht heraus, wissend, dass es kein Ansehen
gab, das er verlieren könne, bereite es ihm auch keine Schwierigkeiten
ungeschminkt über sein Leben zu erzählen.
Es trat eine Pause ein.
Albin nickte Antonio zu und fügte halb im Selbstgespräch und halb zu Antonio
gewandt hinzu, dass bei ihm auch nicht alles zum Besten gelaufen sei. Er hatte wohl
ein schönes Leben, hatte ein eigenes Haus, Familie und kaum Lebensprobleme.
Allerdings habe ihn dies auch irgendwie blind gemacht. Er lebte gedankenlos für
den Augenblick, so als würde sein Leben ewig dauern. Alle seine Vorsätze und
Pläne der Jugend waren vergessen, schliefen in einer gewissen Monotonie des
Lebens ein. Dann auf einmal war er alt und das Leben war vorbei. Er machte sich
Vorwürfe wegen der verlorenen Chancen. Ein inneres Wissen jedoch versichere
ihm, dass man Fehler zwar nicht mehr rückgängig machen könne, aber es wäre
möglich, bei gutem Willen, in der Zukunft eine Art Ausgleich zu schaffen. In
Resignation zu verfallen sei schlecht; besser sei es noch sich zu bemühen Gutes
zu tun. Selbst die Versuche dazu wären schon eine Menge wert und würden
zumindest ein kleines Maß an Selbstachtung wiederherstellen.
Antonio stimmte Albin nach
langer Nachdenkpause zögernd zu. Die Worte schienen ihm einzuleuchten. Wenngleich
er sich allein nie zu den hierfür nötigen Taten würde aufraffen können. Er
wüsste auch nicht was er hierfür tun solle. Mit Albin zusammen als Gefährten
schien das jedoch manche Chance in greifbarere Nähe zu rücken, meinte er.
Außerdem, betonte er, sei ihm Albin sympathisch und seine Nähe versprach die
hiesige Einsamkeit und Trostlosigkeit gegen eine gute Kameradschaft
einzutauschen. Er bat Albin ihn begleiten zu dürfen und betonte immer wieder in
kurzen Bemerkungen seine Freude einen Weggefährten gefunden zu haben in dessen
Nähe er sich wohl fühle.
Beide erhoben sich und gaben
sich wortlos die Hand. Dann konnten sie beide dem Bedürfnis nicht widerstehen und
sie umarmten einander. Sie hatten das Gefühl, als wären sie innigste Freunde,
die sich nach Jahren der Trennung wieder gefunden hätten.
Sie machten sich auf den Weg
und gemeinsam den verschlungenen Pfad weiter verfolgend. Unterwegs plauderten
sie angeregt, denn es gab vieles zu erzählen und zu klären. Antonio schien ein
schier unerschöpfliches Reservoir an Erinnerungen zu haben und er konnte diese
in fantastisch lebendigen Bildern vermitteln. Durch die Erzählungen fühlte sich
Albin in die Tropen versetzt, sah Affen, bunte Vögel, Käfer und allerlei
Insekten und dazwischen das Aufleuchten von Blüten in seltener Schönheit. Was
das Leben von Antonio selbst betraf, so war dieses nicht gerade edel, aber
ebenfalls auf seine Weise ereignisreich. Fasziniert lauschte Albin über die
Städte und Banden und die andersartige Lebensart jenes fernen Landes. Wie war
dieses Leben doch völlig anders als die Routine des ewigen Tagein und Tagaus
seines eigenen vergangenen Lebens. Er bewunderte auch den Mut und die
Bereitschaft Antonios jederzeit das Leben aufs Spiel zu setzen. Umgekehrt
wunderte sich Antonio, über die zivilisierte Monotonie in Albins Leben.
Für jeden von ihnen waren
die Erzählungen des anderen spannend. Fehler und Schuld verloren immer mehr an
Bedeutung und wurden zu Elementen eines dynamischen Lebensdramas. Antonio gewann
zusehends den Eindruck, dass er keineswegs aus purer Schlechtigkeit ein solches
Leben geführt hatte, sondern durch ungünstige Umstände in jene Situationen
hinein geschlittert war. Als Straßenkind und ohne Eltern suchte er Zuflucht,
wollte er überleben. Jeder Tag seiner Existenz musste erkämpft werden und für
moralisches Denken war hier kein Platz.
Albin seinerseits erkannte
für sich, je mehr er sich in Antonios Leben vertiefte, dass jeglicher
Moralismus unangebracht wäre und er an Antonios Stelle nicht anders gehandelt
hätte. Über Moralismen lässt sich gut an einer Ofenbank diskutieren, im Leben ist
aber vieles anders.
In Gesprächen vertieft übersahen
die zwei Freunde, dass sich die Gegend allmählich verändert hatte. Die Hecken
und Bäume waren allmählich weniger geworden. Das Gelände war freier. Sie
hielten an und besahen sich die Umgebung genauer. Einerseits war die vor ihnen
liegende Ebene freier, bot aber andererseits auch weniger Schutz.
Der Weg wurde breiter, und
es dauerte nicht lange, da erblickten sie in der Ferne einige Baracken. Die
erste Ansiedlung, an welche beide gelangt waren. Während Albin sich freute
hatte Antonio eher gemischte Gefühle. Näher kommend erkannten sie, dass die
Baracken zusammengeflickte Bretterbuden waren. Dazwischen lag Gerümpel. Es sah
sehr verwahrlost aus.
Als die beiden Freunde bei der
ersten Bretterbuden angekommen waren, versperrte ihnen ein verwahrloster,
breitschultriger Mann den Weg.
"Sieh mal an, Besuch“,
grinste er breit. "Ihr kommt wohl, um hier etwas Abwechslung zu finden
oder uns zu verschaffen“, fügte er hinzu. "Wer sich uns nicht anschließt
ist unser Feind.“
Als er merkte, dass er weder
mit seiner Erscheinung noch mit seinen Worten den gewünschten Eindruck
erweckte, pfiff er sein Gefolge herbei. Sofort kamen wenig vertrauensvolle Gestalten
aus den Baracken herbei geeilt und umringten die beiden Freunde. Doch weder
Albin noch Antonio hatten Lust sich zu unterwerfen. Der Boss der Gruppe deutete
das Zögern richtig und riss eine Latte aus der Baracke, um seinen Worten
Nachdruck zu verleihen. Er ging auf Antonio zu und holte aus. Zu seiner
Überraschung wehrte Antonio den Schlag
mit seiner Hand mühelos ab. Ein kleiner Kampf war nichts, was Antonio
beeindruckte, gab es doch in seinem vergangenen Leben mehr als genug davon.
Bezüglich Antonio verunsichert,
versuchte es der Typ jetzt bei Albin. Albin seinerseits liß sich ebenfalls
ungern einen fremden Willen aufzwingen. Er wehrte genau so ab wie Antonio.
Hierbei spürte er, dass sich um seinen Arm, mit dem er die Latte abfing, so
etwas wie ein Kraftfeld aufbaute, das den Schlag abbremste, so dass die Latte
nicht einmal seinen Arm zu berühren vermochte. Noch einmal versuchte es der
Bandenführer und holte noch weiter aus. Jedoch die Latte glitt neben Albin
vorbei. Albin war kaum ein wenig zur Seite getreten, hatte nichts weiter getan.
Allein die innere Zuversicht und Bereitschaft wirkte als wäre ein unsichtbares
Schutzfeld um ihn. Es war schwer zu sagen, wen dies mehr erstaunte, Albin oder
den Bandenchef. Der Kerl versuchte es mit noch wilderen Schlägen, doch
vergeblich.
Hämisch grinsend verfolgten
die Bandenmitglieder das Geschehen. Es hatte den Anschein, als ob sie dem Boss
wohl gehorchten, aber diesen keineswegs liebten und ihnen dessen Niederlage
Freude machte.
Der Boss merkte dies und
bevor er sich in einen aussichtslosen Kampf mit diesen beiden Magiern einließ,
und für solche hielt er sie nunmehr, und sein Gesicht verlieren würde, schlug
er brüllend auf seine Bandenuntertanen ein, um seine geschwächte Position wieder
zu stärken.
Albin und Antonio gingen
unbeachtet weg, ohne sich weiter um das Gebrülle und den Tumult zu kümmern. Sie
hatten gehofft Gleichgesinnte anzutreffen und sich auf ein wenig Gesellschaft
gefreut. Nun waren sie enttäuscht.
Die beiden waren noch nicht
weit gegangen, da kam ihnen ein Mann nachgeeilt, dem Aussehen nach im Alter von
etwa fünfzig Jahren. Er bat die zwei sich ihnen anschließen zu dürfen. Schnell
noch stellte er sich als Valentin vor, um durch diesen Höflichkeitsakt eine
bessere Akzeptanz zu erlangen.
Valentin
Albin und Antonio blieben
stehen und sahen ihn schweigend an. Noch waren sie unschlüssig und wussten
nicht, ob man sie tricksen wollte. In der Furcht abgewiesen zu werden und um
glaubhafter zu erscheinen, erzählte Valentin in großen Zügen seine Geschichte.
Er war vor einiger Zeit hier vorbeigewandert. Da hatten sie ihn gezwungen sich
ihrer Bande anzuschließen. Bald schon sah er von welchem Niveau der Zeitvertreib
dieser Menschen war und er weigerte sich mitzumachen. Zur Bestrafung wurde er
gedemütigt und nun seinerseits ein Opfer, an dem man sich erheiterte und das
man als Gefangenen fest hielt.
Das Auftauchen der zwei
Freunde war für ihn nun die Chance gewesen zu entkommen. Als er erkannte, dass
man während des Tumultes auf ihn nicht aufpasste, machte er sich augenblicklich
aus dem Staub. In sicherer Entfernung der Baracken sah er dann die zwei Freunde
auf ihrem weiteren Weg und war ihnen gefolgt. Ihr Verhalten beeindruckte ihn
und er versprach sich in ihrem Beisein Schutz vor Verfolgung. Er bat die zwei
Freunde noch einmal inständig ihn in ihrer Gesellschaft aufzunehmen,
Nachdem Albin und Antonio Valentin
eingehender gemustert hatten, sagten sie zu.
Schweigend schritten sie ihre
Wanderung in der nun weglosen Landschaft fort. Valentin wollte sich nicht aufdrängen
und begann seinerseits kein Gespräch. Die zwei Freunde schwiegen und gingen zügig
weiter. Allmählich hatten sie eine große Strecke zurückgelegt.
Der Bandenboss war für Albin
schon längst uninteressant geworden, aber jenes eigentümliche Kraftfeld, das er
bei den Attacken erspürt hatte, beschäftigte ihn. Er grübelte nach und endlich
sprach er es Antonio gegenüber aus. Kurz diskutierten sie darüber, fanden
jedoch keine Erklärung.
3
Die Stadt
Endlos weit schon gingen die
drei durch eine gleichbleibende Landschaft. Die Tatsache, dass es keine Nächte
gab, sondern eine unveränderte Diesigkeit, ließ die Wanderung noch monotoner
erscheinen. Der graue, dunstige Himmel führte ähnlich wie an düsteren
Wintertagen, auch hier zu einer Antriebslosigkeit. Der Stein, den Albin hin und
wieder verstohlen hervor holte, zeigte kein Leuchten. Es war, als ob nie und
nimmer eine magische Eigenschaft in ihm gewesen wäre. Antonio rettete die
Stimmung durch immer neue Erzählungen. Er schien eine unerschöpfliche Quelle
von Anekdoten und Mythen zu sein. Er konnte diese in farbiger Weise bringen,
schmückte die Details phantasievoll aus und in der Phantasie der Freunde entwickelte
sich eine unbekannte, tropische Welt. Antonios großartige Begabung des
Erzählens verhalf allen das Umfeld zu übersehen und in ein stimmungsvolles Miterleben einzutauchen.
Doch allmählich, während sie
das weglose Ödland durchquerten, begann sich, kaum merkbar, die Landschaft zu
ändern. Die Hecken wurden weniger, die Bäume größer, wenngleich nach wie vor blattlos.
Es gab Senken und Hügel, die wie große Wellen wirkten und einzelne Felsen
gleichsam darauf schwimmen ließen.
Den drei Freunden fiel diese
wohltuende Veränderung kaum auf. Als sie wieder einen flachen Hügel erklommen
hatten, standen sie völlig unverhofft vor einem sanften Hang. Unten sah man
eine Stadt mit Häusern dicht an dicht, Türmen, Parks, schmalen und breiten
Straßen. Das städtische Panorama war aufgelockert durch flache Hügel, einem
Fluss, Bäche, Brücken, einer Stadtmauer und Türmen.
Die drei Freunde setzten
sich an den Rand des Hanges und betrachteten die Stadt unter sich. Die
Erwartung vielfältiger Eindrücke belebte die Phantasie und bald war ihre
Unternehmungslust nicht mehr zu zügeln. Es drängte sie die Gebäude, Brücken,
die engen Straßen des Zentrums und die aufgegliederten Außenbezirke zu sehen.
Schon waren sie aufgesprungen, beschleunigten ihre Schritte und hatten den
Hügel hinter sich gelassen. Sie eilten an einzelnen Landhäusern im Vorfeld der
Stadt vorbei und bald waren sie in ein Gebiet dichterer Besiedelung gelangt. Schon
hatten sie die ersten Straßenfluchten hinter sich gelassen und zogen wahllos
durch enge Gassen und breite Straßen und genossen die Überfülle an Eindrücken,
die sich ihnen bot.
Allmählich wuchs in den drei
Wanderern das Interesse für das Detail und die Schritte wurden langsamer.
Persönliche Vorlieben machten sich bemerkbar. Albin erkannte die
unterschiedlichen Bewertungen seiner Freunde, die andere
Interessensschwerpunkte hatten als er.
Antonio und Valentin fühlten
sich von bunten Lichtern, Gewimmel und Unterhaltung angezogen, und mit Albin im
Schlepptau, steuerten sie dem Zentrum der Stadt zu.
Auch Albin gefiel der
Trubel, musste er sich eingestehen. Es war eine Folge der langen Wanderung
durch einsame Gegenden. Er stellte fest, dass hier in erster Linie Lokale waren
und keine Geschäfte. Es war logisch, denn Konsumobjekte hatten in dieser Welt
der Illusionen keine Bedeutung. Alles war letztlich Geist erschaffen. Nicht
materielle Werte sondern Unterhaltung zählte hier offenbar und so öffneten die
Lokale ihre Pforten in erster Linie jenen, die Geselligkeit suchten. Es waren
hauptsächlich Wein- und Bierstuben. Es gab auch Bretterpodeste mit allerlei Darbietungen
und Rednern die für magische Zirkeln oder Sekten warben. In der Regel gab es
keine Bedienung oder Service. Man nahm sich einfach was man wollte und allen
war das recht.
Die drei Freunde blieben
immer wieder stehen, speziell vor den Kleinbühnen auf offener Straße. Hier
wurde musiziert, die Leute tanzten, klatschten, sangen mit oder riefen einfach
dazwischen. Die offenen Bühnen schienen sich gleichsam auf der Straße fort zu
setzen, wo sich Menschenknäuel um Raufereien oder um einzelne Redner bildeten,
die Schwänke brachten oder predigten.
Nirgends wurde Eintrittsgeld
verlangt, alles war erlaubt und zwischen Publikum und Akteuren war kaum ein
Unterschied. Man konnte schreien und sich austoben oder auch still zuschauen.
Manche sprangen einfach auf eine Bühne, um dort mitzumachen. Sicherlich war
dadurch auch das Niveau des Gebotenen sehr gedämpft, dafür aber im wahrsten
Sinne des Wortes volksnahe. Allen schien es Freude zu machen. Vor den Freunden
schien sich ein Paradies des Vergnügens zu öffnen, in dem jede Person frei von
Moralismen und Zwängen verstohlene und geheime Wünsche ausleben konnte. Es
waren hauptsächlich im irdischen Leben unterdrückte Wünsche und diese waren meist
nicht von sauberer Art. Wie immer, es schien allen gut zu tun, frei und
ungebunden zu sein.
Während Albin und Antonio
vom Geschehen absorbiert waren, war Valentin auf einmal von den zwei Freunden unbemerkt
verschwunden. Die zwei Verbliebenen entdeckten erst nach geraumer Zeit das
Fehlen ihres Freundes. Das war nicht verwunderlich, denn es kam immer wieder
vor, dass der eine oder andere von ihnen von der Menge abgedrängt etwas zurück
blieb oder etwas Interessantes entdeckt hatte und dort länger verweilte. Nun
aber war es klar, sie hatten Valentin verloren, er war nirgends in nächster
Nähe zu sehen. Albin machte sich Vorwürfe ob seiner Unachtsamkeit. Auch Antonio
schien sehr betroffen zu sein.
Zunächst nahmen sie an,
Valentin im Trubel verloren zu haben und gingen ein großes Stück des Weges
wieder zurück. Valentin jedoch war nirgends zu sehen. Dann blickten sie in
einzelne Lokale, schreckten aber bald davor zurück, die einzelnen Räume zu
durchsuchen, denn zu schnell betrachtete man sie ob ihres Verhaltens als
Spielverderber und pöbelte sie an.
Valentin hatte in der
Zwischenzeit ein Weinlokal aufgesucht. Jetzt in dieser fröhlichen Umgebung wuchs
das Empfinden, schon lange eine gelöste Atmosphäre entbehrt zu haben. Nach all
den vergangenen, unerfreulichen Zeiten meinte er wohl einen guten Tropfen
verdient zu haben, meinte er. Die Menschen hier waren gelöst, es gab Gesang und
Gelächter, eine heimelige Atmosphäre. Valentin genoss es, wieder einmal in alt gewohnter
Weise leben zu können. Nun ja, in seinem früheren Leben war er dem Alkohol sehr
zugetan.
Er hatte schon etliche
Flaschen Wein getrunken, eine Menge, die ihn in seinem vergangenen Leben sicher
flach gelegt hätte, und er hatte viel vertragen damals. Hier aber schien der
Wein keine Wirkung zu haben. Er wusste nicht, dass ein Astralkörper keine
chemischen Wechselwirkungen kannte. So vertiefte sich nach einer Reihe
ausgetrunkener Gläser das Empfinden, dass der Wein schal und bar jeden Aromas wäre.
So war denn Valentin froh, als man ihm aus einem Nebenraum zuwinkte, wo sich
eine fröhliche Tischrunde versammelt hatte. Mit weit ausholender Geste luden
ihn zwei aus der dortigen Runde ein, sich an den Tisch zu setzen. Valentin ließ
sich nicht zweimal bitten, schritt die paar Stufen in den Nebenraum hinunter
und gesellte sich der Gesellschaft bei.
Die Gruppe am Tisch war
gemischt. Die Runde wurde von einem gut gekleideten Herrn geführt, der
erklärte, dass der heutige Tag für ihn ein Feiertag sei und er deshalb alle auf
seine Kosten einlade. Sie mögen sich ohne Zurückhaltung jeden Wunsch erfüllen.
Es wurden grobe Scherze gemacht, aber nicht auf Kosten der Teilnehmer, was
Valentin als wohltuend und rücksichtsvoll empfand.
Nach einiger Zeit bemerkte
Valentin, dass an der Ecke des Raumes ein heimeliges, von schwachem Kerzenlicht
beleuchtetes Stübchen war. Von seinem Sitzplatz aus konnte es Valentin gerade
noch sehen. Eine Dame dort lächelte ihm zu und winkte ihn zu sich. Valentin
zögerte. Als hätte es der Lokalinhaber bemerkt, kam er zu Valentin und beugte
sich zu ihm. "Unser Extrastübchen. Für erlesene Gäste. Sie kommen sicher
von sehr weit, darf ich Sie einführen?“
Der Lokalinhaber fasste
Valentin am Oberarm und führte ihn sanft und dezent in das Extrastübchen.
"Helga“, bemerkte er, "eine
stadtbekannte Schönheit. Es ist ungewöhnlich, dass Sie ihr Interesse gefunden
haben.“
Valentin setzte sich zu der
Dame und diese rückte ganz nahe an ihn heran und eröffnete ihm, dass sie sich
freue, endlich eine Persönlichkeit gefunden zu haben, der man es ansehe, dass
sie durch Feuer und Eis geschritten sei. Er sei ihr aufgefallen, da er sich vom
schalen Massenpublikum deutlich abhebe. Ihre Menschenkenntnis sage ihr, dass er
über all jene herausrage, die sich hier herumtreiben. Diese Worte taten
Valentin ungemein gut. Endlich war hier ein Mensch, der in ihm den tieferen
Kern seiner Persönlichkeit erkannte.
Die beiden befreundeten sich
sehr schnell und letztlich, nachdem Helga offenbar Vertrauen gefunden hatte,
lud sie Valentin ein, ihr Privatetablissement aufzusuchen.
Eingehängt, und Helga an
Valentin geschmiegt, gingen sie einige Gänge entlang und gelangten zu einer mit
Eisenrosetten beschlagenen Eichentüre. Zwei große, muskulöse Türsteher standen
wie zufällig davor. Helga hängte sich von Valentin aus, öffnete die Türe und
deutete Valentin mit einer Geste an, einzutreten. Hinter der Türe war ein roter
Samtvorhang. Valentin ging darauf zu und als er gerade dabei war den Vorhang
zur Seite zu schieben, bekam er einen kräftigen Tritt, der ihn schneller als
erwartet durch den Vorhangschlitz beförderte. Er stolperte vor, trat aber ins
Leere. Eine lange Stufenreihe tat sich vor ihm auf und er kollerte gute zehn
Meter die Steinstufen hinab, wo er unten in einem düsteren Kellergang, mit
rohen Erdwänden, liegen blieb.
Kurz blieb Valentin liegen,
fassungslos über diese unerwartete Wende. Als er sich schließlich wieder
sammeln konnte, erfüllte ihn maßloser Hass und Ärger, aber er wagte nicht, die
Stufen hinaufzugehen, um sich dort mit den kräftigen Türstehern anzulegen.
Außerdem wäre die Türe sicherlich verriegelt, sagte er sich, und so entschloss
er sich den feuchten, finsteren Gang entlang zu gehen.
Allmählich fand sich
Valentin in der Dunkelheit zurecht, er passte sich an und er konnte nunmehr die
Umrisse mancher Details erkennen. Die Wände waren feucht, der Verputz
abgefallen, Ziegel und Steine kamen zum Vorschein. Der Gang verzweigte sich
immer wieder, endlos. Schutt und Gerümpel machten den Weg beschwerlich. Nischen
und Schmutz luden dazu ein, sich einfach hinzuwerfen und aufzugeben. Manches
Lumpenbündel, das er auf seinem Weg vorfand, war ein Mensch, in sich verkrochen
und scheinbar leblos am Boden liegend. Schattenartige Wesen huschten quer über
die Gänge. Auf manchen hier herumliegenden Gestalten tummelten sie sich.
Schattenartige Wesen huschten über so manchen erschöpft
daliegenden Körper
Bald merkte Valentin, dass jene
schattenartigen Wesen, welche gleich Ratten herum huschten auch ihn anfielen
und versuchten ihm Kraft abzusaugen. Sie ließen sich keineswegs verscheuchen.
Als er auf eines dieser ovalen Wesen trat, war dies ohne Wirkung, denn es lief
oder schwebte gleich darauf weiter als wäre nichts geschehen. Er konnte sich
immer weniger gegen diese unbekannten Sauger wehren und wurde zusehends
schlaff. Irgendwann ließ er sich fallen und blieb liegen.
Albin und Antonio waren in
der Zwischenzeit emsig auf der Suche, jedoch ohne Erfolg. Als Antonio die
Sinnlosigkeit eines jeden weiteren Versuches betonte und aufgeben wollte,
dachte Albin an den Kiesel in seiner Tasche. Albin hatte ihn schon fast
vergessen, aber jetzt, in Anbetracht der vergeblichen Suche, erinnerte er sich
wieder. Wahrscheinlich, so vermutete er, könnten sie nur noch durch seine Hilfe
Valentin wieder finden.
Der Stein war Albins letzte
Hoffnung. Er umfasste ihn in seiner Tasche, und projizierte den innigen Wunsch
hinein Valentin zu finden. Er lud den Stein gleichsam mit seinem Wunschgedanken
auf. Dann holte er den Kiesel aus seiner Tasche, drehte die Handfläche nach
oben, hielt den ovalen Kiesel vor sich und begann sich zu drehen. Tatsächlich,
bei einer Richtung leuchtete der Kiesel schwach auf. Es war ein unauffälliges
sich Aufhellen, das von Außenstehenden sicher kaum bemerkt worden wäre. Nur wer
um das Geheimnis wusste und auf die sich verändernden Schattierungen achtete,
der konnte jene Zauberkraft des Kiesels erkennen.
Antonio war fasziniert. Ein
solch magischer Kompass war das Letzte was er bei Albin vermutet hätte. Schon
wollte er sich vorbeugen, um den Stein näher zu betrachten, als Albin den Stein
schnell in seiner Faust verschloss und ihn anwies sich nicht so auffällig zu
verhalten. Er wisperte Antonio zu, dass es ein unwiederbringlicher Verlust wäre,
den Stein durch habgierige Passanten zu verlieren. Einer größeren Meute, die
sich schnell bilden könnte, wären sie beide nicht gewachsen.
Vom Stein geleitet schlug
Albin zum Erstaunen Antonios zielsicher eine Richtung ein. Selbst durch
verwinkelte Gassen führte sie der Stein unbeirrt. Bald schon erreichten sie das
Lokal, das auf Valentin eine so große Anziehungskraft hatte und welches
Valentin erste Freuden, nach langer Zeit der Entbehrung, versprochen hatte.
Die Gäste blickten beim
Kommen der zwei neuen Gäste auf. Sie schienen so gar nicht zum üblichen
Publikum zu passen. Allein ihr suchender Blick verriet dies. Der Wirt nahm
einen missbilligenden Gesichtsausdruck an, als Albin und Antonio den Raum
durchquerten. Offenbar wollte der Wirt nicht durch Missstimmung die gute Laune
der Gäste verderben, denn er ließ die beiden gewähren und beachtete sie nach
dem ersten Argwohn nicht weiter.
Zum Glück waren die Räume in
einer Reihe angeordnet und es war nicht nötig den Stein zu befragen. Albin
durchquerte die Räume und Antonio folgte ihm. Sie gelangten zu der Eichentüre.
Von Türstehern war nichts zu sehen. Die Türe war verschlossen. Als ein Öffnen
vergeblich erschien, traten beide gleichzeitig auf die Türe ein. Splitternd
fiel die Türe aus den Angeln, als wäre sie aus morschem Holz gefertigt.
Die zwei Freunde gingen die
Stufen hinab und eilten durch dunkle Gänge voller Schmutzlöcher. Antonio war es
mulmig und unheimlich. Am liebsten wäre er wieder zurück gelaufen. Bald aber
schon wäre dazu keine Gelegenheit mehr gewesen, denn schon nach kurzer Zeit
hatte er in den verwinkelten Gängen jegliche Orientierung verloren. Somit gab
es ohne Hilfe kaum ein Entfliehen aus dem Labyrinth. Allein, ohne dem Stein
Albins, wäre er auf jeden Fall verloren gewesen. Als sie die rattenartigen
Schatten sahen, konzentrierten sie sich auf ein, sie beide umgebendes,
Kraftfeld. Es half und sie blieben von jenen dunklen, ovalen Wesen verschont.
Sie hatten schon eine
größere Strecke von Gängen und Abzweigungen hinter sich, immer wieder vom Stein
geleitet, als sie vor Valentin standen. Wäre nicht der Stein gewesen, so hätten
sie ihn nicht wieder erkannt und wären vorbei gelaufen. Er war wie ein Bündel
aus Lumpen und dunkel wie der Boden selbst. Halb im Schmutz eingebettet,
unterschied er sich kaum von all dem Unrat und Schlamm. Valentin war zu
schwach, um aufzustehen. Er zeigte kaum Reaktionen auf seine zwei Freunde.
Albin blieb nichts anderes über, als Valentin zu schultern. Nach wenigen
Biegungen gelangten sie durch die Führung des Steines an eine verborgene Treppe
und bald waren sie wieder oben auf der Straße.
Albin setzte Valentin ab und
lehnte ihn an eine Hausmauer. Valentin machte mit herabhängendem Kopf und
schlaffen Armen den Eindruck einer schmutzigen Stoffpuppe. Doch relativ bald erholte
er sich in der freundlicheren Atmosphäre hier oben. Sein Gesichtsausdruck wurde
wieder angespannt und bald war Valentin wie das Leben selbst und so wie sie ihn
vorher kannten. Es war der Zorn, von der Frau betrogen und verraten worden zu
sein, der ihn so schnell belebte. Er konnte es nicht fassen, dass er sich
derart habe reinlegen lassen. Er wetterte in den unflätigsten Worten. Dieser
Betrug und Verrat an ihm, traf ihn umso stärker, als ihm zuvor geschmeichelt
worden war, er sich gehoben gefühlt und daran geglaubt hatte, um letztlich wie
ein Stück Fetzen in den Keller geworfen zu werden. Die Kränkung war für ihn
nicht verkraftbar und ließ nicht einmal Freude über seine Rettung aufkommen.
Antonio forderte Valentin
auf endlich zu schweigen und zuzuhören:
"Du kannst es auch
anders sehen und zwar nicht nur aus deinem eigenen Blickwinkel. Ich könnte mir
gut vorstellen, dass jene Frau in ihrem irdischen Leben von Männern sexuell
ausgebeutet, unterdrückt und herumgestoßen wurde. Jetzt in dieser jenseitigen Welt
sei für sie der Augenblick gekommen, um an Männern Rache zu nehmen. In dieser
kaum erfüllbaren Rachelust, sei ihr ein jeder Mann als Opfer willkommen,
unbeschaut wie er denken und fühlen möge, unabhängig ob er ein guter oder
schlechter Mensch sein mochte.“
Für Valentin klangen diese
Worte zunächst keineswegs überzeugend, dazu war er noch zu sehr erzürnt.
Allmählich jedoch griff das Argument, weil es das Gefühl seiner Abwertung
heilte. Er akzeptierte, dass es kein persönlicher Affront gewesen sein könnte,
sondern ein allgemeines Verhalten jener Frau. Allmählich beruhigte er sich. Da
es bei dem Vorfall um einen ungezielten Racheakt der Frau gegangen war, fühlte
er sich in seiner Person weniger getroffen. Mit dieser Vorstellung gelang es
ihm zunehmend sein Selbstbewusstsein wieder herzustellen.
Als Antonio bemerkte, dass
Valentin sich etwas beruhigt hatte, streckte er ihm die Hand hin und forderte
ihn auf aufzustehen. "Ich bring ihn lieber schnell auf die Beine und sorge
für Abwechslung, bevor er wieder zum Grübeln anfängt und neuerlich ausflippt“,
dachte er sich.
Mit einer Bemerkung wie "schuftig,
seine Freunde so sang- und klanglos zu verlassen“, zog er Valentin herauf,
klopfte ihm auf die Schulter und beendete die Situation indem er die Frage in
den Raum warf, was sie als nächstes unternehmen sollten.
Man beschloss Richtung
Stadtrand zu gehen. Als sie die niedere Mauer eines verlassenen Vorgartens gefunden
hatten, setzten sie sich zu einer Lagebesprechung nieder. Es klingt kurios,
aber durch den Besitz jenes seltsamen Steines hatte Albin sehr an Prestige
gewonnen. Ohne ein Wort darüber zu verlieren, war Albin für seine zwei Freunde
zum Wegführer geworden.
Was die Stadt anbelangt, so
waren alle drei durch die Vorfälle um Valentin sehr ernüchtert. Sie war keinesfalls
ein Ort, an dem sie für immer bleiben wollten. Deshalb stellte sich die Frage:
wie sollte es weiter gehen? Valentin und Antonio blickten Albin erwartungsvoll
an. Doch der Stein zeigte keine Richtung an. Das war enttäuschend. Nach einer
kurzen Besprechung beschlossen sie weiter zu suchen und eventuell, wieder die
Stadt zu verlassen.
4
Auf der Suche
Die drei Freunde wanderten
nun aufmerksam durch die Straßen. Jetzt jedoch nicht um Geselligkeit und
Vergnügen zu finden, sondern auf der Suche nach Information und Hinweisen. Sie
wanderten an Häuser in allen Baustilen vorbei, an Kiosken, Denkmälern mit
bizarren Gestalten, Durchgängen und versteckten Plätzen.
Sie erreichten ein altes
Stadtviertel. Es hatte enge Gassen und aneinandergeschmiegte Fachwerkbauten.
Die Gassen bestanden aus Kopfsteinpflaster und hatten eine flache Rinne in der
Mitte. Sie waren sauber und wenig bevölkert. Dieses Stadtviertel war anders als
die vorhergehenden und anscheinend jüngeren Stadtviertel, wenn man von dem
kneipenreichen Stadtzentrum absah, in dem ebenfalls Altbauten zu finden waren.
Die Pflasterstraße, welche
die drei Freunde nun entlang gingen, führte leicht bergab und endete abrupt an
einem Metallgeländer, das den Zugang einer schmalen Stiege umsäumte. Die Stiege
sah etwas verfallen aus und bestand aus alten Steinquadern mit verwitterten
Fugen. Sie führte in einen tiefer gelegenen Stadtteil, über den man von oben,
wo sie gerade standen, einen guten Ausblick hatte. Es war eine bunte
Zusammenwürfelung von einfachen, ebenerdigen Häusern aus rohen Natursteinen
denen benachbart sich oft prächtige Häuser angliederten, mit mittelalterlichen
Fassadenmalereien, mit Erkern und Giebelchen. Hin und wieder sah man dazwischen
prachtvolle Gebäude voll Verzierungen und Stein- und Bronzefiguren.
Die Stiege führte in einen tiefer gelegenen Stadtteil
Als sie den unteren
Stadtteil betraten hatten, sahen sie vor sich Gebäude von Baustilen aus zumeist
vergangenen Jahrhunderten. Die Straßen waren eng und mündeten oft in kleine
oder auch freizügige Plätze. Allerlei Volk tummelte sich da herum. Auch die
Menschen waren in Trachten aus verschiedenen Epochen gekleidet. Es war eine
belebte Gegend, teilweise schön anzusehen. Dennoch wirkte dieses Viertel wenig
einladend auf die Freunde, wobei sie ihre innere Ablehnung nicht begründen
konnten. Es war dort nicht so hell wie oben, sondern leicht dämmrig. Vielleicht
war es das, was zur Vorsicht mahnte.
Schon wollten die drei
Freunde umkehren, als Valentin auf eine hohe, steinerne Kirchenfassade zeigte.
Von der Kirche war nur die Fassade und das mächtige Steildach des
Kirchenschiffs, zwischen Häusern eingeklemmt, zu sehen. Diese Kirche war keine
hundert Meter von der Stiege entfernt und wegen ihrer schlichten Front leicht
zu übersehen.
Es war die erste Kirche, die
sie bislang gesehen hatten. Albin wurde aufgeregt. Vielleicht bot diese Kirche
Zugang oder Hinweise zu einer höheren Sphäre?
Gleich darauf gingen die drei
Gefährten die Stufen hinunter, hin zur Kirche. Es schien die Rückfront einer
gotischen Kathedrale zu sein. In der Mitte der Mauer, dort wo man ein Tor
vermuten könnte, waren hellere Steine. Es war unschwer zu erkennen, dass hier
einmal ein Tor gewesen war, das zugemauert worden war. In diesem neuen,
helleren Mauerwerk gab es eine kleine Holztüre mit breitem Eisenbeschlag an
Angeln und Schloss.
Nach wenigen Schritten
standen die drei erwartungsvoll vor der Holztüre. Dort jedoch empfanden sie
eindeutig eine starke und bedrohliche Ausstrahlung. Aber jetzt waren sie nun
mal schon hier und hatten keine Lust ihre Entdeckung aufzugeben.
Albin öffnete die Tür und
ging hinein, seine zwei Freunde ihm nach. Sie befanden sich nun in einem
geräumigen Vorraum. Vor ihnen war eine breite Stufenflucht, hinab zu einer
Krypta. Der Eingang zur Krypta war wie ein großer Torbogen. Links und rechts vom
Zugang zur Krypta führte jeweils eine breite Treppe empor. Sie stiegen die
linke Treppe hinauf und standen in einer Dom-Ruine. Das Dach fehlte. In der
Mitte war ein Schuttkegel, umsäumt von mächtigen steinernen Säulen, die einst
ein hohes Gewölbe getragen hatten.
In der Mitte war ein Schuttkegel
Die drei Freunde waren
fasziniert von den noch immer schönen Resten der Kirche und erkletterten den
Schutthaufen. Schon beim Aufstieg gewahrten sie, dass der Schuttberg zum
größten Teil aus zerbrochenen Marmorstatuen bestand. Es waren keine
Heiligenstatuen, sondern sie sahen wie versteinerte Menschen aus, mit
emotionslosem oder mit schmerzhaftem Antlitz. Als sie dessen gewahr wurden,
kroch den dreien ein Schauer den Rücken empor. Es war ihnen unheimlich, sie
fühlten sich wie auf einem versteinerten Leichenhaufen. Schon wollten sie sich
schleunigst auf den Rückweg machen, als sie von dort, von wo sie gekommen
waren, ein dämonisches Wesen erfühlten und auch bald sahen. Es hatte einen
menschlichen Körper von vielleicht drei Meter hoher Statur. Zudem war es mit
einem Schuppenpanzer bekleidet und hatte Hahnenfüße. Es war keine Zeit, um sich
über dieses dämonische Aussehen Gedanken zu machen, denn jenes Wesen stürzte,
aus der Krypta kommend, auf sie zu. Es hatte eine übermächtige Ausstrahlung,
voll Wut und Kraft. Dem gegenüber fühlten sich die drei Freunde hilflos und
schwach. Flucht war die einzige Möglichkeit. Zu ihrem Glück war in nächster
Nähe eine Seitenkapelle mit zum Teil eingefallener Außenwand. Schon waren sie
dort und sprangen auf die Straße. Ohne sich umzudrehen liefen sie so schnell
sie konnten weiter. Das Wesen verfolgte sie anscheinend nicht, so als wäre es
in die Kirche gebannt. Dennoch rannten alle drei noch einige hundert Meter die
Straßen entlang. Der Schreck saß ihnen tief in den Knochen.
Sie gelangten auf einen
Marktplatz, wo sie wieder zueinander fanden. Es herrschte dort ein emsiges
Menschengetümmel. Erst als die drei mitten im Gedränge waren, fühlten sie sich
vor Verfolgung sicher. Noch immer saß ihnen der Schreck in den Gliedern. Sie
waren mitten in einer schaulustigen Menge, die vor einem Knäuel sich prügelnder
Leute standen und diese mit Gejohle anfeuerten. Manche konnten sich vor
Begeisterung nicht halten und stürzten sich auf den Haufen von Raufbolden. Es
sah aus wie in einem schlechten Wild-West-Film. Albin hatte sich auf Erden
immer gewundert, dass es Leute gibt, die sich an dergleichen belustigen konnten.
Es war ihm immer unverständlich gewesen. Aber anscheinend gab es solche
Mentalitäten zur Genüge, wie man hier sehen konnte.
Die drei Freunde bemühten
sich, möglichst schnell wieder von hier wegzukommen, aber sie fanden die Straße
zur Stiege nicht. Sie hatten in den engen Gassen die Orientierung verloren.
Statt an der Stiege standen sie bald darauf neuerlich vor einem Platz. Dieser
hatte vier leere Galgen in der Mitte. Davor war eine Ansammlung von meist
altertümlich gekleideten Leuten. Sie standen herum, als wollten sie auf eine
Vorführung warten, die nicht zustande kam. Da zeigte einer auf die drei Freunde
und schrie etwas. Als die Menge ihnen die Gesichter zuwandte, ahnten die drei
Freunde Böses, machten eiligst kehrt und liefen so schnell sie konnten, in die
nächste Gasse. Zum Glück war es eine gute Richtung, denn bald darauf sahen sie die
Stiege. Sie eilten schnell hinauf und stellten zur Erleichterung fest, dass
ihnen niemand die Stiege hinauf gefolgt war. Von der unteren Stadt hatten sie
genug. Auf derlei konnten sie verzichten. Schnellen Schrittes gingen sie den
alten Weg zurück, erleichtert alles überstanden und einander nicht verloren zu
haben.
Als sie in eine verlotterte,
jedoch ruhige Vorstadt mit zahlreichen leer stehenden Fabrikgebäuden gelangt
waren, begrüßten alle drei die scheinbar friedliche Umgebung. Auch aus den
Gebäuden schien keine Gefahr zu drohen. Alle drei hatten mittlerweile gelernt,
Gebäude und Umgebung nach ihrer Ausstrahlung zu sondieren. Zufrieden
schlenderten sie die Straße entlang. Vorbei an einer Reihe von Ziegelbauten
ohne Verputz, Werkshallen und ebenerdigen Häusern machte die Straße eine
Biegung und schmiegte sich einem zirka zehn Meter breiten Fluss an. Wenngleich
das Wasser trüb und träge dahin floss, bot es doch einen ungemein
faszinierenden Anblick. Zunächst konnten sich die drei Freunde nicht erklären, weshalb
sie vom Fluss so angetan waren, bis Antonio auf einmal rief: "Das Wasser
ist es! Bislang war alles trocken! Deshalb finden wir den Fluss so einmalig! Endlich
Wasser, das Element des Lebens, nach so langer Zeit des Wanderns!“ Es stimmte,
bis jetzt hatten sie ja nicht einmal Pfützen gesehen, wenn man vom
Kellerlabyrinth absah, in dem sich Valentin verloren hatte.
Beschwingt gingen die drei
Freunde den Fluss entlang weiter. Nach einer kurzen Strecke gelangten sie zu
einem Pavillon mit einem Tisch einer Bank und zwei Stühlen. Alle drei
verspürten Lust sich hier auf eine kleine Rast nieder zu lassen. Es war nicht
Müdigkeit, sondern mehr das Bedürfnis, die vielen Eindrücke der letzten Zeit zu
verarbeiten und sich in angenehmer Ruhe wieder zu fassen.
Das Pavillon war ein idealer
Platz, um all das in letzter Zeit Erlebte zu besprechen und zu verarbeiten. Am
meisten beschäftigte sie das Ereignis in der Kirche. Es stellte sich die Frage,
gibt es hier nicht-menschliche Wesen, etwa Dämonen, mit unbekannten Fähigkeiten
und Kräften, denen man nichts entgegenzusetzen hätte? Wie sollte man sich am
besten hierbei verhalten. Wie könnte man vermeiden ihnen zu begegnen? Das waren
alles neu ins Blickfeld aufgetauchte und akute Fragen.
Lange wurde über dieses
zentrale Thema diskutiert. Allmählich, unter Heranziehung diverser Details und
Empfindungen. schien sich das Bild zu klären. Eine Menge Intuition oder
Phantasie spielte sicher mit, aber das war immer noch besser als vor einem
völlig ungelösten Rätsel zu stehen. So einigten sie sich auf folgende
Erklärung:
Jenes große Wesen mit
dämonischem Aussehen war aller Wahrscheinlichkeit nach einmal ein großer
Kirchenfürst. Deshalb lebte es seinem Status gemäß in einem Dom. In seinem irdischen
Leben, vermuteten sie, brach der Kirchenfürst seine ethischen Gelübde,
missbrauchte seine religiöse Stellung und Macht. Er war womöglich ein
Inquisitor. Je mehr er morden ließ, desto mehr wurde er gefürchtet und zugleich
vermehrten sich ihm Macht und Reichtum.
Durch seine Gier und Handlungsweise wendeten sich zahllose Menschen von
Religion und Gottesglauben ab. Ohne religiösen Halt wurde ihr Leben
orientierungslos. Entsprechend dem zerstörten Glauben und der verlorenen
Hoffnung der Verzweifelten, bildete der Dom ein symbolisches Abbild für die
seelische Verwüstung, die der Kirchenfürst angerichtet hatte. Flüche,
Rachegedanken und eigene Schuldgefühle bannten ihn in die Kirchenruine, in
deren gestürzten Figuren er zugleich die steinernen Abbilder gebrochener
Menschen stets vor Augen hatte. Solcherart war er unerbittlich mit den Folgen
seines Handelns konfrontiert. Dieses Stigma und sein verstümmeltes SeHelenaussehen
wollte er am liebsten in seiner Erinnerung unterdrücken, weshalb er in der
Finsternis der Krypta lebte. Nur in der Finsternis der Krypta konnte er diesem
Anblick entfliehen. Statt in Glorie lebte er nun in Elend. Hass auf die Welt
und Gott erfüllten ihn. Niemand sollte
diese ihn überkommene Schande sehen, weshalb er alle verfolgte, die es wagten
die Domruine zu betreten. So stürzte er sich auch ihnen entgegen mit an
Wahnsinn grenzender Wut und Aggression.
Nach den Diskussion und einzelne
Geschehnissen in der Rückschau ihres gemeinsamen Weges legten sich Valentin und
Antonio auf den Holzboden des Pavillons und bald waren sie eingeschlafen. Albin
blieb auf den Tisch gestützt sitzen und gab sich weiterhin seinen Gedanken hin.
Nach geraumer Zeit erwachte
Antonio. Während Valentin noch weiterschlief, vertrieben sich Albin und Antonio
mit Gesprächen die Zeit. Als auch Valentin wieder munter war, fühlten sich alle
drei wieder unternehmungslustig. Mit zuversichtlicher Stimmung machten sie sich
erneut auf den Weg. Allen hatte die Ruhe gut getan.
Der Randbezirk der Stadt war
nach wie vor ruhig. Für die drei Freunde war es ein Spaziergang, den sie zu
genießen begannen. Die Häuser und Straßen nahmen mehr und mehr
Vorstadtcharakter an. Auf der rechten Seite erhob sich hinter der Häuserreihe
die Steilflanke eines Hügelrückens. Felsig und unzugänglich, verlieh der Hügelkamm
der Gegend, zusammen mit dem Flüsschen, einen anmutigen Charakter. In den
Straßen befanden sich kaum Menschen. Die Häuser waren nieder und hatten in der
Regel nur ein Stockwerk, oftmals aufgegliedert mit Erkern und Türmchen. Sie
waren anmutig, wenngleich häufig ärmlich aussehend.
Während die drei so
gemächlich dahinwanderten, blieb Albin plötzlich stehen. Er blickte erstaunt
auf eine Ackerdistel, die aus einer Spalte an der Ecke einer Gartenmauer hervor
wuchs. Er starrte geradezu auf die violette Blüte, die umgeben von grünen
Blättern, sich tapfer aus dem Stein empor gekämpft hatte. Die zwei anderen
blieben ebenfalls stehen. Sie begriffen nicht ganz, was Albin an jenem Kraut derart
faszinierte. Antonio fragte Albin, ob er vielleicht einmal ein
Pflanzenliebhaber gewesen wäre und deshalb in jenem Kraut etwas Besonderes
sehe. Noch während der Frage traf Antonio wie der Blitz die Erkenntnis, dass
dies die erste Blume war, der er nach dem Verlassen der irdischen Welt begegnet
war. Aufgeregt wies er Valentin darauf hin, der bereits Anstalten machte,
weiterzugehen.
"Ich glaube nicht, dass
es hier Zufälle gibt. Die Welt hier scheint vieles an Qualitäten und Symbolen
aufzuweisen, wie wir sie zu Lebzeiten aus den Träumen gekannt haben“, sagte
Albin. "Diese Blume hebt sich von den bisherigen Eindrücken hervor. Sie
hat Farbe und Anmut und ist ein Ausdruck des Lebens. Ich habe das Empfinden,
dass sie ein Zeichen oder eine Wegmarke ist. Ich sehe in ihr Hoffnung und sehe
sie als Bote einer schöneren Welt.“
Noch während Albin dies
sagte, ging er suchend und langsamen Schrittes die nähere Umgebung ab. Da fand
er am Ende der Gartenmauer und vor einem anschließenden Holz-Zaun einen
schmaler Pfad. Er führte scheinbar zu einem rückwärtig gelegenen Gartenteil. Der
Pfad war eng, auf einer Seite von der Mauer und auf der anderen Seite von einem
verwitterten Lattenzaun begrenzt. Albin betrat den Pfad und folgte ihm mit
verschärfter Aufmerksamkeit. Der Pfad schlängelte sich hinter die Häuserreihe
und verlor sich hinter Felsen und blattlosem Strauchwerk. Sie gingen um die
Biegung und gelangten zu einer Stufenreihe, die zum Hügelkamm empor führte und
sich dort nach einer Biegung verlor.
Eine schier endlos lange Stufenreihe führte zum Hügelkamm
empor
Als Albin Anstalten begann
die Stufen empor zu gehen protestierte Valentin, denn Stufensteigen hatte er
nie in seinem Leben gemocht. Zudem fand er bereits nach den ersten Stufen das
Hochsteigen sehr mühsam. Auch die anderen hatten das Empfinden, als wären ihre
Körper schwerer geworden. Dennoch setzten sie den Weg fort. Je höher sie kamen,
desto mühevoller wurde es. Auch Antonio wurden die Stufen jetzt beschwerlich
und er wäre am liebsten umgekehrt. Nur unter Zureden und der Drohung Albins,
dass er sie alleine lassen würde, schleppten sie sich Schritt für Schritt
weiter. Bald musste Albin seinen Freund Valentin stützen und immer öfter legten
sie kurze Pausen ein.
Allmählich wurde die Luft
klarer und bald sahen sie die Stadt unter ihnen liegen. Teilweise war sie von einem
dünnem schmutzig-graubraunem Nebel überschichtet. Sie sahen auch jenen
Stadtteil mit der Domruine. Dort allerdings konnten sie keine Details mehr
erkennen, denn von diesem Stadtteil waren kaum die Häuser zu erkennen, so
rauchig schien die Luft dort zu sein.
Langsam, Stufe um Stufe,
stiegen sie weiter. Am Rand der Stiege und auch zwischen den Steintreppen sah
man immer öfters grüne Pflänzchen und manchmal auch kleine Blüten. Dies war ein
gutes Zeichen und ermutigte zumindest Albin weiter zu gehen. Die anderen zwei
waren zu erschöpft, um überhaupt etwas beachten zu können.
Die letzten Stufen schaffte
Antonio nur noch kriechend. Dass er weiter machte geschah eher aus Angst die
weite Stiege wieder zurück zu müssen. Auch wollte er unter allen Umständen bei
seinen Freunden bleiben. Valentin wurde die letzte Strecke von Albin Stufe um
Stufe mühsam hoch geschleppt. Endlich hatten sie es alle drei geschafft. Oben endete
die Stiege an einem kleinen Rasenstück am Rand einer Straße. Dort ließen sie
sich ermattet auf den Boden fallen.
Nach der Erschöpfungspause
setzte sich Albin auf und lehnte sich an einen Geländerpfeiler. Jetzt erst
schenkte er der Umgebung Aufmerksamkeit. Am gegenüberliegenden Straßenrand sah
er die Häuser eine Siedlung. Die Häuser waren klein und anmutig. In den
Vorgärten, gediehen üppig Sträucher und Blumen. Manches Haus wurde liebkosend von
blühenden Kletterpflanzen und Rosen umrahmt.
Bald hatten sich auch
Antonio in der frisch-würzigen Luft erholt und fühlten sich stark genug den Weg
fortzusetzen. Nur Valentin fühlte sich noch müde, war aber in der Lage,
gestützt seinen beiden Freunden zu folgen.
Langsam gingen sie die
lieblichen Häuser entlang und verspürten zusehends den Wunsch in einem Garten
zu sitzen, zu entspannen und von nichts getrieben und von nichts geplagt zu
sein. Sie schwiegen und gaben sich derlei Gedanken und Wünschen hin.
Eine junge, freundlich
wirkende Frau kam ihnen entgegen. Albin schien sie irgendwie vertraut zu sein,
dennoch konnte er sie nirgends einordnen.
Die Frau kam die Straße
daher, blieb stehen und begrüßte die drei Freunde: "Ich sehe, dass Ihr
müde wirkt. Kommt in meinen Garten und erholt Euch!"
Die drei Freunde willigten gerne
ein.
Daya
Die drei Freunde begleiteten
die Frau zu ihrem Häuschen und machten es sich im Garten gemütlich. Bald schon
hatten sie Kuchen vor sich und atmeten das köstliche Aroma warmen Kaffees ein. Antonio
und Valentin konnten sich beinahe nicht mehr erinnern solche Köstlichkeiten
genossen zu haben. Die jetzige Gemütlichkeit und der schöne Garten mit seinen
bunten Blumen ließen die Vergangenheit wie einen bösen Traum mehr und mehr in
den Hintergrund rücken. Dennoch blieb eines aus den vergangenen Ereignissen
zurück: Sie fühlten, wie der gemeinsam bewältigte Weg ihre Freundschaft zu
einem festen Band geschmiedet hatte. Es war ein Freundesband, das sich bewährt
hatte. Die feste Freundschaft war ein Geschenk aus der Vergangenheit, das alle
drei glücklich machte.
5
Im Haus von Daya
Albin hatte lange unter einem
rosa blühenden Kirschbaum geschlafen. Als er erwacht war und die Augen geöffnet
hatte, glaubte er zunächst noch zu träumen, als er sich von üppig blühenden
Blumen umgeben sah. Dann erinnerte er sich der letzten Ereignisse und ein
glückliches Lächeln zeigte sich. Er erhob sich und setzte sich an den Gartentisch.
Bald gesellte sich die unbekannte Gastgeberin zu ihm und stellte sich als Daya
vor. Obwohl er sie noch nie gesehen zu haben vermeinte, schien sie ihm ungemein
vertraut. Ihre Nähe bereitete ihm Wohlbehagen und bald erzählte er ihr seine
Erlebnisse nach seinem irdischen Weggang und es entwickelte sich ein angeregtes
Gespräch, denn Daya konnte für so manches rätselhafte Geschehen eine Erklärung
finden. Auch mochte sie so manchem eine heitere Seite abzugewinnen. Die Zeit
verging wie im Flug.
Sie waren noch mitten im
Gespräch, als Antonio herbei kam und zuerst Daya begrüßte und dann seinen
Freund Albin herzlich umarmte. Er sah erholt und verändert aus. Sein früher
verhärmtes Aussehen war der Erscheinung eines energischen, zielbewussten
Menschen gewichen. Das erlittene Leid veredelte die Gesichtszüge und gab ihnen einen
Glanz der Reife und Abgeklärtheit. Albin musterte ihn unauffällig und höchst
interessiert.
Als Albin sein Gespräch mit
Daya fortsetzte, hörte Antonio aufmerksam zu und bald befand er sich ebenfalls
in einem regen Gedankenaustausch. Daya schien unglaublich viel zu wissen. Oft
stellten Albin und Antonio gleichzeitig verschiedene Fragen, wobei Daya dann
lachend abwinkte und um Geduld bat.
"Genug“, lachte Daya, "jetzt
wird mal eine Pause mit den Fragen eingelegt und Kaffee getrunken. Und dann
will ich Euch manches weiter erklären, aber gemütlich, denn die Zeit läuft uns
nicht davon.“
So manche Situation wurde
erörtert, manches Seltsame erklärt. Darunter war auch eine brennende Frage von
Albin – das Geheimnis um seinen Stein. Hierzu sagte Daya: "Deinen ovalen
Kiesel und auch jene blühende Ackerdistel, welche Dich, Albin, letztlich auf
die verborgene Stiege aufmerksam gemacht haben, hat dir dein Großvater
geschickt. Ich kenne ihn. Er sagte mir, dass er dich sehr liebt und während
Deiner Wanderungen innerlich immer wieder mit dir verbunden war.
Was dich Albin und Antonio
anbelangt, Ihr kanntet Euch schon aus früheren Leben. Deshalb hat Euch das
Schicksal zusammen geführt. Ich finde es wunderbar wie Ihr Euch in aufopfernder
Weise gegenseitig geholfen habt. Dadurch auch konntet ihr so schnell der Dämmerebene
entrinnen. Bedenkt, dass manche dort durch lange Zeit hängen bleiben. Erinnert
Euch an die Unterstadt und die Leute dort, die gekleidet waren im Stil
vergangener Jahrhunderte.“
Daya lächelte. "Zusammen
mit deinem Großvater war ich in meinem Bewusstsein bei Euch, als du Albin, jene
Ackerdistel gefunden hast. Ich habe mich darüber gefreut, dass Deine Intuition
und dein Empfinden stark genug waren, um die Blüte als versteckten Wegweiser zu
erkennen. Direktere Möglichkeiten hatten wir keine, denn es ist schwierig allzu
deutlich die Tabus zu durchbrechen, welche durch die Schicksalsmeister einer
Ebene auferlegt werden. Was einen direkten telepathischen Kontakt anbelangt, so
ist es gar nicht so einfach in jenen tiefen Ebenen für die dort befindlichen
Menschen einen feinen telepathischen Ruf zu empfangen. Überhaupt kann man den
Menschen dort schwer helfen. Freunde aus höheren Ebenen, die gerne beistehen
würden, sind für sie unsichtbar. Feinere Schwingungen, die höheren Ebenen
entstammen, können nicht wahrgenommen werden.
Schluss mit der
Vergangenheit, sie ist vorbei und soll Euch in der Erinnerung nicht weiter
belasten. Versucht jene hässliche Dämmerebene zu vergessen und freut Euch
darüber, was Euch diese neue Welt hier zu bieten vermag."
6
Wiedersehen mit Berta
Valentin hatte sich von
seiner Erschöpfung erholt. Er kam in den Garten und schloss sich der kleinen
Gesellschaft an. Seine Freunde und Daya unterhielten sich im gelösten Gespräch.
Er hatte noch etwas Ruhebedürfnis, weshalb er sich nahe bei ihnen auf die Wiese
legte und einfach nur zu hörte.
Während einer Gesprächspause
horchte Daya innerlich auf und wandte sich an Albin: "Ich soll dir einen
Gruß bestellen. Du kennst doch Berta, Deine ehemalige Nachbarin. Zu Deinen
Lebzeiten schon war sie eine alte Dame. Sie wohnte in Deinem Miethaus ein Stockwerk
höher als Du. Sie hat dich öfters gebeten ihr zu helfen, etwa Glühbirnen auszutauschen,
weil sie auf der Leiter leicht schwindelig wurde. Auch sonstige kleinere
Reparaturarbeiten hast du für sie oft durchgeführt und sie war dir sehr dankbar
dafür. Sie erzählte immer wieder, dass sie ohne dich oft verloren gewesen wäre,
denn sie war im Alter nicht mehr mobil und kannte dadurch nur wenige Menschen.
Für Handwerker reichte ihre spärliche Rente nicht aus. Ich war sie einige Male
besuchen und wir sprachen über Dich. Hierbei lobte sie unter anderem Deinen
Appetit. Nichtsahnend von ihren Lebensproblemen hast du ihr oft systematisch
beim Abendgespräch den Kühlschrank leer gegessen. Trotz ihres leichten
Schreckens darüber wie ihre spärliche Ration dahin schwand, gönnte sie es dir
und kochte dir noch zu den vielen Broten Tee. Jedenfalls hat sie dich geliebt.
Berta ist erst vor kurzem in sehr hohem Alter verstorben und befindet sich
jetzt in einer Art Erholungsheim hier in der Nähe. Sie hat bis jetzt
geschlafen, aber wie ich soeben von meiner Freundin gehört habe, ist sie erstmals
aufgewacht.“
Albins Gesicht hellte sich
bei dieser Nachricht auf. Gleich wollte er aufbrechen, um Berta zu besuchen.
Doch Daya meinte, dass es keine Eile hätte. Berta möge sich zuvor noch ein
wenig zurecht finden, bevor er sie besuchen käme.
Albin blieb in seinen Gedanken
bei Berta. Der Hinweis auf seinen Appetit überraschte ihn. Er hatte sich bei
seinen Essorgien nie etwas dabei gedacht. Er hatte sich bei Berta wohl und dort
einfach wie zu Hause gefühlt. Er hatte weniger aus Hunger gegessen, sondern
weil dies ein Teil seiner Behaglichkeit war. Niemals war er sich bewusst
gewesen, dass die betagte Dame so knapp bei Kasse hätte sein können. Jedenfalls
hatte sie es gut zu verbergen gewusst.
Er war sicherlich zwei bis
drei Abende in der Woche bei Berta gewesen. Zwar war er verheiratet, aber seine
Frau hatte öfters abends arbeiten müssen. Wenn er keine Lust hatte alleine zu
Hause herumzusitzen, ist er die paar Stufen zu Berta hinauf gegangen und hatte
ihr Gesellschaft geleistet.
Es waren etwa zwei Stunden
irdischer Zeitrechnung vergangen, als Daya meinte, dass Berta so weit wäre,
dass Albin und sie ihr einen Besuch abstatten könnten.
Daya und Albin machten sich
auf den Weg. Sie gingen zu Fuß, allerdings nicht in der Art wie es Albin
bislang gewohnt war. Daya nahm ihn bei der Hand und zusammen mit ihr legten sie
in weiten Schwebeschritten den Weg zurück. Deshalb dauerte es nicht allzu
lange, als sie in einen großen Park mit blühenden Rosenhecken, Blumen und
blühenden Bäumen gelangten. Inmitten all dieser Blütenpracht stand ein großes
Gebäude und viele kleine Bungalows um dieses herum.
"Das ist das
Pflegeheim“. Daya zeigte auf den zentralen Bau. "Wir gehen aber jetzt
nicht dort hin, denn Berta befindet sich in einer kleinen Gartenwohnung, und
zwar ist es jene neben der Birke.“ Mit diesen Worten geleitete Daya Albin zu
einem kleinen Bungalow. Dort hielt sie Albin noch kurz zurück, der bereits hin
eilen wollte, und erklärte ihm: "Berta war nicht krank, weder seelisch
noch körperlich und bedarf keiner Heiltherapie. Deshalb kann sie hier in einer
eigenen Gartenwohnung sein.“
"Kann sie nicht
ebenfalls bei dir wohnen?“, warf Albin ein.
"Ihre Bedürfnisse
würden nicht mit Euren übereinstimmen und ich müsste viele Kompromisse
eingehen, was sowohl Eure als auch Bertas Weiterentwicklung behindern würde. Um
es genauer zu sagen: Du und ich, wir kennen uns schon lange, schon durch viele
Inkarnationen. Oft haben wir uns auch gegenseitig als jenseitige Helfer
begleitet. Diesmal war ich an der Reihe, Deine jenseitige Begleiterin zu sein.“
Jetzt war Albin klar, weshalb
ihm Daya von Anfang an in für ihn unerklärlicher Weise so vertraut war.
Kurz darauf waren sie bei
Berta angelangt. Sie lag auf einem bequemen Liegestuhl vor einem kleinen Haus
und schlief. Albin schnürte es die Brust zusammen als er sie sah. "Diese
kleine, verschrumpelte Frau war Berta!“ Albin war es zum Weinen und er kniete
neben der Liege nieder und betrachtete liebevoll das eingefallene Gesicht.
Daya beugte sich zu Albin
und sprach: "Hohes Alter hat eben seinen Preis. Aber so lange man gesund
ist und keine Schmerzen hat, kann man glücklich sein. Wer in solchem Alter legt
noch Wert auf Schönheit? Wem sollte man gefallen wollen, wenn die meisten
Freunde und Freundinnen schon verstorben sind?“
Albin nahm Bertas zierliche,
kleine Hand in die seine. Berta schien dies zu fühlen, denn sie öffnete die
Augen und lächelte. "Albin, Lieber, du kommst mich besuchen?“
Albin war über ihre
herzliche Liebe, die durch Bertas noch sichtbare Schwäche eine Sanftheit
erhielt, gerührt. Tränen der Zuneigung zu Berta kamen ihm.
Albin wollte schon zu
erzählen beginnen, wie anders und doch schöner diese jenseitige Welt hier sei,
als er von Daya einen warnenden Blick empfing. Er spürte einen klaren Gedanken
von ihr zugesendet: "Sie weiß noch nicht, dass sie verstorben ist und sich
in einer anderen Welt befindet.“
Albin war über diese
Mitteilung total überrascht. In seiner Verwirrung wusste er keine weiteren
Worte und so lächelte er Berta schweigend an. Albin hielt noch lange Bertas
Hand, bis diese zufrieden ihre Augen schloss und wiederum in Schlaf versank.
Daya und Albin verließen das
Erholungsheim und kehrten nach Hause zurück. Dort, gemütlich im Garten sitzend,
hatte Albin etliche für ihn brennende Fragen, über die er während seines
Heimweges nachgegrübelt hatte. Zuerst suchte er nach einer Erklärung, weshalb
Berta nicht wisse, dass sie verstorben sei.
"Für Berta hat sich
einstweilen nicht viel geändert“, begann Daya. "Auf Erden war sie in einem
Pflegeheim und die letzten Monate bettlägerig. Aus Schwäche war dies und nicht
aus einer Krankheit heraus. Somit hat sie während der letzten Monate viel
geschlafen und als sie sich hier wiedergefunden hatte, war sie ebenfalls aus
einem Schlaf aufgewacht und ebenfalls in einem Pflegeheim. Dass die Umgebung
anders war, gab ihr nicht zu denken, denn es könnte ja sein, dass sie nach wie
vor in ihrem irdischen Pflegeheim wäre, und daran glaubte sie auch, und dort in
den Garten gebracht worden wäre, weil wieder einmal Frühling geworden war und
die Luft so gut wäre.
Jedenfalls fühlt Berta sich
hier gepflegt und umsorgt, was für sie ungemein beruhigend ist. Die Vorstellung
als schwache, alte Frau plötzlich in einer fremden Welt zu sein, wäre für sie
beängstigend. Allmählich mit ihrem Erstarken wird man ihr die Situation klar machen.
Da sie dich kennt, lieber Albin, kannst du ihr bei diesem Prozess erheblich
helfen, mehr als wir anderen, die jener Frau fremd sind. Dich liebt sie, auf Deine
Zusprache wird sie bereitwillig eingehen. Sah sie dich ja schon zu ihren
Lebzeiten als ihren starken Beschützer.“ Daya lächelte und schwieg.
Solcherart hatte Albin in
dieser Ebene, kaum angekommen, eine neue Aufgabe. Allerdings empfand er diese
Aufgabe als ein wunderbares Geschenk, dass ihm freude bereitete. Ab nun
besuchte er Berta immer wieder und blieb oft lange bei ihr.
Die Wachperioden von Berta
wurden immer länger. Albin brachte ihr Getränke und Medikamente. Das mag
überraschen. Nun, zugegeben, in dieser Ebene gibt es keine Medikamente. Die
Medikamente waren ein Trick von Albin, eine Suggestionshilfe, um Bertas
Vorstellung nach einen sich kräftigenden Körper zu unterstützen. Das war
wichtig, denn in den jenseitigen Welten wird alles aus den Vorstellungen heraus
gebildet. Das erste mal, als er Berta Medikamente verabreicht hatte, hatte er
in sich hinein gelächelt. Oft hatte er seine liebe Berta schon zu Lebzeiten
beschwindelt. Warum sollte es hier anders sein? Noch dazu, wenn es einem guten
Zweck diente. So kam es, dass Albin In reich geschmückten Worten die Fortschritte
der modernen Medizin pries, und wie diese Wunder bewirken könnten. Berta
stellte tatsächlich nach einigen Tagen fest, wie die Medikamente, die ihr Albin
liebevoll verabreichte, geradezu Wunder bewirkten. Sie fühlte sich wesentlich frischer,
ja, sie fühlte sich geradezu jünger.
Albin beließ es nicht bei
den Medikamenten alleine. Er erzählte Berta, dass er in der Zwischenzeit eine
Ausbildung als Heiler absolviert hatte und er mittels seiner Hände Kraft
übertragen könne. Diesmal war es kein Schwindel, Albin hatte tatsächlich die
Fähigkeit der Kraftübertragung bei Daya erlernt. Er gab sich große Mühe bei der
Einschulung und war sehr eifrig, konnte er dies doch sofort bei Berta zu ihrer
Stärkung anwenden. Berta ahnte nicht, während Albin sie mit seinen wunderbaren
Kräften stärkte, dass er gleichzeitig bei ihr trainierte und an ihr lernte.
Manche der eingehenden Fragen dienten Albin als Rückmeldung, die er benötigte,
weil er sich selbst in manchem noch nicht sicher war. Wie auch immer, Berta
half dies alles glänzend und das war für beide wichtig.
Bald schon konnte man Albin Hand
in Hand mit Berta durch den Park spazieren gehen sehen. Die Spaziergänge wurden
länger und weiter und bald war die nähere Umgebung mit einbezogen.
Ohne anzudeuten, dass sie
jetzt bereits in einer anderen Welt wären, erzählte Albin Berta viele
Geschichten, in denen jenseitige Gegebenheiten mit einbezogen waren. Dies, um
Berta damit vertraut zu machen. Wenn manches Berta etwas unwirklich vorkam,
begründete er es ihr und Bertas Vertrauen und Albins gut ausgeprägte Fantasie
überwanden hierbei jeglichen scheinbaren Widerspruch. Jedenfalls wurden Berta
solcherart jenseitige Besonderheiten vertraut, so vertraut, dass es ihr keine
Angst mehr verursachte, als ihr Albin eines Tages eröffnete, dass sie beide
schon zu den "Toten“ zählten. Berta sagte einfach "wo du bist will
ich auch sein“, und das war es. Dann umarmten sich beide, sozusagen als
verspätete Begrüßung in der Jenseitswelt.
7
Ein Spaziergang mit Berta
Innerhalb kurzer Zeit, etwa
nach einem viertel Jahr irdischer Zeitrechnung, erholte sich Bertas
Astralkörper und wurde frischer und jünger - er war ja nichts anderes als ein
Spiegelbild ihres inneren Befindens. Nunmehr machte sie bereits eigenständig
Exkursionen in der näheren Umgebung, wohnte aber nach wie vor in dem
Gartenhäuschen des Sanatoriums. Bei einem von Albins Besuchen erzählte sie ihm
voll Begeisterung: "Ich habe in unserer benachbarten Stadt einen
wunderschönen Weg entdeckt! Den musst du dir unbedingt ansehen! Wollen wir dort
hin gehen?
Albin willigte gerne ein und
schon waren beide unterwegs, hin zur nahe gelegenen Stadt. Zunächst
durchquerten sie die Stadt auf den ihnen altbekannten Straßen. Dann kamen sie
in eine Gegend, die sie bislang nie aufgesucht hatten. Es war ein luxuriöses
Vorstadtviertel, aufgelockert durch Gärten, Parkanlagen und Wildflächen. Albin freute
sich darüber diese schöne Gegend nunmehr kennen gelernt zu haben. Sie machten
sich die Besichtigungstour gemütlich und nahmen sich Zeit, dieses oder jenes
Detail genauer zu betrachten. Auch Berta, obwohl sie schon öfter hier war,
wurde durch die Hinweise Albins auf viele entzückende Bauten und Landschaften
aufmerksam, die sie früher in ihrer Eile den Lieblingsweg zu erreichen
übersehen hatte. Langsam näherten sich beide dem Weg, den Berta Albin zeigen
wollte.
In ihrer Aufmerksamkeit ganz
der Umgebung mit ihren Schönheiten gewidmet, näherten sich beide einer Brücke,
die für Albin unerwartet in der sonst sanft hügeligen Umgebung ein kleines Tal
mit einem Bach überspannte. Schon wollte Albin die Brücke überqueren, als ihn
Berta auf einen unscheinbaren Fußweg hinwies, der vom Brückenrand aus über eine
schmale Stiege erreichbar war. Der Fußweg führte in ein kleines,
eingeschnittenes Tal. Dieses war die große Entdeckung Bertas, die sie Albin
zeigen wollte.
Sie stiegen hinunter und
folgten auf dem von Gras und Blumen umsäumten Weg entlang des Baches. Sprudelnd
begleitete sie das Wasser und trug in seinem schnelleren Lauf immer wieder
Blätter oder Ästchen vorbei. Die ersten hundert Meter zeigten sich noch die
Rückseiten der Hausgärten, die offen und ohne Zäune die friedliche Umgebung
betonten. Ein Stück weiter folgten Wiesen mit lockerem Strauchwerk und kleinen
Bauminseln. Der Hang zum Bach wurde steiler, das Tal tiefer eingeschnitten und
die gegenüberliegende Seite erhob sich zu einem grün bewaldeten Berghang.
Albin war entzückt und
genoss die Blumen und das Gras, welches gelegentlich in Büscheln zwischen den
Steinen und der abgetretenen Erde des Weges hervor wuchs und die üppige Natur,
welche die steile Böschung zum hin Bach bedeckte.
Noch in Gedanken verlorener
Betrachtung an den lieblichen, sanften Weg, bemerkte Albin wie Berta auf
scheinbar unebenem Boden ging. Mal war sie zirka 50 cm über dem Niveau, so wie
Albin es sah, dann wieder auf normaler Höhe. So ging es auf und ab als wäre der
Weg für sie felsig. Berta liebte Zeit ihres Lebens Felsen und Berge, das wusste
Albin aus den vielen Fotos, die sie ihm in ihrer beider irdischen Vergangenheit
gezeigt hatte. So wie es Albin schien hatte die Landschaft hier für Berta einen
felsigen Charakter, so wie sie es liebte. Er seinerseits nahm die Landschaft
seiner Vorliebe gemäß wahr.
Zunächst war Albin
verwundert. Wohl war er sich bewusst, dass die Landschaften der jenseitigen
Welten sich aus der Vorstellung bilden. Allerdings dachte er immer, dass die
Landschaften die Essenz einer kollektiven Bildekraft wären und für alle gleich
aussehen würden. Hier zeigte sich, schien die Landschaft weniger konform zu
sein und leichter durch individuelle Vorstellungen beeinflusst zu werden. Das
musste genauer untersucht werden, nahm sich Albin vor.
"Es ist wunderschön
hier“, setzte Albin vorsichtig seine Befragung ein. "Du hast mir nicht zu
viel versprochen.“
"Ja, es ist hier
wunderschön“, erwiderte Berta. Sie blieb stehen und atmete tief durch. Langsam
ließ sie ihren Blick bewundernd über die schöne Landschaft gleiten. Dann ging
sie mit wenigen Schritten zum Wegrand und über diesen hinaus. Zu Albins
Erstaunen blieb sie dann auf gleicher Höhe in der Luft stehen, während für
Albin das abfallende Steilufer bereits zwei Meter tiefer lag. Die bisherige
Vermutung Albins wurde hierdurch gleichsam mit einem Paukenschlag bestätigt. Staunend
war Albin in der Betrachtung dieser Situation versunken. Berta dagegen ahnte
von all dem nichts und wendete ihren Blick von ihrer Aussichtsplattform
entzückt nach etlichen Seiten.
"Sei vorsichtig",
mahnte Albin.
"Sei unbesorgt"
gab Berta zur Antwort. "Ich bin schwindelfrei und Felsen gewohnt."
Es war nun für Albin eindeutig,
dass Bertas und seine Welt nicht in Einklang standen. Er versuchte unauffällig weitere
Informationen von Berta zu erhalten und erkundigte sich wie sie von ihrem
Ausblick aus den Bach unten sehe. Prompt beschrieb Berta einen wild sprudelnden
Bach mit Gischt und Strudel und Felsen, während dort für Albin ein breites,
jedoch sanftes Bächlein floss. Während des weiteren Ausfluges unterhielt sich
Albin weiterhin gelöst mit Berta, legte jedoch hin und wieder kleine
Nachdenkpausen ein.
8
Der Altar
Kurze Zeit später kam Albin
mit folgender Bitte zu Daya:
"In meiner Jugend hatte
ich mich einmal für tibetische Meditationen interessiert. Durch einige Jahre
hatte ich täglich eine halbe Stunde meditiert und war bester Vorsätze, bis
Beruf und Familie mich letztendlich mehr und mehr absorbierten. Als dann, in
meiner ersten Ehe, all die erträumten Vorstellungen von Familie und Heim
zerbrochen waren und ich, um das Unglück vollständig zu machen, ich auch noch
meine Arbeitsstelle verloren hatte, ließ mich der Existenzkampf und die
Probleme den letzten Rest meiner früheren spirituellen Lebensorientierung
vergessen.“ Albin machte in Gedanken an diese seine Vergangenheit ein
bekümmertes Gesicht. "Ich glitt tief ab mit nur noch materiellen
Interessen.
Jetzt, hier in dieser Welt
des Friedens, habe ich wieder das Bedürfnis zu meditieren. Es ist eine tiefe
Sehnsucht geworden."
Albin machte eine
nachdenkliche Pause. Dann setzte er fort: "Eine besonders tiefe Verbindung
habe ich zu Tara, als Manifestation der Liebe und des Mitleides. Dieser Aspekt
spricht mich besonders an, vielleicht weil diese Gefühle bei mir noch besonders
ausbaubedürftig sind. Jedenfalls habe ich mich hier in dieser Welt immer wieder
innerlich an Tara gewendet, ohne etwas haben zu wollen, nur aus Sehnsucht
heraus, und sie war mir ganz nahe. Ja, sie war mir fühlbar nahe. Wenn ich die
Augen geschlossen hatte, konnte ich fast real empfinden, so als würde sie
körperlich neben mir gehen. Dann konnte ich besonders gut ihre Liebe fühlen und
in einen tiefen Zustand innerer Verbindung mit ihr eintauchen. Wenn ich dann
die Augen geöffnet hatte, dann war alles was ich sah schöner, hatte
intensivere, leuchtende Farben und war aus unerfindlichen Gründen plastischer.
Das stärkere plastische Sehen hatte den Effekt, dass jenes Objekt, das ich
gerade am Betrachten war, dadurch zu etwas Einzigartigem wurde, das sich aus
der Masse hervor hob. Ohne es mir vorstellen zu wollen, ganz von selbst, hatte
ich den Eindruck eins mit Tara zu sein und aus ihrer Perspektive und
Betrachtungsweise die Welt um mich zu sehen.
Dieser wunderbare Zustand
ihrer Nähe fasziniert mich derart, dass ich ihn nicht mehr dem Zufall
überlassen will, sondern mich hierin vertiefen will, so dass diese Weise die
Welt zu sehen zu meinem Alltagsbefinden wird."
Wenn ich in solche Zustände
der Verzückung ein glitt, wurde ich ganz schweigsam. Meine Freunde hatten dies
meist missverstanden. Sie glaubten ich würde mich vereinsamt fühlen und schweren
Gedanken nachhängen. Sie begannen mich dann in Gespräche einzubinden und
wollten mich ablenken. Ich musste sie dann immer beruhigen und im selben
Augenblick, in dem ich mit ihnen zu Problematisieren anfing, war ich aus dem
Zustand heraußen. Jedes mal hatte ich das Empfinden ungemein Wertvolles dadurch
verloren zu haben. Ich konnte es nicht einmal meinen Freunden anlasten, denn
sie hatten es ja gut gemeint. Sie verstanden einfach meine Innenwelt nicht.
Deshalb hätte ich gerne einen Ort, der für alle tabu ist und wo ich ungestört
sein kann.“
Daya schien Albin voll zu
verstehen, denn sie stellte keine weitere Frage. Sie wurde nachdenklich und
sprach dann zu Albin: "Ich will dir
einen Ort zeigen, der vielleicht deinen Vorstellungen entspricht. Hinter
unserem Garten liegt ein Wäldchen und dahinter eine leicht felsige Anhöhe.
Warst du schon einmal dort?“
Albin war verwundert. Das
Wäldchen hatte er wohl gesehen, aber dass dahinter eine Anhöhe war, war ihm
entgangen. Vor dem Wäldchen war eine Straße, die zur nahen Stadt führte, die
mit ihren Kirchen und Zusammenkunftsorten nicht nur für ihn, sondern auch für
Antonio und Valentin eine große Anziehungskraft ausübte. Zudem hatte jene
Straße nur ein Stück weiter eine Abzweigung, die zum Sanatorium führte, welche
er oft bei seinen Besuchen zu Berta gegangen war. Wenn er dort auf der Straße
war, dachte er dann nie an das Wäldchen, sondern hatte meist sein Ziel vor
Augen. Jetzt aber, darauf aufmerksam gemacht, wurde er neugierig auf das, was
so nahe lag und doch seine Geheimnisse zu bergen schien. Es zog ihn förmlich
hin und deshalb wollte er sich sofort auf den Weg machen. Daya hatte nichts
dagegen einzuwenden.
Sie überquerten beide die
Straße und betraten das Wäldchen. Es war ein Mischwald aus Föhren und Eichen
und allerlei vereinzelt stehende Bäume wie Vogelkirschen, Ebereschen und
Esskastanienbäume. Auch waren allerlei Sträucher im Unterholz und das so dicht,
dass gerade noch ein kleiner, halb zugewachsener Pfad mit Mühe zu erkennen war.
Sie gingen den Hügel hinauf und immer mehr Kiefern mischten sich in den
zusehends trockener und lichter werdenden Wald. Flächen mit Farnen,
Brombeerranken und Büscheln von hohem Waldgras mit Blumen dazwischen wurden
häufiger. Umgestürzte Bäume und hin und wieder ein großer Findling gaben dem
Wäldchen eine zusätzliche Note der Unberührtheit.
Sie kamen zu Findlingen, die
wie ein wild hingeworfener Haufen riesiger Steine dort lagen und zwischen denen
blühende Wildrosen waren, die ihnen die Wildheit nahmen und ihnen einen Glanz
des Lieblichen verliehen. Als sie herum gegangen waren, standen sie plötzlich
vor einem kleinen Holzhaus mit spielerisch geschnitzten Verzierungen.
Unvermutet stand es da und für Außenstehende und sicherlich schwer zu finden.
… sie standen plötzlich vor einem kleinen Holzhaus mit
spielerisch geschnitzten Verzierungen.
Sie betraten das Haus. Außer
einigen Stühlen, Bänken, Tischen und Regalen waren die wenigen Zimmer leer. Doch
strahlten die Holzwände eine Wärme aus. Es sah ein wenig verlassen aus und
Albin hatte den Eindruck als würde es auf ihn warten, darauf warten durch seine
Gegenwart belebt zu werden. Mit etwas
Arbeit könnte er es zu einem sehr gemütlichen und sehr schönem Anwesen machen.
Die Fenster waren groß, in die Räume strahlte viel Licht und die Zimmerdecken
waren relativ hoch.
Mit großem Interesse schritt
Albin durch die Räume und innere Bilder seiner Wünsche von Möbeln, Teppichen
etc. überlagerten als Fantasie die erschaute Realität. Schon steigerte er sich
begeistert in Details hinein und machte Vorschläge, wie man dies und jenes
aufbessern könne. Schon begann er die verschiedensten Varianten von Mobiliar
und Dekoration auszudenken und schilderte dies Daya in lebhaften Worten.
Daya lächelte und sagte:
"Es ist dein Haus und es hat auf dich gewartet."
Anschließend blieben sie noch
einige Zeit plaudernd draußen auf der Veranda, atmeten den Duft der Blumen und
lauschten dem Gezwitscher der Vögel. Albin hätte noch lange bleiben können, als
Daya bemerkte, dass es Zeit war sich wieder auf den Rückweg zu machen.
Es dauerte nicht lange und
sie waren wieder unten im Tal beim Haus von Daya. Es war gerade rechtzeitig, um
Antonio und Valentin zu begrüßen, die gerade von einer kleinen Tour zurück kamen.
Bevor Albin zu Wort kommen konnte, erzählten sie, was sie Neues erlebt hatten. In
Gedanken an das kleine Anwesen hörte Albin nur mit halber Aufmerksamkeit zu.
Dann schilderte Albin in plastischen Worten das kleine Holzhaus, das er sich
als Klause und Ort zum Meditieren ausgestalten wolle. Mit den Worten: "Ich
brauche eure Hilfe" beendete Albin seine Schilderung. Schon trafen sie
Vorbereitungen, um sich auf den Weg zu machen. Valentin und Antonio halfen eine
Truhe hinauf zu tragen, auf welcher Albin einen Altar aufbauen wollte. Albin
bepackte sich seinerseits mit einigen weiterten Utensilien und schon machten sie
sich auf den Weg.
Oben angekommen stellte
Albin die Truhe in einem der zwei Räume an die Wand, um hier dann später seinen
Altar aufzubauen.
Das Haus gefiel Albins
Freunden und auf dem Rückweg brachten sie auch eine Menge Ideen zum Ausdruck,
etwa ein Kaffeeservice für Gäste und eine gemütliche Plauderecke. Albin lachte
und war dem Vorschlag nicht abgeneigt.
Mit seinen Freunden wieder
zurück, suchte Albin sofort hoch zufrieden Daya auf: "Das Haus ist schon
fast gemütlich“, strahlte er Daya an. "Als ich mit meinen zwei Freunden das
Haus betreten hatte, merkte ich zu meinem Erstaunen, dass sich dort einiges verändert hatte. Ich
weiß nicht ob es die Folge einer helleren Belichtung durch die offene Tür und
die offenen Fenster war. Jedenfalls schien das ursprünglich dunkle Holz der
Wände etwas stärker aufgehellt zu sein. Die Truhe als Altarsockel macht sich gut."
Und schon kam Albin zu
seinem eigentlichen Ansinnen, weshalb er Daya aufgesucht hatte: "Was fehlt
wäre jetzt eine schöne Statue von Tara. Weißt Du vielleicht wie ich zu solch
einer Statue kommen könnte?“
"Ich wüsste nicht
woher“, erwiderte Daya und als sie Albins überraschtes Gesicht sah, der
anscheinend Daya nicht glauben wollte, fügte sie hinzu: "In einem Haus
hier in der Siedlung wohnte vor einiger Zeit ein Maler. Er ist jetzt weiter gezogen.
Aber jedenfalls stehen dort in einer Abstellecke Staffelei, in Rahmen aufgespannte
Leinwand in jedem Format und Ölfarben, Kohle und Kreide, einfach alles was ein
Künstlerherz begehren mag. Du kannst das alles haben, es ist dein. Versuche ein
Bild von Tara zu malen. Das Haus ist verlassen und der Maler wird sicher nicht
mehr zurück kehren. Er lebt jetzt in einer anderen Ebene, die ihm besser
gefällt.“
"Was glaubst du denn
wie Tara aussehen würde, wenn ich sie male", lachte Albin. "Ich will
Tara ehren und nicht beleidigen!"
Daya war nicht aus der Ruhe
zu bringen. "Ist in Ordnung, ich male dir mit Kohle die Konturen und du
kannst das Bild mit Kreide kolorieren“.
Albin wollte protestieren,
aber er sah an der entschlossenen Miene von Daya, dass da nichts zu ändern war
und schwieg. An seinen Fähigkeiten und dem Vorhaben zweifelnd begleitete Albin
Daya zu jenem Haus, von wo die Utensilienlagen, die sie sich holten. Wieder zu Hause zeichnete Daya ziemlich rasch
die Konturen einer Tara, nicht ganz wie es der tibetischen Ikonologie entsprach.
Zudem waren die Umrisse nach Albins Geschmack zu einfach – zu viel an Details
blieb ihm selbst überlassen. Mit dieser flüchtigen Skizze blieb die Hauptarbeit
letztlich doch an ihm hängen.
Woh oider übel musste sich
Albin an die Arbeit machen. Es war ihm peinlich, dass Daya bei seinen Versuchen vielleicht zusehen könnte und so
machte er es sich zunächst etwas umständlich bequem. Er zeigte nicht die
geringsten Anstalten mit dem Bild zu beginnen. Mehrmals blickte er zu Daya,
doch die zeigte keine Anstalten den Raum zu verlassen.
"Bevor ich male",
sagte er ihr, als sie immer noch da war, muss ich das Bild innerlich in mir
sehen, ganz klar muss es sein, dann erst kann ich beginnen."
Daya nickte ihm lächelnd zu
und suchte sich ihrerseits einen bequemen Sitz.
Wieder blickte Albin zu
Daya: "Das ist eine Art Meditation, da muss ich allein sein und mich
vertiefen können!"
"Ach so", meinte
Daya, "ich werde ganz still sein und Dich nicht stören!"
Was sollte er tun? Kurz
quälte sich Albin mit diesen Gedanken ab. Dann entschloss er sich einfach
darauf los zu malen und sollte es schlecht werden, so würde er darauf
verweisen, dass er nicht zu der richtigen inneren Stille und Besinnung durch
ihre Anwesenheit hatte kommen können.
Daya erkannte sein Dilemma
und ging.
Albin war erleichtert. Er
arbeitete zweihändig – in einer Hand die Kreide, in der anderen den
Radiergummi. Fast gleichmäßig teilten sich beide Hände die Arbeit. Es dauerte
lange bis Albin fertig war. Er wagte es nämlich nur kleine Flächen zu
kolorieren. Fast war es schon reinster Pointilismus. Letztlich entstand wenn
man es sehr positiv beurteilen wollte, eine flache Figur wie aus einem Comic
Heft und war kaum einem Tara-Gemälde wie er es sich vorstellte ähnlich. Jetzt
war es ihm unangenehm, dass er Daya gebeten hatte die Konturen vorzuzeichnen.
Aber was war ihm anderes übrig geblieben? Ohne Dayas Konturen hätte er noch
weniger fertig gebracht. So stimmten Dank Daya wenigstens ungefähr die
Proportionen. Andererseits konnte er keine neue Leinwand nehmen und alles noch
einmal versuchen, denn bei dem neuen Werk würden Dayas Striche der Vorzeichnung
fehlen und das wäre auffällig. Daya wie er sie kannte würde sicherlich unter
den abgestellten Bildern herum stöbern.
"Nun ja, mehr ist nicht
drinnen", dachte er und beendete sein Werk. "Daya würde sicherlich in
Kürze kommen, um nachzusehen."
Kaum gedacht, betrat Daya
auch schon den Raum.
"Ist doch peinlich,
dass sie eine derart gute Telepathin ist“, ärgerte sich Albin, "nichts
kann man ihr verheimlichen.“
Oh, hatte Daya eine gute
Selbstbeherrschung! Innerlich aber lachte sie, nicht nur über das Bild, sondern
mehr noch über die Skrupel von Albin. Ihr Gesicht blieb würdig ernst und sie
begutachtete mit Kennerblick das Bild und lobte manche Stelle und besserte
manches aus. Schlussendlich musste man zwar zugeben, dass das Bild keineswegs
schön war, aber es war zumindest nicht mehr Tara gegenüber beleidigend.
"Komm, setze dich her“,
sagte Daya, "ich gebe dir eine Einführung in die Kunst des Malens und
Zeichnens.“
Albin schaute Daya verblüfft
an. Das Erlernen dieser Künste dauert Jahre, wusste er von seinem Erdenleben
her, was sollte da eine kurze Einführung!
Daya ließ sich nicht aus der
Ruhe bringen: "Hier läuft alles etwas anders als in der irdischen Welt. Es
gilt das Prinzip: wie innen so außen, wie außen so innen. Die Qualität des
Befindens, der Erwartungen und Vorstellungskräfte sind die Formkräfte der
Astralebenen.
In gleicher Weise, wie die
Formung im großen Rahmen, etwa der Landschaft, durch kollektives Einwirken
geschieht, so wirken auch die individuellen Erwartungen und Einstellungen im
Kleinen. Das hast du als Theorie schon früher gelernt. Jetzt ist es Zeit, dies
in die Praxis umzusetzen. Hat man diese Prinzipien einmal erkannt, so kann man,
bewusst gestaltend, auf das eigene Umfeld einwirken. Das wollen wir nun gleich
einmal ausprobieren.
Setz dich vor die Staffelei
in Meditationshaltung, schließ die Augen und stell dir das Bild vor, so wie du
es gerne hättest. Damit nicht zusätzlich meine Formkräfte in das Bild
einfließen, werde ich mich um einen Blumenschmuck kümmern, den du als Begrüßung
von Tara später auf den Altar stellen kannst. Auch ich muss meine Augen
schließen, denn würde ich auf das Bild blicken, so würde mein im Unterbewusstsein
verankerter Glaube an eine relativ beständige Welt eine jede Veränderung
erschweren oder gar blockieren. Unser Bedürfnis nach Orientierung und
Stabilität, lässt so etwas wie eine Beharrungskraft nach außen wirken. Die
Beharrungskräfte wirken einer jeden Veränderung entgegen. Also werde ich meine
Augen schließen und Blumen in einer Vase vor mir visualisieren. Gegen
Visualisierungen sperrt sich das Unterbewusstsein weniger, weil wir solche
Vorgänge von den Träumen her gewohnt sind. Wenn ich auf diese Art meine
Vorstellung vertieft habe und dann die Augen öffne, dann wird aller
Wahrscheinlichkeit wirklich eine Vase mit Blumen vor mir stehen. In gleicher
Art kannst du das Bild von Tara im positiven Sinn verändern.“
Daya und Albin meditierten
einige Zeit und als beide die Augen geöffnet hatten, befand sich auf der
Staffelei ein liebliches Bild von Tara, mit nur wenigen Mängeln. Vor der
Staffelei stand ein Bouquet wunderschöner Blumen.
Albin war beeindruckt. Dies
musste er erst verarbeiten. Er bedankte sich bei Daya und begab sich auf einen nachdenklichen
Spaziergang. Gar vieles gab es zu überlegen, konnte doch manches aus seiner
Vergangenheit, von der Steinwüste beginnend, aus dieser Sichtweise her einen
neuen Sinn erfahren. Im Wesentlichen war ihm das Prinzip schon vor kurzem von
Daya erklärt worden, aber da war es für ihn noch eher trockene Theorie. Es
erklärte ihm zwar manches, aber er fühlte sich jener Gesetzmäßigkeit eher
passiv ausgeliefert. Nun aber hatte er gelernt, aktiv in seine Umwelt einzugreifen
und sie zu gestalten. Etwa die Aufhellung der Wände seines Meditationsraumes im
Holzhaus erfolgte unerwartet. Er konnte es nur zur Kenntnis nehmen. Nun aber,
da er nicht nur wusste, dass man aktiv gestalterisch eingreifen könne und auch
wie man dabei vorgehen müsse, traten viele praktische Aspekte in den
Vordergrund. Das auszuprobieren reizte ihn. Er dachte hierbei sofort an das
Holzhaus, seine kommende Klause.
Der kleine
Nachdenk-Spaziergang hatte nicht lange gedauert. Schon war Albin wieder zurück
in Dayas Haus. Er nahm sich das Bild von Tara und machte sich sofort auf den
Weg zur Waldklause.
Dort angelangt befestigte er
das Bild oberhalb seiner Altartruhe an der Wand, setzte sich davor und schloss
die Augen. Als erstes beschloss er durch seine innere Vorstellungskraft die als
Altartisch gedachte Truhe umzugestalten. Ursprünglich wollte er ein Tuch
darüber legen, um die grobe Holzarbeit zu überdecken. Jetzt hatte er andere
Möglichkeiten im Kopf. Die Truhe sollte sein erstes Objekt sein, an welchen er
die neu erlernten Fähigkeiten durchtesten wollte. Sie sollte nicht durch ein
Tuch überhangen werden, sondern statt dessen sollte das Holz mit schönen
Ornamenten verziert sein. Sie sollte schön sein und zu Tara passen.
Er betrachtete die Truhe
einige Zeit. Dann schloss er die Augen und begann in ihre ursprünglich einfache
Außenseite gemalte Ornamente hinein zu denken. Er war gerade dabei sich
Ornamente auszudenken, als ihm einfiel, dass Einlegearbeiten schöner wären. Er
wollte sich gerade in die Truhe mit schönen Einlagen hinein leben, als ihm
einfiel, dass Schnitzereien vielleicht noch schöner wären. Da vernahm er ein
Lachen. Es war nicht akustisch und er hörte es nicht mit seinen Ohren. Es
schien ihm als würde das Lachen von überall im Raum kommen. Und dann vernahm er
folgende Botschaft, ebenfalls von überall aus dem Raum kommen: "Lass mich
die Altartruhe gestalten, als Zeichen meiner Liebe zu dir!"
Im nächsten Augenblick
fühlte Albin eine unsagbar zarte und tiefe Liebe, die alles Leben mit
einschloss. Es war eine grenzenloser Hingabe, die bis zur Selbstaufopferung
neigte. Allmählich ebbte diese wunderbare Zustand ab. Albin dachte nicht mehr
an die Truhe, er hatte sie einfach in diesem Liebeszustand vergessen.
Als Albin langsam wieder die
Augen öffnete, sah er vor sich etwas golden leuchten. Allmählich, aus einem
Glanz der Verzückung heraus, begann er wieder seiner Umgebung Beachtung zu
schenken. Und da sah er vor sich das Geschenk Taras. Vor ihm stand eine
wunderschöne, gold leuchtende Altartruhe. Sie war eine mit Blattgold überzogene
Holzschnitzerei. Sie zeigte in ihrer Mitte einen Pelikan, der mit seinem
Herzensfleisch seine Jungen fütterte.
Das christliche Symbol der
selbstaufopfernden Liebe erinnerte sich Albin. Wiederum erfühlte er eine tiefe
Liebe. Diesmal war es seine Liebe, die sich Tara zuwendete.
Lange blieb Albin noch vor
dem Altar sitzen. Dann ging er wieder das Wäldchen hinunter und erzählte Daya
und seinen Freunden, was er erlebt hatte. Natürlich wollten alle gleich den
Altar sehen und so gingen sie zu viert wieder hinauf zur Klause, um das Wunder
zu bestaunen.
9
Die Schicksalsbücher
Während Antonio und Johann
viel unterwegs waren und die Gegend erkundigten, liebte es Albin zu meditieren
und mit Daya Gespräche zu führen. Wissbegierig erfuhr Albin so manches
Geheimnis von Daya.
"Woher hast du nur all
dein Wissen?" wollte Albin bei einem der Gespräche von Daya hören.
"Ich habe einen
geistigen Lehrer und dann habe ich auch aus Bücher gelernt", gab ihm Daya
zur Antwort.
"Kann man denn auch
hier aus Büchern lernen und wo finden sich die Bücher", wollte Albin
sofort wissen.
"Pst, das ist ein
Geheimnis", wisperte Daya mit gespieltem Ernst zu Albin. "Aber wenn
Du willst, bringe ich dir einmal ein solches Buch mit!"
"Welch eine Frage,
natürlich! Ich warte ungeduldig darauf," rief Albin aufgeregt.
Daya lachte.
Nicht lange danach, als
Albin von seiner Klause wieder zurück kam, winkte ihm Daya mit einem Buch in
der Hand zu.
Schon war Albin zu ihr
geeilt und streckte bereits seine Hand aus.
"Nichts da", so
schnell geht das nicht, wies ihn Daya belustigt zurecht.
Langsam, viel zu langsam
ging sie mit dem Buch in der Hand zum Gartentisch und setzte sich. Dann legte
sie das Buch auf den Tisch, ein uraltes Exemplar mit goldgeprägten Zeichen auf
Einband und Buchrücken. Fest lag Dayas linke Hand auf dem Buch, während sie mit
dem rechten Zeigefinger abwinkte. "Nicht so eilig. Vorerst gibt es noch
einige Erklärungen zum Inhalt. Und ob du es überhaupt lesen kannst ist dann
eine weitere Frage."
"Nun zum Inhalt",
setzte Daya ihre Erklärungen fort. "Das Buch ist eine Biographie."
Albin sah man die
Enttäuschung an. Eine Biographie war das Letzte, das er sich erhofft hatte.
Lernen wollte er, in die kosmischen Geheimnisse vordringen und nicht etwas über
das Leben eines Generals, Bauern oder Händlers lesen.
"Ich sehe, du bist
enttäuscht", stellte Daya fest.
"Nun ja, etwas boin ich
schon enttäuscht", gab Albin zu. Was sollte er auch anderes sagen, Daya
las ihm ohnedies alle Gedanken aus seinem Gesicht ab. "Ich hatte mir ein
Lehrbuch über tiefes kosmisches Wissen vorgestellt."
Daya schenkte ihm ihr
Bedauern: "Ach du Armer, glaubst noch immer man könne den Kosmos und seine
Geheimnisse intellektuell verstehen lernen. Nun, willst Du das Buch lesen oder
soll ich es zurück tragen."
Albin fürchtete, dass er,
sollte er das Buch ablehnen, nicht so schnell von Daya ein anderes Buch
bekommen würde und beeilte sich zu sagen: "Ja, bitte gib es mir, ich werde
es mir rauf in die Klause nehmen und dort lesen."
"Für dieses Buch bürge
ich", gab Daya zur Antwort. "Das gebe ich nicht aus der Hand und du
kannst es nur hier in meinem Beisein lesen."
Albin sah Daya rätselnd an.
Ihre Worte waren für ihn zunehmend verwirrend. Daya schob ihm das Buch hin.
Albin öffnete das Buch und
zu seinem Erstaunen fand er keinen Text vor. Es fanden sich allerlei
Zeichnungen und rätselhafte Ornamente
und keine Schrift. Keine Erklärungen zu den Bildern.
Nachdem Albin oberflächlich
einige Seiten überblättert hatte und nichts anderes als Bilder oder Ornamente gesehen
hatte, sah er fragend zu Daya auf.
Sie wies mit dem Finger auf
die soeben aufgeschlagene Buchseite und sprach zu ihm: "Sei nicht
oberflächlich. Schau dir so ein Bild genauer an, vertief dich darin!"
Albin kehrte mit seiner
Aufmerksamkeit wieder zum Buch zurück und betrachtete die vor ihm liegende
Seite genauer. Es war eine Schwarzweiß-Zeichnung mit Bäumen, deren Äste
teilweise ornamental ineinander verschlungen waren. "Ein Dschungel“ formte
sich der Gedanke in Albins Kopf. In der Mitte der Seite war ein dunkler Fleck
im Schatten der Bäume. Albin sah genauer hin. Da begannen sich aus dem dunklen
Feld die Konturen eines Tempels abzuzeichnen. Seinen Blick auf dieses Zentrum
gerichtet schien es ihm, als würden die Blätter der umgebenden Äste beginnen sich
zu bewegen. In der Peripherie des Sehfeldes wirkte die Bewegung der Äste
stärker. Die Blätter bewegten sich stärker und begannen zu rascheln. Bevor sich
Albin noch darüber Gedanken machen konnte war aus dem Rascheln der Blätter ein
Rauschen geworden und Albin blickte in einen Wirbel, der ihn in sich hinein
zog. Albin verlor kurz die Orientierung und auf einmal sah er sich in einer von
hohen tropischen Bäumen umgebenen Lichtung stehen. Vor ihm war ein Tempel, den
er sinnend betrachtete.
Sinnend stand er vor dem
Tempel, staunend über die üppige Natur. Er war gleich einem Zeitreisenden, in
eine fremde Welt geworfen und sie bestaunend.
Und wie er so schweigend vor
dem Tempel steht, empfängt er ein zunächst bruchstückhaftes Wissen, das immer
mehr Geheimnisse um diesen seltsamen Ort lüftet:
Die Waldlichtung ist weit ab
vom Dorf, mitten in den dunklen Tiefen eines Dschungels. Nur selten wagt sich
ein Mensch hierher. Hier vor ihm ist der kleine steinerne Tempel der Göttin.
Welcher Göttin? Eine sinnlose Frage, es gibt ja nur eine Göttin im Glauben der
Leute hier. Wie hoch die Bäume rings um den Tempel gewachsen sind und ihn in
ihrer Erhabenheit klein erscheinen lassen. Ihr hoher Wuchs lässt erkennen wie
lange dieser Tempel schon verloren hier steht. Auch die von Flechten und Staub
gedunkelten Mauern lassen erkennen, dass Jahrhunderte hier vorüber gezogen sind.
Die Steinfiguren sind verwittert und lassen nur selten noch Farbe erkennen.
Früher mag es ein buntes Götterpantheon gewesen sein, was sie darzustellen
versucht hatten. So wie alten Kultstätten ist dieser Tempel aus Stein. Wenn man
ihn aufmerksamer betrachtet, erkennt man, dass er aus einem Fels heraus
geschlagen wurde. Nur Figuren und Stufen oder Geländer sind aus zusätzlichen
behauenen Steinen hinzugefügt worden. Das lässt erkennen, dass der Tempel noch
älter ist als die üblichen Steintempel, denn es war in den urältesten Zeiten,
damals in grauer und vergessener Vorzeit, als man Tempel in den vorhandenen
Fels geschlagen hatte. Diese Felstempel waren die Nachfolger der
steinzeitlichen Kulthöhlen. Es machte viel Mühe solche Tempel mit den weichen
Werkzeugen wie etwa Meisel aus Kupfer aus dem Fels zu schlagen. Das konnten
sich nur reiche Könige leisten. Also ist
zu vermuten, dass hier einmal eine Königsresidenz war. Die Holzhütten waren
bald vermorscht, die besseren Bauten aus Lehmziegel einige Jahrhunderte später
zerfallen und dann blieb nichts mehr; nur noch der Tempel und ein paar
Unebenheiten im Gelände.
Es gibt noch ein Dorf in
einiger Entfernung. Da es eine Sünde ist einen Tempel einfach verwahrlosen zu
lassen und dies den Fluch der Göttin herbeiführen könnte, ist man froh, wenn
man einen Priester aus einer verarmten Familie der Brahmanenkaste auftreiben
konnte, der hier den Tempeldienst versieht. Aus dieser Furcht heraus wurde seit
jenen uralten Zeiten, von denen nicht einmal mehr Legenden berichteten, immer
wieder ein Priester bestellt und dieser von den Dorfleuten versorgt. Es fällt
dem Dorf nicht leicht den Priester mit Naturalien zu erhalten, denn die
Bewohner sind arm. Ja, sie waren und sind so arm, dass sie sich nicht einmal
einen eigenen winzigsten Dorftempel mit Priester zusätzlich leisten können.
Deshalb haben sie nur einen Opferschrein am Dorfrand.
Der Tempelpriester, seine
Vorgänger und alle nach ihm in dem Tempel müssen durch Monate von dem
geopferten ungekochten Reis, den getrockneten Früchten und Wurzeln leben
können. Hin und wieder, zu besonderen Anlässen, wird ein Stück Stoff oder
Hausrat gebracht. Immer dann, wenn jemand erkrankt ist oder man sich Schutz von
der großen Göttin erhofft. Bei Hochzeiten ruft man lieber andere Gottheiten
herbei, die weniger unheimlich sind als jene alte Tempelgottheit. In diesem
Fall fällt nur wenig als Opfer für den kleinen Tempel ab und man opfert nur deshalb,
damit sich die Göttin nicht ausgeschlossen fühlt und zürnen würde.
Dann, innerhalb eines
winzigsten Augenblickes ändert sich die Szene:
Er war ein indisches Kind,
etwa im Alter von zehn Jahren. Der Priester hatte ihn seinen armen Eltern
abgekauft. Nun war er dessen Diener. Zwischen Diner und Sklave war wenig
Unterschied. Er war nicht nur Diener des Priesters, sondern dieser sah in ihm
auch eine Altersversorgung. Sollte er einmal alt sein, so war es die Pflicht
des Jungen ihn zu ernähren und zu umsorgen.
Der Priester wies ihn in die
Tempeldienste ein und lehrte ihn manchen Opfergesang und manches Ritual. Solcherart
war der Priester nicht nur sein Besitzer, sondern auch Lehrer und Vormund.
Als der Junge älter war, kam
ihn gelegentlich ein junges und sehr hübsches Mädchen aus dem Dorf besuchen, denn
er war nicht nur kräftig und von schönem Körperbau, sondern auch intelligent
und gefühlvoll. Sehr bald hatten sich beide ineinander verliebt.
Dem Priester missfiel diese
Verbindung. Nach all der Mühe, die er in den Jungen investiert hatte und jetzt,
da sich bei ihm dem Priester das Alter zeigte, wäre es für ihn ein Unglück,
sollte der Junge fort ziehen und ihn dem Altersschicksal allein überlassen. Er
verbot dem Mädchen je wieder in die Nähe des Tempels zu kommen. Aber sie kam
heimlich oder der Junge suchte heimlich das Dorf auf. Dem älteren Priester
entging das nicht und als das Mädchen sich wieder einmal dem Tempel nahte,
tötete er es. Niemand sollte ihm den Jungen verführen und fortlocken.
Es war eine schreckliche
Tat. Wer weiß, vielleicht war es nicht nur der Besitzanspruch an den Jungen, sondern
vielleicht war jener Priester durch Alter oder das abgeschiedene Leben bereits
verrückt. Niemand weiß es. Nicht lange darauf starb der alte Priester. Die Göttin
hatte ihn verflucht, so dachten die Dorfleute.
Der junge Mann war durch den
Tod seiner Geliebten seelisch zerstört. Die Wunde wollte nicht heilen. Er war
vereinsamt, hatte seine große Liebe verloren, eine Liebe, die es nur einmal im
Leben gibt. Er bemühte sich um keine weitere Frau mehr und es versuchte auch
keine Frau mehr mit ihm in Kontakt zu treten, aus Angst, dass jemand, der an
einem verfluchten Ort lebte ebenfalls den Fluch mit sich trage. Die Dorfleute
begannen den Tempel zu meiden. Nur noch Männer kamen gelegentlich um Essen zu
bringen. Auch sie fürchteten sich vor dem Geist des alten Priesters, der, von
der großen Göttin verstoßen, als Dämon durch den Dschungel heulte, wie man sich
im Flüsterton erzählte.
Dadurch wurde es noch
einsamer um den alten Tempel. Das einzige, was dem jungen Priester, denn jetzt
oblag ihm das Priesteramt, noch blieb, war die Göttin. Zu ihr nahm er Zuflucht
und ihr diente er mit liebendem Herzen bis in sein hohes Alter. Sie war ihm
alles, Mutter, Geliebte, die einzige Ansprechpartnerin, die Seele der ganzen
Welt. Die Welt der Menschen hatte ihn ja verstoßen, zusammen mit dem Ort, an
dem sie, die Göttin und er lebten. Ja, sie lebte dort, die Göttin, denn
gelegentlich konnte er sie sehen und fühlen konnte er sie jederzeit.
Dann war auf einmal
Schwärze, eine Art Stoß, der sich wie ein Erschrecken anfühlte. Albin war
wieder in sein Tagesbewusstsein zurück gekehrt.
Daya hatte ihm das Buch aus
den Händen genommen.
Langsam musste sich Albin in
seiner jetzigen Welt wieder zurecht finden.
Daya ließ ihm Zeit. Dann
sprach sie: "Siehst Du, vielleicht
war es einmal Dein Leben oder das eines anderen Menschen. Auf diese Art
bilden sie die Liebesbande zu einer Gottheit, Liebesbande, die durch
Jahrhunderte und Jahrtausende bestehen bleiben.
Die großen Geheimnisse des
Kosmos, die Quelle der Wunder und des Daseins, sie finden sich in solchen
Schicksalen und nicht in Zauberworten und geheimnisvollen intellektuellem
Wissen. Weisheit und innere Kraft werden in Schicksalen erworben und nicht durch
Tricks erschlichen. Kein Buch kann durch seine Buchstaben dir jene Kraft
vermitteln, die du durch Freude und Leid, durch Irrungen und Erkenntnisse in
deinen Leben erworben hast.
Albin blieb noch lange am
Tisch sitzen, das zugeschlagene Buch vor sich. Da kam Valentin und Antonio.
"Ah, ein altes Buch“,
rief Valentin, sich zu Albin setzend, und vermutete sofort etwas Besonderes. "Wovon
handelt es?“
"Es ist ein
Schicksalsbuch“, erklärte Albin.
"Ist das so etwas wie
ein Register von Sünden und guten Taten?" fragte Valentin leicht verwirrt.
Albin bemühte sich Valentin
das Wesen des Buches darzustellen: "Dieses Buch enthält keine
geschriebenen Aufzeichnungen. Wenn man hinein schaut, zieht es einen wie mit
hypnotischer Kraft in ein fremdes Leben. Man lebt dann als jene fremde Person
in einer fremden Zeit und womöglich auch in einem fremden Land. Den Bezug zur
Gegenwart und zur eigenen Person vergisst man hierbei gänzlich. Ob dieses Buch
ein Schicksal oder mehrere enthält weiß ich nicht. Ich habe nur eines gesehen.“
"Das klingt
interessant", interessierte sich Valentin. "Kann ich auch einmal
hinein schauen?“
"Warum nicht“, meinte
Albin.
Valentin öffnete das Buch,
aber außer ein paar Schwarzweiß-Zeichnungen und Ornamenten sah er nichts.
Enttäuscht, dass er keinerlei Information dem Buch entnehmen konnte, schob er
das Buch wieder zurück zu Albin. Jetzt nahm Antonio das Buch und versuchte es
ebenfalls. Auch er konnte nichts sehen.
"Ich konnte auch nichts
zu Beginn lesen“, meinte Albin, "Daya musste mich darauf hinweisen mich
intensiver zu vertiefen."
Die zwei Freunde versuchten
es noch einmal, hatten jedoch keinen Erfolg. Albin seinerseits scheute sich
davor es noch einmal zu versuchen, denn das vorherige Erlebnis wirkte noch sehr
nach und er wollte dieses nicht durch ein neues Erlebnis überlagern. Es wäre
ihm einfach zu viel zum Verarbeiten, fand er.
Als Daya wie zufällig vorbei
kam, wurde sie sofort wegen der Lesbarkeit des Buches angesprochen.
Daya dürfte schon auf diese Frage
gewartet haben, denn sie reagierte keineswegs erstaunt, sondern eher vergnügt.
"Wieso gibt mir das
Buch seine Inhalte weiter", fragte Albin, "und meinen Freunden
nicht?"
Daya ließ sich Zeit mit
einer Antwort. Es erweckte den Eindruck als würde die Antwort sehr schwierig
und vielleicht sogar geheimnisvoll sein. In den drei Freunden wuchs die
Spannung. "Das ist nicht so einfach, ich will jedoch versuche es euch klar
zu machen“.
Wieder war eine Pause. "Das
Buch hier ist ein mental erschaffenes und aufgeladenes Hilfsmittel. Das, was
man dem Buch scheinbar entnehmen kann, befindet sich nicht im Buch gespeichert.
Das Buch ist gleichsam ein magisches Tor zu einigen wenigen speziellen
Schicksalen. Diese Schicksale sind, um es noch einmal zu betonen, nicht im Buch
aufgezeichnet. Die Erinnerung daran befindet sich im kosmischen Allbewusstsein.
Der Zugang zu dieser hohen
Quelle des Wissens um die Vergangenheiten, ist für euch alle drei noch nicht zugänglich.
Es gibt einen Schutz, der einen allgemeinen Zugang zu diesem wissen erschwert.
Das Buch ist eine Art Schlüssel, welcher den Zugang erleichtert. Allerdings
muss man dazu ein Schlüsselträger sein, wenn wir bei dieser symbolischen
Ausdrucksweise bleiben wollen. Man muss eine Befugnis haben. Die habt ihr
nicht. In meinem Beisein jedoch konnte ich Albin dank meiner Befugnis einen
kurzen Einblick ermöglichen.
Ich bin Ich musste dir dabei helfen. Das Buch
hat es mir erleichtert dir einen Zugang zu verschaffen. Allein aber gelingt dir
das noch nicht.
Wie bekommt man die Befugnis
die Bücher zu lesen und wo findet man die Bücher? Und es waren noch mehr
Fragen, die allesamt zugleich von den drei Freunden an Daya heran getragen
wurden.
Daya lachte. "Langsam,
langsam! Die Bücher befinden sich in einer speziellen Bibliothek. Man nennt
eine solche Bibliothek "Akasha-Bibliothek". Es gibt nicht nur eine
Akasha-Bibliothek, wie manche glauben, sondern viele Bibliotheken dieser Art.
Aber ich sage euch gleich, es
ist nicht so einfach, so Aus Neugierde etwa in die Schicksale einzutauchen. Man
braucht hierzu viel Kraft, um die darin enthaltenen seelischen Spannungen
auszuhalten. Auch benötigt man hierzu eine gute Basis an Weisheit und Wissen,
um die Schicksale in ihrer Aussage und Essenz verstehen zu können. Nur dann ist
ein Zugang gestattet. Dass die Bücher versiegelt sind ist also ein Schutz für
die Personen und nicht eine Geheimniskrämerei oder ein Privilegiendenken.
Daya erhob sich und verließ
die Freundesrunde.
Ihre Worte über die Akasha
Bibliothek wirkten jedoch nach. Wann immer Daya einem von ihnen begegnete
wurden ihr erneut darüber Fragen gestellt. Etwa: "Welchen tieferen Sinn
hat es diese Bücher zu lesen? Kann man wenigstens solch eine Bibliothek
besuchen, auch dann wenn man nicht in den Büchern lesen darf? Gibt es auch
inhaltlich leichtere Bücher, die du für uns ausborgen könntest?
"Genug", sagte
letztlich Daya, als die drei Freunde sie wieder einmal mit Fragen insistierten.
Ich bringe euch dort hin. Die Bibliothek liegt nicht in der Nähe und wir müssen
uns hinprojizieren.“ Nehmt euch an den Händen und bildet mit mir einen Kreis.
Dann wollen wir einen Raumsprung versuchen.
Sie reichten einander die
Hände und schon standen sie vor dem Tor eines großen Gebäudes. Die drei Freunde
waren beeindruckt über diese Art des Reisens. Alleine das schon war es wert,
dass sie Daya die letzte Zeit mit dem Wunsch nach der Akasha Bibliothek auf die
Nerven gefallen sind.
Die Fassade des Gebäudes war
mit steinernen Figuren und Ornamenten verziert und sah selbst schon wie eine
Seite eines Schicksalsbuches aus.
Vor dem Tor saß eine Frau,
welche die Ankömmlinge aufmerksam musterte. Daya jedoch schien sie zu kennen,
denn sie lächelte ihr zu. Mit einer Armbewegung lud sie die Gruppe ein
einzutreten.
Daya ging voraus. Die drei
Freunde folgten ihr über eine breite, geschwungene Treppe zu einem Leseraum. Dort
standen zahllose aus Holz geschnitzte und mit goldenen Ornamenten versehene
Regale und zwischen ihnen mehrere Reihen von Säulen, welche den Lesern das
ungestörte Betrachten ihrer Bücher in kleinräumigen Nischen ermöglichten.
Einige Meter höher befanden sich Laufwege und Galerien, abgestützt durch
geschnitzte hölzerne Balken. Es war alles etwas eng und dennoch war die
Bibliothek schön, ja, geradezu prunkvoll.
Daya und die drei Freunde
setzten sich und ein alter Mann mit einem Mantel, dessen Stoffmusterung aus
braunen und gelben Herbstblättern bestand, legte ihnen drei Bücher vor. Die
drei Freunde vertieften sich hinein. Daya schien mit ihrem Bewusstsein einmal
in den einen und dann in den anderen der drei Freunde einzutauchen.
Es dauerte eine geraume
Zeit, bis die drei Freunde imstande waren in das über die Bücher vermittelte
Geschehen eintauchen konnten. Sie blieben geraume Zeit vertieft und als sie
wieder in die Gegenwart zurück gekommen waren, waren sie sehr nachdenklich und
schweigsam. Kein Wort wurde gesprochen als sie das Gebäude wieder verließen.
Draußen reichten sie einander die Hände, und gleich darauf waren sie wieder
zurück in Dayas Gartenhaus. Dort setzten sie sich an den Tisch und blieben
durch geraume Zeit weiterhin schweigsam.
Dann endlich forderte sie
Daya auf: "Erzählt mal, was ihr erlebt habt“.
Antonio begann als Erster:
"Ich erlebte mich als
zirka achtjährigen Jungen. Meine Familie war reich. Wir lebten in einem großen
Haus und hatten genug zu essen. Dies war in jener Zeit ein großer Segen, denn
es gab viele Arbeitslose. Mein Vater war Obsthändler. Viele Kisten mit Obst
standen im Lager, das sich im Wohngebäude, gleich nach dem Eingangstor befand.
Vom Lager aus führte eine Stiege in die oberen Stockwerke, wo wir wohnten. Der
Lagerraum war deshalb im Wohnhaus, weil die Leute damals aus Hunger zum Stehlen
neigten. Es war also gut, wenn man die Kisten mit Obst immer gut vor Augen
hatte.
Ich befand mich in einem
Nebenraum, als ich im Obstlager ein Geräusch hörte. Tatsächlich war dort ein
Obstdieb. Es war ein großer, schlanker, blonder Mann.
"Du darfst nicht unser
Obst stehlen! Wenn du es tust, werde ich schreien!" sprach ich ihn an und
baute mich kleiner Knirps vor dem Mann groß auf. Ich musste meinen Kopf in den
Nacken werfen, um zu ihm empor zu schauen.
"Ist gut", sprach
der Mann und steckte sich noch einen Apfel ein. Folgsam ging er zur
Ausgangstüre und steckte sich im Vorbeigehen einen weiteren Apfel ein. Dazu
lachte er zufrieden.
Dass er sich noch zwei Äpfel
eingesteckt hatte gefiel mir zwar ganz und gar nicht, denn das war etwas
ungehorsam, aber andererseits fühlte ich mich geschmeichelt, weil er mir so
folgsam gehorchte und so schrie ich nicht. Er schien eigentlich ein netter
Mensch zu sein.
Als er beim Eingangstor
stand sprach ich noch wie ein Lehrmeister zu ihm: "Du darfst nicht
stehlen!" und dann begütigend, wenn du morgen um diese Zeit hier an der
Straße auf mich wartest, dann bringe ich dir einen Apfel".
Am nächsten Tag wartete der
Mann ein paar Häuser weiter, an eine Hauswand gelehnt. So als würde ich ihn
nicht kennen, damit es nicht auffällt, ging ich an ihm vorbei und reichte ihm
einen Apfel. Auch am nächsten Tag schwindelte ich ihm diesmal zwei Äpfel zu.
Mein Vater durfte nichts davon wissen. Ich aber hatte jemanden, der auf mich
wartete und dem ich etwas schenken konnte. Es schmeichelte mich und hob mich in
meinem Selbstbewusstsein einen großen Mann auf mich warten zu sehen und sein
"Danke sehr mein Freund" zu sagen hören. Es war etwas von mir noch
nie Erlebtes und etwas ganz Besonderes. Noch nie war ich für jemanden wichtig
gewesen und jetzt war es sogar ein großer starker Mann, der auf mich wartete,
der mich sogar anlächelte und mich "Freund" nannte.
Solange die Äpfel noch im
Lager waren und auch später gelegentlich sah ich meinen großen freund, wir
lächelten uns an und ich gewann ihn sehr lieb.
Seine Liebe spüre ich noch
jetzt und vielleicht habe ich einen Teil meiner Liebe, die ich euch entgegen
bringe damals dort gelernt, denn ich bin überzeugt, dass ich in einem früheren
Leben jener kleine Junge war."
Jetzt war Albin an der Reihe
und er begann:
"Ich war ein Zigeuner
und wanderte mit meiner Gruppe von Dorf zu Dorf, spielte auf Hochzeiten oder in
Gasthäusern. Am liebsten spielte ich traurige und melancholische Lieder. Ich
vergaß dann die ganze Welt, nein, ich vergaß nicht die Welt, ich war die Welt
mit all ihrem Schmerz. Oft füllten sich meine Augen hierbei mit Tränen. Aber
das machte nichts, ich musste ja keine Noten lesen. Genau genommen hatte ich
nie Noten lesen gelernt. Ich spielte alles aus meinem Kopf.
Einmal in einer Zeit davor
hatte ich eine Geliebte. Heiß und innig hatte ich sie geliebt. Doch unser Glück
war nur kurz, denn sie verstarb. Diese verlorene Liebe war es, die ich in
meinen Liedern im Schmerz der Welt wieder fand.
Eines Tages spielte ich vor
einer Gruppe Menschen, die völlig anders als das übliche Publikum waren. Sie
forderten mich nicht auf lustige Weinlieder und Schwänke zu spielen, was ich
oft widerwillig in anderen Gesellschaften spielen musste. Sie akzeptierten mich
und meine Musik so wie ich war. Ich glaube sogar, sie liebten es in dieser Art.
In dieser Gruppe war ein religiöser Lehrer mit seinen Schülern und ihm
ergebenen Leuten, wie ich ich heraus fand. Dieser religiöse Lehrer winkte mich
zu sich und bot mir an bei ihnen zu bleiben. Ich willigte ein und blieb bei ihm
und bis zu seinem Lebensende. Dann später führte ich eine eigene Gruppe. Ich
hatte dort mein Zuhause gefunden und fühlte mich glücklich, obwohl ich einer
gänzlich fremden Welt entstammte."
Danach erzählte Valentin
sein Erlebnis:
"Ich habe das Schicksal
einer Frau erlebt. Ihre Schicksalsverflechtung hat mich zutiefst berührt. Es
war ein sehr tragisches Schicksal. Ich bringe das Geschehen so als hätte ich es
gehört oder als würde ich es von einer anderen Person berichten. Aber in Wirklichkeit
war ich jene Frau:
Sie war eine junge und
hübsche Indianerin aus dem Hochland der Anden. So manche Erzählung über eine
wundersame Welt nahe der Küste drang selbst bis zu ihrem entlegenen Dorf
hinauf. Mehr und mehr wurde jene weit entfernte Welt zum Inbegriff all ihrer
Wünsche und Sehnsüchte und so machte sie sich eines Tages auf den Weg, jene
Welt zu sehen, die noch niemand aus ihrem Dorf gesehen hatte und aus der so
fremdartige Gerüchte vordrangen.
Von der Sehnsucht nach
dieser wunderbaren, ja, wie sie dachte, paradiesischen Welt getrieben, verließ
sie die steinigen Höhen, in denen die Götter und der Geist ihrer Vorfahren
lebten. Es war ein weiter Weg und er dauerte Wochen. Es war gut vorstellbar,
dass manche diesen Weg nicht überlebt hätten. Aber sie, die Indianerin, war
zäh, genügsam und fand auf dem Weg manch Essbares, das andere weder gekannt
noch gefunden hätten. Außerdem war sie von den Göttern beschützt, das fühlte
sie und immer wenn ihre Kräfte zu erlahmen drohten und sie ihre Gebete an die
Götter richtete, fühlte sie neue Stärke.
Sie erreichte das Land ihrer
Sehnsucht. Es war wirklich so wunderbar, wie die Legenden berichteten. Aber es
war nicht das Paradies, wie sie dachte, denn es gab viel Elend. Die Menschen
waren schlecht und hatten mit den guten Sitten auch jegliche Heiterkeit
verloren. Ein Fluch musste jenes Paradies, und das war es sicher einmal, in die
Finsternis gestoßen haben.
Sie war enttäuscht und
verwirrt. Aber die Götter hatten sie hierher gerufen und geführt. Also blieb
sie da. Sie hatte von Zuhause damals etwas Gold mitgenommen, das hatte man ihr
angeraten. Es befand sich in einer Höhle und stammte noch von den Vorvätern und
niemand aus dem Dorf hatte es je angerührt, denn es galt als heilig. Niemand
hätte es gewagt, sich damit zu schmücken, denn es war den Göttern vorbehalten.
Sie aber nahm sich ein wenig davon, als Gabe der Götter, welche sie auf diesen
Weg schickten.
Dort, in der wunderbaren
Welt nun, in der sie angelangt war, konnte sie sich von diesem Gold eine
steinerne Hütte kaufen. Sie war luxuriös, denn sie hatte sogar zwei Räume.
Nicht nur ihre Schönheit als
Frau, sondern auch ihr Besitz führten dazu, dass ein Man um sie warb und sie
letztlich heiratete. Er war ein Mestize und sie bekam von ihm eine Tochter,
einen Sohn und noch eine Tochter.
Der Mann und ihre Kinder
lebten von den kleinen Reserven aus dem mitgebrachten Schatz, die noch
verblieben waren, denn er verdiente nur gelegentlich und dies hätte kaum gereicht
die ganze Familie zu ernähren.
Die Indianerin aus den Anden
Eines Tages geschah das
Unglück. Ihr Mann hatte im Rausch von einem kleinen Goldschatz gesprochen. Ein
Zechkumpane folgte ihm in die Wohnung und drohte ihn mit dem Messer zu erstechen,
wenn er nicht das Gold heraus gäbe. Der Mann händigte das Gold aus. Als die
Indianerin nach Hause kam, merkte sie sofort, dass irgend etwas nicht stimmte
und stellte ihren Mann zur Rede. Halb betrunken noch wand sich dieser, als er
den Diebstahl seiner Frau eingestehen musste. Sie war fassungslos. Nie hätte
sie gedacht, dass ein Mann derart feige sein könnte, um ohne zu kämpfen die
Existenzgrundlage seiner Familie preis zu geben. Sie hätte jenem fremden Mann
das Gesicht zerkratzt, und unter Einsatz ihres Lebens, um ihr Eigentum
gekämpft. In diesem Augenblick brach ihr Glaube an ihren Mann zusammen und auch
an jene Welt, in der sie jetzt lebte. Schweigend wandte sie sich ab.
Die Indianerin machte sich
wieder auf den Weg zurück in ihre Heimat. Sie wollte sich wieder von den
Schätzen ihrer Vorfahren nehmen und damit eine neue Existenz für ihre Familie
aufbauen. Der Winter brach herein, sie musste in ihrem Heimatdorf bleiben. Dann
wurde es wieder wärmer und sie machte sich wieder auf den wochenlangen, beschwerlichen
Rückweg. Sie konnte nur wenig Proviant mitnehmen, denn sie schleppte einen
schweres Gepäck mit Schmuck und Edelsteinen aus der Höhle ihrer Vorfahren. Sie
hatte diesmal kein Gold mitgenommen, denn dieses war schwer und Steine waren
noch begehrter, wie sie im Laufe der vergangenen Jahre in dieser fremden Welt
erfahren hatte.
Entkräftet und glücklich kam
sie nach einem halben Jahr bei ihrem Mann und ihren Kindern an. Sie hatte
abermals ihr Leben auf das Spiel gesetzt und es hatte sich gelohnt. Sie hatte
den Einsatz überlebt und sie konnten jetzt alle sorgenfrei leben, denn es war
viel, was sie mitgebracht hatte. Es war auch höchste Zeit hierzu, denn ihre
Familie war schon sehr verarmt. Der Mann hatte das kleine Haus verkauft und
lebte nun in einem überdachten Boot. Arbeit hatte er keine und lebte mit den
Kindern von den Fischen, die er fing.
Doch der Empfang war anders
als sie es sich vorgestellt hatte. Ihr Mann tobte. Sie konnte es nicht
verstehen. Vielleicht hatte er aus Freude und Erregung die Kontrolle über sich
verloren? Sie gab ihm eine gute Hand voll von den Steinen, um ihn zu beruhigen.
Er aber zog den Mund verächtlich hinunter und schimpfte über den Tand dieser
Primitiven. Sie erklärte ihm, dass diese Steine wertvoll wären. Er schrie, dass
diese Wilden gar nicht wüssten was Schmuck wäre. Er war ein ungebildeter Mann
und dachte, wertvoller Schmuck müsste glänzen und filigran sein. Hier aber
waren zum Teil dunkle Steine und alles sah groß, grob und plump aus. Sie hätte
lieber etwas arbeiten sollen, brüllte er und warf die Steine in hohem Bogen in
das Wasser.
Die Indianerin war entsetzt.
War sie eine Sklavin, um für diesen Mann zu arbeiten, damit er sich betrinken
könne? Stammte sie von einem Volk von Wilden? Nein, ihr Volk hatte mehr Kultur
als dieses verkommene Individuum hier. Zutiefst gekränkt entschloss sie sich
den Mann zu verlassen. Er untersagte ihr die Kinder mitzunehmen. Als sie
dennoch die Kinder befragte, wollten diese nicht mit ihr gehen. Sie wollten
nicht bei einer treulosen Mutter sein, die fortgelaufen war. Der Vater hatte
ihnen ein schlechtes Bild von der Mutter eingeprägt.
Es waren viele Jahre, ja Jahrzehnte
vergangen. Die Indianerin war alt geworden. Sie hatte viele Länder bereist, viel
gelernt und gesehen. Sie war letztlich zu einer gebildeten Frau geworden, die
Länder gesehen und Bücher gelesen hatte. Sie liebte die Kunst und förderte sie.
Ohne arbeiten zu müssen, konnte sie ihr ganzes Leben in Wohlstand verbringen
und ihre geistigen Interessen nähren. Jetzt war sie alt und noch immer war der
Schatz nicht aufgebraucht.
Bevor sie sterben sollte,
wollte sie noch einmal jene kleine Stadt sehen, in der sie Mann und Kinder
zurück gelassen hatte. Als Fremde schritt sie durch die Straßen, betrat die
Kirche und setzte sich auf eine leere Bank. Sie betete. Da kam ein zirka
fünfzehnjähriges Mädchen herein. Die alte Indianerin prüfte dessen Antlitz und
vermeinte vertraute Züge zu finden. Sie ersuchte das Mädchen sich neben sie zu
setzen und fragte nach deren Eltern. Ja, es stimmte, das Mädchen war ihre
Enkelin. Vorsichtig fragte sie nach ihrer Großmutter, nach sich selbst. Das
Mädchen gab jedoch nur ausweichende Antworten. Selbst als sich die Indianerin
als Großmutter zu erkennen gab, war das Mädchen nicht erfreut, sondern eher
erstaunt und verlegen.
Es war knapp vor der Messe.
Andere Leute kamen. Auch die zwei Töchter und etliche Enkelkinder. Alle saßen
sie schweigend um die Indianerin, keine sprach mit ihr. Die jüngere Tochter
schien beinahe mit ihr sprechen zu wollen, getrauten sich anscheinend jedoch
nicht. Nach der Messe war die Indianerin wieder allein gelassen. Niemand hatte
mit ihr gesprochen, niemand wollte sie einladen, sie war eine Ausgestoßene.
Sie war schon zu abgeklärt,
zu lebenserfahren, die Indianerin, um noch zürnen und hassen zu können. Es
mochte nicht mehr lange dauern, bis sie die Welt verlassen würde. Was sollte
sie mit den restlichen Steinen tun? Der Kirche geben? Nein, diese war nicht
immer gut zu den Indianern, es war eine fremde Religion eines fremden Volkes
und, wenn auch das, was sie lehrte, gut war, so brachte die Saat dennoch keine
guten Früchte. Nein, der Kirche nicht. Sie wird die Steine ihren Kindern und
Enkeln geben. Mögen sie glücklich werden damit. Sie verkaufte einige Steine und
gab das Geld und den Rest der Steine an ihre Kinder und Enkel, ohne Gram und in
Liebe.“
Nach seinen letzten Worten
schwieg Valentin. Auch die anderen hingen wieder ihren eigenen Gedanken nach.
Allmählich erst, nach
geraumer Zeit kam wieder ein Gespräch zustande.
"Ach ja, da gibt es noch
etwas Besonderes“, fing Daya an, "der Bibliothekar ist nicht untätig in
einer Ecke gestanden. Er hat euch beobachtet. Ihr habt beim Eintauchen in jene
Schicksale eure nicht völlig gegenwärtige Identität aufgegeben, auch wenn ihr
diese während des Geschehens gleichsam vergessen habt. Unterschwellig waren
auch Reaktionen eures gegenwärtigen Ichs dabei. Offenbar habt ihr einen guten
Eindruck hinterlassen, denn der Bibliothekar hat mir mitgeteilt, dass er bereit
wäre euch zwei, Antonio und Valentin, als seine Gehilfen anzunehmen. Albin wird
von mir ausgebildet und euch dort öfters besuchen.“
Antonio reagierte prompt: "Nun,
genau genommen, muss ich sagen, dass eine Tätigkeit als Bibliothekar keineswegs
meinem Geschmack entspricht. Ich fühle mich nicht dazu berufen anderen Menschen
als Handlanger zu dienen, um ihnen dieses und jenes Buch zu bringen. Ich will
nicht von einer Ecke der Bibliothek zur anderen eilen, nur um etwaige
extravagante Wünsche zu erfüllen.“
Daya blieb ruhig. "Nun,
vielleicht ist der Bibliothekar genau so wenig Bibliothekar, wie auch die
Bücher keine Leselektüre sind. Bewerte die Bibliothek vielleicht etwas anders.
Sie ist nicht zur Unterhaltung da, sondern ist ein Informationszentrum. Der
Bibliothekar seinerseits bestimmt, wem welche Information zuteil werden darf.
Außerdem gibt es
Aufstiegschancen“, fügte Daya lächelnd hinzu. "Was euch angeboten wird,
ist eine der unteren Lehrstufen der Lipikas, der Meister des Karmas. In diesem
Lernstadium als Bibliothekar ist es euch möglich in tausende Leben Einblick zu
erhalten. Dadurch erwerbt ihr ein Verständnis für die Wirkmechanismen und
Hintergründe der Schicksale. Ihr gelangt zu Wissen, das man nur schwer in Worte
fassen kann, weil es intellektuelles Verständnis bei weitem überschreitet.
Es ist somit eine überaus
wertvolle Schulung, welche euch da angeboten wird. Wie ihr an euren eigenen
vergangenen Schicksalen festgestellt habt, ist dieses Eintauchen in solche
Leben mit tiefen Emotionen verbunden. Mitunter ist dies also keine leichte
Aufgabe. Oft ist es eine sehr schmerzvolle Tätigkeit. Aber innere Gefühlstiefe
und Stärke werden dadurch enorm wachsen.“
Vaslentin hatte aufmerksam
zugehört und schien keine Probleme zu haben. Er erklärte Daya, dass er gerne
Gehilfe und Schüler von jenem Bibliothekar werden wolle. Antonio wurde
nachdenklich, beeindruckt durch den schnellen Entschluss von Valentin. Auch
wirkten Dayas Worte noch nach. Er erkannte seine Voreiligkeit und entschuldigte
sich bei Daya, bereit seine Einstellung zu korrigieren und bat darum die Stelle
annehmen zu dürfen. Zudem wollte er nicht allein über bleiben. Mit Albin konnte
er nicht durch die Welt streifen wie früher mit Valentin, denn Albin war oft
mit Daya unterwegs und war ihr Schüler.
10
Die russische Gräfin
Antonio und Valentin waren
die meiste Zeit in der Bibliothek, vertieften sich in Schicksale und lernten
daraus. Sie erkannten die Wirkungsweisen der Kräfte, welche das Schicksal der
Menschen bestimmen. Manches wude ihnen vom Bibliothekar erklärt. Er wusste sein
Wissen ungemein spannend weiter zu geben und die zwei Freunde inklusive Albin,
der so oft wie möglich hinzu kam, waren begeistert. Umgekehrt unterwies
bisweilen Daya auch Antonio und Valentin. Es war anscheinend mehr als
Sympathie, welche den Bibliothekar mit Daya verband, hatte Albin den Eindruck.
Beide schienen einer unbekannten Gruppe erleuchteter Wesen anzugehören und
teilten die Arbeit unter sich auf. Albin hatte es aufgegeben nach den
Hintergründen zu fragen, denn auf solche Fragen erhielt er nie eine
zufriedenstellende Antwort.
Alle drei Freunde
entwickelten ein tieferes Verständnis für die Irrtümer der Menschen und den
kausalen Folgen die daraus entstanden. Sie verurteilten nicht mehr. Oft litten
sie über die Hilflosigkeit der Menschen, wenn sie sich in ein Schicksal
vertieften, wenn sie Fehler sahen, die immens viel Leid gebracht hatten,
sinnlose Fehler, die sich vermeiden hätten lassen.
Die tieferen Einsichten
machten die drei Freunde sanfter und liebevoller und ließ gleichzeitig die
innere Kraft wachsen. Sie besaßen Sanftheit und Kraft, zwei Eigenschaften, die
im irdischen Leben oft als konträr gesehen werden und wo alle glauben, dass
beide nicht vereinbar wären.
Der Bibliothekar hatte die
innere Reife der drei Freunde erkannt und führte sie zu einem anderen Abteil
mit scheinbar höheren Ansprüchen.
Es waren wiederum Bücher,
die sich dort vorfanden. Diese Bücher aber hatten andere Inhalte. Sie zeigten
gegenwärtige Leben von Menschen in denen sich Prägungen und Erfahrungen
vergangener Leben auswirkten. Um die gegenwärtigen Wirkweisen der
Schicksalskräfte besser begreiflich zu machen, waren Lebensausschnitte aus der
Vergangenheit eingeblendet. So lernten die drei Freunde weiter und begannen
jene Kräfte zu verstehen, die über mehrere Leben wirken und den Kreislauf der
Reinkarnationen in Gang halten.
Eines Tages legte ihnen der
Bibliothekar drei Bücher vor, mit dem
Kommentar: "Alle drei Bücher, die ich euch hierher gebracht habe, sind
identisch und handeln von ein und der selben Person. Ihr werdet hierdurch alle
das gleiche Schicksal erleben. Das
erleichtert es uns allen anschließend die Erfahrungen zu besprechen, die ihr
daraus gewonnen habt.
Die drei Freunde öffneten
ihr jeweiliges Buch. Auf der ersten Seite sahen sie das Bild einer älteren
Frau, die in einem Zug sitzt, mit einem kleinen Hund auf ihrem Schoß.
Die Seite hatte die
Überschrift "Der Schoßhund“.
Sie tauchten in das Bild ein
und sahen eine Einblendung aus der Vergangenheit der Frau:
Sie war sechzehn Jahre, eine
Adelige aus der Zeit kurz vor der russischen Revolution. Heute war ihr erster
Ball. Es war für sie ein großes Ereignis. Schon Tage vorher war sie immens
aufgeregt und konnte kaum schlafen.
Und jetzt fand der Ball
statt. Er wurde für unverheiratete Jungendliche inszeniert, damit sie einander
kennen lernen konnten. So manche Verbindung wurde von den Eltern schon im Voraus
geschmiedet; man machte Tochter oder Sohn miteinander bekannt oder setzte sich
gar an den gleichen Tisch. Es war oft gar nicht nötig auf die Vorlieben der
Jugendlichen einzuwirken oder sie zu überreden, denn viele waren ob des Glanzes
des großen Ereignisses wie in Trance, unfähig rational zu denken. Es war ein
Leichtes diese Jugendlichen in die gewünschte Bahn zu lenken, stammten doch die
meisten aus entlegenen Landstrichen und hatten kaum je Kontakt zu
ihresgleichen. Die Sehnsucht nach einem Partner hatte sich bei vielen bis zur
Verzweiflung gesteigert und jetzt war der große Moment der Erfüllung.
Alle waren prächtig
gekleidet wie man es nur aus Märchen kennt. Sie trugen ihre schönsten Gewänder
und so mancher glitzernde Schmuck der Mädchen war durch beharrliches Bitten der
zögernden Mutter abgebettelt worden. Die Eltern saßen tuschelnd im Hintergrund
an den reich gedeckten Tischen und verfolgten aufmerksam eine jede Bewegung und
jeden Blick ihrer Kinder. Tanzte ihr Sohn oder Tochter schon ein zweites Mal
mit einem Unbekannten, so wendete man sich an Nachbarn oder Diener, erkundigte
sich und suchte nach Informanten. So manche Visitenkarte und Anfrage wurde von
Dienern zu einem anderen Tisch gebracht. Dort erfolgten dann erregte Gespräche
zwischen den Eltern. Wie ein Feuer wanderten Gespräche und Erkundigungen weiter
zu den am nächsten stehenden Bekannten. Diener liefen als Boten hin und her,
mit dem Auftrag Informationen zu sammeln. Bei allem war man bemüht nicht zu
vorschnell Interesse zu zeigen, denn es musste zuvor noch geprüft werden, ob
der für das Kind in Frage kommende Partner allen gesellschaftlichen
Anforderungen stand hielt. Es dauerte mitunter geraume Zeit bis man aufstand, zu
jenem fremden Tisch ging und sich vorstellte. Man begrüßte einander, setzte
sich zusammen und stellte sich von den besten Seiten dar. Oft wurden die
Gespräche zu einem Handel, bei dem die Kinder zu Objekten wurden, um Einfluss
und Reichtum zu steigern. Immer wieder mussten die Mütter in die Gespräche
eingreifen, um darauf aufmerksam zu machen, dass man auch auf Gefühle und Glück
ihrer Kinder Rücksicht nehmen müsse.
Solcher Art war die
Atmosphäre, in der sich die junge Adelige nun befand. Unter dem Schein der
Fröhlichkeit war alles zum Bersten gespannt und kaum erträglich. Würde sie ihre
große Liebe finden und wären ihre Eltern damit einverstanden, wären seine
Eltern mit einer Verbindung einverstanden? Die Spannung war kaum zu ertragen.
Manche der jungen Damen mussten, obwohl jeder Augenblick wichtig war, ins Freie
gehen, um sich unter tiefen Atemzügen zu erholen, die schnellen Herzschläge zu
beruhigen, oder die Nerven zu besänftigen, um einer peinlichen Ohnmacht
vorzubeugen.
Ein junger Mann wählte die Person
um deren Schicksal es ging zum Tanz. Er war wie aus dem Traum entstiegen und
tanzte immer wieder und wieder mit ihr. Sie verliebten sich ineinander und
schworen sich nie wieder aus den Augen zu verlieren, bis sie der ewige
Lebensbund vereinen würde.
Der Ball war für das Mädchen
wie ein wunderschöner Traum. Tage später, als das sie wieder zu Hause auf dem
Landsitz ihrer Eltern war, lebte der Ball in ihr weiter und verklärte sich noch
zusehends. Nach wie vor tanzte sie mit ihrem Geliebten, die Szenen entwickelten
sich weiter, die eigentliche Welt überlagernd. Sie küsste ihn in der fast rea
lebendig gewordenen Vorstellung, umarmte ihn fest und heftig.
Mitten in diesem Glück und
all den Hoffnungen hörte sie das erste mal vom Krieg. Sie hörte es von den Eltern und den Dienern. Er war plötzlich da, aus dem
Nichts heraus. Es musste eine kaum vorstellbare Bedrohung sein, denn viele
wagten darüber nur zu flüstern und warfen verstohlene Blicke um sich, als ob
man es vermeiden wollte den Geist des Krieges auf sich aufmerksam zu machen.
Wie war das nur möglich, wo doch alles
vorher so friedlich und schön war! Oder war der Krieg schon viele Jahre und sie
hatte einfach nichts davon gewusst, hier auf dem entlegenen Landschloss?
Dann kam der unvorstellbare
Augenblick als das Mädchen mit ihrer Mutter das Schloss verlassen musste. Ihr
Vater war schon seit einiger Zeit nicht mehr zu Hause, fortberufen wie man ihr
sagte. Die Menschen waren auf einmal so schlecht, wo sie doch früher immer so
freundlich waren. Sie plünderten jetzt und man durfte dazu nichts sagen. Es war
ihr von ihrer Mutter verboten zu einem Diener mehr als das Nötige zu sagen oder
gar darauf hinzuweisen, dass man nicht stehlen darf. Wo das doch ein Gebot
Gottes war! Und es wurde noch schrecklicher. Die Menschen töteten einander und
man musste sich verstecken, wenn man überleben wollte. Diese Welt war
schrecklich und nicht begreifbar. Der einzige Ruhepol war das innere Bild ihres
Geliebten. Aber auch diese Gedanken wurden zunehmend von Unruhe erfasst! "Ach,
mein Geliebter! Lebt er noch? Ich weiß ja nicht einmal wo meine Onkeln und
Tanten sind. Nicht einmal wo mein Vater ist.“ Und bald wusste sie nicht einmal
mehr wo ihre Mutter war.
Jahre vergingen, flossen
vorbei ohne beachtet zu werden. Kaum konnte sich das Mädchen, das mittlerweile
eine Frau in der Mitte des Lebensalters wurde an etwaige Ereignisse in diesen
Jahren erinnern.
Wieder vergingen Jahre. In
einem ratternden Zug, auf einer Holzbank saß eine ältere Frau. Sie lebte in der
Erinnerung an den Ball und an ihren Geliebten. Danach jedoch hatte das Leben
aufgehört. Es war eigentlich nichts dazwischen, nichts woran man sich erinnern
mochte; man konnte das alles ruhig vergessen. Es war als wäre sie in einem
Warteraum gesessen, mit tickender Uhr und ohne Ereignisse. Das einzige was sie
besaß, war ein kleiner Hund auf ihrem Schoß. Er war für sie die ganze Welt, ein
Stück Erinnerung an das Leben damals, als sie noch wirklich lebte. Nicht, dass
sie ihren geliebten Hund schon damals gehabt hätte. Dennoch überbrückte er die
Zeit, erinnerte sie an früher. Das Schrecklichste ihres Lebens war, dass sie
ihren Geliebten verloren hatte. An ihn dachte sie, wenn sie den Hund
streichelte. Deshalb war der Schoßhund als Brücke der Liebe und Zuneigung das
Einzige, was von der damaligen Welt übrig geblieben war.
Die drei Freunde hatten das
Schicksal der Frau als das eigene Schicksal erlebt und waren nach ihrem
Erwachen erschüttert. Der Bibliothekar bat sie draußen in der Natur spazieren
zu gehen, darüber nachzudenken und das Schicksal zu verinnerlichen.
Als einige Zeit verstrichen
war, hatten sich die drei Freunde in einem bequemen Zimmer der Bibliothek
wieder versammelt und warteten auf den Bibliothekar. Dieser kam auch bald.
"Das gegenwärtige
Schicksal jener Frau habe ich euch in dem Buch nicht geöffnet“, begann der
Bibliothekar. Das werde ich euch jetzt erzählen. Ich werde euch zeigen was von
damals für das jetzige Leben Richtung bestimmend wurde. Weiters können wir
besprechen, wie das jetzige Leben, mit all diesen aus der Vergangenheit
wirkenden Kräften und Voraussetzungen am besten gelenkt werden könnte. Erstmals
seid ihr keine passiven Beobachter, sondern müsst euch Gedanken machen und
planen, so als wäret ihr Lipikas, Meister des Karmas.
Folgendes hat bis in die
Gegenwart gewirkt: Jener Ball mit dem Erlebnis der großen Liebe und die darauf
folgenden Lebenserschütterungen konnten von der russischen Gräfin nicht
verarbeitet werden. Das Trauma wurde in seiner vollen Wucht in das jetzige
Leben herüber genommen. Da es in diesem Leben nur schwer möglich ist etwaige
Erinnerungen aus vergangenen Leben in das Bewusstsein zu holen, wird die Auflösung
des Traumas umso schwerer.
Die russische Gräfin heißt
in diesem Leben Helena und ist jetzt 31 Jahre alt. Helena ist gehbehindert und sitzt
in einem Rollstuhl. Dies ist keine karmische Bestrafung wie manche Menschen zu
glauben geneigt sind. Es ist ja völlig falsch Beschwernisse als Bestrafung
auszudeuten. Es war ein tiefer Wunsch von Helena in einem Rollstuhl zu sitzen.
Wünsche sind magische Kräfte, welche sich erfüllen, wenn die Kraft stark genug
ist und dem keine zu großen Hindernisse entgegenstehen. So hat sich auch dieser
unbewusste Wunsch bei Helena erfüllt und sie bekam eine Kinderlähmung, obwohl
man diese Krankheit zu jener Zeit schon als fast ausgerottet ansah. Helena
erhoffte sich durch die Behinderung, dass sie den Menschen dadurch fernbleiben
könne und keinen Beruf mit zwangsläufigen Kontakten ausüben müsste. Helena
fürchtet sich vor allen Menschen. Als Gräfin hatte sie damals nicht erkannt,
weshalb die früher freundlichen Diener auf einmal so schlecht waren, warum sie
plünderten und mordeten. Für sie handelten diese Menschen plötzlich irrational
und undurchschaubar. Die zur Prägung gewordene Furcht der Gräfin, dass Menschen
unberechenbare Monster wären, die, wenn auch freundlich, im nächsten Augenblick
gleich Dämonen über sie herfallen könnten, hatte sie in das jetzige Leben mit
hinüber genommen.
Helena fürchtet die Menschen
und meidet sie. Sie liebt es mit ihrem Rollstuhl in die Natur zu fahren. Wenn
sie aber in bewohntes Gebiet muss, so nimmt sie den kürzesten Weg und ist
großen Ängsten ausgesetzt. Zudem wird dies alles dadurch erschwert, dass sie
hellfühlend ist. Die emotionalen Ausstrahlungen der Menschen sind manchmal sehr
belastend, wie wir ja wissen. Das Hellfühlen wurde bei Helena dadurch
gefördert, dass sie seit ihrer Kindheit isoliert lebte und den dichten
Ausstrahlungen der Menschen kaum ausgesetzt war. Dadurch hatte sie auch nicht
gelernt sich abzuschirmen und war für alles offen. Ihre selbst gewählte
Isolation bewahrte sie vor einer Flut von Eindrücken, die für sie belastend
hätten sein können.
Wenn Helena zu Hause ist und
das ist sie die längste Zeit des Tages, dann lebt sie in ihrer eigenen Welt der
Fantasien. Fantasien und ihre Umsetzung in innere plastische Wahrnehmungen sind
die Voraussetzung für jegliche Art von Kunst. Helena ist Malerin und Dichterin.
Ob Gemälde, Gedicht oder Erzählung, immer tut sich eine Welt auf, die von
tiefen Gefühlen erfüllt, plastisch und in Farben sich dem Betrachter oder
Zuhörer auftut. Es sind die Gedankenkräfte, die jedem dieser Werke unsichtbar
aufgelagert sind, welche die sensibelsten der Menschen fast wie in hypnotischem
Bann in das Geschehen hinein ziehen. Helena hatte diese Fähigkeit damals im
vergangenen Leben, in dem späteren Lebensabschnitt nach den traumatischen
Ereignissen, trainiert. Dadurch, dass sie in ihren Vorstellungen der
Vergangenheit anhing, lernte sie jene Vorstellungen immer plastischer und
lebendiger zu gestalten, so dass sie bald wirklicher waren als jene Bilder der
sie umgebende Welt. Ihre psychische Krankheit wurde Ausgangspunkt einer neuen
Fähigkeit. Ihr seht, das Leben war nicht verloren.
Zusammenfassend möchte ich
feststellen, dass sich in Helena Fähigkeiten und Lebensumstände gebildet haben,
die Helena zu einer herausragenden Künstlerin machen könnten und nicht nur das.
Die Ereignisse haben in Helena einen tiefen Reifungsprozess ausgelöst und sie
zusätzlich mit hellseherischen Fähigkeiten begabt. Allerdings sind all jene
Fähigkeiten durch das Trauma blockiert und müssen erst aus den Umklammerungen
von Angst und Weltflucht gelöst werden. Sie malt und dichtet zwar, aber nur für
sich selbst und verbirgt es vor anderen Menschen. Ihr Hellfühlen lebt sie in
der Natur aus, wo sie sich mit den Naturwesen verbindet. Alle diese Fähigkeiten
werden nach einiger Zeit stagnieren, wenn sie sich nicht im Austausch mit
anderen Menschen weiter entfalten können, wenn sie nicht zu einer Sinngebung im
Leben werden. Sie wird in kurzer Zeit mit Satya, einem verkörperten Lehrer des
Maha-Yoga, Kontakt aufnehmen. Satya ist der irdische Kooperationspartner von
Daya. Ihr dürft ihm gelegentlich beistehen und könnt solcherart die Entwicklung
von Helena weiter verfolgen.“
11
Gedankenflüsterer
Die drei Freunde lernten
weiter und tauschten ihre Erkenntnisse aus.
So geschah es, dass Valentin
gerade seinen zwei Freunden über ein Schicksal und dessen Fortführung in
weiteren Inkarnationen erzählte, als der Bibliothekar zur Freundesgruppe kam.
Sie kannten ihn nun schon geraume Zeit und dennoch wussten sie seinen Namen
nicht. Wenn er Bibliothekar genannt wurde, so war ihm das recht. Für ihn war es
kein Titel, sondern eine anonyme Namensgebung und so wollte er es. Dabei war er
durchaus locker, scherzte und lachte mit ihnen und sie alle hatten zueinander
ein vertrautes Verhältnis gefunden.
"Was ihr bisher getan
habt war wie ein Urlaub. Damit ist es nun aus“, sprach sie der Bibliothekar an,
als ob die drei jemals Urlaub gehabt hätten. "Es fällt in absehbarer Zeit
so viel Arbeit an, dass wir anderen es nicht mehr bewältigen können. Die zerstörenden
Kräfte sind uns zahlenmäßig überlegen und sie versuchen durch ihre Übermacht
dieses Zeitalter in ihrem Sinne zu gestalten. Auf der Erde ist bald
Weihnachten, eine Zeit, in welcher viele Menschen an besonders starken
Depressionen leiden und in welcher die Selbstmordrate sprunghaft ansteigt. Ich
werde euch, so gut es in der kurzen Zeit möglich ist, einschulen und dann
beginnt eure Arbeit. Es ist eine der unangenehmsten Tätigkeiten, die ich
kenne.“
Das klang nicht gerade sehr
aufmunternd und die drei Freunde blickten ihn wortlos an, auf weitere
Instruktionen wartend. Gleichzeitig waren sie sehr gespannt, denn es war ein
Hinweis auf sonstige Tätigkeiten ihres Lehrers außerhalb der Bibliothek.
"Die Dunklen wollen
gefährdeten Menschen, die zu Weihnachten besonders anfällig sind, suggerieren
Selbstmord zu begehen. Sie flüstern ihnen zu, dass damit alle Sorgen und
Probleme gelöst wären. Gleichzeitig betonen sie die Ausweglosigkeit der
Lebenssituation und umhüllen jene Menschen mit schwarzen, aurischen Wolken,
welche den Zustand der Verzweiflung und Depression verstärken.
Oft sind jene Menschen nach
ihrem Tod, wenn sie sich zu einer solchen Tat hinreißen haben lassen, erdgebunden.
Erdgebunden zu sein heißt aber auch sehr dichten und niederen Schwingungen
ausgesetzt zu sein. Sehr leicht können die Verstorbenen dann in tiefere Sphären
gezogen werden. Oft waren jene Selbstmörder seelisch sehr feine Menschen,
sensible Menschen und für das Leben auf Erden zu schwach. Es war ihnen nicht
möglich sich den harten irdischen Bedingungen anzupassen. Sie verfügten nicht
über die übliche Rücksichtslosigkeit und emotionale Stumpfheit, die anderen zum
Erfolg verhilft. Meist fühlen sich solche Menschen von der Gesellschaft
ausgestoßen oder isoliert. Diese Menschen sind für die dunkle Seite eine
besonders attraktive Beute. Allerdings sind solche Menschen auch viel schwerer
zu manipulieren. Wenn es jedoch gelingt, sie durch Alkoholismus oder Rauschgift
zur Weltflucht zu bewegen, dann sind sie eine leichtes Opfer. Sie werden dann
zermürbt und gestürzt. Das soll jedoch nicht heißen, dass wir solchen Menschen
bevorzugt helfen. Andere bringen vielleicht nicht diese Sensibilität mit,
zeichnen sich jedoch durch Kampfgeist und Mut aus. Das sind ebenfalls sehr
wertvolle Eigenschaften. All jenen zu helfen wird für euch nicht leicht sein,
denn ihr habt es mit starken Gegnern zu tun. Jetzt zählen Wissen, Schlauheit
und Risikobereitschaft.“
Die drei Freunde schwiegen.
Sie hatten nach der Einleitung schon mit einer schlechten Nachricht gerechnet,
aber nun erkannten sie, dass ihre Tätigkeit nicht nur schwierig sondern auch
gefährlich sein würde.
"Ihr werdet bei euren
Tätigkeiten jeweils von mir oder einem Assistenten zur Zielperson gebracht. Ihr
müsst damit rechnen, dass ihr oft zur nächsten Aufgabe geführt werdet, bevor es
euch möglich ist euren Schützling abzusichern. Eine vorübergehende Absicherung
ist etwa, wenn sich die Schutzbefohlenen schlafen gelegt haben und sich
solcherart nicht mehr den verzweifelten Grübeleien hingeben können.
Es ist einfach zu viel, um
voll und ausreichend helfen zu können. Es muss improvisiert werden.
Wir beginnen mit einem
leichten Beispiel.“
Alle reichten sich die Hände
und schon standen sie vor einer jungen Frau.
Diese Frau war verliebt und
musste feststellen, dass der Mann ihr untreu war. Seine Liebe erwies sich nicht
als Ausdruck tiefer Gefühle, sondern als Selbstbestätigung durch "Eroberung“.
Da er schon viel Erfahrung mit Frauen hatte, wusste er worauf Frauen besonderen
Wert legen und konnte mit einer gewissen Virtuosität jene Frau, vor der sie nun
standen, in Illusionen und Hoffnungen wiegen. Es war für die Frau ein
entsetzliches Erwachen mit dem Erkennen, dass alle Schwüre und Zuwendungen
erlogen und manipulierend waren. Sie verfiel in stärkste Depressionen und
weinte. Sie hatte eine Freundin, aber die konnte ihr auch nicht helfen. Statt
mit ihr zu sprechen, sie zu trösten, sagte jene nur "reiß dich zusammen“.
Solche Ratschläge halfen in dieser Situation jedoch wenig, im Gegenteil, die
Frau fühlte sich auch von der Freundin im Stich gelassen.
Nicht weit von ihr stand für
sie unsichtbar ein dunkles Wesen und sandte ihr telepathisch Gedanken zu, im
Sinne von: "ich halte das nicht mehr aus“, "das Leben hat keinen
Sinn“, "die Welt ist zu schlecht für mich“, "wenn ich wirklich in Not
bin, lassen mich alle im Stich“. Wie Parolen hämmerte ihr der Geist diese Worte
ein, sie fortwährend wiederholend. Es waren keine Argumente, sondern
Suggestivsätze, die wie Hammerschläge auf die Frau einschlugen. Die
destruktiven Gedankeninhalte sollten sich durch ihre Wiederholung festsetzen
und verstärken.
Der Bibliothekar warf den
Geist in dessen Ursprungsebene zurück. Es war für ihn überhaupt keine Mühe. Es
wurde den drei Freunden augenscheinlich welch mächtige Persönlichkeit er in
Wirklichkeit war. Dann versuchte der Bibliothekar die verdunkelte und
eingeschnürte Aura der Frau zu lockern und aufzuhellen. Gleichzeitig erweckte
er in ihr Erinnerungen an ihren
Lieblingsort. Das war die Stadt Salzburg, wie er aus einigen kurzen
Gedankenfetzen lesen konnte. Als er die Frau dazu bewegen konnte in den
Erinnerungsbildern an jene Stadt länger zu verweilen, wurde seine Vermutung
bestätigt. Jene Frau war schon einige Male dort, um dort Erholung und Kraft zu
finden. Die Stadt war für sie wie eine andere Welt. Sie fühlte sich dort immer
wohl. Der Bibliothekar verstärkte dieses Bild in der Frau und bald hatte sie
den Entschluss gefasst nach Salzburg zu fahren, um sich in dieser wunderschönen
Umgebung abzulenken und zu positiveren Gedanken zu kommen. Die Depressionen
klangen zusehends ab und die Frau begann sich sogar auf den Urlaub zu freuen.
Die vier jenseitigen Helfer
reichten sich die Hände und im nächsten Augenblick standen sie vor einem zirka
45 jährigen Mann. Seine Aura war geschädigt und wies große schwarze Löcher auf.
Nicht nur das, in seiner Herzgegend sah man ein Scheinleben im Aussehen eines
kleinen schwarzen Dämons, von dem ein dunkles Band ausging, das sich in einer
unteren Seinsebene verlor.
"Dieses dunkle Wesen in
der Brustmitte jenes Mannes ist ein mental-emotional geschaffenes Gebilde.
Manchmal werden auch Primitivwesen, welche man Elementaris nennt, als
Lebenselement hinein gebunden. Das sind solche Wesen, wie sie Valentin im
Labyrinth kennen gelernt hatte. Magisch eingesetzt verlieren diese Wesen ihre
ursprüngliche Form und werden durch mentale Einwirkung mit der Intelligenz des
Senders verbunden. Ein solches Gebilde dient dann als Andockstelle jener
dunklen Magier aus den tiefen Ebenen. Eine einfache Andockstelle ist nur eine
dunkle Schnur, die mit einem Energiezentrum verbunden wird. Eine wie vorhin
beschriebene, verstärkte Andockstelle kann man jedoch nicht mehr so einfach wie
eine Verbindungsschnur entfernen. Ein derart gebundener Mensch wird zunehmend
zu einer Marionette der dämonischen Wesen, die ihn über diese Hilfsmittel
beherrschen. Ist ein solcher Mensch schon so sehr herabgekommen, dass er in
keiner Weise mehr dienlich sein kann, dann treiben sie ihn in den Selbstmord
und holen ihn zu sich in ihre Welt.
Ich habe euch hergebracht,
um euch das zu zeigen. Eingreifen und helfen können wir in diesem Fall nicht.
Es ist auch keine akute Situation gegeben. Eine Heilung und Besserung ist
praktisch nicht mehr möglich. Hier würden wir auf verlorenem Posten stehen. Ich
wollte euch nur so einen Menschen zeigen und die Situation erklären.“
Sie waren wieder zurück in
der Bibliothek. "So ähnliche Fälle wie jener der enttäuschten Frau, die
sich in Salzburg wieder erholen wird, solche Fälle werdet ihr übernehmen. Es
sind leichte Fälle, aber dennoch bedarf es der Fantasie und
Improvisationskunst. Ihr werdet euch telepathisch in die Gedanken jener
Menschen einschalten. Eine Hilfestellung wird zumeist länger dauern als bei der
Demonstration an der Frau.“
Nun begann nach der langen
Phase des Studierens aus den Büchern vergangener und gegenwärtiger Schicksale
für die drei Freunde mit diesem Auftrag erstmals eine aktive und
verantwortungsvolle Tätigkeit. Es war dies der erste Schritt eines langen Weges
des Lernens, durch praktische Tätigkeiten, unter der Obhut der Lipikas.
12
Seelen wie bunte
Blumen
Die drei Freunde saßen im
Garten von Daya. Sie hatten eine sehr anstrengende Zeit hinter sich und waren
froh sich jetzt wieder entspannen zu können. Sie freuten sich einander wieder
zu sehen. Die Erfahrungen der letzten Zeit waren das zentrale Thema. Es gab
darunter viele Ereignisse, die jeder von ihnen mit seinen Freunden abklären
wollte. Die Gespräche halfen so manche verbliebene Anspannung wieder zu lösen.
"Am Anfang, als ich
begann die Schicksalsbücher zu studieren“, begann Valentin sinnend das
Gespräch, "bin ich sehr viel Leidvollem begegnet. Es schoben sich mir
deshalb als zentrales Thema die Karmagesetze in den Mittelpunkt meines
Interesses. Ich wollte lernen, wie man schwere Schicksalsschläge vermeiden
könne und wie man die Schicksalsentwicklung günstig lenken könne. Es war mir
ein Anliegen zu lernen, nicht nur damit ich selbst oder andere, denen ich zu helfen
imstande war, ein schöneres Leben führen könnten. Ich wollte auch lernen frei
von Karmakräften zu werden, um mich letztendlich vom Zwang der Wiedergeburten
zu befreien.“
"Das ist ebenfalls mein
Anliegen“, pflichtete Antonio bei. Ich habe mir sogar Skizzen und Notizen über
die einzelnen Gesetzmäßigkeiten gemacht, so etwa das Pendelgesetz. Die
Bezeichnung "Pendelgesetz“ weist darauf hin, dass die Menschen sehr leicht
zwischen Extremen schwanken, um dann mehr und mehr zu einer Mitte zu finden.
Ich bringe als Beispiel eine Person, deren Leben ich aus dieser Warte studiert
habe. Es war in diesem Fall besonders eklatant. Er war sehr reich. Seinen
Reichtum mehrte er durch Hartherzigkeit und erbarmungsloses Eintreiben von
Geld, wo immer ihm das möglich war. Es gab viele Menschen, die er dadurch ins
Unglück gestürzt hatte, Eltern, die ihre Kinder nicht mehr ernähren konnten,
Familien, die ihr Obdach verloren hatten. Gar mancher Fluch wurde auf ihn
geladen, von einer leidenden Seele geschrien. Das waren Kräfte, die ihn bereits
zu Lebzeiten und erst recht dann im Jenseits jagten. Er machte Schreckliches
mit und gerne hätte er später all sein Geld dafür gegeben, wenn er sich damit
Frieden hätte erkaufen können. So schwor er sich im nächsten Leben Reichtum zu
meiden und er wurde ein armer Reisbauer. Er litt unter seiner Armut und wenn es
seine Zeit und seine Kräfte erlaubten, dann träumte er davon reich und
angesehen zu sein. Im nächsten Leben war er wieder reich, aber nicht übermäßig
reich. Dafür aber hatte er viel Macht und war sehr angesehen. Er genoss dies
aus ganzer Seele, legte Wert darauf, dass jeder seine Macht zu sehen bekam und
respektierte. Nun, es war jetzt nicht Geld, sondern Macht, aber viel
Unterschied ist zwischen diesen beiden Aspekten auch nicht. Nun ja, so pendelte
das bei jenem Mann in den verschiedensten Varianten hin und her.“
"Derlei Schwankungen
habe ich auch beim Studium der Schicksalsbücher festgestellt“, diesmal war es
Albin. "Es hat mich an eine Waage erinnert. Je feiner die Waage ist, desto
leichter reagiert sie. Die Menschen, die am Anfang des Lernens sind, sind noch
wenig sensibel. Sie sind noch viel zu wenig mit den Gefühlen und Gedanken der
anderen Menschen verbunden und empfinden nur Eigenes. Deshalb sind bei ihnen
die Schicksalsschläge oft sehr schwer, weil sie erst in extremen Situationen
reagieren und sich um ein Nachdenken bemühen. Das gleiche gilt für die Fehler,
die sie begehen. Auch hier fühlen sie die Auswirkungen ihrer Taten kaum.“
"Du sprichst das aus,
wohin sich mein Interesse mit der Zeit verschoben hat“. Valentin schien
erfreut, in Albin eine ähnliche Anschauung zu entdecken. "Ich habe das
Empfinden, dass es viele Stufen von Sensibilitätsverfeinerungen gibt. Ich
glaube ich habe gerade solch eine Stufe bewältigt, dabei hatte ich mich bereits
davor als sensiblen Menschen eingestuft; konnte ich doch Gefühle und Gedanken
anderer Menschen lesen und habe darauf empfindlich reagiert. Aber anscheinend
setzt sich der Seelenweg noch in ungeahnte Weiten fort.
Ich hätte niemals gedacht, als
ich die Schicksalsbücher zu studieren begann, dass ich aus heutiger Sicht noch
stumpf war. Ich merkte in erster Linie das, was schmerzte. Das waren die
schweren Schicksalsschläge. Natürlich merke ich das nach wie vor und lebe es
mit. Aber es kommt noch ein völlig neuer Aspekt hinzu: ich beginne in Menschen
Schönheiten zu entdecken. Die Menschen sind so etwas wie ein Kunstwerk für
mich. Jeder Mensch ist anders und einzigartig. Da gibt es welche, die sind grob
geschnitzt. Ich würde sie am Besten mit elementaren Objekten vergleichen, mit
Steinen oder Wurzeln. Dann gibt es Menschen, die sind ganz fein geschliffen,
bis in wunderbare Details ausgearbeitet. Meisterwerke! An ihnen kann ich mich
nicht satt sehen. In diese Menschen liebe ich es einzutauchen. Gerade sie
könnten ein Eintauchen verhindern, denn sie sind fein genug, um solches zu
bemerken, aber sie gestatten es, habe ich festgestellt. Darüber freue ich mich,
denn anscheinend finden sie auch meine Präsenz angenehm.“
"Wunderbar, dass du das
so aussprichst“, Albin war begeistert. "Ich habe mich einer solchen
Sichtweise ebenfalls genähert. Noch ein paar Worte über die hohen Kunstwerke
unter den Menschen:
Ihr wisst ja, dass ich mich
zu irdischen Lebzeiten für Religionen und Spirituelles interessiert habe. Durch
all die Lehren gelangte ich in die Spur konventionell verbreiteter
Denkschemata. Ich hatte ganz klare Vorstellungen, wie die Entwicklung der
Menschen aussehen müsste. Ethisch hochstehend, idealistisch, aufopfernd, voll
Mitgefühl, religiös und so weiter. Ihr kennt ja diese Liste. Mittlerweile habe
ich Menschen kennen gelernt, die ich bereichernd und auf ihre Art vollendet
finde, die mit all diesen Idealen nie zu tun hatten.
Darunter gab es auch völlig
unangepasste Menschen, denen ich zunächst sprachlos und überrascht gegenüber
stand. Sie repräsentierten Denk- und Gefühlsstrukturen, wie ich sie zuvor nie
kennen gelernt hatte. Auch wie sie die Welt sehen ist völlig andersartig. In
solche Menschen tauche ich ein, als wären sie ein fremdes Universum. Sie sind
in sich vollendet, obwohl sie mitunter keineswegs so manchem Ideal entsprechen.
In diese Menschen einzutauchen ist bereichernd und man bekommt durch sie viele
Denkanstöße. Ich habe durch solche Menschen die Welt unter völlig anderen
Blickwinkeln sehen gelernt und fühle mich durch viele neuartigen Perspektiven
der Bewertung bereichert.“
Antonio rief aus: "Ich
bin begeistert! Ich habe gewusst, dass sich in mir eine andere Sehensweise
entwickelt hat. Ich habe darüber nachgedacht, konnte aber dennoch nicht so
richtig Klarheit finden. Jetzt, wo ihr es ausgesprochen habt, ist es für mich
völlig klar!“
Daya kam gerade herbei und
hatte die letzten Worte noch mitbekommen. "Ah, wie ich sehe, sind aus den
drei selbstlosen ‚Rettern aus der Not’ wiederum Genießer geworden. Wie doch
immer wieder eure alten Eigenschaften durchbrechen.“ Sie lachte. "Aber im
Ernst, ich stimme Euch zu, ihr seht es richtig“.
13
Zukunftsperspektiven
Albin blickte zu Daya, die
lachend vor ihm und seinen zwei Freunden stand und lud sie mit einer spasshalber
pathetischen Geste ein, sich der Gruppe beizugesellen. "Das ist schön,
dass du uns hier im Garten aufsuchst. Komm, mach es dir bequem bei uns!“
Dayas Gesicht leuchtete
erheitert auf: "Ich weiß, du magst mich sehr, dennoch hast du dich durch
deine theatralische Geste verraten! Du willst etwas von mir!“
Albin wurde kurz verlegen,
dann lächelte er Daya offen an: "Ich gebe es zu, du hast recht. Offenbar
kann ich nur schwer etwas vor dir verbergen.“
In gespieltem Ernst und mit
vorgetäuschter betrübter Miene setzte er fort: "Was soll ich tun, du
nimmst mir die Möglichkeit dich in einem Gespräch langsam aufzuwärmen, um dir
ein paar Geheimnisse heraus zu locken! Wieder habe ich durch meine
Ungeschicklichkeit eine Chance verpasst, ich bin echt unglücklich!“
Daya machte das Spiel mit
und drückte ihr Bedauern aus, dass sie durch ihre zu große Offenheit ihrem
lieben Freund und Schüler das Leben schwer mache. "Ach lieber Albin, ich
möchte doch nicht, dass du traurig bist. Sag mir, was du von mir willst und ich
werde mein Bestes tun.“
Albin ließ sich diese
Aufforderung nicht entgehen. "Wir drei haben viel gelernt, Schicksal um
Schicksal durchforstet, erlebt und verstehen gelernt. Wir sind innerlich
gewachsen, gereift, verständnisvoller und liebevoller geworden. Um es kurz zu
sagen: ich glaube wir sind schon fast am Ende dieses Lehrganges angekommen und
haben ein hohes Niveau erreicht.“
Daya ließ nur ein
ungläubiges, lang gedehntes "Ooooh“ hören.
Albin räusperte sich. "Nun
ja, ich habe vielleicht ein wenig übertrieben, aber ein Prickeln in meinen
Fingerspitzen sagt mir, dass nach dem Studium der Schicksalsbücher und nach
praktischen Hilfestellungen, in die wir ja ebenfalls schon eingewiesen wurden,
sich sicherlich etwas Neuartiges auftun würde. Was das allerdings sein könnte,
darüber habe ich im Stillen gerätselt, habe es aber nicht herausgefunden.“
"Ich habe so etwas
geahnt“, lachte Daya, "denn bisweilen fühlte ich mich von dir beobachtet, mit
dem Bemühen an irgend welchen Anzeichen von mir herauszufinden, was ich euch an
geheimen Wissen und Können voraus hätte. Und was hast du entdeckt Albin?“
"Nichts“ gab dieser
zerknirscht zu. "Deshalb wollte ich es dir soeben auf sanfte Art
herauslocken. Leider ist das nicht gelungen.“
"Aber das ist doch kein
Geheimnis“, tat Daya erstaunt und lachte dann laut, als Albin sie verblüfft
anstarrte.
"Blickt einmal auf eure
jenseitige Vergangenheit zurück. Bleiben wir bei dir Albin. Kurz nachdem du
verstorben warst, bist du in deiner Wohnung herumgeirrt und es hat eine geraume
Zeit gedauert, bis du überhaupt entdeckt hast, dass du deinen materiellen
Körper abgelegt hattest. Alles, oder beinahe alles, erschien dir wie in
gewohnter Weise. Du hast mit deinen Händen gefühlt und unter deinen Füßen
festen Boden gespürt. Später, als du dann in einer jenseitigen Welt warst, hast
du auch diese in gewohnter Weise erlebt. Es war für dich die Fortsetzung deines
irdischen Lebens in einer fremden Umgebung. Es war nicht anders als wärst du
mit einem Flugzeug irgendwo in einem neuen andersartigen Land auf dem Globus
gelandet.
Später, als ihr zwei, du und
Antonio bei den Bretterbuden, in welchen Valentin festgehalten wurde, in ein
Handgemenge geraten wart, habt ihr beide das erste Mal entdeckt, dass bloße
Willenskraft genügt, um Schläge abzuwehren. Ihr seid dadurch zu der Erkenntnis
gelangt, dass einiges in diesen Welten anders läuft als in der irdischen Welt.“
"Ja, stimmt“,
pflichtete Antonio bei. "Es war zunächst eine spontane Reaktion, eine zufällige
Entdeckung. Erst später, als Albin und ich ungestört waren und Zeit hatten zum
Nachdenken, sind wir diesem Phänomen nachgegangen und unser Erstaunen war nicht
gering. Ich gebe aber zu, dass ich mir nicht allzu viele weitere Gedanken
darüber gemacht habe und alles mehr von der praktischen Seite her sah.“
"Hm“, ergänzte Albin, "das
gilt auch für mich. Bei der Genesung von Berta erkannte ich zunehmend das
Wirken von Vorstellungskräften. Aber auch in der irdischen Welt mag Glaube und
Einbildung von großem Einfluss auf den Körper sein. So überwältigend neu war
das also gar nicht.“
"Allerdings“, und jetzt
wurde Albin lebhaft, "als ich im Zusammenhang mit meinen Meditationen auf
Tara, den unerwarteten Einfluss unserer Vorstellungen feststellte, begann es
mir zu dämmern, dass da sehr wohl große Unterschiede zur irdischen Welt
bestehen könnten und ich versuchte diese Phänomene ab diesem Zeitpunkt genauer
zu beobachten. Allerdings zeigten sich im übrigen Alltag kaum weitere
Abweichungen vom Gewohnten.
Als ich dann unerwartet
während des Spazierganges mit Berta zu meinem Erstaunen erkannte, dass es gar
nicht so selbstverständlich war, dass wir alle auf gleiche Weise die Welt
wahrnehmen, war ich geradezu geschockt. Bislang hatte ich allmählich
akzeptieren gelernt, dass diese Welt hier äußerst plastisch ist. Die
Veränderungen, die wir in der irdischen Welt mit der Kraft unserer Arme
bewirken, können hier mittels der Vorstellungskraft bewältigt werden. Genau
genommen waren nur die Methoden unseres Wirkens anders, sonst aber war alles
gleich – so dachte ich bis zu diesem Zeitpunkt.
Die Erkenntnis, dass wir
gleichzeitig in unterschiedlichen Umgebungen existieren könnten, ohne dies
direkt zu bemerken, ließ meinen Glauben an eine reale Welt ins Wanken kommen.
Ich scheute mich davor konsequent darüber nachzudenken und verdrängte dieses
Ereignis als eine schwer erklärbare, jedoch nicht so wichtige Episode. Ich
wollte meine gewohnte Weltordnung aufrecht erhalten. Jetzt allerdings, liebe
Daya, bin ich so weit, um weiter in tieferes Wissen vordringen zu können.“
"Ich ebenfalls“,
ergänzte Antonio und auch Valentin schloss sich mit einem lauten "ich
auch“ seinen Freunden an.
"Nun ja, wenn dem so
ist, bin ich ja geradezu verpflichtet euch weiter zu helfen“, gab sich Daya mit
gespieltem Ernst geschlagen. Aber ihre Augen schienen schalkhaft zu glitzern.
Und bedenklich fügte sie hinzu: "Ja, wo soll denn das hinführen, wenn sich
die gesamte Welt zunehmend als Illusion erweist?“
Die drei Freunde blickten
gespannt zu Daya. Keiner von ihnen machte sich Gedanken über eventuellen Konsequenzen
von Dayas letzten Worten. Es war der Hunger nach Sensationen, der sie im Bann
hielt.
Albin dachte noch kurz über
das Glitzern in Dayas Augen nach und fragte: "Warum geht Daya so
bereitwillig darauf ein die Geheimnisse zu erklären? Sind diese vielleicht für
ihn und seine zwei Freunde nicht machbar? Folgen vielleicht Perspektiven, die
wie ein Köder dazu ausersehen sind, Eifer und Anstrengungen nicht erlahmen zu
lassen?“
"Wir sind keine
körperhaften Wesen“, begann Daya ihre Erklärungen. "Unsere Körper, ob
irdische oder astrale Körper, sind nur dazu da, um uns zu ermöglichen, die Welt
mittels Farbe und Ton und einigen weiteren Sinneseindrücken zu erleben.
Jegliche Art von Körper, ob irdisch oder astral, ist für uns nicht mehr als ein
Werkzeug zur Wahrnehmung und Kommunikation. Die Körper sind etwa vergleichbar
mit Kleidungsstücken, die wir ablegen oder wechseln können. In Wirklichkeit
sind wir reiner Geist, reines Bewusstsein. Haben wir dies einmal erkannt und
sind wir imstande unsere körperlichen Bindungen abzustreifen, dann erst sind
wir wirklich freie Wesen. So wie der Wind frei herumstreift, so verbindet sich
unser Bewusstsein mit allem was lebt und die göttliche Schöpfung beseelt, frei
von Raum und jeglichen Eingrenzungen. Erst dann sind wir wirklich frei. Bis
dahin jedoch ist es ein weiter Weg, aber es lohnt sich ihn zu gehen.“
Albin dachte nach. Wie oft
hatte er sich beim Studium fremder Schicksale in diese eingelebt und sich
selbst, Albin, dabei vergessen. Sein Ego hatte stark an Bedeutung verloren oder
hatte sich ausgeweitet zum Fühlen und Denken eines ganzen Volkes, zahlloser
Menschen unterschiedlicher Herkunft. Aber in allen diesen Existenzen hatte er
die Welt als körperliches Wesen erlebt, hatte gelitten oder sich an den
wundervollen Eindrücken erfreut. Als reines, körperfreies Bewusstsein zu
existieren war kaum vorstellbar. Albin war sich klar, diese fremdartige
Perspektive konnte nicht durch Fragen vertraut und verständlich gemacht werden,
und er schwieg. Ebenso seine Freunde.
Sie standen vor der Schwelle
einer neuen Seinserfahrung. Sie könnten Wahrnehmungen und Aktionen haben, die
nicht an ein körperliches Zentrum gebunden waren und vielerorts vielleicht
gleichzeitig möglich wären. Frei von Raum und vielleicht auch frei von Zeit.
14
Abschluss
Wie es manchem Leser/in scheint,
hört dieses Buch abrupt auf. Es zeigt weder wie der Weg in der Zukunft weiter
geht, noch hat es sonst ein Ende wie Tod oder Wiedergeburt.
Dass hier eine ungelöste Frage des
Leserpublikums vorliegen könne, fiel mir beim Schreiben nicht auf. Es war mir
selbstverständlich, dass es für das geistige Leben keinen Abschluss gibt – das
Leben ist ewig und das Lernen setzt sich fort, bis sich das Individuum in der
All-Liebe auflöst.
Ich bin in Worten nicht geschickt.
Deshalb möchte ich diese Fragestellung mit einem Zitat aus den
Jenseitsbotschaften von Claudius – dem ehemaligen Kaiser Claudius – aus dem
Buch von Hildegard Schäfer: "Dialog mit Claudius", Seite 21
beschließen:
…. Von hier aus habe ich
Zutritt zum Wissen, das euch als Informationsfeld umschließt. Meine eigene
Akasha Chronik hat sich aufgelöst und ist eingegangen in dieses Wissen, doch
ich bin, und ich kann diese meine Akasha Chronik benutzen, um die Verbindung
mit euch aufrecht zu erhalten. Ich benötige sie nicht für mich, ich benötige
diese Informationen nur für euch. Ich habe mich zu diesem Experiment
entschlossen obwohl dies bei weitem nicht das wieder gibt, was ich damit zum
Ausdruck bringen möchte.
Aus der online Version des Buches von Hildegard Schäfer: "Dialog
mit Claudius", S. 21
http://rodiehr.de/b01/b_01_00_band1_druckvers.pdf
Noch etwas zur
Individualität wie wir sie begreifen. Unsere Sichtweise geht verdeckt aus der
Fragestellung hervor, doch Claudius sieht und definiert dies anders. Das bringe
ich, um damit zu verdeutlichen, dass Albin, wie er uns durch seine Wanderungen
geschildert wurde, uns als definierbare Person in Erinnerung ist. Dieses Bild
ist jedoch mit seiner Weiterentwicklung zunehmend nicht mehr stimmig.
Frage: Wenn ich mit dir spreche, mache ich mir ein Bild von dir,
dann sehe ich
dich, wie du im Film gezeigt, diesen vergifteten Pilz in den
Mund nimmst. Könntest du mir im Traum zeigen wie du aussiehst?
Claudius: Meine Liebe, siehe, damals war ich ein müder alter Mann,
vom Leben gezeichnet. In diesem Film kommt sehr gut zum Ausdruck, wie der
Mensch sich verändert im Laufe des Lebens. Am liebsten wäre es mir, ich könnte
mich dir so vorstellen, wie ich damals beim Tod meines Vaters auf dem Arm
meiner Mutter getragen wurde, denn später, als junger Mensch, als behinderter
Mensch, war ich nicht gerade eine Augenweide für die Augen einer Frau.
Frage: Dieses Bild belastet mich manchmal.
Claudius: Mache dich frei meine Liebe. Mache dich frei das Leben so
zu sehen wie es ist. Du könntest mich genauso gut als Apollo sehen, als die
Figur, dessen Schönheit überall zu sehen ist. Mach dich einfach frei. Stell dir
eine Figur vor, die dir gefällt. Meine Freunde, ist es nicht wichtiger für
euch, mich jetzt als Geistwesen an eurer Seite zu haben, als euer Begleiter und
Helfer?
Seht meine Lieben – ICH BIN – ich bin der Anfang und das
Ende, ich bin Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft zu gleicher Zeit.
ICH BIN, ich bin Bewusstsein. Ich bin reine Energie, ICH BIN
und gehe ein, ich gebe mich auf, ich versinke in der Liebe.
Nun, ich wollte euch eine Ahnung vermitteln, ich hoffe, es
ist mir gelungen.
(S. 22 u. 23)
Hildegard Schäfer: Dialog mit Claudius, Band 1: Impulse aus einer
anderen Welt,
Drei
Eichen Verlag (1992)
Erstausgabe Wien, 2007, überarbeitet 2017
Urheber- und Publikationsrechte der Bilder und Texte von Alfred
Ballabene.
Nach GNU Richtlinien frei gegeben.
Ich bedanke mich für Ihren Besuch
Alfred Ballabene